Kommunikationspoker Gespielt wird in Runden. Der Mann fängt an und teilt seine Kontaktdaten aus. Ab diesem Zeitpunkt gelten folgende Regeln: 1. Wer sofort anruft, wenn er oder sie das Gefühl hat, dass es dafür Zeit ist, bekommt die volle Punktzahl abgezogen. 2. Wer anruft, wenn er oder sie das Gefühl hat, lange genug gewartet zu haben, bekommt die volle Punktzahl minus der Wartezeit abgezogen. 3. Wer dann noch ein paar Tage wartet, könnte allmählich ins Plus kommen. 4. Wer angerufen wird, hat gewonnen und bekommt die abgezogen Punkte des Spielpartners als Bonus.. Dasselbe gilt für eMailverkehr. Als Punktzahl gilt die Anzahl der Stunden, die zwischen zwei Kommunikationsereignissen vergehen. Bei mehreren Kommunikationsversuchen werden die Punkte addiert. Die volle Punkzahl beträgt 168 und entspricht damit den Stunden einer vollen Woche. Nun hatte ich es also geschafft: Ich hatte endlich den ersten Schritt in eine größere Welt getan. Einer Welt, in der das Zum-‐Kaffee-‐Einladen auf zugigen Bahnsteigen Realität war. Stolz trommelte ich mir auf der Brust herum und fühlte mich endlich so richtig erwachsen. Endlich war auch diese Hürde gefallen. 20 Sekunden später war mir schlecht. Würde sie überhaupt zurückmailen? War es nicht bloße HöLlichkeit, meine Adresse anzunehmen und noch ein paar Worte netten Small-‐ Talk zu führen? Hätte ich sie nicht auch nach ihrer Adresse fragen sollen? Eine Zeit voller Konjunktive begann. Hier ist das Protokoll: Sonntag, 20:05: Ist das eben wirklich passiert? Oder war es doch nur ein Traum? Habe ich einen Beweis für ihre Existenz? Sonntag, 20:10: Sie wird nicht zurück schreiben. Alleine schon wegen der Tatsache, dass andere Menschen meine Schrift nicht lesen können. Natürlich habe ich sowohl in Telefonnummer (Festnetz und Handy) und meine Mail-‐Adresse einen schwerwiegenden Fehler eingebaut, so dass sie mindestens ein Zeichen nicht eindeutig entziffern kann. Mein Name ist zudem auch völlig unleserlich geschrieben. Und mein Eintrag im Telefonbuch ist sowieso schwer zu Linden…. Sonntag, 21:50: Zum Glück konnte ich mich die letzten zwei Stunden ablenken, da ich Besuch eines alten Freundes habe, den ich schon länger nicht mehr gesehen habe. Nach einiger Zeit nahm das Zappeln aber dann doch wieder überhand, der Abend wurde hinuntergestürzt und der Whiskey abgebrochen, schnell nach Hause Rechner an, Erwartungen und Atem Llach halten, nur Spam erwarten… „Hallo, hier ist Anne…“ Weiteratmen. (Stand: Anne -‐166 : Cornelis 166) Sonntag, 21:51: Anne. Was für ein schöner Name. Und sie hat schon nach weniger als zwei Stunden geantwortet. Dann muss sie es ja auch genossen haben, als ich sie im Zug zwei Stunden angestarrt habe. Und dann könnte ich ja eigentlich auch sofort zurück mailen. Oder wäre das jetzt zu schnell? Muss ich sie ersteinmal zappeln lassen? Sonst könnte sie ja noch auf die Idee kommen, dass ich etwas von ihr will! Ok, das stimmt zwar,
