Expose

  • December 2019
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  • Words: 12,703
  • Pages: 36
Norman Eschenfelder

Kimali Ein Mann erwacht. Hier beginnt das Buch "Kimali", mein dritter Roman, hier beginnt die GeG schichte, die ich erzähle. Der Mann ist gefesselt, er wurde geg foltert tert und verlor infolge dessen sein Gedächtnis. dächtnis. Er kann sich befreien und startet – schon mehr tot als lebendig eine Suche, nach sich selbst und dem Grund für seine Entführung. En In Flashbacks führt die Handlung Han um Tage zurück, man erfährt von den HinterHinte gründen. Es entspinnt sich auf knapp 230 Seiten eine knackige Story, die zeitweise an die alten BondBond Klassiker von Fleming erinnert und schnell und hart voranschreitet. Der Hauptakteur teilt sich die Initialen mit James Bond, doch sonst ist es so eigenständig, wie es ein Roman in diedi sem Genre zulässt. Es ist ein sehr europäisch geprägtes Buch und spielt die meiste Zeit in Nordafrika und Mitteleuropa. Beaumont, 28 Jahre alt, Kampfsporttrainer und Ex-Fremdenlegionär, Ex Fremdenlegionär, erhält eine neue AnsAn tellung als Fitnessberater erater des designierten englischen Premierministers. Ihm ist nicht so ganz klar, was er in dieser ser Position verloren hat, aber schließlich haderte er noch nie mit dem Schicksal. Als persönlichen chen Gefallen, bittet ihn der de zukünftige Premierminister den Prinzen und seine ne neue Freundin zu beschatten. b schatten. Denn die junge Frau ist nicht nur atemberaubend schön, sie ist auch die Geliebte liebte eines alten, saudischen Terroristen. Einiges geht schief, MenMe schen sterben, Beaumont aumont betritt ein Casino und verlässt eine Ruine, alles liegt in Schutt und Asche. Es läuft darauf hinaus, dass es um Geld geht (um was sonst), um Macht Macht und einen persönlipersönl chen Rachefeldzug gegen Beaumont, doch das ist zweitrangig und liefert den Anstoß für weiwe tere Teile. So findet dieses Buch seine endgültige Auflösung erst in der Fortsetzung, an der ich gerade arbeite. Überhaupt ist Kimali nur der chronologisch chronologisch dritte Teil einer vierteiligen Reihe, was nicht beb deutet, dass er nicht eigenständig funktionieren kann. 1|Kimali von Norman Eschenfelder

Das Buch ist so angelegt, dass es für sich allein steht, schließlich entwickelte sich die Vorgeschichte erst im Nachhinein. Derzeit lesen einige ausgesuchte Testleser den Roman, ich bin auf ihre ehrliche Kritik gespannt und bin bereit, ihre Vorschläge umzusetzen, um Kimali besser werden zu lassen, als alles, was ich bisher geschrieben habe. Als Autor kann man sein eigenes Buch nicht objektiv beurteilen, mein Fazit darf deshalb nur kurz sein und ist selbstverständlich nicht das Maß der Dinge, da ich außerordentlich voreingenommen bin: Kimali ist ein temporeiches, spannendes Buch mit lebendigen Charakteren, das dem Leser Aufmerksamkeit abverlangt. Glaubwürdig und dabei vielleicht immer einen Tick zu laut. Obwohl eine abschließende Korrektur noch aussteht, strebe ich noch diesen Winter (2008) eine Veröffentlichung über bod.de an. Teil dieses Exposés ist ein Auszug aus dem Roman. Die Auswahl von Auszügen fällt mir immer schwer, ich entschied mich für die ersten beiden, von 13 Kapiteln. Ich wünsche Ihnen viel Freude daran. Mehr über mich und meine Arbeiten, erfahren sie auf meiner Homepage: www.norman-eschenfelder.de Norman Eschenfelder 14. August 2008

2|Kimali von Norman Eschenfelder

Auszug aus Kimali von Norman Eschenfelder Ki|ma|li: das; die; ~ ; 1 Entstammt der Sprache der Trobriand-Insulaner aus PapuaNeuguinea 2 Kennzeichnend für rudimentär vorhandenen Kannibalismus 3 Steht für das lustvolle Kratzen der Schulter des Geschlechtspartners beim Liebesspiel, die häufig blutigen Wunden werden beiderlei Geschlechts mit Stolz getragen.

1 - Genug Licht zum Sterben Die Ohnmacht gab ihn zögernd frei. Der Mann bewegte seine Lippen und dann wurde er wach, doch er konnte sich nicht schreckhaft aufbäumen, er zuckte nur und dann kam der Schmerz. Dann erst bemerkte er den Druck, der auf seinem Kopf lastete und dann erst, spürte er den reißenden Schmerz hinter seinen Augen. Sie brannten, sein ganzes Gesicht schien für ihn in Flammen zu stehen. Er konnte seine Augen nicht öffnen, er konnte sich nicht rühren, er war wie gelähmt. Der Schmerz, der aus Hüfte und Beinen zu kommen schien, war noch schlimmer, er konnte ihn nicht einmal definieren. Es war ein Pulsen. Ein Ziehen und Stechen. Irgendetwas pochte in seiner Schläfe, es wollte hinaus und klopfte und hämmerte. Es war ein Specht. Der Mann bekam keine Luft, er war kurz davor zu ersticken. Es drang nur wenig Luft durch die verstopfte, verklebte Nase. Er spürte, wie ihm Blut aus den Nasenlöchern sprudelte, wenn er ausatmete und er spürte auch, dass etwas ihm den Mund verschloss. Er schaffte es, seine lahme Zunge zwischen die zusammengepressten Lippen zu drücken. Mit der Zungenspitze ertastete er etwas, das er für Klebeband hielt. Langsam bekam er Panik! Er wand sich und wollte um Hilfe rufen. Der Mann machte: "Mmh, mmh!" Doch dann fielen ihm seine Hände ein, wo waren die nur hin? Er sah noch immer nichts, dabei war er sich sicher, dass seine Augen geöffnet waren, er blinzelte. Keine Lichtreflexe, nichts vor Augen! 3|Kimali von Norman Eschenfelder

Hatten sie ihm die Augen herausgerissen? Wer denn überhaupt? Er wand sich umher und da hörte er es zum ersten Mal, ein metallisches Klirren, wie von Kettengliedern. Das Geräusch kam von irgendwo unter ihm. War noch jemand hier? Hier bei ihm, in diesem Raum? Er sah nach unten. Er wollte seinen Kopf bewegen, doch er konnte nicht, er konnte seinen Kopf nicht nach unten neigen, nicht auf den Boden sehen. Das Dröhnen in seinem Schädel wurde dabei immer noch schlimmer. In seinem Nacken löste die Anspannung der Muskeln einen stechenden Schmerz aus und er wimmerte. Der Mann klang wie ein erkälteter Uhu. Ein Uhu, der auf seinem Ästchen saß und seinen Kopf im Kreis drehte, ihn fast im Uhrzeiger kreisen ließ. Alles drehte sich um ihn, er hörte die Kettenglieder und sein Gehirn gab ihm Geräusche ein, die es nicht zu hören gab: Ein mechanisches Kreischen und ein Flattern, wie von sehr großen Flügeln. Der Uhu machte: "Wuhu! Wuhuuu! Whmmm, Wuuuhuummmh!" Und er drehte seinen Kopf. Wo war er überhaupt? Wieder wand er sich und drehte sich, wollte sich bewegen, von der Stelle treten, seinen Kopf bewegen, doch er konnte sich nicht regen! Er konnte seinen Kopf nicht senken! Er konnte ihn nicht heben! Seine Muskeln spielten nicht mit. Lag er oder stand er? Wo war er? Natürlich konnten seine Sinne ihn täuschen, aber er glaubte keinen Boden unter sich zu spüren. Saß er auf einem Stuhl? Nein, er glaubte nicht zu sitzen, sein Körper war aufrecht. Er musste in diesem Raum stehen, sein Körper war gestreckt, aber wieso konnte er sich nicht rühren. Wie hatten sie ihn gefesselt? Da war er sich fast sicher, dass er stand, seine Beine waren ausgestreckt. Die Kettenglieder klirrten und sein Hirn musste inzwischen wieder halbwegs normal arbeiten, denn er kam darauf... er hing an einer Kette, er hing von einer Decke, war geknebelt und gefesselt. Er war blind, seine Augen befanden sich noch in seinem Schädel, doch er war BLIND. 4|Kimali von Norman Eschenfelder

Sie mussten noch da sein, denn er fühlte den Druck, der auf ihnen lastete. Womöglich war es eine Augenbinde, er wusste es nicht, denn er spürte dort nichts, rein gar nichts. Der Schmerz war einfach übermächtig. Er musste durchatmen, seine Lunge brannte und gierte nach Luft. Doch es GING NICHT! Er bekam keine Luft mehr, es war nicht genug zum Überleben! Er wollte nicht ersticken, das wäre in dieser Situation zwar der leichteste Ausweg gewesen, aber er wollte leben. Es gab für ihn keine Alternative. Da sein ganzer Körper ein einziger Schmerz war und er sich nicht bewegen konnte, geschweige denn koordiniert bewegen konnte, versuchte er sich zu beruhigen. Denn er wusste, wenn er sich nicht stark anstrengte, hatte er mehr von der Luft, die in seine wunde Lunge strömte. Wie sollte er sich aber beruhigen? Er war blind und stumm und sein ganzer Körper war eine einzige quälende Wunde. Irgendjemand musste ihn hierher entführt und gefoltert haben. Sie hatten ihn gefesselt und in die Luft gehängt, wie einen klebrigen Fliegenfänger und nun hing er hier und drehte sich wie ein perverses Menschenmobile. Warum? Was hatte er verbrochen, was hatten sie verbrochen? Warum war er hier und warum lebte er noch? Gehörte das dazu, wollten sie, dass er lebte und diese Qual empfand? Sollte er hier ausbluten, wie ein geschächtetes Lamm? Das Nachdenken hatte ihm Ruhe gebracht, nur ein wenig, aber er hörte sein Herz nicht mehr allzu laut schlagen. Er wertete das als gutes Zeichen, er hatte sich unter Kontrolle und nun konnte er handeln. Er ging nun kühl und logisch vor, solange sein Atem noch reichte. Der Mann dachte nach und dass er es tatsächlich geschafft hatte, sich zu beruhigen, beruhigte ihn nun umso mehr. Er sog die Luft tief ein, was lange dauerte, ihm wie eine Ewigkeit vorkam. Es brannte sehr und doch störte ihn der Schmerz nicht mehr, er hatte ihn akzeptiert, unheimlich, wie schnell das gegangen war. Er sammelte die Luft in seiner Lunge und die füllte sich jetzt bis in die letzte Zelle mit frischem naja - Sauerstoff. Eine vorteilhafte Nebenwirkung: Das Klebeband half ihm dabei, sich die Nase zu schnauben, da er sich den Mund nicht zuhalten musste um die Luft durch die Nase auszustoßen. 5|Kimali von Norman Eschenfelder

