Krankheit Als Koerpererfahrung

  • November 2019
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  • Words: 4,523
  • Pages: 12
Gabriela Rutecka, Przemysław Dorszewski

Krankheit als Körpererfahrung in den ausgewählten Autobiographien in der Frühen Neuzeit.

1. Einleitung Der

Begriff

„Selbstbiographie“

wurde

zum

ersten

Mal

in

der

Sammlung

„Selbstbiographien berühmter Männer“ im Jahre 1796 gebraucht.1 Zwar gab es schon vorher Werke, die als Selbstzeugnisse galten, aber erst mit der Sammlung wurden die Merkmale dieser Gattung – so wie wir sie jetzt kennen – bestimmt. Allgemein gesagt, kann man die Autobiographie als eine Form kennzeichnen, in der der Schreibende über sich und seine Lebensumstände erzählt. Im Unterschied zu Tagebücher, die täglich oder wenigstens regelmäßig geführt werden, wurden die Selbstbiographien aus einem größeren Zeitabstand verfasst. Sie führen uns in die Welt des Verfassers, die er für bedeutend hält und als Reflexion seines Lebens kreiert. Da diese Darstellung sich meistens auf das schon Geschehne bezieht, wird sie als eine einheitliche Formung der Vergangenheit niedergeschrieben. Die einzelnen Ereignisse werden durch Besinnung miteinander verbunden. Man entdeckt dabei oft Bedeutsamkeiten, auf die man vorher nicht aufmerksam war. Die Beurteilung des Handelns, der Umgebung, der Menschen, des Geschehenen

kann sich verändern. In einer

Autobiographie konzentriert sich der Autor auf sich selbst, auf seine psychische Verfassung, auf seinen persönlichen auch gesundheitlichen Zustand. „Der Autobiograph berichtet [...] keine Tatsachen, sondern Erfahrungen die er mit in der Wirklichkeit gemacht hat.[...] erst aus der rückblickenden Perspektive kann [einem] Ereignis Bedeutung zugeschrieben werden, eine Bedeutung, die einige Erlebnisse hervorhebt, andere Episoden hingegen unwesentlich werden 1

Ungerman, S., Kindheit und Schulzeit von 1750-1850. Eine vergleichende Analyse anhand ausgewählter Autobiographien von Bauern, Bürgern und Aristokraten, Frankfurt am Main 1997, S. 45.

lässt. Eine gute Autobiographie sollte [...] beides deutlich machen: die zeitgebundene, vielleicht irrige Bedeutung, die das Ereignis in der Gegenwart hatte, und die endgültige, zumeist veränderte Bedeutung, die aus der retrospektivischen Betrachtungsweise gewonnen wird.“2 Da die Autobiographien als hervorragende Quellen zur Erforschung der Geschichte dienen, werden sie auch immer wieder als solche zugezogen. Dabei ist aber kritische Betrachtung notwendig. Der Zeitabstand zwischen dem Geschehenen und dem Schreiben führt oft zur Verformung der Ereignisse. Meistens versuchen die Schreibenden sich im Mittelpunkt zu stellen, obwohl das mit der Wirklichkeit nicht übereingestimmt hat. Als historische Quellen liefern die Selbstzeugnisse Informationen zu Themen: der Alltag, die Kindheit, die Ausbildung, die Religion, die Krankheit, die Gewalterfahrung; allgemein gesagt zur Gesellschaftsgeschichte. In unsere Arbeit wollen wir uns mit dem Begriff und mit der Bedeutung der Körpererfahrung und Krankheit in einigen Autobiographien beschäftigen. Die Zeitspanne der von uns verwendeten Selbstzeugnissen umfängt drei Jahrhunderte (16., 17., 18.). In unserer Darstellung stürzen wir uns auf die Selbstbiographien von Hermann von Weinsberg, Andreas Günzter, Johann Dietz, Samuel Pepys, Margarethe Milow, wie auch auf die Briefe Liselotte von der Pfalz. Das Ziel unserer Arbeit ist es, Erfahrungen verschiedener Personen in Bezug auf Krankheit darzustellen. Dabei erhoffen wir uns, die unterschiedlichen Wahrnehmungen eigenes Körpers der Schreibenden herauszuarbeiten. Mit den berühmten Worten von Descartes „Ich denke, also bin ich“ begann die Auseinandersetzung mit eigenes „Ich“. Der Philosoph trennte das Leib (res extensa) von der Seele (res cogitans) des Menschen. Seine Zeitgenossen kamen zur Gewissheit, dass zwischen allen Körpern unterschiede gibt. Deswegen ist jedes Wesen einzigartig. Diese Feststellung ist vor allem in den autobiographischen Texten nachvollziehbar. Die durch Descartes propagierte Denkweise gab einen Stoß zur Selbstreflexion. Die individuellen Erfahrungen nahmen eine Form einer Konfrontation mit Körperkonzepten und Körperbildern ein. „Wer über seinen eigenen Körper berichtete oder schrieb, schilderte nicht selten das Unausdrückbare, Unsagbare, nicht in Worte Fassbare. Häufig zeigte sich im schriftlich niedergelegten. Nachdenken über die eigene Körperlichkeit das Bedürfnis, die Erinnerungen an den subjektiv erlebten Körper festzuhalten.“3 2

