Energie

  • May 2020
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Energiepolitik im Wandel - READER Energieträger Erdöl ist der wichtigste Energieträger weltweit. 36 Prozent des gesamten globalen Primärenergiebedarfs wurden 2007 durch Erdöl gedeckt. Wie beim Öl konzentrieren sich auch beim Gas die Vorkommen auf nur wenige Länder. Das schafft Abhängigkeiten bei Ländern wie Deutschland, die auf Energieimporte angewiesen sind. Auch Kohle bleibt ein wichtiger Energieträger, vor allem in Asien trägt der fossile Brennstoff zur Energieversorgung bei. Die Nuklearenergie ist in den USA, in Teilen Europas und Asiens von Bedeutung. Moderne Nutzungsformen erneuerbarer Energien wie Sonne, Wind, Biomasse und Geothermie gewinnen vor allem in Europa an Wichtigkeit. Öl hält die Weltwirtschaft am Laufen Erdöl ist der wichtigste Rohstoff auf dem internationalen Energiemark. Aber wie lange reichen die Ölvorräte aus, wenn die Nachfrage stetig steigt? Die Destillationsanlage der Erdölraffinerie Leuna in Sachsen-Anhalt. Durch die über 700 Kilometer Rohrleitungen der gesamten Anlage fließen täglich rund 30.000 Kubikmeter Rohöl zur Verarbeitung. Foto: AP

Öl ist und bleibt auf absehbare Zeit die wichtigste Energiequelle weltweit. 2007 verbrauchte die Weltgemeinschaft rund 85 Millionen Barrel Öl pro Tag, ein Barrel entspricht 159 Litern. Der Rohstoff deckte damit 36 Prozent des gesamten globalen Primärenergiebedarfs ab. Wird die Ölförderung im heutigen Ausmaß beibehalten, reichen die zurzeit bekannten Reserven noch schätzungsweise 40 Jahre – bei unverändertem Konsum. Doch der Bedarf wird zunehmen: So prognostiziert die Internationale Energieagentur (IEA) für 2030 einen Verbrauch von täglich 116 Mio. Barrel Öl. Vor allem in den Schwellenländern soll der Ölkonsum wachsen. Das gilt für China und Indien, aber auch Brasilien und Mexiko. Wie groß der Öldurst tatsächlich sein wird, lässt sich nur schwer voraussagen. So ist auch unklar, wann der letzte Tropfen Öl fließen wird. Die so genannte Reichweite des Erdöls verschiebt sich immer wieder. In den 1970er Jahren hatte der Club of Rome das Ende des Ölzeitalters für Anfang des 21. Jahrhunderts vorausgesagt. Es kam anders: Einerseits wurden und werden neue Vorkommen erschlossen, andererseits helfen modernere Techniken dabei, Lagerstätten intensiver zu nutzen, also mehr Erdöl herauszupressen. Noch dazu macht der steigende Ölpreis bislang unrentable Ölfelder durchaus lukrativ. Auch so genanntes unkonventionelles Öl gewinnt an Wirtschaftlichkeit – Ressourcen wie Ölsande und Ölschiefer, die bislang nicht konkurrenzfähig waren. Doch modernere Fördertechniken setzen zunächst massive Investitionen voraus. Genaue Schätzungen über die tatsächliche Reichweite des Öls sind auch schwierig, da private Ölkonzerne Zahlen über die Vorkommen sehr vertraulich behandeln. Ebenso sind die 1

Prognosen der Golfstaaten mit Skepsis zu genießen. Laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) wurden bis Ende 2006 weltweit seit Beginn der industriellen Erdölförderung 147 Gigatonnen Erdöl gewonnen, die Hälfte davon innerhalb der letzten 22 Jahre. Das Maximum des Öl-Fördervolumens, der Peak-Oil, scheint realistischer zu werden. Die BGR, die als Fachbehörde die Bundesregierung in Rohstoff-Fragen berät, erwartet den Peak-Oil für 2015 bis 2020. Danach muss mit dem Rückgang der Förderung gerechnet werden. Der Ölboom begann in den USA Blick auf den Bohrer auf dem Ölförderschiff "Discoverer Deep Seas" im Golf von Mexiko. Verbesserte Technologien und der steigende Ölpreis machen das Bohren nach Öl im Tiefwasser wieder rentabel. Foto: AP

