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Die Geschichte der Aufführungspraxis Prof. Dr. Robert Hill Musikhochschule Freiburg WS 08/09 Raum 117 Mittwoch 11-13

www.altemusik.blogspot.com

Vorlesung (Mittwochs 11-13): Geschichte der Aufführungspraxis      



Was ist „Aufführungspraxis“? Warum „Geschichte der Aufführungspraxis“? Was ist „historische Aufführungspraxis“? Wie betrifft mich dieses Thema? Das Ziel einer Musikerausbildung Zum Veranstaltungsleiter: Prof. Dr. Robert Hill Begleitblog: www.altemusik.blogspot.com

Was ist „Aufführungspraxis“?

Aufführungspraxis ist vor allem das, was Musiker beim Musizieren tun  









Wo tritt man auf, für welches Publikum? Welche Werke spielt man, und nach welchen Texten oder sonstigen Vorlagen? Welches Verhältnis hat der Musiker zum Komponist? Zum Publikum? Welche Instrumente werden gespielt, in welcher Tonhöhe & in welcher Stimmung? Welches Aufführungsprotokoll beachtet der Musiker, und nach welchen Regeln? Wie sieht der Musiker seine Aufgabe beim Musizieren?

Warum „Geschichte der Aufführungspraxis“?

Die Aufführungspraxis verwandelt sich durch die Zeit 

Es ändert sich (unter anderen):     

 

Das Verhältnis zwischen Musiker/Komponist/Publikum Die Vortragsmedien (Instrumente usw.) Die Vortragsorte Der Bezug zum Text und zum Werk Die „Spielregeln“ des Aufführungsprotokolls (das was geschieht von Augenblick zu Augenblick während einer Aufführung) Das Selbtverständnis des Musikers Die Bedeutung von Begriffen

Beispiel: der Begriff „Andantino“ 







Heute: bedeutet ein Tempo etwas schneller als Andante Im 18. Jahrhundert: bedeutete ein Tempo langsamer als Andante 1780-1820: Andantino wurde verstanden, sowohl langsamer, als auch schneller als Andante zu sein, je nach Kontext Beethoven: das Wort Andantino ist dermassen ungenau, dass es manchmal fast Allegro bedeutet, und manchmal fast Adagio

Was ist „historische Aufführungspraxis“?

Was ist „historische Aufführungspraxis“? 



Historische Aufführungspraxis ist eine historisch orientierte Einstellung in Bezug auf den Vortrag der Musik der Vergangenheit Man pflegt 





einen Vortrag auf Klangmedien (Instrumente usw.) entsprechend der kulturellen Umwelt des Werks zur Zeit seiner Entstehung

eine selbst-kritische und historisch-kritische Haltung beim künstlerischen Entscheidungsprozess ein Bewusstsein für die Wandel der Rezeption eines Werks bzw. eines Stils

„Alte-Musik-Spezialisten“ 





pflegen einen Vortrag auf Instrumente in Originalzustand, bzw. auf sorgfältig recherchierten Reproduktionen davon ziehen Vortragsräume vor, die eine stilistisch passende akustische und ästhetische Ambiente anbieten (z.B. Schloßsäle) versuchen, an Hand von Originalquellen eine Spieltechnik und Vortragsweise passend zum Stil des Werks auf hohem Niveau zu realisieren

Wie betrifft mich dieses Thema?   





Das allgemein gespielte Repertoire (d.h. das tonale Repertoire) wird immer älter Ein historisch-orientierter Vortrag von Werken des tonalen Zeitalters wird stets selbstverständlicher Man erwartet zunehmend von klassischen Musikern aller Richtungen (Orchestermusiker, Kammermusiker, Solist, Dirigent, Pädagoge) Kenntnisse der Stil- und Spielregeln der alten Musik Die Auseinandersetzung mit historischer Aufführungspraxis führt zu mehr Selbstbewusstsein und dadurch sichere Handlungen als Musiker und Lehrer Last but not least, man studiert um gebildet zu werden

Was ist das Ziel einer Musikerausbildung? 