Ebenda, S. 49. Labouvie, E., Individuelle Körper. Zur Selbstwahrnehmung „mit Haut und Haar“, in: Dülmen, R.(Hrsg.), Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln 2001, S. 175 3

2

2. Krankheitsbegriff Eine besondere Möglichkeit zur genauerem Betrachtung und zum Nachdenken über den eigenen Körper boten die Krisensituationen im Leben. Zu denen zählten unter anderem Krankheiten, die nicht nur für den Leidenden, sondern auch für seine Familie beschwerlich waren. Krankheit zeigt den Menschen in einer anderen Situation. Sein ganzes Dasein konzentriert sich auf den kranken Körper. In seinem Kranksein ist man mehr auf die Familie und die Heiler angewiesen. In der Frühen Neuzeit bedeutete Kranksein was anderes als heute. Das Leiden wurde als Stigma des Kranken angesehen.4 Vor allem ansteckende Erkrankungen verursachten kollektive Ängste und setzten Abgrenzungsmechanismen in Gang. Die nicht einsteckenden Leiden provozierten meistens Spott. Wenn es sich um körperliche Missbildungen handelte, weckte das meistens allgemeine Neugier. Die autobiographischen Texte zeigen, wie wichtig die Analogie zwischen Körper und Gesellschaft war. Im 16. und 17. Jahrhundert trennte man die körperlichen und psychischen Leiden nicht voneinander. Man definierte die beiden als körperliche Krankheit. Man glaubte, „dass äußere Kräfte in den Körper eindringen und emotionale Erfahrungen wie Eschrecken körperliche Krankheiten verursachen konnten.“5 Sie konnten auch ein Ausdruck von gesellschaftlichen Verhältnissen sein. In manchen autobiographischen Texten lässt sich feststellen, dass das damalige Krankheitsverständnis stark durch den Glauben geprägt war. Auf Grund dieser Denkensweise entwickelte man Erklärungsmodelle. Das körperliche Leiden wurde als Ausdruck von Gottes Macht betrachtet. Die Erkrankung wurde „als Läuterung und körperlicher Reinigung oder als Prüfung der konfessionellen Standfestigkeit“6 verstanden. Die Genesung war ein Beweis der besonderen Gnade Gottes. Solches Krankheitsverständnis war auch mit „besonderen“ Behandlungspraktiken verbunden. Wallfahrten, Gebete, magische Praktiken sind die besten Medikamente, glaubte man. Die Krankheitserfahrungen stellten Krisensituationen da. „Krankheit bedeutete zunächst Verminderung der Arbeitsfähigkeit.[...] Krankheitsfälle bringen Mehrarbeit für die Familienmitglieder mit sich, da eine kranke Person, wenn immer es die Situation erlaubt, in

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Lumme, Ch., Höllenfleisch und Heiligtum. Der menschliche Körper im Spiegel autobiographischer Texte des 16. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1996, S. 35. 5 Jung, V., Ulbricht, O., Krank sein. Krankheitserfahrung im Spiegel von Selbstzeugnissen von 1500 bis heute. Ein Tagungsbericht., in: Historische Anthropologie 9 (2001), S. 137. 6 Ebenda, S. 146. 3

der Familie gepflegt wird. Mit Illuminationen, Gebeten oder gemeinsamem Weinen werden Krankheiten auf einer religiösen und rituellen Ebene angegangen.“7 Wie schon vorher angedeutet wurde, brachte die Denkweise Descartes neue Züge in diesem Bereich. Der menschliche Organismus wurde als eine Maschine gesehen. Krankheit bedeutete dann eine Störung oder Defekt des Organismus. Um alles wieder in Ordnung zu bringen, musste eine Reparatur (Therapie) durchgeführt werden.8 „Für eine erfolgreiche Prophylaxe und Therapie galt es als elementar, einerseits die verdorbenen oder überschüssigen Säfte durch Aderlass, Brech- und Abführkuren zu entsorgen, andererseits aber auch den zahlreichen diätetischen Lebensregeln zu folgen.“9 Das Thema des Körpers in Autobiographien steht im Zusammenhang mit gefährlichen Situationen wie Krankheiten, Unfälle oder Geburt. Die Schilderung der Erfahrungen kann als kurze Erwähnung oder lange Krankheitsbeschreibung auftreten. In den Selbstzeugnissen bringen die Autoren ihre Gefühle, Ängste, Hoffnungen zum Ausdruck. Sie stellen den Verlauf des Leidens, die Behandlungsmethoden und die Beziehung zu Ärzte und Heilpersonen. Aus den Texten lässt sich herausarbeiten, welche Funktion die Krankheit im Leben des Schreibenden gespielt hat.