Erdöl wie auch Erdgas sind aus biologischen Rückständen unter hohem Druck, hoher Temperatur und Luftabschluss entstanden – über Jahrmillionen hinweg. Erdöl bildete sich vor 90 bis 150 Millionen Jahren: Große Mengen toten organischen Materials sammelten sich auf dem Boden riesiger Ozeane, der so genannte Faulschlamm entstand. Durch Sedimentablagerungen wurden die organischen Substanzen immer weiter in die Tiefe gedrückt. In einer Tiefe von 2.000 bis 4.000 Metern und einer Temperatur von 80 bis 120 Grad Celsius bildete sich schließlich infolge chemischer Prozesse Erdöl. Der Rohstoff wurde quasi aus dem Faulschlamm herausgekocht. Erdöl wird schon seit einigen Tausend Jahren genutzt. Auch weil es in manchen Regionen aus dem Boden sickerte, war es früh bekannt. Doch die industrielle Nutzung von Erdöl setzte Mitte des 19. Jahrhunderts im US-Bundesstaat Pennsylvania ein. Dort wurde die erste größere Erdölquelle erschlossen.[1] Es folgte ein wahrer Ölboom. Die Produktpalette ist riesig Bis heute hält Erdöl die industrielle Welt am Laufen; es ist das "Schmiermittel der Wirtschaft". Erdöl findet sich längst nicht mehr nur im Transportsektor oder dient der Wärmeerzeugung, verstärkt wird es in der Textil- und Pharmaindustrie oder als Grundstoff in der Chemieindustrie verwandt. Je nach Raffination, also Verarbeitung, bringt Rohöl eine umfangreiche Produktpalette hervor: Heizöl, Benzin, Diesel, Schmierstoffe. Rohöl lässt sich in verschiedene Sorten, auch in unterschiedliche Qualitäten unterteilen. Im Mittleren Osten findet sich vor allem das Schweröl mit einem hohen Schwefelgehalt. Das leichte Rohöl mit weniger Schwefel findet sich zum Beispiel in der Nordsee. Seine Förderung ist etwas teurer, doch dafür muss während der Raffination weniger Schwefel herausgetrennt werden, was die Kosten senkt. Fast 100 Prozent werden importiert In Deutschland wurden 2007 112 Mio. Tonnen Öl verbraucht, das waren täglich rund 2,4 Mio Barrel. Deutschland war auf Rang 6 der größten Ölverbraucher weltweit. Doch der deutsche Ölkonsum nimmt langsam ab: 1997 wurden noch 136 Mio. Tonnen Öl verbraucht, ein Rückgang von knapp 22 Prozent innerhalb der letzten 10 Jahre. Das ist ein Resultat milder Temperaturen, steigender Preise für Kraftstoff aber auch Heizöl und der Beimischung von 2

Biokraftstoffen. Doch Öl bleibt wichtig. 2007 trug der Rohstoff knapp 34 Prozent zum Primärenergieverbrauch bei und war damit der wichtigste Energieträger. Auch in Deutschland findet sich Erdöl: am meisten fördert die Öl-Bohrinsel Mittelplate in der Nordsee vor Büsum. Doch die heimische Förderung deckt nur knapp 3 Prozent des Bedarfs, der Rest wird importiert. Die wichtigsten Lieferländer waren 2007 Russland, Norwegen, Großbritannien und Libyen: Sie sorgten gemeinsam für 70 Prozent der Ölimporte. Der Mittlere Osten dominiert den Ölmarkt Auch andere Länder sind in hohem Maße abhängig von Erdölimporten. Die weltweiten Ölvorkommen konzentrieren sich auf nur wenige Länder. 5 Staaten besitzen knapp 60 Prozent der weltweit wirtschaftlich förderbaren Ölreserven: das sind Iran, Irak, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Staaten und vor allem Saudi-Arabien. Das Königreich hält allein über 20 Prozent der konventionellen Rohölreserven. Die fünf ölreichen Länder gehören der OPEC an, der Organistion der Erdöl exportierenden Länder. Die OPEC, mit ihren insgesamt 11 Mitgliedsstaaten, funktioniert als eine Art Förderkartell. Man verständigt sich auf Fördermengen sowie die Erdölpreise. Die OPECStaaten verfügen gemeinsam über mehr als 75 Prozent der heute wirtschaftlich förderbaren Erdölreserven. 2007 trug die OPEC mehr als 40 Prozent zur weltweiten Ölproduktion bei. 2007 wurden fast 55 Mio. Barrel Erdöl pro Tag weltweit gehandelt. Öl ist die wichtigste Ware auf dem internationalen Energiemarkt. Rund 25 Prozent importierten die USA, ebenso viel ging nach Europa. Auch Japan ist stark von Erdölimporten abhängig. Die Lieferanten sind vor allem die Länder des Mittleren Osten, sie trugen fast 36 Prozent zu den gehandelten Ölmengen bei. An zweiter Stelle folgte Russland mit rund 15 Prozent. Die steigenden Ölpreise haben erneut eine Diskussion über die Abhängigkeit vom Öl entfacht: Seit 2004 hat der Ölpreis stetig zugelegt, in den letzten Monaten erreichte er nochmals ungekannte Höhen. Die Erklärungen dafür gehen auseinander. Manche erkennen darin die Verknappung der Ölreserven plus steigender Nachfrage; andere werfen der OPEC vor, sie treibe die Preise gezielt in die Höhe, oder sie machen eine Spekulationsblase verantwortlich. Sicher ist nur, mit stark sinkenden Ölpreisen ist nicht zu rechnen.