Ha! Mit Genugtuung fühlte er, wie das Blut, das seine Nase verklebt hatte, ihm nun an den Wangen herablief. Jetzt wurde ihm erst recht sehr deutlich, dass er kopfüber hing, denn das Blut lief ihm von der Nase in den Haaransatz. Er bekam schon etwas mehr Luft. Vor seinen Augen flimmerte es, der Druck war groß. Er hörte die Kette, an der der hing, sie quietschte langsam, sein Gewicht lastet auf den Kettengliedern und ließ sie kreischend aneinander reiben. Als er jetzt wieder tief einatmete, ging es schon viel schneller. Er stieß die Luft wieder aus und diesmal hatte er den Druck mit seiner Lunge verstärken können. So langsam erwachte sein geschundener Körper aus der Taubheit. Ein widerliches Stechen brach auf ihn ein und er glaubte, es als Schmerz in den Schultern orten zu können. Vielleicht hatten sie ihm die Arme gebrochen oder sie aus den Gelenkpfannen gerissen. Für eine Überraschung, über seine eigene Kühle, blieb ihm keine Zeit, auch nicht für andere Gedanken. Er musste sich befreien! Vielleicht war das alles gar nicht so schlimm, was er spürte, vielleicht war das auch alles nur ein Traum. Das hoffte er sehr. Aber wie sich dieser Traum anfühlte, ...so abstoßend und irgendwie zu intensiv um ein Traum zu sein. Vielleicht kam dieser neue Schmerz ja nur von seiner unnatürlichen, unbequemen Haltung. Er zwang seinen Körper, sich zu entspannen und konzentrierte sich mit unaussprechlicher Geduld und Präzision auf das Klebeband, das seinen Mund fest geschlossen hielt. Wenn er dieses Zeug abbekam, musste er keine Angst mehr haben, zu ersticken und vielleicht konnte er sogar um Hilfe rufen. Das war doch eine gute Aussicht, dafür, dass er blind war. Ein kurzer Panikschub: Seine Stimme! Konnte er überhaupt sprechen?! Er machte eine Trockenübung, mit geschlossenem Mund schrie er: "Hilfe." Daraufhin beruhigte er sich wieder. 6|Kimali von Norman Eschenfelder

Es sah schon fast wieder gut für ihn aus. Kein drohender Erstickungstod und er konnte um Hilfe rufen...sichtlich entspannte er sich wieder. Er musste nur den Kleber vom Mund bekommen, dann wäre er gerettet! Die Rettung war so nah gerückt! Nur der Kleber und... ...oh nein! Oh nein, vielleicht waren sie ja noch da, genau hier! Genau hier und jetzt und sie beobachteten ihn. Vielleicht standen sie dort drüben! Er stellte sich einen grauen Kellerraum vor und die Menschen die dort waren, die er dort sah, waren nur Schemen, schwarze Schatten, die sich bewegten. Es waren nur Platzhalter für einen Alptraum, sie rangen mit ihm darum, eine Gestalt zu bekommen. Er ließ es nicht so weit kommen und kniff die Augen zu, schüttelte seinen Kopf und drückte dann dagegen, mit der Zungenspitze gegen das Klebeband, doch es gab keinen Millimeter nach. Er zog seine Zunge zurück und versuchte etwas anderes, er wollte die Luft nun nicht durch die Nase entweichen lassen, er wollte sie im Mundraum behalten und sehen, wie weit er das Band aufblähen konnte. Nun, er versuchte es gleich darauf, doch es funktionierte nicht, kein Stück. Damit das richtig ging, hätte er sich die Nase zuhalten müssen. Doch da kam er gerade nicht so gut heran. Wo waren nur seine Hände?! Er spürte nicht, dass er welche hatte, er wusste auch nicht, wie sich das hätte anfühlen sollen. Der Mann merkte, dass sich das Quietschen der Kette im Raum widerschlug und hallartig wirkte, als gäbe es ein Echo. War es eine Halle, in der er nun von der Decke baumelte? Wie hoch hing er? Verdammte Scheiße, sicher hing er hier in zehn Metern Höhe. Sein Herz schlug jetzt wieder kräftiger, die Drogen waren stundenlang in seinem Blut zirkuliert und hatten ihn geschwächt. Doch inzwischen war nun ein großer Teil seines Bluts auf dem Parkettboden, seine Lähmungen verschwanden und die Wirkung der Schmerzmittel ließ nun auch nach. 7|Kimali von Norman Eschenfelder

Der Mann knirschte mit den Zähnen und dann stieß er seine Zunge in das Klebeband und er spürte, wie das Band sich mit einem Riss löste. Vor lauter Euphorie saugte er Luft an und da war es geschehen, das Band saß wieder fest, mit seiner glatten Oberlippe verschweißt. Er verfluchte sich und begann zu hyperventilieren, er saugte Luft an und stieß sie wieder aus. Fast löste es sich wieder. Nur fast. Das Klebeband war, nach dem Gefühl auf seiner Zunge, ein starkes Panzerband, wie man es zum Isolieren von Rohrleitungen benutzte. Er dachte, man sollte wirklich mal alle handelsüblichen Klebebandsorten durchprobieren, diese Sorte schmeckte ihm auf jeden Fall NICHT. Seine trockene Zunge klebte jetzt daran fest und er konnte all die verschiedenen Aromen auskosten. Harzig und schweflig, scheußlich. Als er seine Zunge nun wieder verrenkte und gegen das Band drückte, löste es sich wieder. Diesmal hatte es ihm keine Haare oder Hautfetzen herausgerissen. Sein Blut hatte die Ränder nun gut durchweicht, es verlor seine Haftkraft. Der Gefolterte sog geräuschvoll die Luft ein und der frische Sauerstoff wurde schnell in sein Gehirn transportiert. Das Blut war ihm sowieso zum Großteil in den Kopf gelaufen und von dort auf den Fußboden. Jetzt schmeckte er etwas Fauliges, etwas Verwesendes und er erschrak darüber. Mit seiner rauen Reibeisenzunge kratzte er über seine blutenden, geschwollenen Lippen. An der Unterlippe hing noch immer das Band fest. So langsam beschlich ihn wieder ein allgemeines Körperempfinden, kein Wohlbefinden. Er fühlte sich schlecht, aber über die Fortschritte, die er seit seinem Erwachen gemacht hatte, war er sehr froh. Seine Kraft hatte ihn verlassen, aber nicht sein Wille. Nicht sein Wille! Er konnte nun durchatmen, aber doch nicht nachdenken. Er war wie blockiert, hatte sich den wirklich wichtigen Fragen jetzt verschlossen. Dass er nichts sehen konnte, ärgerte ihn sehr. Inzwischen hatte er von seiner Vorstellung, in einem grauen Kellerraum zu hängen, Abstand genommen. Die Luft war zu warm, zu trocken und es roch zwar modrig und faul, aber es war doch kein kleiner Kellerraum. Jetzt hatte er keine Vorstellung mehr, wie seine Umgebung sich wohl darstellte. War es eine Halle, eine Produktions- oder Lagerhalle, schmutzig und verlassen? Oder war es ein Bürohaus und er war über der Haupttreppe aufgeknüpft? 8|Kimali von Norman Eschenfelder

Auch die Schemen, die ihn beobachteten, die Platzhalter für einen Alptraum, waren gegangen. Er war ganz alleine. Er hörte seinen Atem rasseln und die Kettenglieder quietschen. Der Mann war blind, er drehte seinen Kopf wieder in alle Richtungen und blinzelte, doch er konnte nichts sehen. Gegenwärtig war nur der höllische Schmerz. Die Kettenglieder quietschten, bei jeder seiner Bewegungen. Dieses Geräusch stand wohl stellvertretend für alle nerv tötenden Umweltgeräusche die es gab und die hartarbeitenden Städtern die Nachtruhe raubten. Es machte ihn verrückt, bohrte sich in seinen Schädel und nutzte dafür nicht nur die Abkürzungen über den Gehörgang. Es schien von allen Seiten auf die Schädelknochen zu drücken. Der Specht war davongeflogen und hatte seine Jungen mitgenommen, als der Schlagbohrer zu Hämmern begann. Sein Körper war kalt und taub, hing von der Decke in einem muffigen Raum, dessen warme Luft nach dem Tod schmeckte. Es war kein Keller. Die Umgebung änderte sich jetzt vor seinem inneren Auge. Jetzt hing er in einem Dachstuhl eines älteren Hauses. Frühe Nachkriegszeit, vielleicht ein englisches Bauernhaus. Die Schemen kamen nicht, er fühlte sich hier oben im Strohboden geborgen. Er wollte hierbleiben, konnte es aber nicht erklären. Der Raum, den er für sich visualisierte, kam ihm bekannt vor, wie aus einer fernen Vergangenheit. Nicht weit genug entfernt um für ihn einen Sinn zu ergeben. Es war ihm egal, er genoss die Wärme dieser scheinbaren Erinnerung. Erinnerung? Er erinnerte sich ja nicht. Das Klebeband hing ja nun nur noch an der Unterlippe, seine Oberlippe war frei. Er angelte sich nun das Klebeband mit der Zunge und schob es sich zwischen die Zähne. Er biss darauf und drückte seine Zunge in die Unterlippe. Das Klebeband tat zunächst nichts. Doch dann, zögerlich, riss es ab und er biss wieder nach, schob wieder seine Zunge nach vorn. Millimeter für Millimeter. Der Mann schlug das Klebeband mit der Zunge um und biss nach. Die Strecke, die sich gelöst hatte, kam ihm riesig vor. Doch es war nur ein Zentimeter. Noch immer war er so blind wie ein Nacktmull und er verdrängte, das da keine Augenbinde war und auch kein weiterer Klebestreifen. Der 9|Kimali von Norman Eschenfelder