3. „Große Leiden, kleine Leiden“ Am Anfang der Neuzeit war üblich, dass die Leute ihren eigenen Körper in kritischer Auseinandersetzung mit einem idealen Körperbild betrachteten. Erst Krankheit und Alter setzten die Zäsur in ihrem Leben. Die physische Schönheit und der gesundheitliche Zustand beeinfloßen die Reflexion über das eigene Leben. Ähnlich war es in den Briefen von Liselotte von der Pfalz: „Weilen ich noch so rot bin, ob. es zwar schon 6jahr ist, so daß ich blattern gehabt habe, so werde ich wohl mein leben so bleiben; bins ganz getröst, denn es incommodiert (belästigt) mich in nichts. Ich piquiere mich von keiner schönheit nicht, und wenn ichs gewesen were (so wohl als ichs nicht gewesen bin), müsste ich doch in diesem alter, wo ich nun bin, endern; also nichts dran gelegen, ob. ich bleich oder rot bin, will auch lieber eine heßliche haut haben und in die luft gehen, als weißer sein und langweil in der kammer haben oder durch ein masquen mich incommodieren.“10 Wie aus dem Zitat hervorgeht, stellte 7

Piller, G., Krankheit schreiben. Körper und Sprache im Selbstzeugnis von Margarethe E. Milow-Hundtwalcker (1748-1794)., in: Historsiche Anthropologie 7 (1999), S.220. 8 Engelhardt von, D., Krankheit, Schmerz und Lebenskunst. Eine Kulturgeschichte der Körpererfahrung., München 1999, S. 48. 9 Lumme, Ch., Höllenfleisch und Heiligtum..., S. 89. 10 Kiesel, H. (Hrsg.), Briefe der Liselotte von der Pfalz, Frankfurt am Main 1981, S. 129. 4

die Autorin erst nach 6 Jahren von der Erkrankung, das sie sich nicht mehr um Schönheit und Körperideal kümmert. Ihr Gesicht wurde von den Plattern entstellt. Sie war sich das bewusst und hat sich auch nicht als hübsch wahrgenommen. Die Gesichtserkrankung war nicht die einzige körperliche Krise in Liselottes Leben. In ihren

Briefen

finden

sich

Mitteilungen

von

Kurzatmigkeit,

Husten,

Geschwüre,

Appetitlosigkeit, dem Verlust der Zähne, Schmerzen und Gallenbeschwerden. „Ma tante hatt mir den fluß, so I. L. Ahm backen haben, nicht verhelt, wie auch, daß ihnen ein forderzahn außgefahlen. Ich bin auch schir so, der meine ist halb abgebrochen. Es ist schwer mitt zahnschmertzen schlaffen. [...] Mich wundert, daß man nicht ahn ma tante rede gewahr wirdt, daß się den fordern zahn verlohren haben; mich macht mein halber unerhört pfeyffen. Wen die zähn wacklin, muß man się nie mitt opiat noch mitt nichts reiben, aber den mundt offt mitt wein spüllen undt etlichen tropffen eine zeit in dem mundt behalten, daß stärcket daß zahnflesich.“11 In der Selbstwahrnehmung des kranken

Leibs spielten die chronische

Krankheiten gleiche Rolle wie die plötzlichen Erkrankungen. Man beobachtete seinen Körper an dem die Vergänglichkeit ihre Zeichen hinterlässt. Die Liselotte von der Pfalz hatte das auch an sich bemerkt. Obwohl sie keine Schönheit mehr ist, akzeptiert sie ihr Aussehen. Die Körperbeobachtung bei dem späteren Feldscher Johann Dietz spielte seit seiner Kindheit große Rolle. Sein Vater verachtete ihn wegen seiner im Vergleich zu seinen Geschwistern Andersartigkeit: „... alle meine Brüder und übrigen Kinder schwarz, und rauhe haut und Köpfe hatten, ich hingegen schlosweiße Haar und Haut hatt; dahero mein seliger Vater immer sagte: ich wäre nicht sein Kind; derohalb mich auch nicht achtete.“12 Seit dem 16. Jahrhundert lässt sich beobachten, dass die Genesung von einer schweren Krankheit eine Zäsur im Leben des Menschen bedeutete. Diese Körpererfahrung veranließ zur ständigen Erinnerung. Ein Beispiel dafür stellt der Beamter Samuel Pepys dar. In einer Kassette bewahrte er dem ihm herausoperierte Gallenstein auf und feierte jedes Jahr die erfolgreiche Operation.13 Aus dem selben Grund führte Margarethe Milow ihr Tagebuch. Wie sie selbst schrieb: „Ich hatte mir sonst jeden Abend oder jede Woche das gehabte an Leiden und Freunden kurtz bemerkt, um es zu meiner Erbauung von jedem Jahre durchzulesen“14. Anders verlief die chronische Krankheit bei Hermann von Weinsberg, der in seinem 9. Lebensjahr einen Bruch erlitten hatte. Das körperliche Gebrechen wurde zu seinem 11