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Gasmärkte sind regional Erdgas gewinnt an Bedeutung, die teuren Ölpreise machen den Energieträger interessant. Gas wird zur Wärme- und auch Stromerzeugung eingesetzt. Der Transport über lange Strecken verläuft per Pipeline oder auch als LNG, als Flüssiggas. Bau einer Erdgasfernleitung bei Gießen/Hessen Mit Stahlrohren wurde 2007 eine neue Erdgasfernleitung bei Gießen gebaut. Die GasPipeline verbindet Lauterbach in Mittelhessen mit Scheidt in Rheinland-Pfalz. In Deutschland versorgt ein weit verzweigtes, rund 360.000 Kilometer langes Pipeline-System die Gaskunden. Foto: AP

Sie bleibt umstritten: Die 1.200 Kilometer lange North-StreamGasleitung vom russischen Wyborg nach Greifswald in MecklenburgVorpommern. Ab 2011 sollen bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr per Unterwasserröhre durch die Ostsee strömen. Doch Anrainerstaaten wie Schweden und auch Estland haben Bedenken angemeldet, sie sorgen sich um Umwelt- wie auch Sicherheitsaspekte. Mit der North-Stream-Leitung sollen neue Transportkapazitäten geschaffen werden. Noch dazu würde die Pipeline den direkten Anschluss Westeuropas an die russischen Gasvorkommen garantieren. Zurzeit wird das russische Erdgas über Land über mehr als 5.000 Kilometer von Westsibirien nach Deutschland und Westeuropa transportiert. Da Erdgas leitungsgebunden ist, wird bislang der Großteil über Pipelines transportiert. Dies hat zur Folge, dass Gas sehr viel regionaler gehandelt wird als Erdöl. Zurzeit bestehen vier große Märkte: der europäische Gasmarkt, der vor allem durch Russland, Norwegen, die Niederlande und die Länder Nordafrikas versorgt wird. Der nordamerikanische Markt, wo in erster Linie Kanada die USA mit Erdgas beliefern. Auch in Südamerika entwickelt sich ein Gasmarkt – mit Bolivien als wichtigem Gasproduzenten, Brasilien und Chile als Abnehmern. Auf dem asiatischen Gasmarkt sind die großen Importeure Japan und Südkorea; zu den GasExporteuren zählen Indonesien, Malaysia, Australien sowie die Golfstaaten, vor allem Qatar und Oman. Flüssiggas als Transportoption Gastankschiff im Hafen von Ras Laffan/Katar Im Hafen von Ras Laffan im Norden Katars wird ein Spezial-Schiff mit Flüssiggas betankt. Das LNG, das Liquefied Natural Gas, wird von Katar vor allem nach Japan und Süd-Korea exportiert. Das Geschäft mit Flüssiggas soll in den nächsten Jahren stark wachsen. Foto: AP