schlimmste Teil stand ihm noch bevor, denn seine purpurn angeschwollene Unterlippe war kurz vor dem rechten Mundwinkel gespalten. Jetzt wo er wieder sprechen konnte, wagte er es nicht, nach Hilfe zu rufen. Die Menschen, die ihm das hier angetan hatten, konnten noch immer hier sein. Das alles kam ihm wie ein böser, böser Traum vor. Ein wirklich schrecklicher Traum. Doch der Mann war sich durch und durch bewusst, dass er nicht träumte. Er konnte sich zwar an keinen Traum erinnern, doch das hier, diese Schmerzen, die ganze kranke Scheiße, konnte er nicht erträumt haben. Er kniff seine Augen zu, nun zumindest gab er ihnen den Befehl dazu, sich zu schließen, ob er nun ausgeführt wurde, konnte er nicht wissen. Er sah nichts, es gab kein Licht in dieser Welt. Umso mehr er sich nun aufregte, umso stärker polterte sein Herz. Es schien aus dem Takt gekommen zu sein. Er stellte sich vor, wie seine ganzen Eingeweide in seinem Körper verrutscht waren, sich ungünstig verlagert hatten. Er beruhigte sich wieder, doch ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte, traf ihn etwas hart in den Rücken. Sein Fleisch fing den Druck auf und der feste Schlag ließ die Knochen knacken. Der Mann stöhnte auf. Nun war er nicht mehr alleine...ein Schuhprofil bohrte sich in seine Wange und überdehnte seinen Nacken. Da es ihm nicht mehr schwarz vor Augen werden konnte, bemerkte er kaum einen Unterschied. +++ Einige Zeit später erwachte der Mann wieder. Er atmete tief ein, weil sein Körper nach der Luft bettelte. Sein ganzer Körper krampfte sich zusammen, ein höllischer Schmerz in allen Muskeln und er schrie bis ihm die Kehle brannte. Der Mann jaulte, durch den Raum pendelnd und dann, als er nur noch wimmerte, hörte er ein amüsiertes Lachen, es klang wohl auch ein wenig fies. So wie man lachte, wenn man die Sendung mit den versteckten Kameras sah. Es war gar nicht so sehr bösartig, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Schlagartig verstummte der Mann, der sich wie eine Pinieta fühlte. Sein Atem ging nun schwer und er musste immer wieder keuchen, sein Hals war trocken. Ein Waldbrand im australischen Eukalyptusbusch zur Trockenzeit. 10 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Das Lachen wurde leise und verschwand dann. Die Stille umgab ihn wieder und das gab ihm etwas Frieden, er sammelte sich wieder und schaffte es, seinen Mund zu schließen, aus dem der Speichel geifernd tropfte. Er verstand jetzt: So war das also, die kamen hier rein, erfreuten sich daran, ihn zu schlagen und zu treten. Sie prügelten auf ihn ein, bis er vergessen hatte, wer er war und wie er hieß und das fanden sie lustig. So lustig, dass sie herzhaft lachten. Als wäre es ein unschuldiges Vergnügen, als wäre es Seifenblasenblasen. Der Mann, der nichts sah, nur Schmerz spürte und Sadisten ausgeliefert war, grollte innerlich und er wusste nicht, er konnte nicht verstehen, was er ihnen, diesen unmenschlichen Folterern, angetan haben musste, damit sie ihn so gründlich vernichteten. Er glaubte nicht daran, diese Tortur zu überleben, er glaubte nicht daran, sie verdient zu haben. Gerne hätte er sich jetzt seine Wunden angesehen, um zu wissen, wie es um ihn stand. Denn er traute seinen Gefühlen nicht. Gefühle konnten ihn betrügen. Sie taten das gerade, denn er fühlte sich alleine. Bis zu dem Moment, als er den Hauch auf seinem Gesicht spürte und den Knoblauch roch und ihn sogar schmeckte. Er würde niemals mehr Knoblauch essen. Ein weiterer Hauch, der sich dann verzog, so schnell er gekommen war. Warme, trockene Finger schlossen sich um seinen Hals und ein stechender Schmerz ließ ihn aufjaulen wie einen Hund, auf den Stahlkappenstiefel eintraten. Etwas durchstach, entsetzlich langsam, seine Backe und er spürte, wie die heiße Spitze des Gegenstands, vielleicht war es eine Stricknadel, sich seinen Weg durch das Gewebe bahnte. Dann löste sich der Druck auf und kurz darauf war er gewandert. Jetzt drückt die glühende Nadel auf seinen Gaumen. Er presste die Zunge in den Unterkiefer und wollte ihr helfen zu fliehen, bevor auch sie verbrannte. Ein Zittern durchschüttelte ihn und die Krämpfe kamen wieder. Der Knoblauchstinker ließ die Nadel dort, wo sie war und der Mann mit dem frischen Piercing konnte nicht mehr an sich halten. Er wimmerte und dann brachen ihm die Tränen aus, sie liefen ihm in die Augenbrauen und sammelten sich dort und rannen ihm dann über die blutende, schmutzige Stirn. 11 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Er überschlug sich im Weinen und begann zu hyperventilieren. Doch bei all dem Lärm, den er machte, hörte er doch die salzigen Tropfen, die eine schmutziggraue Färbung angenommen hatten, auf den Boden fallen. Es waren nur wenige Zentimeter! Er hörte es ganz deutlich! Das ließ seine Tränen schnell wieder versiegen, es gab ihm Hoffnung. Eigentlich war es nicht der Rede wert, denn gleich darauf löste sich die Hoffnung wieder in Knoblauchgeruch auf. Für den Bruchteil eines Augenblicks war die schmerzende Hitze wieder zurückgekehrt, die Nadel schlich sich leise davon. Der Mann hörte es Rauschen, das war sein kochendes Blut und dazwischen vernahm er ein Murmeln, nah an seinem Ohr, doch er verstand nicht, was da gesprochen wurde. Es klang für ihn Arabisch, gut möglich, dass es Arabisch war. Was wollten sie von ihm? Gab es da etwas, das er wissen sollte? Er wusste es nicht, denn er wusste gar nichts. Nichts mehr. Vielleicht hatte er ja mal etwas gewusst, das es wert war, diese Torturen durchzustehen...er zweifelte. Blieb ihm nur zusammenzufassen, was er denn jetzt noch zu wissen glaubte. Er wusste, dass er ein Mann war, nun, er nahm es einfach mal an und er glaubte auch zu wissen, was so ein Mann war, was es mit Männern und Frauen auf sich hatte. Der Mann hatte auch gemerkt, dass er in Englisch dachte, aber, dass er denselben Gedanken auch in anderen Sprachen formulieren konnte. In Sprachen, an die er sich als Spanisch, Deutsch und Französisch erinnerte, ging es sehr gut. Er wusste wohl auch, was Sprachen waren, wer sie sprach. Doch er konnte sich keinen Reim darauf machen, warum er sie beherrschte, vielleicht war er ja ein weitgereister Mann. Ihm fielen sogar japanische Worte ein, dann auch ganze Sätze und sogar russische Kraftausdrücke. Vielleicht war er so etwas wie ein Übersetzer, vielleicht war er ja so etwas wie ein Diplomat. Er erinnerte sich auch an Waffen, Schusswaffen. Da war noch viel zu entdecken. War er ein Militär? Ein Soldat, in irgendeinem absurden Krieg von den Feinden gefangen genommen? Es war keine Erinnerung im eigentlichen Sinne, eher eine Erinnerung an eine Erinnerung und das noch nicht. Vielleicht waren Schusswaffen nur sein Hobby gewesen, vielleicht war er Sammler, ein Antiquitätenhändler. 12 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Vielleicht hatte er auch einfach nur Actionfilme gemocht. Wer sollte das schon wissen, wenn nicht er selbst? Eigentlich war ja ziemlich viel übrig, von seinem Verstand und seiner Erinnerung. Nur, dass er nicht wusste, wer er war und warum er hier war. Er weinte verzweifelt vor sich hin und niemand schlug oder trat ihn nun. Die Tränenflüssigkeit ist nichts anderes als eine stark verdünnte Salzsäure, sie ist nicht stark genug um wirkliche Verätzungen hervorzurufen, aber auf den empfindlichen Schleimhäuten verursacht sie brennende, entzündliche Rötungen. Sie war auch stark genug, den schwarzen Haarlack von seiner Hornhaut zu lösen. Das Brennen und das Stechen in den Augen wurden für kurze Zeit zur heftigsten Empfindung. Er wollte sich seine Augen reiben, doch das konnte er nicht, daher kniff er sie fest zusammen und blinzelte dann. Licht! Er erschrak, er sah wieder Licht! Mehr nicht, aber es war soviel heller, als die Dunkelheit zuvor. Es blendete ihn und er schloss die Augen wieder, er musste sich erst daran gewöhnen. Seine Augen tränten noch immer schmutziggrau. Er tat sie wieder auf und blinzelte. Alles war verschwommen, ein grauer Schleier, der sich unablässig bewegte, hin und her wehte, wie im Wind. Es flimmerte vor seinen Augen und er sah weiße, stechende Flecken tanzen. Es war hell in dem Raum, sie ließen ihm Licht, sie ließen sich Licht, um ihn zu beobachten. Die Leute beobachteten ihn, da war es sich sicher. Gab es hier keine Fernseher? War das ihre Art der Freizeitgestaltung? Jetzt glaubte er wirklich, die stierenden Blicke auf sich lasten zu spüren, er konnte sich ihre Gesichter vorstellen, wie sie ihn begierig mit großen Augen abtasteten, sein Fleisch bekundeten, ob es zart war. Ob es nun geschmeidig und zart war, nachdem sie es weichgeklopft hatten. Der Mann sah sich um, nun, er versuchte es zumindest. Das, was ihm eben noch als strahlendes Scheinwerferlicht vorgekommen war, genügte jetzt nicht mal mehr um die nächste Umgebung erkennen zu können. Düsternis lag auf seinen Augen und der Schleier tanzte weiter. Es war nicht genug Licht zum Sehen, es war gerade genug um zu sterben. 13 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Jetzt wollte er die Sache schnell beenden und dabei war es ihm egal, wie es ausging, ob er nun weiterlebte oder starb. Er würde nicht darum betteln, dass sie ihn von seinen Qualen erlösten! Er ließ sich noch ein wenig Zeit, er wollte noch einen Moment warten, bis er wieder genug sah, um seine Situation besser einschätzen zu können. Der Bastard, der so nach Knoblauch gestunken hatte, war gegangen. Der Mann, der kopfüber hing, konnte ihn nicht im Raum ausmachen. Jetzt konnte er schon wieder Konturen im Raum erkennen und das Zimmer kam ihm nicht bekannt vor, er hatte es noch nie gesehen. Wahrscheinlich residierte er in solchen Flohbrutstätten nicht. Es war ein schmuddeliges, kleines Hotelzimmer mit abgerissenen Tapeten und feuchten Wänden. Sein Schaukeln wurde immer stärker, als er sich seinen Hals verrenkte, um das ganze Zimmer in Augenschein nehmen zu können. Es war etwa drei auf vier Meter groß. Ein Schrank von undefinierbaren Maßen, er stand im Dunkeln. Ein Bett, ein kleiner Tisch, zwei Stühle und nur eine Glühbirne an der Decke. Er selbst hing in einer Ecke des Zimmers, gegenüber von einer Tür, durch deren Ritzen und Löcher Licht fiel, der Flur davor war heller beleuchtet als das Zimmer. Wenn der Mann ohne Gedächtnis nach oben - also zu Boden - blickte, sah er, an den Abdrücken und der Verfärbung des Fußbodens, dass hier einmal ein kleiner Tisch auf Rollen gestanden hatte. Ein kleines Fernsehtischchen. Man hatte das, wahrscheinlich defekte, Gerät achtlos vom Tischchen gefegt und das Gestell dann aufs unbezogene und rattenzerfressene Bett geworfen. Vielleicht war es zuerst an die Wand gekracht, bevor es auf dem Bett liegenblieb und hatte dort das kitschige, knallbunte Dschungelbild aus Fernost, mit dem rotgestreiften Tiger und dem tiefgelben Grinsemond, zerfetzt. Die Röhre des alten Fernsehers war gesprungen, das konnte er sehen. Der Mann, der sich an so vieles erinnern konnte, aber nicht an seinen Namen und warum er hier von der staubigen Decke baumelte, wischte mit seinem etwas längerem und dunkelblondem Haar über die scharfkantigen Glassplitter des Fernsehers. Jetzt bewunderte er zum ersten Mal seine Verschnürung, ein dickes Tau wand sich wie ein fauler Wurm um seine Beine, es war immer und immer wieder fest verknotet. Ein dünneres, blaues Nylonseil war um seine Hüfte gebunden und von dort hielt es seine Arme auf dem Rücken fest. Über seinen Rücken, über die Schultern, verlief es zu seinem Hals, den es einige Male umschlungen hielt, bevor es in einer richtig hübschen Geschen14 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