aber das sind doch die Regeln des Spiels: Wenn man etwas von einer Frau will, darf man es ihr nicht zeigen, denn sonst könnte sie ja in Panik verfallen, dass auf der anderen Seite böser großer Mann sitzt, der sich schmutzige Gedanken macht, in denen Sie und sonst nur wenige Klamotten vorkommen. Alles Blödsinn, denke ich mir und schreibe zurück. So groß bin ich gar nicht. (Stand: Anne 2 : Cornelis -‐2) Sonntag, 21:51: „Permanent Error. Mail konnte nicht zugestellt werden. Nutzer hat zu viele Mails auf dem Server.“ Bitte was? Auch 6 weitere Versuche, die Mail zu versenden, führen zu keinem Ergebnis. Und jetzt zurückzurufen, wäre tatsächlich ein Fehler. Dann wäre ja klar, dass ich die ganze Zeit nur auf die Mail gewartet hätte. Ich bin zwar kein großer böser Mann, aber ein großer Starker doch hoffentlich schon. Sage ich mir, versuche stark zu sein und mich abzulenken. Montag, 19:39: Die Zeit ist gekommen. Jetzt könnte ich anrufen. „Hallo, hier spricht die AnruLbeantworterin“ „Achso. Ja, hmm. Ich hab dir eine Mail geschrieben. Aber sie kommt nicht an. Ähm, ich würde dich gern treffen. Meld dich mal. Ich bin den ganzen Abend zu erreichen!“ Sie wird bestimmt sofort zurückrufen, wenn sie nach Hause kommt. (Stand: Anne 148 : Cornelis -‐148) Montag, 21:04: Sie wird sofort zurückrufen, wenn sie nach Hause kommt. Montag, 23:00: Sie wird sofort zurückrufen… wenn sie nach Hause kommt…. Montag, 23:30: Ich versuche zum letzten Mal, die Mail zu schicken. Es kommt keine Fehlermail. Keine Fehlermail? Moment! Das bedeutet aber doch, dass sie ihr Mailboxproblem gelöst hat. (Stand: Anne 312 : Cornelis -‐312) Montag, 0:30: Wenn sie nun wieder Mail empfangen kann, dann doch wohl, weil sie meine Nachricht gehört hat, oder? Aber wieso meldet sie sich dann nicht gleich? Ich bin frustriert und ertränke meine Sorgen in Schlaf. Dienstag, 9:30: Ich versuche zu arbeiten. Warum hat sie nicht zurückgerufen? Ist es ihr doch nicht so wichtig? Ich muss mich auf meine Arbeit konzentrieren. Dienstag, 10:30: Warum nur? Bin ich ihr nicht wichtig genug? Natürlich nicht. Wir kennen uns ja nicht einmal. Wie soll ich ihr wichtig genug sein, wenn wir nur 3 Minuten miteinander gesprochen haben. Dienstag, 16:30: Eigentlich kann ich ja noch mal anrufen. Immerhin, in ihrer Mail schrieb sie doch, dass ich mich melden soll, wann ich will. Jetzt will ich. Den ganzen Tag schon will ich. Also kann ich auch anrufen. Großartig. Wieder nur der AB. Ich spreche nichts darauf. (Stand: Anne 464 : Cornelis -‐464) Dienstag, 18:30: Ich bin im Supermarkt und kaufe schon einmal Wein ein. Sie wird sich bestimmt in wenigen Minuten melden. Dienstag, 20:30: Vermutlich kommt sie erst spät nach Hause. Sie wird sich schon noch melden. Oder sollte ich vielleicht noch mal? Aber sie hatte nun zwei unterschiedliche
Antwortaufforderungen, einmal auf dem AB und einmal als Mail bekommen. Nun ist sie dran. Dienstag, 21:47: Mir wird erst jetzt klar: Eine schreckliche Partie Kommunikationspoker hat begonnen. Ich fürchte, dass ich nicht gut aussehe. Ich gebe zu: Ich war noch nie ein guter Spieler. Dienstag, 22:53: Ich bekomme die ersten Magenschmerzen. Stresssymptome. Auch Atembeschwerden sind wieder dabei. Mittwoch, 07:43: Der ganze Tag beginnt schon übel. Ich habe schlecht geschlafen und mir ist nach wie vor schlecht. Mittwoch, 15:30: Keine Nachricht. Ich habe den Tag genutzt, um alle meine Freunde, die auf unterschiedlichen Kommunikationswegen erreichen kann, mit meiner Nervosität zu nerven. Zum Glück schauen meine Freunde alle gerne Soaps (geben das aber nicht zu) und Linde das umso spannender, wenn ich ihnen eine im echten Leben biete. Achso, keine Nachricht. Oder sagte ich das schon? Mittwoch, 21:25: Nichts. Ich gehe zu Freunden um mich abzulenken respektive zu besaufen. Mittwoch, 21:39: Ralf hat mir das erste Glas Wein eingeschenkt, ich will gerade zu einer Jammertirade ansetzen, die sich gewaschen hat, als