Elisabeth Charlotte von Orleans, Briefe (1676-1722), Holland, L. (Hrsg.), Bd. 2, Stutgart-Tübingen, 18671881, S. 291. 12 Kemp, F.(Hrsg.), Meister Johann Dietz des Großen Kurfürsten Feldscher. Mein Lebenslauf., München 1966, S. 14. 13 Winter, H.(Hrsg.), Samuel Pepys, Tagebuch aus dem London des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1980, S. 224,246. 14 Bake, R., Kiupel, B.(Hrsg.), Margarethe E. Milow..., S. 289. 5

Lebensschicksal. Der behinderte Körper verschloss ihm den Weg in die politische Tätigkeit. Seine Erkrankung war auch der Grund für die Überzeugung, dass seine Zeugungskraft geschwächt wurde. Er heiratete nur ältere Frauen. „Hette ich aber diss heimlich gebrech nit geahtt, ich were villicht nit so stillich pliben sitzen in einem reuwichen leben, ich hoff, sulton zweivel etwas anders angefangen haben, das mir fillicht nutzer ader schedlicher were gewest. Es hat mich auch scheu gemacht jonge frauwen zu nemen, quia metuebam, ne forte partim generationi obesset.“15 Wie auch Weinsberg finden sich bei Dietz regelmäßige Notizen zu seinem gesundheitlichen Zustand. Vor allem während seiner Lehrjahre und in Kriegsdienst stellt er detailliert seine Schwächen dar. Er beschreibt z. B., wie er an Pest erkrankt wurde. „... die Pest mit nach Hause brachte. Sahe mir solches mein Vater gleich an, weil heftig Kopfwehe, ganz erblasset und krank war. Er gab mir gleich einen Löffel voll von meiner gemachten Pestessenz ein [...] so hat die Stärke der Arznei auf eine Blutstürzung getrieben, daß das Blut zu Maul und Nasen heftig geflossen; ich mich im Blute herum- und auf dem Boden gewälzet; endlich vermattet, in tief Schlaf gefallen.“16 Nach zwei Tagen wurde er gesund. Dietz beschrieb dieses Ereignis aus der Perspektive der Zeit. Seine Selbstreflexion war auf die effektive Therapie und die Freude über die Gesundung konzentriert. Nicht alle konnten sich der Genesung erfreuen. Oft kennzeichnete die chronische Krankheit das Leben eines Menschen. Die Wahrnehmung des kranken Körpers verursachte schlechtes Gefühl. Das bestimmte die Lebenssituation. Die Krankheit wurde „als Gottesstrafe oder Schicksal, als Behinderung der Lebensmöglichkeiten, aber auch als die negative Seite einer um so besseren geistigen Konstitution angesehen wurde“17 Man musste lernen mit der Krankheit zu leben. Ein Beispiel dafür stellt das Leben von Augustin Güntzer dar. Er lebte im 16./17. Jahrhundert und war ein Handwerker. Sein ganzes Leben war durch seine Hautkrankheit geprägt. „Die Paltter und gifftigen Eittermalen triffen miht Tag und Nacht. Sie spanen mich, daz ich deß Tags meinem Meister die Arbeidt nicht wol mehr verrichten kundte. Ich leidete großen Schmertzen“18. In seiner Autobiographie deutete er sein Leiden im Rahmen der damals populären Kreuzestheologie. Güntzer, ein begeisterter Anhänger von Calvins Lehre, glaubte, dem Jesus nachzufolgen, indem er sein Kreuz wie jeder guter Christ auf sich nimmt. Das Kreuz steht als Synonym für verschiedene Leidensformen. Dem christlichen 15

Zitat nach Pastenaci, S., Erzählform und Persönlichkeitsdarstellung in deutschsprachigen Autobiographien in 16. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Historischen Psychologie., Trier 1993, S. 103. 16 Kemp, F.(Hrsg.), Meister Johann Dietz..., S. 22-23. 17 Labouvie, E., Individuelle Körper..., S. 181. 18 Güntzer, A., Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben: die Autobiographie eines Elsässer Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert., Hrsg. v. Brändle, F., Köln 2002, S. 187. 6