kenkbandschleife auf seiner Brust auslief. Dann war da noch eine Menge von dem widerlichen, grauen Klebeband. Er war verpackt wie ein Geschenk. Wie ein verficktes Geburtstagspräsent! War das Geburtstagskind schon da? Um ihn auszupacken und mit ihm zu spielen? Hatte es statt einer Torte Knoblauchbrot gegeben? Er schloss die Augen und blinzelte ein letztes Mal, er hing einer Tür gegenüber, die auf den Flur führte, er konnte die Wand gegenüber der Tür sehen, denn die Tür hatte ein grobausgesägtes Loch, groß genug um hindurchzusehen, um jeden Winkel des Zimmers einsehen zu können. Da war noch eine Tür. Zwei Türen, die eine führte aus dem Zimmer hinaus, die andere ins Badezimmer, schloss er. Er stellte sich die Armaturen vor, den Wasserhahn und in seiner Vorstellung sah alles sauber und modern aus, so wie es sicher nicht war. Er sehnte sich nach einem Schluck Wasser, aber noch mehr als das wollte er ein Messer, um sich loszuschneiden, und wenn das nicht ging, wollte er sich lieber die Kehle aufschlitzen, als hier weiter zu hängen. Die Schmerzen wurden immer unerträglicher. Mit seinem Augenlicht, das noch nicht vollständig wieder zurückgekehrt war, war auch wieder ein Gefühl für seinen Körper entstanden. Dass er seine Zehen und Finger bewegen konnte, erfüllte ihn mit einer tiefen Erleichterung. Es konnte ja eigentlich nur noch besser werden...egal in welcher Weise, es konnte nur noch besser werden. Er sagte es sich in einem langsamen Mantra vor, bis er selbst daran glaubte. Der Blonde spannte seine schmerzenden Muskeln an und er zitterte vor Anstrengung und Pein, als er sein Kinn an die Brust presste und zur Decke hinaufsah. Das Klebeband, das noch an seiner gespaltenen Unterlippe hing, legte sich wieder sanft auf seinen Mund. Von irgendwoher wusste er, wie schlecht sich dieses Klebeband lösen ließ. Die Stahlkette, an der er auf irgendeine Weise festgemacht war, verschwand in einem Loch in der Decke. Der feine, graubraune Putz der Decke, regnete herab, wenn er die Kette in Schwingung brachte. 15 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Es wäre ihm lieber gewesen an einem Fleischerhaken in einem Kühlraum zu hängen, hier konnte er seine Befestigung ja nicht einmal annähernd sicher erahnen! Wenn sie eine Stahlstange in eines der Kettenglieder geschoben hatten, um diese dann durch das frisch gebohrte Loch herabhängen zu lassen, sah es schlecht für ihn aus. Er musste die Schwachstelle finden. Der Kerl schnaubte erschöpft, er konnte seinen Kopf nicht mehr länger an der Brust halten. Er sackte jetzt einfach zurück und sein Haar wurde, wie Pinselborsten, in die rote Flüssigkeit getaucht, die sein schmutziges Blut war. Er hofft, dass sein Körper den hohen Blutverlust verkraftete. Der blonde Mann konnte ja nicht besonders viel von sich sehen, doch er kam sich muskulös und sportlich vor. Er hätte auch Profisportler sein können und damit meinte er kein Polo. Jetzt blickte er zur Decke und versuchte im Schummerlicht zu erkennen, wie seine Hände gefesselt waren. Das Seil um seine Hände war nicht so fest gebunden, er konnte, trotz des Klebebands, die Hände um ein paar Grad drehen und aneinander reiben. Er spannte seine Oberkörper an, was ihm den Atem raubte, er stieß die Oberarme mit einem Ruck von sich, auch hier hatten sie geschludert oder es nicht für nötig empfunden, ihn fester anzubinden. Nur eine Hand! Es würde doch genügen, wenn er nur eine Hand freibekam! Jetzt lächelte er, das konnte er doch schaffen! Sie hatten ihn getreten und geschlagen, ihm ins Fleisch geschnitten und dabei hatten sich die Fesseln gelockert. Ganz unzweifelhaft. Er warf sich herum und bewegte sich so stark er konnte, dabei war ihm eines bewusst: Wenn sie - der Knoblauchmann und seine Freunde - nun zurückkamen und ihn so vorfanden, ihn dabei ertappten, wie er sich befreite, würden sie ihm einen kurzen Prozess machen. Kürzer als kurz und das wollte er nicht, nachdem er nun schon so weit gekommen war. Den Fesseln zu entfliehen kostete ihn unmenschliche Anstrengungen, er war nicht Houdini. Er war kein Entfesselungskünstler und auch kein kettensprengender Herkules. Sie würden ihn töten, wenn sie ihn so sahen, wie er sich in der Luft umher warf und sich streckte und aufbäumte.

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Der Finger am Abzug musste nur kurz zucken, nur ein- oder zwei Millimeter, in den Hinterkopf, bamm bamm-bamm! Das lag alles nicht in seiner Gewalt, er traf eine Entscheidung. Man hatte nicht immer die Wahl. Er wartete nicht länger, warf sich jetzt richtig ins Zeug, da glaubte er auch schon seine rechte Hand aus der Schlinge ziehen zu können. Er stieß sie ruckartig hoch und zog sie wieder herunter. Irgendwann musste er damit Erfolg haben! Eines von beidem, Handgelenk oder Seil, musste nachgeben. Dass er sich die Haut gerade am Seil aufscheuerte, war ihm egal. Seine Entscheidung stand fest: Er würde nicht sterben. Ruck und Zug. Zwei Türen: Eine führte in den Flur und die andere in das Badezimmer. Die ständige Bewegung versetzte ihn in eine schlingernde Drehung. Jetzt sah er zum ersten Mal aus dem Fenster, Dämmerlicht, vielleicht sogar Sonnenaufgang. Dann hing er hier wahrscheinlich erste seit dieser Nacht. Tagsüber entführte man keine sportlichen, erwachsenen Männer. Er sah den Horizont mit dem Meer verschwimmen. Ein schöner Ausblick aus einem grottigen Hotel. Warum riss man diese Bude nicht ab und klotzte ein neues, gläsernes Hightechgästehaus in diese Bucht, die sicher malerisch aussah, wenn man sich die Zeit nehmen konnte, sie zu betrachten. In welchem Teil der Erde war er hier gelandet? Der Mann, der da scheinbar eine arabische Sprache sprach, half da nicht wirklich bei der Problemlösung. Es war noch immer ganz still, nur das Quietschen der Kette. Keine Eisenbahn, die vorbeidonnerte, keine Autos, kein Fluglärm. Dieses Hotel hatte einen wunderbaren Standort, in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern war es sicher einmal eine Topadresse gewesen. Er zog, so fest er konnte, an seiner Hand und ihm stiegen schon die Tränen in die Augen, die Tropfen verfingen sich in den verklebten Wimpern und spülten dort noch Haarlackreste heraus. Da war die Hand plötzlich frei und fiel in die fiesen Glassplitter. Der Mann jaulte leise, doch die Freude über die freie Hand wog die neue Verwundung auf. Er konnte es wirklich schaffen! Wenn sie ihn jetzt nicht sahen!

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Oh, er betete zu allen Göttern, die ihm einfielen. Mit fahrigen Bewegungen tastete er sich ab und entdeckte auf Anhieb zwei offene Bauchwunden, die aber oberflächlich waren und nicht stark bluteten. Er dachte: "Diesem Schutzengel gehört ein Orden verliehen und eine Auszeichnung zum besten Mitarbeiter des Monats..." Welchen Monat hatten sie eigentlich? Religiöse Phrasen verwässerten seine behelfsmäßige Ordnung, die er sich in seinem zermarterten Hirn geschaffen hatte, er bemerkte gerade, dass sie ihm nicht viel bedeuteten. Der Schlagbohrer war gegangen und inzwischen hatte der Specht sein Nest wieder bezogen, die geschlüpften Jungen waren hungrig und trainierten das Klopfen. Das Hämmern war unerträglich, er musste sich hinlegen, sein Blut wieder zurück in den Körper laufen lassen, auf die Gefahr hin, dabei zu verbluten. So schnell es ging! Der Mann nestelte an der Schlaufe, die seine andere Hand festband. Er bekam sie auch los und zog das graue Klebeband widerwillig, mit einem Ruck, von der Haut. Wieder sah er auf die Tür, er hatte Angst sie aufgehen zu sehen. Er rieb sich die Handgelenke und es kostete ihn Überwindung, sich nicht die brennenden Augen zu reiben. Die Haut an den Gelenken war aufgeschürft und das freiliegende Fleisch nässte.