Auf dem Gasmarkt Asiens wird der Rohstoff nur in geringen Mengen per Pipeline, sondern vor allem als Liquefied Natural Gas (LNG) per Schiff transportiert. Erdgas wird auf -162 Grad Celsius abgekühlt und damit verflüssigt. Das LNG 4

wird dann mit speziellen Hochseetankern befördert. Auch auf dem europäischen Gasmarkt wird Flüssiggas als Transportoption genutzt. Verflüssigtes Erdgas wurde erstmals 1964 von Algerien nach Großbritannien geliefert. 2006 lag der Anteil am weltweit grenzüberschreitend gehandelten Erdgas bei 24 Prozent; wichtigster LNG-Exporteur war Qatar. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe prognostiziert mittelfristig eine starke Zunahme beim Handel mit LNG und damit auch eine Entspannung auf dem Erdgasmarkt. Hierzu müssen die Importländer jedoch mehr Anlandeterminals bauen, in denen das LNG in seinen gasförmigen Zustand zurückversetzt und in Pipelines gepumpt wird. Ab 4.000 Metern Tiefe und 120 Grad Erdgas besteht zum Großteil aus dem brennbaren Kohlenwasserstoff Methan. Weitere Kohlenwasserstoffverbindungen wie Ethan, Propan und Butan finden sich ebenso darin, außerdem Kohlenstoffdioxid und Schwefelwasserstoff. Wie auch Erdöl entstand Erdgas aus organischem Material. Es bildete sich vor etwa 15 bis 600 Millionen Jahren – aus abgestorbener Biomasse unter Luftabschluss, erhöhten Temperaturen und hohem Druck. Oft findet sich Erdgas gemeinsam mit Erdöl, da beide auf ähnliche Weise entstanden sind. Vor Jahrmillionen bildete sich Faulschlamm: abgestorbene und auf den Grund der damaligen Ozeane abgesunkene Organismusreste – Pflanzen und Kleinstlebewesen – konnten wegen Sauerstoffmangel nicht verwesen. Darüber lagerten sich Ton- und Sandschichten ab, die das tote organische Material immer weiter in die Tiefe drückten. Druck und Temperatur nahmen zu. In einer Tiefe von 4.000 bis 6.000 Metern und einer Temperatur von 120 bis 180 Grad Celsius liefen komplexe chemische Prozesse ab, die schließlich zur Bildung von Erdgas führten. Nach der Erdgaswerdung wurden die Kohlenwasserstoffe durch den enormen Druck nach oben, Richtung Erdoberfläche, gepresst und zwar soweit, bis sie durch eine dichte Schicht aus Ton, Sand- oder Kalkstein gestoppt wurden und sich sammelten. So bildeten sich große Lagerstätten. Der Gebrauch von Erdgas lässt sich bis in das Altertum zurückverfolgen. Doch erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Erdgas systematisch genutzt. Zunächst wurde Erdgas oft nur als Begleitgas bei der Förderung von Erdöl gewonnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann der Rohstoff zunehmend an Bedeutung, es entwickelten sich erste regionale Gasmärkte, und Erdgas wurde zu einem eigenständigen energiewirtschaftlichen Sektor.[1] Gefördert wird auch in Deutschland Der Großteil des Erdgases wird heute an Land gewonnen. Ein geringerer Anteil wird offshore gefördert, also vor der Küste. Auch in Deutschland finden sich Erdgasfelder: 2007 wurden knapp 19 Milliarden Kubikmeter gefördert, das entsprach 166 Milliarden Kilowattstunden. Über 90 Prozent davon in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Der Verbrauch lag jedoch bei 960 Mrd. kWh. Die restlichen rund 85 Prozent wurden importiert, vor allem aus Russland (37 Prozent), Norwegen (26 Prozent) und den Niederlande (18 Prozent). In Deutschland versorgt ein weit verzweigtes, rund 360.000 Kilometer langes Pipeline-System die Gaskunden. Zunehmend wird Erdgas zur Wärmeerzeugung eingesetzt. Beim Neubau von Wohnungen in Deutschland liegt die Gasheizung vorn: 2007 hatte sie bei den zum Bau genehmigten Wohnungen einen Marktanteil von rund 66 Prozent. Ebenso wird Erdgas zur

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Stromerzeugung eingesetzt: Bruttostromerzeugung bei.