mein Handy laut wird. Eine Nachricht? Eine Nachricht auf meiner Mailbox?! Βestimmt wieder nur meine Mutter, die nur mal unverbindlich herausLinden möchte, ob ich immer noch lebe. „Hallo, hier ist Anne…“ (Stand: Anne 325 : Cornelis -‐325) Mittwoch, 21:51: Noch schnell zwei Glas Wein runtergestürzt, mich in die Küche verzogen und eine Stunde zurückgerufen. Es gibt doch einen Gott! (Stand: unverändert, da ein sofortiger Rückruf nach Aufforderung zulässig ist.) Mittwoch, 22:55: Gott hat mir eine Verabredung in 46 Stunden beschert. Freitag, 6:45-‐21.00: Magenprobleme, Atemnot, Keuchhusten, geringer Appetit. Samstag, 1:30: Frustriert. Der Abend begann großartig, verlief optimal, wir verstanden uns sehr gut (abgesehen davon, dass wir bei vielen Themen unterschiedlicher Meinung waren, aber Gegensätze ziehen sich ja an und ergänzen sich bestens). Bis ich mir in den Kopf setzte, sie nun endlich zu küssen. Das war zu viel, das war zu schnell. Der Wein war übrigens auch zu viel und zu schnell und darum endete alles in nebulösem Sermon: „Ich Linde dich wundervoll“ „Ich möchte nicht, dass dieser Abend in der Bedeutungslosigkeit verschwindet, wie so viele in der Vergangenheit“ „Cornelis, wir sollten das lieber langsam angehen. Ruf doch mal an, wenn du Lust hast, mit mir zum Capuera zu gehen!“ Ich trotte nach Hause und versuche, vom schlimmsten auszugehen. Vielleicht macht es das ja besser. Samstag, ganztags: Magenschmerzen, Trauer, SelbstzerLleischung.
Sonntag, 10.00: Ich beschließe, sie im Laufe des Tages anzurufen. Es ist eh alles egal. Ich habe es versaut. Ich habe mich am Freitag als dämlicher Idiot gegeben und das war’s dann. Sonntag, 15:00: Es reicht. Telefon her, jetzt bringen wir es zu Ende. „Hallo hier spricht die AnruLbeantworterin…“ Ich hinterlasse einen kurzen Text und versuche, nicht aufgeregt zu klingen. (Stand: Anne 456 : Cornelis -‐456) Sonntag, 16:00: 1 Stunde. Nichts passiert. Sonntag, 17:00: 2 Stunden, nichts passiert. Am Sonntag ist man doch zu Hause, oder? Sonntag, 18:00: 3 Stunden. VerLlucht seien die Frauen. Sonntag, 19:00: 4 Stunden. Es gibt doch keinen Gott. Sonntag, 20:00: 5 Stunden. Es gibt einen Gott, aber der ist Zyniker und erfreut sich an meinem Leid. Sonntag, 21:00: 6 Stunden. Der Gott ist kein Zyniker, er ist Sadist. Sonntag, 22:00: 7 Stunden. Ok, das wars. Ich bin ihr scheißegal. Ich gehe eine Runde Kotzen. Ungefähr so ich muss die Crew der Nasa fühlen, wenn eine Raumkapsel mit ihren besten Männern an Board während des Wiedereintritts in die Atmosphäre einfach nicht erreichbar ist. Man kann nichts tun und wartet nur darauf, dass niemand verglüht. Sonntag, 22:45: Das Telefon klingelt! Es ist… meine Mutter, die wissen will, ob ich immer noch lebe. Warum ist sie nicht verglüht! Eine Sekunde später schäme ich mich für diesen Gedanken. Sonntag, 23:00: Ich schleppe mich nach Hause, lege mich ins Bett, rufe meine Mutter zurück und mich zu entschuldigen und muss mir 30 Minuten Tips zur Lebensführung anhören, die mich nicht glücklicher machen. Montag, 7:20: Die meisten Menschen brauchen morgens einen Kaffee. Ich zwar auch, aber viel wichtiger ist das morgendliche Einschalten des Rechners. Nein, natürlich hat sie keine Mail geschrieben. „Hallo hier ist Anne. Bist du noch wach?“ Die Mail ist von 23:01. (Stand: Anne 296 : Cornelis -‐296) Montag, 7:20: Ich schreibe sofort zurück. Nein, das darf jetzt einfach mal keinen Punktabzug geben.