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2 - Russische Antiquitäten Leise kratzte die Tür über den Fußboden, irgendwelche Steinchen hatten sich schon vor ewigen Zeiten festgesetzt und an der Tür war eine dunkle Schleifspur. Sie ging nun wirklich auf! Der Erinnerungslose erschrak, obwohl er doch damit gerechnet hatte. Er ließ von dem Knoten an seiner Hüfte ab und stellte sich wieder ohnmächtig, er hoffte darauf, dass es nicht auffiel, dass er nicht mehr gefesselt war, dass niemand es bemerkt hatte. Er hielt sich die Hände auf den Rücken und atmete flach, er versuchte seinen Puls zu kontrollieren. Die Tür wurde wieder geschlossen. War jemand hereingekommen? Der Mann biss seine Zähne zusammen und sah sich aus zugekniffenen Augen um. Es war niemand da! Nur ein Kontrollgang. Er ächzte vor Anstrengung und ließ dann die Arme sinken. Der Blonde hörte, wie sich die Schritte entfernten, wahrscheinlich war er nicht der einzige Mann, der in diesem Hotel von der Decke hing. So ein Hotel war eigentlich der ideale Ort für diverse Folteraktionen und er durfte sich wahrscheinlich glücklich schätzen, dass er ein so schönes Zimmer bekommen hatte, mit Tiger an der Wand, Fernseher und Meerblick beim Sonnenaufgang. Die Schritte kamen wieder näher, er hörte wieder auf, an dem blauen Seil herumzufummeln, was ohnehin wenig Wirkung hatte. Er hielt sich bereit, er tat wieder so, als sei er gefesselt. Die Schritte waren gerade dabei, vorüber zu gehen. Er öffnete sein blutrotunterlaufenes, linkes Auge und sah direkt auf die Tür. Das Schloss war durchbohrt, keine Vorrichtung um die Tür von innen zu verschließen, von außen war die Tür sicher zu verriegeln, mit einem Kantholz oder einem Stahlrohr, etwas in der Art. In Kopfhöhe war ein faustgroßes Loch gefräst, es war weder rund noch eckig und ausgefranst. Keine gründliche Arbeit. Er hatte, durch das Loch hindurch, nicht erkennen können, wer oder was dieser Mann war. Nicht einmal wie groß er war. Es war zu dunkel. 19 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Der Raum, in dem er hing, war von einer alten, klaren Glühbirne illuminiert. Ihr Licht war gelb, heiß und scharf. Die Schatten die es schnitt, waren hart begrenzt. Eine Handvoll Nachtschwärmer umflatterte das strahlende Glas. Nicht nur eine Motte verbrannte dabei und stürzte sterbend zu Boden. Rechts von seinem Kopf sah der Mann, wie eines der Schwarminsekten im Todeskampf mit den Flügeln schlug und sich tanzend zwischen den Glasscherben bewegte. Der Körper des Mannes war inzwischen stark ausgekühlt und er begann nun zu zittern, nachdem die Muskeln wieder arbeiteten. Er fluchte und versuchte eine Rumpfbeuge. Er hätte sich jetzt gerne nach oben geschwungen und dann die Verbindung seiner Beine gekappt. Er brauchte ein Messer! Doch er hatte ganz sicher keines einstecken. Schnaufend ergab er sich für ein paar Sekunden in sein Schicksal und pendelte weiter in der Folterkammer. Er rieb sich zaghaft seine geschwollenen Augen gähnte lange und wahrscheinlich zu laut. Als er die Augen wieder aufmachte, war die Motte unter eine der großen Scherben geraten. Sie schlug mit ihren verbrannten Flügelchen und machte ein summendes Geräusch. Die Glasscherben! Der Mann erkannte, dass er wohl nicht ganz auf der geistigen Höhe war. Die verdammten Glasscherben! Er verfluchte sich, kein Messer zu haben und da waren die Glasscherben, so nah. Seine Finger zitterten, die Handfläche war ziemlich ruhig, aber die Finger zitterten. Er nahm die nächstbeste Scherbe vorsichtig hoch. Auf der Innenseite der Wölbung war eine graue, pudrige Beschichtung. Sie wog schwer in seiner zitternden Hand und war kühl. Die Motte lag inzwischen auf dem Rücken und ihre Beinchen rührten sich nicht mehr. Ihm würde es nicht so ergehen! Er würde hier drin nicht sterben! Das schwor er sich und er lauschte doch angsterfüllt und mit einem, ihm bis zu dem Hals pochenden Herzen, nach dem Mann der den Flur unentwegt entlang schritt. 20 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Wenn er hereinkommen würde, dachte der Gefesselte verzweifelt, könnte er ihn mit der Glasscherbe überraschen. Das Überraschungsmoment lag ganz klar auf seiner Seite. Ein Schnitt durch die Kehle und schon würde er nur noch Blut gurgeln. Oder ein Stoß durch die Bauchdecke und er könnte sich sein Abendessen, irgendwas mit Knoblauch, noch einmal betrachten. Ein wenig entsetzt, ob seiner blutigen Gedanken, sah er in das Glas und sah sein Gesicht. Die Spiegelung war blass, weitestgehend farblos und verzerrt, aber er sah ein Gesicht darin, er erkannte es zwar nicht wieder, aber es kam ihm doch vertraut vor. Er schätzte sich auf etwa 40 Jahre ein, er war groß und athletisch. Seine markanten Gesichtszüge verliehen ihm eine kühle Härte. Eine Beule am Scheitelansatz und einige kleine Schnittwunden trübten den erbaulichen Anblick. Sein Haar war fest, voll und strohblond. Der Anblick war zugleich aufregend und beruhigend. Er hatte ein Gesicht! Dann begann er die Seile an seiner Hüfte, mit dem Glasstück zu durchtrennen, es dauerte ihm zu lange, er glaubte, nicht genug Druck auszuüben. Er stöhnte und verlagerte sein Gewicht, aber nur minimal. Das Seil gab ein kratzendes Geräusch von sich und ein erster Strang flog unter der Spannung davon. Vom ersten Erfolg beflügelt, kniff er amüsiert die Augen zu, was wehtat. Jetzt hielt ihn bald nur noch das Klebeband mit dem Seil verbunden! Er hatte es geschafft. Schritte! Er bemerkte sie zu spät! Geschockt riss er die Augen auf, als eine laute, autoritäre Stimme etwas durch den Gang rief. Es war ein arabischer Dialekt, das hörte er, doch was da gerufen wurde, verstand er nicht. In Eile beugte er seinen Oberkörper in die Höhe und wickelte sich ein Seilende um den Arm. Mit der Bildschirmscherbe in der anderen Hand durchschnitt er das letzte Nylonseil, das ihm die Waden zuschnürte. Er rutschte einige Zentimeter tiefer und dabei lösten sich auch die Klebebänder etwas. Keine Schritte mehr.

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Er rutschte nach kurzem Zappeln, fiel auf den Boden, er zog seinen Kopf auf die Brust und hatte die Augen zugekniffen, bis sein Nacken den Fußboden fühlte. Da stand ein Mann über ihm, direkt vor der Tür. Dieser Mann schaute ihn grimmig an, blinzelte in das zerschundene Gesicht, des Kerls, den er auf Befehl hin gefoltert hatte. Der Gefolterte knirschte mit den Zähnen und schnaufte durch die Nase. Jetzt kniff der Mann den Mund wieder zu, er wollte nichts sagen, denn er schielte in den Lauf eines alten russischen Maschinengewehrs und er glaubte, dass kein Wort seine Situation ändern konnte. Kein: "Oh bitte!" Kein: "Nein!" Kein Wimmern. Er erwartete, dass der Araber ihm das Gesicht wegschoss und machte sich keine Hoffnung darauf, dass die alte Waffe eine Ladehemmung hatte, eigentlich gehörte sie in eine gläserne Museumsvitrine und nicht in die Hände eines knoblauchfressenden Berufsfolterers. War das der Mann, der gerade mit einer lauten und autoritär wirkenden Stimme gesprochen hatte? Der Blonde lag auf dem Rücken und dann stieß ihn der Mann mit dem Lauf an die Schulter. Jetzt ging er auf die Knie, langsam, denn die plötzliche Veränderung der Blutzirkulation machte ihn wie besoffen. Er senkte den Kopf und versuchte seine Atmung zu kontrollieren, am liebsten hätte er alles um sich herum vergessen. Sollte es jetzt so enden? War das alles? Er wusste ja nicht einmal mehr, wer er war. Das wäre eine bedauerlich kurze Existenz für ihn gewesen. Er legte sich die Hände auf die Oberschenkel. Der Folterer trug sein schwarzes Haar kraus und da es nicht besonders lang war, stand es von seinem dünnhäutigen Schädel ab. Er wirkte aufgeregt, irgendwie zu nervös, dafür, dass er die Oberhand hatte und das Maschinengewehr. War es für ihn so unvorstellbar, dass dieser Mann sich befreit hatte? An diesem Kerl hatte er sich drei Stunden lang die Zähne ausgebissen, er hatte ihm die Hauptschlagader an Hals und Bauch angeritzt und ihm gerade 22 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

eben erst eine glühende Nadel durch die Wange, in den Mundraum gestochen. Der irakische Folterspezialist, der erst seit einem Jahr für Octo arbeitete, hatte davor Satellitenschüsseln an staubigen, von Schüssen und Schrapnellen durchsiebten Hauswänden angebracht. Nach der glorreichen Befreiung des Irak gab es für die Bevölkerung eigentlich nur einen großen Vorteil, sie durften nun offiziell westliches Pay-TV sehen. Ein Grund in den Krieg zu ziehen war unabhängiges, werbefreies Bezahlfernsehen doch allemal. Am meisten interessierte es den früheren Folterer, späteren Fernsehinstallateur und jetzigen Folterer, wie der Engländer das geschafft hatte. Er wusste nicht viel über ihn, gerade genug um ihn auszufragen. Der Mann hatte sich nach stundenlangen Schlägen, Tritten und Messerhieben tatsächlich befreit. Das konnte nicht sein! Octos Angestellter schaute sich verstohlen aus den Augenwinkeln im Hotelzimmer um, hielt das Gewehr nun an die Schläfe des Blonden. Hier musste noch jemand sein! Jemand musste ihm geholfen haben. Der Iraker kam einen Schritt näher, doch den Lauf hielt er immer noch auf den gesenkten Kopf gerichtet. Der Mann rührte sich nicht und atmete flach. Eigentlich sollte er überhaupt nicht mehr atmen! Er dachte, dass er jetzt einfach abdrücken sollte. Sein Englisch war perfekt: "Nicht bewegen." Er hatte eine vortreffliche Ausbildung in den Staaten genossen, so eine, die man nur durch Geld, Blut und Öl kaufen kann. Der Schatten des Folterers, der rostbraune Blutflecken auf seinem dunkelgrünen Kombi hatte, fiel dem Knieenden wie ein erstickendes Tuch über den Kopf, kroch über seinen gebeugten Rücken. Dem Blonden wurde bewusst, dass er ganz kalt war, dass er fror und er zitterte auf, so wie eine Lampe aufleuchtete, wenn man auf den Schalter an der Wand hieb und ihn nicht sanft drückte. "Ich sagte, dass du dich nicht bewegen sollst!", ermahnte ihn der Iraker, der nun laut aber beherrscht sprach. In diesem Zimmer konnte man sich nicht verstecken, sie waren ja keine Idioten. Die Zimmer waren präpariert. Der einzige Ort, an dem sich jemand hätte vor der Kamera verbergen können, war unter dem Bett. Er zögerte eine Sekunde, doch dann hob er das Bett an und war wenig überrascht darüber, 23 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