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Erdgas wird wichtiger Nach Öl und Kohle ist Erdgas der drittwichtigste Energieträger weltweit. 2007 wurden 24 Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs mit Erdgas gedeckt. Bei gleich bleibendem Verbrauch und Förderung werden die bestehenden bekannten Weltreserven in schätzungsweise 60 Jahren erschöpft sein. Doch man vermutet weitere Erdgasressourcen, die noch nicht erschlossen sind. Ähnlich wie beim Erdöl konzentrieren sich die Vorkommen beim Erdgas auf nur wenige Länder. Mehr als die Hälfte der Welt-Gasreserven finden sich in nur 3 Ländern: Russland, Iran und Qatar. Die größten Verbraucher sind die USA, Russland und Iran. Deutschland liegt beim Gasverbrauch weltweit auf Rang 7. Erdgas hat in den letzten Jahren an Bedeutung bei der Energieversorgung gewonnen. In Anbetracht steigender Ölpreise wird der Rohstoff zunehmend zur Alternative. Laut Internationaler Energieagentur wird Erdgas unter den fossilen Energieträgern in den kommenden Jahren am stärksten zulegen. Außerdem hat Erdgas aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung eine bessere Klimabilanz als Öl und Kohle: Bei der Verbrennung werden geringere Emissionen freigesetzt. Doch neben der Transportfrage beim Gas, die in Westeuropa wohl vorläufig per Pipeline geregelt wird, bleibt das Problem der Importabhängigkeit bestehen – zumindest für Deutschland.

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Heimischer Rohstoff Kohle 2007 trugen Stein- und Braunkohle 47 Prozent zur Stromerzeugung in Deutschland bei. Vor allem Braunkohle ist ein wichtiger heimischer Rohstoff. Weltweit ist Kohle der zweitwichtigste Energieträger. Doch Kohle trägt auch zu den CO2-Emissionen bei. Tagebau Schleenhain bei Leipzig Braunkohle-Tagebau in Schleenhain bei Leipzig: Mit einem Schaufelradbagger dieser Bauart können 100 Kubikmeter Kohle bzw. Abraum pro Minute gefördert werden. Foto: AP

Klingt einfach: Das in Kohlekraftwerken freigesetzte CO2 wird aufgefangen, verdichtet und in unterirdischen Lagerstätten gespeichert. Rund 80 Prozent der üblichen Kohlendioxidmenge sollen damit nicht mehr ins Klima gelangen. An der CCSTechnologie (Carbon Dioxide Capture and Storage) – also Abscheidung und Speicherung von CO2 – wird seit längerem gearbeitet. Anfang September nahm Vattenfall ein Demo-Kraftwerk mit CCS-Technologie in der Lausitz in Betrieb. In der weltweit ersten Pilotanlage für ein Braunkohlekraftwerk wird noch kein CO2-freier Strom, aber kohlendioxidarme Wärme erzeugt. Doch die CCS-Technologie ist noch in der Erprobung. Ob das in die Erde verpresste Kohlendioxid tatsächlich dort bleibt, ob es nicht langfristig mit Wasser und Gestein reagiert, ist noch nicht abschließend geklärt. Doch manche sehen in der CCS-Technologie die Chance auf eine Renaissance der Kohle. Kohle wird vor allem zur Stromerzeugung eingesetzt, und Kohlekraftwerke gelten bislang als Klimakiller. Die spezifischen CO2-Emissionen sind bei der Kohle höher als bei anderen fossilen Energieträgern. 2005 trug Braunkohle 11 Prozent zum Primärenergieverbrauch in Deutschland bei, aber 23 Prozent zum energiebedingten CO2-Ausstoß. Doch nicht allein der Aspekt der Klimaverträglichkeit spielt zunehmend eine Rolle, auch die Frage der Versorgungssicherheit, und da bietet Kohle einen großen Vorteil: Deutschland verfügt über eigene Reserven, Kohle ist der wichtigste einheimische Energieträger. Die Inkohlung dauerte Jahrmillionen Schwarzkaue im Schacht Voerde Ein Bergmann in der Schwarzkaue, der Umkleide, in der die Arbeitskleidung bleibt. Das SteinkohleBergwerk Walsum in Duisburg wurde im Juni 2008 stillgelegt. Die Förderung von Steinkohle in Deutschland ist teurer als im Ausland. Foto: AP