Die Fähigkeit zur eigenständigen und körpergerechten künstlerischen Handlungen Die Lust an Musik und am Musizieren lebenslang zu erhalten und anderen zu vermitteln Die Bedeutung und Notwendigkeit der Erhaltung des klassischen Kulturguts (unser Repertoire!) anderen überzeugend zu vermitteln Berufsethos: nicht nur, von der Musik einen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern für die Zukunft der klassischen Musik zu sorgen

Was bedeutet „Aufführungsprotokoll“?

I Was bedeutet „Aufführungsprotokoll“? 

Der Begriff „Aufführungsprotokoll“ in Bezug auf Aufführungspraxis 





entstammt der Aufführungspraxiswissenschaft der letzten 15 Jahren deutet auf die Beschreibung des Ablaufs einer Aufführung, aber ebenso auf die Rahmenbedingungen der Aufführung umfasst sowohl die Handlungen eines Musikers beim Musizieren als auch die „Spielregeln“ und Konventionen, die die Handlungen des Musikers mitbestimmen

Was ist ein „Protokoll“? 

 



stammt vom altgriechisch: „vorangeklebtes Blatt“ bedeutet „Aufzeichnung“ Beispiele: Flugschreiber, Laborprotokoll, Sitzungsprotokoll, diplomatisches Protokoll Kann sowohl die Regeln für ein zukünftiges Handel bestimmen als auch eine Berichterstattung eines Ablaufs sein

Welche musikalische „Spielregeln „ und Konventionen sind gemeint? 

Vor allem, hintergründige (also nicht offensichtliche) Handlungen, die zur Orientierung des Zuhörers am Geschehen maßgeblich beitragen 





man erkennt solche Regeln oft durch den Schockeffekt, der entsteht wenn man sie bricht solche Regeln werden meist gefolgt, ohne dass man sie bewusst wahrnimmt zB: die Länge eines Popsongs; das Applausverhalten des klassischen Konzertpublikums

Beispiel: Schreiben lernen Mit Vorlage:

Schreiben lernen Ohne Vorlage:

Schreiben lernen: Mit + ohne Vorlage Ohne Mit

Die „Spielregeln“ einer Aufführung Beispiele: 

 







In welchem Kontext, für welches Publikum findet die Aufführung statt? Welche Besetzung wird eingesetzt? Welche Verhältnisse herrschen zwischen den Teilnehmern? Dominiert einer davon? Welche Art Bezug nimmt die Interpretation auf seiner Vorlage? Sind die Vorlagen für die Aufführung schriftlich festgelegt? Wie genau sind die Angaben der Vorlage?

Wie handhabt der Musiker in Bezug auf seiner Vorlage? 

 



Folgt er die Vorlage eher genau, oder weicht er davon ab? Welche Formen nehmen die Abweichungen? Welche Regeln bestimmen seine Handlungen mit? In wie weit stimmen seine Entscheidungen überein mit allgemein anerkannten Auswertungen der Spielregeln? In wie weit weichen sie ab (d.h.: wie individuiert ist seine Interpretation)?

Das Aufführungsprotokoll  



Ist wie ein sehr detailliertes Drehbuch Beschreibt das musikalische Geschehen als ein Kulturereignis, also deutet die Handlungen eines Musikers in erster Linie als Ausdruck seiner kulturellen Umwelt, und erst dann als Individuum ist in seiner Bedeutung weitgehend überlappend mit dem Begriff „Stil“

„Aufführungsprotokoll“ Beispiel:  

Poplied: All By Myself

„Originalversion“ (1975) aufgeführt vom Sänger/Komponist Eric Carmen

Vergleichsbeispiel: 

Celine Dion in Sydney/Australien 5. April 2008

Vergleich All By Myself in „Original“ & „Interpretation“: Eric Carmen vs Celine Dion 

Eric Carmen: Urheber/Komponist ist Aufführender   





Autorität („Authentizität“?) dieser Version Schlichtheit, z. B. Verzierungen Originalversion (weitgehend selbst begleitet am Klavier) unterstreicht Textinhalt: eher intim, introvertiert Vortragskontext: Live, Fernsehstudio mit Publikum

Celine Dion: Interpret   



Originalfassung ist transformiert, jedoch gut erkennbar Verzierungen kadenzenartig im Blues-Stil Bearbeitung entkoppelt vom Originalauslegung des Textinhalts: solistisches Vehikel, spektakulär Vortragskontext: Welttournee, Arena mit 21000 Zuschauer, Abschlusslied?