niemanden darunter vorzufinden, der auch nur eine annähernd ähnliche Chromosomenanzahl besaß, wie jemand, der dem Blonden hätte helfen können. Eine Schabe huschte zurück in die Feuchtigkeit eines zusammengeknüllten Bettlakens. Aber jemand musste hier sein, musste noch hier sein. Diese Person musste im Bad sein! "Schön sitzen bleiben, du englischer Hurensohn. Rühr' dich und ich knall dich ab." Er sah in die hellen, graublauen Augen seines Ziels. "Ja, gib mir einen Grund!", heischte er ihn an. "Lass mich dich erschießen du Bastard, lass mich heute Nacht gut schlafen." Der erniedrigte Mann schwieg, unfähig zu sprechen. Doch seine Lippen bebten, er würde es nicht erst wagen zu sprechen. Er sah ihm weiter in die Augen, die sich trübten, der Kerl sagte nichts, sah einfach weg, doch sein Blick streifte die Tür des Badezimmers. "Im Bad?", der Folterer deutete mit dem Daumen nach hinten, sein Rücken war ungeschützt und das wusste er. "Ja?", das Grinsen entblößte erschreckend gepflegte Zähne. Der dunkle Mann hatte ein offenes, beinahe herzliches Gesicht, als er zu lachen begann, wirkte er fast liebenswürdig. Rechte Sympathie konnte der Erinnerungslose nicht aufbringen. Der Lauf schwenkte nun herum und hob sich. Dann ruckte die Waffe in den Händen des Arabers und rote Flammenstöße schossen aus dem dünnen mattschwarzen Rohr. Schon sie konnten tödlich sein, dann waren da noch die Kugeln, wirklich tödliche Projektile. Eine ganze Ladung durchsiebte nun die dünnen Badezimmerwände und die Tür. Hier ging man nicht sehr sorgfältig mit dem Inventar um. Er verschoss sein Magazin und achtete nicht mehr auf den Mann am Boden, der nun seine Chance nutzen wollte. Der blonde Engländer war groß und schwer gebaut, ein richtiger Ochse. Breit und muskulös, ein sportlicher Mann und er besaß noch immer Reserven. So kurz vorm Tod, hatte er noch immer die Kraft sich aufzurichten. Er stellte sich auf und ein schreiender Schmerz in den Beinen ließ ihn die Augen aufreißen. Der Blonde ballte die Hände zu zitternden Fäusten und das Bein, das er heben wollte, hob sich nicht, er fiel nach vorn und fing seinen Sturz nicht ab. 24 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Er krachte auf den Fußboden, ein Tritt in die Nieren, den er kaum spürte, drehte ihn wieder auf den Rücken. Der Iraker beugte sich zu ihm herab und schwang sich dabei das Gewehr auf den Rücken. Er packte den Jüngeren am Unterkiefer und zog die Zähne auseinander, was ihn nicht viel Anstrengung kostete. Das eben noch offene, beinahe herzliche Gesicht, war jetzt ein Ausblick auf die Grausamkeit, die dieser Mann bereit war, anderen zuzufügen. Er knurrte und schnaubte, zog seine alte Dienstpistole, die gepflegt war und vor Öl und Fett glänzte und schob sie zwischen die Kiefer des englischen Ochsen, er drückte den kalten Stahl gegen die Zunge, gegen den versengten Gaumen. Ließ den Blonden würgen. Der Abzugsfinger berührte die Lippen. Als der Folterer sein Blut im Kopf rauschen hörte, was er sehr mochte, bemerkte er, dass er noch immer die Oberhand hatte. Er begann zu lachen und drückte die Kiefer mit seinen sehnigen Fingern zusammen, ließ die Schneidezähne an der schwarzen Halbautomatik mahlen. "Hab ich nicht was gesagt? Wer sollte sich nicht bewegen, wenn er weiterleben wollte?" "Ich.", antwortete der Engländer, doch es war nicht zu verstehen. "Wir verstehen uns?" Der Engländer nickte, doch sein Kopf wurde festgehalten. Der Mann auf seiner Brust nickte auch, er leckte sich über die Lippen, die der kurze Bart umrahmte. "Ich würde jetzt wirklich gerne abdrücken und dein Gehirn in deinem verschissenen Schädel in einem Brei aus Knochensplittern und verschmortem Gewebe auf den Boden verspritzen." Er machte eine Pause und zog die Pistole unsanft zwischen den Zähnen hervor. "Aber weißt du, da ist so eine Sache...ich bin sehr neugierig." An der Pistole klebten nun Blut und Speichel, die sich zu ovalen Tröpfchen sammelten, auf dem gefetteten Waffenstahl. Mit einem perversen Vergnügen bohrte er die Mündung nun in eine offene Wunde am linken Oberarm. Er genoss das Zusammenzucken seines Opfers. Der Folterer konnte das Foltern nicht lassen. Er bohrte weiter und sprach holpernd: "Und meine Neugier, die will gestillt werden." Wie hatte der Engländer es nur schaffen können? "Da war niemand im Bad, habe ich Recht?" Nicken. 25 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

"Dass niemand sonst hier sein soll, kann ich eigentlich nicht glauben. Aber ich glaube sowieso nicht gerne, dass ist nicht mein Ding.", er stand auf und wischte sich die Pistole am blutigen Militärkombi ab, einmal über den rechten Oberschenkel - er war Rechtshänder, mit der anderen Seite über die rostbraune Brust. "Das hier ist dein Blut.", er zeigte mit dem Zeigefinger darauf und zum Teil stimmte das sogar. "Du kennst das Spiel jetzt, wirst du artig sein?" Nicken und ein Husten. "Dann wollen wir doch mal nachsehen.", sagte er nun im Plauderton und trat die zerschossene Tür auf. Er rechnete nicht mit Gegenwehr und es kam auch keine. Der dunkle Raum, der vor ihm lag, war leer und die Tür gähnte ihn an. Er ging einen Schritt beiseite, um dem Engländer einen Blick in das Badezimmer zu gewähren, in dem es so dunkel war, dass er nur die schwache Reflexion der Glühbirne auf dem staubigen Porzellan des Waschbeckens sah. Der Blonde richtete seinen Körper auf und er legte sich dann auf die Seite, er zog seine Knie ein und drückte sich hoch. Jetzt saß er auf seinen Knien und hatte die Hände zu Fäusten geballt im Schoß liegen. Der Folterer packte ihn am hängenden Unterkiefer, den Daumen auf die trockene Zunge gepresst und zog ihn hoch. Der Engländer würgte und hustete, seine Beine gaben nach und beinahe fiel er wieder hin. Er hatte die Augen zugekniffen, vielleicht in der Ahnung was nun folgen würde. Der Folterer zog ihm den Griff seiner Halbautomatik über den Schädel. Ein dumpfer Schlag und ein stechender Aufschrei. Der Blonde fiel wieder auf die Knie und wieder floss Blut aus einer frischen Wunde auf den Fußboden. Es spritzte teilweise fein zerstäubt. Die neue Wunde am Scheitel verband zwei ältere Platzwunden zu einer klaffenden und schon blauverfärbten Hautspalte. Auf allen Vieren saß er nun da wie ein Fußschemel. Der Iraker musste sich keine Sorgen machen, dass der Engländer ihn erneut angriff, er sah die Oberarme zittern und er wusste, dass sie kaum das Gewicht des aufgestützten Körpers tragen konnten. Wieder trat er ihm mit seinen schwarzglänzenden Stiefeln in die Seite und stieß ihn zu Boden. Der junge Mann fiel um und röchelte. Sein Blick war stumpf und er hielt sich den Kopf und rollte sich wimmernd zusammen. Er sah nicht zu dem Araber hoch, der Haar und Bart kurzgeschoren hatte, er sah nicht in das Licht, als es im Bad anging. Er hörte nur ein Fiepen und Rau26 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

schen. Der junge Engländer zog seine unbekleideten Beine nah an den Körper. Er trug nur noch die Fetzen seiner Unterwäsche, ein Feinripphemd und Boxershorts. Im Bad war niemand, das sah der Folterer nun ihm Licht einer weiteren Glühfunzel. Er hatte sich tatsächlich alleine befreit, aber das überraschte den Araber nicht mehr im Geringsten, nach der Show, die er gerade eben mitbekommen hatte. Halbtot und geschunden war der Drecksack wieder aufgestanden und hatte ihn angreifen wollen! Der Folterer war weiterhin auf der Hut, er erschauerte, sie hatten den Engländer bei Weitem unterschätzt. So etwas durfte ihnen nicht passieren! Ihr Fehler, sein Fehler. Der Doktor würde ihnen auf die Schulter klopfen und ihnen sagen, dass man Fehler machen durfte, doch mit seinen anderen Armen würde er ihre Hinrichtung vorbereiten. Männer wie sie gab es doch wie Sand am Meer, der Vielarmige konnte auf ihn gut verzichten. Gewissenlose Sadisten konnte er in jedem Kindergarten, in jedem Vorhof finden, er konnte sie direkt vom Schulweg holen und ihnen eine erfüllende Arbeit bieten. Doktor Octo brauchte IHN ganz sicher nicht, da machte er sich keine Illusionen. Er ging in das Badezimmer, nachdem er den Lichtschalter betätigt hatte, nachdem sein Opfer sich wimmernd zusammengerollt hatte. Im Badezimmer wurden Chemikalien und Werkzeuge gelagert, die bei ihren Arbeiten nützlich sein konnten. Flaschen mit Chlor, Essigreiniger, Zangen, Klammern, Seile, Schnüre, waren ordentlich auf dem grünen Fliesenboden aufgereiht. Alles war sauber, sie wuschen Blut, Haare und Fleischfetzen immer gleich ab. Dafür beschäftigte Octo zwei ältere Frauen aus dem Dorf. Diese Leute würden um alles in der Welt dicht halten, Octo beschäftigte gerne Familien. Mütter und ihre Söhne. Großväter und Enkel. Er konnte darauf setzen, dass die nahen Verwandten zusammenhielten, mehr als es sich völlig fremde Menschen tun konnten. Octo sorgte auch für Zusammenhalt... Die Kneifzange, mit der der Folterer seinem Opfer den Nagel am größeren rechten Fußzeh ausgerissen hatte, war nicht da, sie war schon zur Reinigung. Bei den scharfen Gegenständen, Sägen und Messern, rechts vor der Badewanne, lag ein oranges Tapeziermesser.