Die heutige Kohle entstand im Laufe von Millionen von Jahren aus abgestorbenem organischen Material. Durch die Überdeckung mit Wasser-, Erd- und Steinschichten lief der bio- und geochemische Prozess der Inkohlung ab: Unter Druck und Luftabschluss wurde die Kohlesubstanz zunehmend reicher an 7

Kohlenstoff und ärmer an Wasser und flüchtigen Bestandteilen. Die Steinkohle bildete sich vor 200 bis 400 Millionen Jahren und findet sich in tieferen Schichten, so dass der Abbau teils in über 1.500 Metern Tiefe stattfindet. Braunkohle hingegen ist die "jüngere" Kohleart, aber auch sie entstand vor 10 bis 20 Millionen Jahren, und findet sich in geringem Abstand zur Erdoberfläche. Sie hat jedoch einen geringeren Energiegehalt. Der Kohlebergbau nahm seinen Anfang bereits in der Antike. Doch über lange Zeit hinweg blieb Holz entscheidend, das ausreichend vorhanden war. Erst im 16. Jahrhundert begann die Kohle ihren Siegeszug. [1] Mit der wachsenden Bevölkerung und den Anfängen der Industrialisierung wurde Holz als Energieträger nach und nach durch Kohle ersetzt, die bestimmend für die industrielle Revolution war. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts verlor Kohle in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Erdöl war im Kommen, ebenso wurden Erdgas, später dann Kernenergie zur Konkurrenz. Seit den 1960er Jahren erlebte vor allem der Steinkohlebergbau einen tiefen Strukturwandel. Denn anders als Braunkohle kann Steinkohle in Deutschland nur unter Tage abgebaut werden, was mit erheblichen Förderkosten verbunden ist. In Australien oder auch China ist die Förderung von Steinkohle im Tagebau möglich. In Deutschland setzte die Subvention der Steinkohle ein, die bis heute politisch umstritten ist. Befürworter begründen die Finanzhilfe mit der notwendigen Versorgungssicherheit für den deutschen Energiemarkt. Trotzdem ist die Fördermenge kontinuierlich zurückgegangen; heute werden über 60 Prozent der verbrauchten Steinkohle importiert. Kohle wird vor allem verstromt In Deutschland sind zurzeit noch acht Steinkohlebergwerke in Betrieb. 2007 wurde Steinkohle im Umfang von etwa 22 Millionen Tonnen SKE (Steinkohleeinheit) gefördert, 68 Mio. Tonnen wurden verbraucht. Die restlichen rund 46 Mio. Tonnen SKE wurden importiert – vor allem aus Russland, Südafrika und Polen. 93 Prozent der Steinkohle gingen in die Erzeugung von Fernwärme und insbesondere von Strom: 2007 wurden 145 Milliarden Kilowattstunden erzeugt, knapp 23 Prozent der Stromerzeugung insgesamt. Noch stärker wurde die Braunkohle genutzt: Sie lieferte 156 Mrd. Kilowattstunden, ein Anteil von über 24 Prozent. Damit trug Kohle 47 Prozent zur Stromerzeugung insgesamt bei. Braunkohle war sogar der wichtigste Energieträger bei der Stromerzeugung und überholte die Atomenergie, was aber auch mit der zeitweisen Abschaltung von bis zu sechs Kernkraftwerken zusammenhing. Mit 18 Prozent ist Deutschland der weltweit größte Förderer von Braunkohle. 2007 wurden 180 Mio. Tonnen Braunkohle in Deutschland produziert, schwerpunktmäßig im Rheinland. Dort wurden mit 100 Mio. Tonnen 55 Prozent der deutschen Braunkohle gefördert. Weitere Reviere finden sich in der Lausitz, in Mitteldeutschland sowie in Helmstedt. Bei der Braunkohle waren keine Importe notwendig, die Förderung deckte den Verbrauch. Kohlereserven en masse Im Vergleich zu Erdöl oder Erdgas verfügt Kohle über die größten Reserven weltweit. 2007 waren es 847 Mrd. Tonnen. Wird die Kohleförderung im heutigen Ausmaß beibehalten, reichen die Reserven noch schätzungsweise 130 bis 140 Jahre. Doch die Kohleressourcen 8