Warum ein Popsong als Beispiel?   

Tradition ist lebendig Live Videoaufzeichnungen als Dokumente Authentizitätsfragen:   



Eric Carmen/Sergei Rachmaninov Eric Carmen/Celine Dion Playback or not Playback?

„Werk“-Verständnis in der Pop-Welt 

Beziehung zwischen Original und Bearbeitung

Fragen?

Zum Veranstaltungsleiter: Prof. Dr. Robert Hill 





Professor für historische Tasteninstrumente, historische Kammermusik und historische Aufführungspraxis seit 1990 Solist und Kammermusik am Cembalo und Fortepiano Musikwissenschaft: Spezialist für Bachforschung sowie für die Geschichte der Aufführungspraxis, insbesondere die Spätromantik

Begleitblog zur Veranstaltung: 

   

www.altemusik.blogspot.com

Informationen und Quellen zu den Veranstaltungen: Audio- & Videodateien Übersetzungen der Presentationen in Fremdsprachen Links: Bibliographien, Texte, Interviews usw. Feedback: gestalten Sie diese Veranstaltungen mit! Die Mailadresse: 

[email protected]

Veranstaltungskalendar   

Mittwochs ab 8. Oktober 2008 bis 4. Februar 2009, 11-13 Uhr, Raum 117 Ausnahmen: 18. Dezember 2008 sowie 7. Januar 2009 finden keine Vorlesungen statt Sondertermine: 



Mittwoch 10. Dezember: Sondervorlesung von Isabel Schau über Ludwig Spohr und seine Violinschule Dienstag, 17. Dezember, 13.45-1600 Uhr Besuch im Wentzingerhaus am Münsterplatz Freiburg: der Reproduktionsflügel von Welte-Steinway und seine Bedeutung für die Überlieferung des spätromantischen Klavierspiels. Einleitung: Gerhard Dangel vom Augustinermuseum Freiburg

Vorlesungskalendar I   







I: 8.10. Einführung I: Begriffe II: 15.10. Einführung II: Einflüsse auf dem Musiker III: 22.10. 15. + 16. Jahrhundert: Das Ende der Gotik, die Wiederentdeckung der Rhetorik & die Geburt des Publikums IV: 29.10. 17. Jh. I: Die Geburt der Oper sowie der eigenständigen Instrumentalmusik V: 5.11. 17. Jh. II: Das Barock und die Geburt der Orchestermusik sowie der Arie VI: 12.11. 18. Jh. I: das Hochbarock: Frankreich vs. Italien: die Tanzsuite und das Solokonzert; Verzierung und Kadenza

Vorlesungskalendar II 









VII: 19.11. 18. Jh. II: Johann Sebastian Bach und das Ende des Barocks VIII: 26.11. 18. Jh. III: der Sieg der Instrumentalmusik: Sonata und Symphonie, die Geburt des Klaviers IX: 3.12. 19. Jh. I: die Frühromantik und das Ära der Virtuosität X: 10.12. 19. Jh. II: Sondervorstellung von Isabel Schau: Ludwig Spohr's Violinschule XI: Dienstag 17.12. 1345-1600 Ausflug zum Wentzingerhaus Freiburg: Gerhard Dangel und den Welte-Flügel

Vorlesungskalendar III 

 





18. Dez. sowie 7. Jan. 2009: diese beide Vorlesungstermine fallen aus!

XII: 14.1.09 19. Jh. III: Ton-Dokumente als Zeugen der Vortragspraxis der Romantik XIII: 21.1.09 20. Jh. I: die "Überwindung" der Romantik: die Geburt der Neoklassik und des Urtexts XV: 28.1.09 20. Jh. II: Nach dem 2. Weltkrieg: die Klassische Musik als Industrieprodukt; das neue Paradigma der historisierenden Aufführungspraxis XVI: 4.2.09 Abschlussvorlesung: 21. Jh.: die Aufführungspraxis von heute und morgen

für nächste Woche (15.10.08)

Welche Einflüsse wirken auf den Musiker?

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