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Er nahm es hoch und drückte mit dem Daumen auf die dünne Stahlklinge. Sie war stumpf. Draußen wimmerte der Mann am Boden. Gleich würde er nicht mehr wimmern! Gleich würde er um Gnade winseln und dann würde er schreien, wenn er ihm die Beine häutete und ihn dann schließlich entmannte. Er drücke fester mit der Daumenspitze, die schwielig und verhornt war. Mit einem harten "Ping!" brach die Klinge und er rückte die Spitze nach. Wieder das Wimmern. Er ging zurück und ihm bot sich ein jämmerlicher Anblick. Der große Blonde lag da, nur einen Meter von der Tür entfernt und hatte keine Kraft mehr. Er war wohl kurz gekrochen, aber jetzt hatte er keine Kraft mehr. Das Opfer streckte einen Arm zur Tür aus und ließ ihn dann auf den Boden fallen. Wieder dieses abscheuliche, weichliche Wimmern eines kleinen Kindes. "Buhuu!", machte der Sadist und stellte sich breitbeinig über ihn. "Buhuuhuuu! Mami, rette mich vor dem bösen Mann!" Er schnitt dazu Grimassen und machte so, als würde er sich die Augen reiben. Das machte er alles nur für sich, der Engländer hatte seine Augen geschlossen. "Buhuhuuu!" Dann lachte er und warf dabei seinen Kopf dämonisch in den Nacken. "Ich schäle dir jetzt deine bleiche Haut von den Knochen.", sagte er und drückte die dreieckige Spitze des Tapezierermessers in die Innenseite des Oberschenkels. Das Bein bewegte sich, der Engländer wollte es wegziehen, doch der Mann mit dem Messer hielt es mit der anderen, starken und riesigen, haarigen Pranke fest. "Hör auf zu zucken, du kleiner Wichser. Ich will hier einen geraden Schnitt machen." Er wollte es jetzt bald auch zu Ende bringen, nachdem er noch ein paar schmerzhafte Verwundungen gesetzt hatte, an strategisch ausgesuchten Stellen, zwischen den blutigen Kratern und Klüften. Der Engländer jaulte wieder wie ein Hund. Diesmal wie einer, dem man ein Messer in den Oberschenkel drückte. Er winkelte seine Arme an, er schniefte und wollte sich aufrichten. Er drückte seinen Oberkörper vom Boden hoch und alles war ein Schmerz. Seine Augen pochten und das Stechen und Schneiden der Klinge, die sich schon 28 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

an seine Körpertemperatur angepasst hatte, war auf seiner Zunge ebenso zu spüren, wie bei der eigentlichen Wunde. Die kurze Klinge war so scharf, dass sie durch das feste Muskelgewebe glitt, als wäre es Butter. Der Blonde biss sich auf die Zunge. Er mobilisierte seine allerletzten Reserven und wusste nicht, wo diese noch herkamen, vielleicht aus den kleinen Zehen oder dem Blinddarm. Es war der Schmerz, der ihn antrieb, dem er entfliehen wollte. "Na, das tut gut, oder?", fragte der Folterspezialist und klang dabei so, als würde er das Blut trinken, dass er aus der dünnen Schnittwunde hervor presste. Vor Erregung war ihm das Wasser im Mund zusammengelaufen. Plötzlich warf sich der Blonde herum und der Iraker sah ES nur kurz aufblitzen, bevor ES in seiner Kehle steckte. Er sabberte schaumigen Speichel, den er nicht zurückhalten konnte. Ein Glassplitter! Trotz des Schocks und dem sprudelnden Blut dachte er ganz kühl darüber nach, dass diese Scherbe von dem Fernseher stammte und er verfluchte sich dafür, dass er den Fernseher umgestoßen hatte. Wieso hatte er nicht daran gedacht, dass das ein Risiko war? Sein dunkles Blut strömte ihm über den Kragen seines Militärkombis. Er ließ das Messer, das er mit zitternder Hand umklammert hatte, fallen und es klirrte auf dem Boden. Die spitze Klinge, die rot schimmerte, brach erneut ab. Der Mann, der seine Erinnerung, aber nicht seinen Überlebenswillen, verloren hatte, krabbelte würgend zur Tür und zog dabei eine Blutspur. Er lehnte seinen Kopf an die Tapete und dann erbrach er sich, doch er musste sich schon einige Male übergeben haben, denn sein Magen war leer und es kam nur ein bisschen Magensäure zwischen seinen Zähnen hervor. Die Galle schmeckte bitter, blieb aber im Rachen. Sein Unterleib krampfte sich wieder zusammen und da wurde ihm schon wieder schwarz vor Augen. Doch diesmal wurde er nicht ohnmächtig, der Schmerz hielt ihn davor zurück, so wie er ihm vorhin den Weg in den Schlaf bereitet hatte. Ihm war klar, dass noch mehr kommen würden, dass dieser Folterer nicht alleine war, dass noch mehr von dieser Sorte auf ihn warteten. Die Schreie, die er irgendwie dumpf und wie von weiter Ferne wahrgenommen hatten, mussten einen Ursprung haben, dem es sicher nicht besser als ihm selbst ging. 29 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Der Folterer saß mit dem Rücken im rechten Winkel und ausgestreckten Beinen da, wo er gefallen war. Er zog sich langsam die dreckige Scherbe aus der Wunde, der jüngere Mann hatte sie gut fünf Zentimeter tief in den Hals gestoßen, wobei sie so ziemlich alles zerschnitten hatte, Speise- und Luftröhre, die Hauptschlagader. Aber der Folterer sah den würgenden Wichser mit verrückten Augen an und dachte nur daran, den Hundesohn einfach abzuknallen. Er hielt sich die sprudelnde Halswunde mit der Linken zu und tastete mit der Rechten nach seinem Holster, er löste den Druckknopf und nahm eine saubere Pistole hervor, deren kühle Schwärze er mit dunklem Rot besudelte. Es tropfte ihm von den Händen und es schienen Liter zu sein. Ein Soldat musste immer wissen, wie es um seine Munition bestellt war und so ließ er das Magazin heraus- und wieder zurückgleiten. Es war natürlich voll geladen. Sieben Kugeln. Er versuchte seinen Kopf zu drehen, den er ganz steif auf seinem Hals balancierte, doch dabei klaffte die Halswunde auf. Der irakische Folterer röchelte. Das tat ja richtig weh! Er biss die Zähne zusammen und hielt die Luft an, er dachte gar nicht daran zu sterben. Der Kerl saß jetzt dort an der Wand, als könnte er kein Wässerchen trüben und er sah auch nicht besonders lebendig aus. Er sah richtiggehend wie eine Leiche aus, gestorben, nachdem er die Wand, die Tür, den Boden und sich selbst vollgekotzt hatte. War das etwa auch Blut? Der Berufsfolterer sah irgendwie nur noch Blut, alles um ihn herum war rot. Zielen und Feuern! Sein Blick verschwamm. "Zielen und Feuern!", ermahnte er sich und bewegte seine Lippen, zu hören war nichts, die Luft, die er ausstieß, entwich zwischen seinem Mittel- und Zeigefinger am Hals. Er zielte und feuerte. Die Kugel ging daneben, in seinem Zustand schaffte er es nicht mehr den Kopf zu treffen, das sah er nun ein. Seine Hand zitterte, er konnte die Pistole nicht ruhig halten, er konnte sich selbst kaum noch hochhalten. Die zweite Kugel versiebte er auch. 30 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Er feuerte noch ein Drittes und letztes Mal, doch inzwischen traf er den anderen Todeskandidaten eher mit seinem spritzenden Blut, als mit den tödlichen, heißen Geschossen, die rotierten, wenn sie den Lauf verließen. Er sah doppelt, alles drehte sich und er glich die Bewegungen in seinem Kopf, mit heftigen Schwenks aus. Er verschoss das Magazin nun in die Decke, denn er dachte, dass er noch immer saß. Als ihm dann noch die Hand hinab fiel und er schoss, erwischte er den Engländer fast am Becken, ein absoluter Glückstreffer. Jetzt lag er auf dem Rücken und war blind, seine Lunge kollabierte und während sein Verstand irgendetwas schrie, schüttelte sich der Körper in Krämpfen und er erstickte an seinem eigenen Blut. Als das Herz zu schlagen aufhörte, war der Gefolterte und Angeschossene bei dem warmen, feuchten Leichnam und durchsuchte die Taschen. Sie waren leer. Sein linkes Auge war inzwischen so zugeschwollen, dass er es geschlossen hielt. Keine Munition, nur ein Taschentuch und ein Taschenbuch: "Das Bildnis des Dorian Gray" Nichts, dass es für den Engländer wert gewesen wäre, mitzunehmen. Nur die antiquarischen Waffen, das Gewehr und die Pistolen, hätten sich gelohnt mitzunehmen. Er fragte sich nur, was die ihm nützen sollten, ohne Ladung und er war ja so gut wie nackt und er konnte sich ja schon ohne den zusätzlichen Ballast kaum auf den Beinen halten. Er hörte noch immer die Schritte, doch die waren nur in seinem Kopf. Doch gleich würde jemand kommen, das war ganz gewiss, er musste verschwinden. Soviel Glück würde er kein weiteres Mal haben. Der Blonde zwang sich aufzustehen. Seine Beine waren wie Gummi und seine Knie zitterten. Er torkelte auf das Bett zu, da lag ein Klumpen, der für ihn wie Kleidung aussah. Womöglich war das seine Kleidung! Er setzte sich vorsichtig und langsam und begann den Stoffballen durchzuwühlen. Er konnte ein graues T-Shirt und eine schwarze Jeans finden. Ein Portemonnaie! Mit hastigen Bewegungen zog er das schwarze Mäppchen aus einer Tasche der Jeans. Er klappte es auf und sah das Foto eines durchaus attraktiven Mannes auf einem Presseausweis. Für ihn bestand kein Zweifel, dass es seine Geldbörse war. Sein Foto, sein Ausweis und seine Identität, die sie ihm in stundenlanger Folterung und unter Drogeneinwirkung geraubt hatten. Er war Peter Merchant, geboren am 5. April 1975 in Leeds. 31 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Warum sollte er daran zweifeln, ein englischer Journalist zu sein? Vieles ergab jetzt einen Sinn. Sie hatten ihn entführt, er hatte ja keine Ahnung wo er war, aber das alles kam ihm so natürlich und vertraut vor, es war für ihn ganz logisch: Er war ein Journalist, vielleicht in irgendeinem Krisengebiet stationiert und man hatte ihn entführt, wollte Informationen oder Geld erpressen. Es ging sicher um Geld, es ging doch immer um Geld. Er schaute zu der Wand, an der er eben noch gelehnt hatte. Die Kugeln waren überall um ihn herum eingeschlagen, nur eine hatte ihn gestreift. Peter stand langsam wieder auf, seine Fingerknöchel knackten, als er sich langsam in die Hose quälte. Er schob beide Beine gleichzeitig hinein und zog sie nur bis zu den Oberschenkeln hoch. Dann ließ er das T-Shirt über seinen Kopf gleiten und er musste die Zähne zusammenbeißen, so weh tat es und er fragte sich, warum er das Hemd nun überhaupt anzog. Sicher ein Tribut an die Gesellschaft, er konnte ja schlecht mit freiem Oberkörper herumlaufen. Er suchte die richtigen Löcher für die Arme und dann drückte er seinen Kopf durch den Halsausschnitt. Seine Schuhe fand er nicht auf Anhieb, er sah sich mit seinem guten Auge im Raum um und konnte keinen Schuh sehen. Keine Zeit! Er musste los, er lief so ruhig und aufrecht, wie es ihm möglich war. Peter Merchant streckte seine rechte Hand nach der Türklinke aus. Er war Rechtshänder! Durch den glücklichen Zufall, dass er sein Portemonnaie gefunden hatte, wusste er nun so vieles über sich und jetzt wusste er sogar, dass er Rechtshänder war. Englischer Journalist, Mitte-Vierzig und Rechtshänder. Er konnte die Tür einfach öffnen, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Peter ließ sie nur einen Spalt weit aufgehen und linste dann mit seinem guten Auge auf den Flur. Sein geschwächtes und aufgeputschtes Herz schlug ihm bis zum Hals und es wurde nicht besser, als er zwei Männer näherkommen sah. Zwei Weiße in kurzen Truckerjeans und schmutzigen Tankshirts. Sie hatten etwas von Humphrey Bogart in "African Queen" und sie hatten auch nicht mehr Haare als der echte Bogart, der schon früh ein Toupet tragen musste, wie übrigens auch Ben Affleck. 32 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Nun ja, zumindest hatten sie wesentlich mehr von Humphrey, als von Ben. Die beiden Männer waren mit Ruß und Öl beschmiert und er roch sie. Sie sprachen kein Wort und verschwanden in einem anderen Raum, durch eine Tür, die wohl auch in ein solches Hotelzimmer führte, in der eine bedauernswerte Figur von der Decke hing und nicht mehr wusste, wie sie hieß. Peter Merchant konnte nicht mehr sehen, sie traten auf jeden Fall vom Flur in ein Zimmer und das hieß für ihn: Freie Bahn! Doch jetzt wagte er es nicht, hinauszukommen. Er hörte Stimmen, ein kurzes Auflachen und dann trat der kleine, dicke Bogart, der doch eher wie Borgnine aussah, rückwärts auf den Gang und Merchant sah, was er da trug. Er sah nackte Beine. Wie ein Blitzschlag durchfuhr ihn das Wissen, das er ohnehin schon gehabt hatte, er war nicht der einzige Hotelgast. Merchant riss die Augen auf, auch sein verquollenes; sein aufgedunsenes und verfärbtes Gesicht schien wie aufgeplatzt. Die seidige weiße Haut, die zarten Fesseln! Das waren Frauenbeine, rot, blau und grün angelaufen. Peter knirschte mit den Zähnen. Die nackte Frau war tot. Der andere schmutzige Bogart fasste sie unter den Achseln und sie trugen sie wie ein Stück Vieh, nein, wie einen nassen Teppich. Sie trugen sie über den Flur und ihre Schritte waren heiter und beschwingt. So heiter und beschwingt durfte man nicht sein, wenn man eine tote, nackte Frau trug. Sie hatten etwas vor und Peter sah schon, was sie mit ihr anstellten, wie sie ihren Leichnam schändeten, sich so lange an der Toten vergingen, bis sie zu verrotten begann. Er hoffte, dass sie hier in einer warmen Region waren, in der es tagsüber brütend heiß werden konnte, damit sie schnell verweste. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, als Peter sie zwischen zweimal Zwinkern sah. Die schmierigen Griffel an ihrem Busen. Peter rührte sich nicht, doch er hielt die Luft an, sie kamen an seinem Zimmer vorbei. Er hätte nur die Hand durch den Schlitz stecken müssen, um sie zu berühren. Die Frau hatte ein engelsgleiches, reines Gesicht, auch ohne die Lippen, die sie ihr sauber herausgeschnitten hatten. Ihr langes rotgoldenes Haar war von 33 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Blut und Fäkalien verkrustet. Er roch die beiden Bogarts, er roch den Gestank, so süßlich-säuerlich, gepaart mit Rinderdung. Der Körper der Frau war schlank, grazil und mit wundervollen Kurven. Ihr Bauch war fest und sowohl flach, als auch erhoben. Sie war schwanger. Er biss sich auf seine Zunge und schlug sich die Hand vors Gesicht. Sie hatten ihn nicht bemerkt und der eine Bogart grunzte etwas auf Französisch, das Merchant verstand, aber nicht wirklich zu ihm durchdrang. Er konnte nur an den Anblick denken, der sich ihm da bot. Wieso hatten sie ihr die Lippen aus dem unschuldigen Gesicht geschnitten? Wieso war ihr Körper von blauen Striemen überzogen, Peitschenhiebe? Peter Merchant konnte das nicht einfach so geschehen lassen. Sie würden sie ficken und in kleine Streifen schneiden. Jegliche Angst, die Peter gehabt hatte, als er die beiden brutalen Männer gesehen hatte, waren verflogen. Wenn sie ihn folterten, war das eine Sache. Einem Mann Schmerzen zuzufügen um Geld zu erpressen, war keine heroische Tat, aber es kam ihm doch gewöhnlich und normal vor. So wurde es schon immer gemacht. Das war die Welt der Männer, die Männer für sich geschaffen hatten. Diese rohe Art des Geschäfts war für einen Mann grundlegend nicht fremd, es ging immer um Verlust und Schmerz. Der Acker im Herzen eines Mannes war steiniger. Aber doch nicht solch ein engelsgleiches Geschöpf, überirdisch und und...! Sie war verstümmelt worden, gequält, bis auf die Knochen, bis aufs Blut gefoltert worden! Selbst tot und geschunden fand er sie zauberhaft. Und sie war schwanger! Ein weiterer Aspekt, der nicht vergessen werden durfte. Merchant würde sie, einen nach dem anderen, töten, er hatte gesehen, dass er es konnte. Und wenn es das Letzte war, dass er tat! Peter Merchant würde das Überraschungsmoment auf seiner Seite haben und einfach zuschlagen. Es würde reichen einen Stock oder so etwas zu haben. Als sie um die Ecke waren, trat er geduckt auf den Gang. Die Wände waren rotbraun gestrichen und der graue Teppichboden warf Wellen wie das kaspische Meer. Rechts am Türrahmen lehnte ein etwa 80 34 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