Verständnis nach sollte jeder sich von der sündigen Welt abwenden und zu dem Gott durch ein frommes Leben finden. „Herr, mein Helfer, du hast mihr abermal ein Chreitz aufferlegt, Christo, meinem Erleßer, nachzutragen, welches Chreitz ist, so iich jetz trage“19. Um ein frommer Christ zu werden, nahm er das Kreuz seines Leidens auf sich. Gleichzeitig hob das Gebrechen ihn aus der Masse der Gläubigen hervor. Er gehört zu den Wohlhabenden, trotzdem verzichtete er auf die Behandlung von Ärzten und Heilern, auf die Einnahme von Medikamenten. Er ist verzweifelt, er beklagt sich über seinen Zustand („Klagte Gott mein Nott mit weinetem Hertzen“20) und er bittet Gott, ihn zu heilen. „Herr, du hast zwarr die eißerliche Mittel geordnet zur Artziney dem Menschen zum Gudten, aber es stet die Chrafft nicht in den Mitteln der Artziney, sonder aleine an dem getreyen So[e]gen undt Chrafft, so du darzu gibest.“21 Er sah seine Hauptschwäche als eine Prüfung, die ihm von Gott gegeben wurde. „Zur Idealisierung einer christlichen Leidensbereitschaft leisten in der Autobiographie auch zahlreiche biblische Leitfiguren und christliche Märtyrer ihren Beitrag, indem sie Güntzer daran erinnern, dass sein Leid gemessen an ihrem nur einem

>Schattem zu

vergleichen< sei“22. Er wendet sich an Gott und bittet Ihn, ihm seine Gnade zu zeigen. „So beko[e]hre du mich mit deiner heiliger Macht und gudten Geist, gleich wie du gethan hast dem Daffidt, dem Schecher am Creitz, dem Paulum, dem Petrum, der bußferdigen Maria Magtalena und andern mehr.“23 Güntzer betrachtete sein Leiden als Zeichen Gottes Auserwähltheit. Er verglich sich mit Hiob, dem klaglosen Leidenden. Er überlegt sogar, ob sein oder des Hiobs Leben schwieriger ist. „Ich dachte aber offt daran, ob Job sein Kampff der gro[e]ßiste seye [...].“24, „[...] ich moechte wißen, ob der Job merer Plattern und Eittermalen an seinem Leibe hatt dan ich damalen gehapt.“ 25 Seine gesundheitliche Verfassung entschied darüber, dass er ein Außenseiter- Leben führte. Die Person Güntzers bezeichnete einen Kranken, der sich nicht nur seines Zustandes bewusst war, sondern offen darüber spricht. Dadurch wird er mit sich selbst und mit seiner Einstellung zum Leben und Körper konfrontiert. Margarethe Milow, eine im 18. Jahrhundert lebende Bürgerin, machte ihre Autobiographie zu einem Krankheitsbericht. 1791 notierte sie zum ersten Mal Anzeichen

19

Ebenda, S. 300. Ebenda, S. 187. 21 Ebenda, S. 300. 22 Sieber, D., Erlesenes Leid und selbstbewusste Gesten. Die religiösen Leitbilder Augustin Güntzers., Einleitung in: Güntzer, A., Kleines Biechlin..., S. 31. 23 Güntzer, A., Kleines Biechlin..., S. 277. 24 Ebenda, S. 280-281. 25 Ebenda, S. 187. 20

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Brustkrebs. „Den Abend fühlte ich zuerst Schmertz in der Brust und auch die Verhärtung.“26 So beginnt ihr Dokument des Kampfes gegen ihre Krankheit. In dem Kampf bedient sie sich aller möglichen Mitteln, die ihr zugänglich sind. Sie lässt sich von Heilpersonen behandeln, sie unterzieht sich verschiedenen Kuren und schließlich entschloss sich 1793 zu eine Brustoperation. Von Anfang an war sich die Milow bewusst, dass ihre Krankheit für sie den Tod bedeutet. „Meine Gesundheit ist nicht mehr was sie gewesen, Körper geschwächt. Ich trage vielleicht schon den Todt in meiner Brust, auch das wie du willst Gott!“

27

Die Autorin

verstehet ihr Leiden ähnlich wie der Güntzer als von Gott gegeben: „Nun komme mir welche Leiden noch wollen, es kömmt von dir, ist väterliche Züchtigung, führt zu größerem Glücke.“28 Doch im Unterschied zu dem Handwerker untergibt sie sich der Krankheit nicht. Sie zeigt keineswegs Tatenlosigkeit wie der Güntzer. Ihre Krankheitsgeschichte deutet auf eine Kombination vom Glauben an die göttliche Vorsehung und von der Zulassung verschiedener Behandlungsmethoden.