Zentimeter langes Stahlrohr, es war dickwandig und wog sicher etwas mehr als sechs Kilogramm. Das war höchstwahrscheinlich dazu da, die Türen zu verschließen. Er überzeugte sich nicht, ob diese Theorie der Wirklichkeit entsprach. Peter Merchant hob es an und legte es sich auf die Schulter, als würde er auf dem Exerzierplatz stehen und seine Königliche Hoheit würde höflich und aufmunternd zu dem uniformen Mannen hinab winken. Er atmete durch den Mund, der Geruch war einfach zu intensiv für ihn, er glaubte ihm zu folgen, wie einer Fährte. Er schmeckte ihn auf seiner ganzen Zunge. Peter schaute grimmig drein, er sah sich nicht um, ging einen langen Gang entlang, in dem jeder Meter gleich aussah. Es war, als stünde er, es war dunkel und der Flur schien in die Unendlichkeit zu führen. Das Ende des Gangs war schwarz, kein Licht und er konnte nur noch tasten. Es gab nur links eine Tür, durch die mussten sie gegangen sein. Aluminiumbeschläge, schwarzer Kunststoff und Glas im Dekor der späten Siebziger. Er drückte sie auf, da stand "Poussez", was zweifelsohne Französisch war. Der Gang, den er jetzt betrat, war nicht um einen Deut heller. Die schwarze Tür kratzte im schwarzen Raum über den Fliesenboden. Peter kam es sehr laut vor. Ein Kneifen im Bauch zwang ihn zu einer kurzen Rast. Er stellte sich mit dem Rücken an eine der Wände. Er schloss die Augen, da er sowieso nichts sehen konnte. Alles drehte sich und überall waren Wände, er sah nur Schwärze und doch glaubte er den Raum zu sehen, den Boden, die Wände. Es war Einbildung, zumal er die Augen geschlossen hatte. Sein Magen krampfte sich zusammen, die Galle kroch seinen Hals wieder hinauf, wie ein fettleibiger Marder die efeuumrankte Hauswand. Peter Merchant musste an die nackte Frauenleiche denken und er erschrak nicht, als sie ihn rief. Sie rief etwas, er verstand ihre Worte nicht, doch er wusste, etwas verband sie. Da war irgendetwas gewesen. Peter presste seine Faust zusammen, als wolle er das Stahlrohr entsaften. Risswunden auf dem Handrücken platzten auf, doch sie bluteten nicht. Er ging weiter, er dachte an nichts mehr, stellte sich nur die Frau vor und in seiner Vorstellung war sie noch sehr lebendig. Sie lachte ihn an und sie 35 | K i m a l i v o n N o r m a n E s c h e n f e l d e r

sprach zu ihm und ihr Lächeln war wundervoll. Peter konnte gar nicht glauben, dass er das alles nur erträumte. Doch das war es nur, ein Traum und wie in einem Traum ging er die Treppe hinab, er überflog die Stufen und wandelte humpelnd durch den pechschwarzen Gang, bis er ein Licht sah. Peter hörte Stimmen, ob sie den beiden Bogarts gehörten, konnte er nicht sagen. Die eine war brummig und kratzig. Ein exzessiver Raucher. Die andere Stimme gehörte auch einem Mann, doch sie war klarer, höher und er stotterte ein wenig, er wiederholte immer eine Silbe und verhaspelte sich in seinem schnodderigen Französisch. Merchant atmete tief durch. Er roch die beiden, er roch die Frau, jetzt sagte sie nichts zu ihm und ein Lichtschimmer fiel ihm ins Gesicht.

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