„Die

Verquickung

von

Religion

und

Medizin

ist

im

Gesundheitsdiskurs der Zeit als eine Art. strategischer Pakt angelegt“29. Seit dem ersten Moment der Krankheitswahrnehmung wurde der Schmerz, den sie fühlte, zu einem bestimmenden Erinnerungsträger. Sie leidet, aber sie beklagt sich nicht. Sie nimmt ihre Krankheit einfach an und legt dabei ihr Schicksal in Gottes Hände. Sie bat nicht um die Genesung, sondern nur um Gottes Führung, auch wenn das für sie das Schlimmste bedeuten sollte. „Ich betete heiss und innig, dass Gott die Umstände so lenken möge, wies mir am besten sey. Es wäre ja Gott auch ohne Wunder ein geringes gewesen, abzuwenden, dass ich diesen Mann nicht annehmen, aber Gott wendete es nicht ab, er lies es zu, er beförderte es – also wars sein Wille und sein guter Wille, ob wir schwache Menschen es gleich nicht einzusehen vermögen.“30 Nach misserfolgten Kuren wandte sich Margarethe Milow an den Arzt Dr. Grasmeier. Nach einem Gespräch im 1792 entschied sie sich zu einer Operation. Der Entschluss unterzeichnete ihre Eigeninitiative und ihren Einfluss auf dei Behandlung. Nachdem die Vorbereitungen getroffen worden waren, wurde die Kranke am 31. Januar 1793 operiert. So schildert sie dieses Geschehen: „... erwartete mit ordentlicher Sehnsucht meine Ärzte. Sie ließen lange auf sich warten. Endlich um 10 Uhr kamen sie. Seip blieb oben mit der Köster bey mir, Grasmeier zur Zubereitung hinunter. Ich ging auf und nieder, endlich kam er, sein Gehülfe und die Kruse. Mein hanchen blieb unten, cih befahl Friedericke, nicht von ihr zu 26

Bake, R., Kiupel, B.(Hrsg.), Margarethe E. Milow..., S. 287. Ebenda, S. 285. 28 Ebenda, S. 223. 29 Piller, G., Krankheit schreiben...., S. 223. 30 Ebenda, S. 227. 27

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gehn. Ich machte meine taschen los, zog mein Leibchen aus und setzte mich, die zitternden Knie, fürchtete ich, möchten Grasmeier hindern, er hielt sie zwischen den Seinen fest. Seip hielt den rechten Arm in die Höhe, der Gehülfe stand hinter ihm, die Köster hielt die linke Hand, die Kruse das Brett mit den Messern und übrigen Sachen, ich machte die Augen zu, und - es war geschehen. Ich öffnete die Augen und sah die blutige Brust liegen. Er wartete etwas, ich schloß wieder die Augen und der 2te Schnitt geschah. Es dauerte länger und ich fragte , >>ists bald vorüber?<< - und auch das wars bald. Er forderte Kohlen, und ich fragte mit Angst, >>Sie wollen doch nicht die Adern zubrennen?<< Nachdem nun alles verbunden war, ward cih übel, mußte mich übergeben, und darauf mußte ich noch ein ander Hemd und Leibchen anziehen und dann zu Bette. Hier war ich nun voll innern Danks“31. 1793 gab es noch keine Möglichkeit für eine Narkose. Deswegen musste die Operation sehr schmerzhaft sein. Trotzdem hat die Beschreibung eine Form eines Protokolls. Sie erzählt alles, als würde sie nur eine Beobachterin des Geschehenen. Zehn Wochen danach dürfte sie nach Hause fahren. Zuerst ging ihr gut, aber bald verschlimmerte sich ihr Zustand. Sie bekam „Knoten“, der Schmerz wurde stärker. Die von den Ärzten verordnete Behandlung brachte keine Besserung. Milow kann ihre Enttäuschung nicht verbergen. Sie fühlte sich von den Medizinern zurückgewiesen. „Ich kann

nach menschlichen Ansehen nach nicht besser

werden, ich muss aller Erfahrung nach eines fürchterlichen Todes sterben, aller dieser Erfahrung nach ferner lange leiden. Ich will aber nicht murren, dort werde ich das im Lichte erkennen, was ich hier dunkel sah. [...] Jetzt sind die Schmertzen noch tragbar, aber sie kommen anders. Ich kenne den gantzen Gang meiner Krankheit und bin auf alles gefasst.“32 Sie musste ihren Kampf mit dem Brustkrebs erfolglos aufgeben. Sie beendet ihr Selbstzeugnis mit der Gewissheit des baldigen Todes und legte ihr ganzes Vertrauen auf Gott. „Im Gegensatz zu den Berichten über lebensbedrohliche Krankheiten, die häufig auf die Dramatik der Geschehnisse hinwiesen und vom Bemühen um göttliche Sinngebung getragen waren, gerieten bei den „kleineren Leiden“ die nüchterne Wiedergabe der Symptome, die Ursachenforschung sowie die Therapie in den Vordergrund.“33 Wenn man die Leiden unter dieser Sicht betrachtet, lassen sich verschiedene Körperkonzepte erkennen. Die Autoren der Selbstzeugnisse suchten durch ihre Selbstreflexion nach Gründen der körperlichen Schwächen. Liselotte von der Pfalz – wie zu ihrer Lebzeit in der Mode war – gab die Schuld für ihre Krankheiten der „Büßartigkeit der Luft“, der giftigen Kälte. Ähnlich war es bei dem Feldscher Dietz. Er schrieb, dass während tagsüber Hitze herrschte, waren die 31

Bake, R., Kiupel, B.(Hrsg.), Margarethe E. Milow.., S.307-308. Ebenda, S. 321-322. 33 Lumme, Ch., Höllenfleisch und Heiligtum..., S. 88. 32

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Nächte sehr kalt, „..daher die meisten Krankheiten und das Sterben der Deutschen kombt, sonderlich wann sie bloß auf der Erde liegen und die kalten Dämpfe in‘n Leib dringen, welche die rote Ruhr mit dem jungen ungrischen Wein erregen“34. Die Beobachtung eigenes Körpers und bewusstes Erkennen seiner Schwächen war fest mit der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten. Bei den „kleineren Leiden“ sollte man indem Alltag sich an festgesetzte Regeln halten. Maßhaltung, Aderlässe, Schwitz- und Badekuren, Abführmittel, körperliche Bewegung und Diäten wurden für die besten Methoden zum Wohlbefinden gehalten. In ihren Briefen deutete die Liselotte von der Pfalz auch auf die guttuende Auswirkung der Bewegung. „Ich bin froh, daß E. L. Brav zu Herrenhausen spazieren, denn das ist gesund“35, „Spazieren gehen ist gesund; mit meiner dicken corpulenz gehe ich doch noch brav“36. Samuel Pepys kümmert sich auch in seinem Leben um seinen guten Zustand, indem er sich an folgende Regeln hielt: „1. Warmhalten. 2. Nicht anstrengen beim Stuhlgang. 3. Abführmittel und Klistier rechtzeitig benutzen. 4. Sorgfältig alle Anzeichen der Krankheit beobachten“37. Die Verzweiflung der Kranken und die Enttäuschung durch die Medizin veranließ manche zur Anwendung „Volksmagie“. Sogar die Ärzte bedienten sich manchmal der magischen Praktiken. Ein Beispiel dafür finden wir bei Dietz, der nachdem die wissenschaftlichen Vorgänge misserfolgt hatten, verwendete die alten abergläubischen Arzneien. „... als mich die Schlange gebissen, schwoll mir der Arm bis an die Achsel [...] Suchte allerhand Kräuter wider Gift und band sie auf die hand und Arm. Aber es half nicht.[...] Ich klagte ihm [einem Wirt] meine Not; kurz, gab ihm die Schlange, abzuziehen und mir das Fett und die Leber ausgebraten zu bringen. [...] als er mir den Tiegel mit der ausgebratenen Leber und Fett ins Bett brachte. Ich schmierte damit meinen Arm und hand recht durch, deckte mich zu und war eingeschlafen.“38 Diese fragliche Kur brachte Erfolg. Nach 3-4 Stunden war der Arm wieder in Ordnung. Die Anwendung der volkstümlichen Heilkuren zeugte dafür, dass bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts die Leute der Medizin gegenüber misstrauisch blieben. Auch wenn die sich von den Ärzten behandeln ließen, gaben sie in ihren Selbstzeugnissen die Skepsis der Behandlung gegenüber zum Ausdruck. Die Liselotte von der Pfalz bezeichnete in ihren Briefen ärztliche Praktiken als „teufelswerk“39. Sie weigert sich auch, irgendwelche Medikamente einzunehmen. „Sie haben mir mit aller 34

Kemp, F.(Hrsg.), Meister Johann Dietz..., S. 54. Kiesel, H. (Hrsg.), Briefe der Liselotte..., S. 105. 36 Ebenda, S. 123. 37 Winter, H.(Hrsg.), Samuel Pepys..., S. 183. 38 Kemp, F.(Hrsg.), Meister Johann Dietz..., S. 98-99. 39 Kiesel, H. (Hrsg.), Briefe der Liselotte..., S. 255. 35

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gewalt wollen aderlassen und medicin geben, aber ich habe durchaus nicht gewollt.“40 Ihre Einstellung erfolgte aus der Gewissheit, dass die Mediziner nicht wissen. „O Gewalt der Natur! Sie kennt ihre Bedürfnisse, und die Ärzte verstehen nichts.“41 Ähnlich gab auch Dietz der Natur Vorgang vor der Arztkunst: „was die Natur mit Begier suchet, ist ihre Arznei!“42 Der Leser erkennt in den Autobiographien, dass die Kranken in Beziehung auf ihre körperlichen Schwächen Verantwortlichkeit für eigenen Zustand übernehmen und, wenn es nötig ist, auch Initiative zeigen. Das beweist die bewusste Körperwahrnehmung, Reflexion über eigene Gesundheit und Auseinandersetzung mit eigener Körperlichkeit. „Die bewußte Reflexion der Körpervorgänge bei einer Krankheit etwa konnte einerseits Ängste und Unsicherheiten, vor allem das Sinnieren über einen baldigen Tod hervorrufen.“43 Vor allem kam das zum Ausdruck bei gebärenden Frauen, für die jede Geburt Risiko mitbrachte. Solche Angst erlebte auch Margarethe Milow nach einer schweren Geburt, wie sie es in ihrem Werk beschrieb: „Ich glaubte zu sterben. Nun blieb ich in einem solchen angstvollen Zustand, wo cih mich völlig bewußt, aber mienen Tod lebhaft näher kommen fühlte. Es war eine Angst, Beklemmung, Herzklopfen, dabey eine Kälte, ein klater Schweiß, eine Entkräftung, die nicht zu beschreiben ist“44. Der erlebte Schmerz wurde oft zu einem Auslöser der Freude über eigene Existenz. Die durchgemachte Krankheit brachte die innere Lebendigkeit nach außen.

4. Schlussfolgerung Wie an den Beispielen deutlich wurde, lieferten die reichen Erfahrungen Material für die Autobiographien. Warum die Schreibenden ihre Erinnerungen dem Nachkommen hinterlassen möchten, lässt sich nicht verallgemeinern. Jedes Selbstzeugnis ist eine Besonderheit und entstand aus anderen Gründen. Was aber bei allen Werken dieser Gattung gemeinsam ist, ist die Überzeugung der Autoren, dass sie in ihren Leben etwas Außergewöhnliches erlebten haben. Sie wollten meistens ihre Erfahrungen und ihr Wissen mit anderen teilen. Zu den Wendepunkten in den Lebensläufen gehörten auch die Krankheiten als Körpererfahrung. Manchmal litten die Leute an unheilbare Erkrankungen wie z. B. Augustin Güntzer an Hautkrankheit. 40

Ebenda, S. 37. Ebenda, S. 255. 42 Kemp, F.(Hrsg.), Meister Johann Dietz..., S. 51. 43 Labouvie, E., Individuelle Körper..., S. 184. 44 Bake, R., Kiupel, B.(Hrsg.), Margarethe E. Milow..., S. 196. 41

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Die von uns dargestellten Personen machen sichtlich, dass jeder von ihnen anders die Krankheit wahrgenommen hat. Sie konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf dem eigenen Körper, der zum Leitträger der Gedanken wurde. Der empfundene Schmerz entschied über die Schreibtätigkeit. Die Betroffenen entsprachen auch den Erklärungsmodellen. Manche wie Milow nahmen ihre Krankheit an, sie beklagten sich nicht, aber versuchten auch dagegen zu kämpfen. Andere wie Weinsberg machten aus ihrer Krankheit ein Lebenshindernis. Der Weinsberg beschwerdete sich, dass sein Bruchleiden seine Karriere verhindert hat und ihm glückliches Leben mit einer schönen Frau unmöglich machte. Die Beobachtungen eigenes Körpers lernten auch den Umgang mit ihm. Man vertraute den Medizinern und Ärzten nicht. Liselotte von der Pfalz äußerte sich selbst, dass sie sich lieber der Naturheilkunst bediente, als die Gelehrten befragte. Krankheit bedeutete für einige Lebensbestimmung, für andere kurzfristige Störung ihres Alltags. Die Leute mussten lernen, mit dem kranken Körper zurecht zu kommen. Sie empfanden die Wirklichkeit um sich anders als in der Gesundheit. Sie wurden auf Details aufmerksam, die sie vorher nicht beachteten. Ihre Einstellung zum Leben und zum Umgebung änderte sich oft. Die Krankheit zeigt aber nur eine Ebene der Körpererfahrung.

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