liegen noch weit darüber, einige bekannte Lagerstätten sind bislang noch nicht rentabel zu fördern. Die USA sind mit einem Anteil von knapp 30 Prozent das kohlereichste Land. Russland kommt auf 18 und China auf über 13 Prozent. 2007 hatten Kohlen, vor allem die Steinkohle, einen Anteil von 27 Prozent am weltweiten Primärenergieverbrauch. Nur der Verbrauch von Erdöl lag darüber. Bei der Stromerzeugung ist Kohle der wichtigste Energierohstoff. Der internationale Handel mit Steinkohle wächst, Australien und Indonesien sind die wichtigsten Exporteure. Für Braunkohle gibt es keinen globalen Markt: Da der Energiegehalt geringer ist, rentieren sich keine langen Transportwege. Braunkohle wird deshalb vor Ort genutzt. Insbesondere in Asien ist Kohle eine bedeutende Energiequelle und trägt entscheidend zum Wirtschaftsboom bei. In China deckt Kohle 60 Prozent des Primärenergieverbrauch, in Indien über 30 Prozent. Die steigenden Ölpreise machen Kohle attraktiv. Noch dazu sind in den Entwicklungs- und Schwellenländern die Förderkosten gering – die Arbeitskräfte sind günstig und die Sicherheitsstandards niedrig. China ist mit einem Anteil von 46 Prozent zurzeit der weltweit größte Produzent von Kohle. Zugleich trägt Kohle zu den steigenden CO2-Emissionen bei. Renaissance eines Energieträgers? In Deutschland gerät Kohle immer wieder in die Kritik. Zuletzt gab es wiederholt Proteste von Anwohnern gegen Kohlekraftwerke. Im saarländischen Ensdorf sorgte 2007 ein Bürgerentscheid für das Ende eines geplanten Steinkohlekraftwerks. Die Befürworter sehen in Kohle die Möglichkeit einer günstigen Energieversorgung in Anbetracht steigender Öl- und Gaspreise. Dabei sei der Bau neuer Kohlekraftwerke mit moderner Technik wie auch die Förderung der CCS-Technologie die Chance, den CO2-Ausstoß zu mindern. Außerdem reduziere die Kohle die Abhängigkeit von ausländischem Öl und Gas. Kritiker hingegen sehen in der Kohle vor allem einen CO2-Emittenten. Förderung neuer Kraftwerke oder Technologien lehnen sie ab, da mit den erneuerbaren Energien schon jetzt ausreichend CO2frei Strom und Wärme zu erzeugen seien.

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Atomenergie – (K)ein Ausstieg 2000 wurde in Deutschland der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. In Zeiten steigender Ölpreise und der Debatte um den Klimaschutz gewinnt die Atomkraft wieder an Befürwortern. Welche Rolle ihr künftig zukommt, ist noch nicht entschieden. Atomkraftwerk Neckarwestheim/BadenWürtemberg: die beiden Druckwasserreaktoren gingen 1976 und 1989 in Betrieb. Block 1 soll 2009 im Rahmen des Atomausstiegs vom Netz gehen. Foto: AP

Im Jahr 2000 vereinbarten die Bundesregierung und die Energieversorgungsunternehmen die Befristung der Atomenergie. Mit der "Geordneten Beendigung der Nutzung der Kernenergie" wurde der langsame Ausstieg aus der Atomkraft besiegelt. Voraussichtlich 2021 soll das letzte Kernkraftwerk, Neckarwestheim 2, vom Netz gehen. Doch jüngst gewinnt die Kernenergie wieder an Befürwortern. Kernenergiestrom sei preisgünstig, versorgungssicher und klimafreundlich. Atomstrom kostet rund 2,7 Cent pro Kilowattstunde (kWh), Steinkohle liegt mit 3,3 Cent und Erdgas mit 4,9 Cent pro kWh darüber. 2007 stammten rund 22 Prozent der Bruttostromerzeugung aus Atomkraftwerken. Bei der Grundlastversorgung mit Strom sorgten die AKWs für knapp 48 Prozent. Die Grundlastversorgung bezeichnet die permanent benötigte Leistung für eine stabile Stromversorgung. Hier setzt auch die Kritik an den erneuerbaren Energien an: Wind- und auch Solarenergie könnten keine stabile Versorgung garantieren – vor allem solange es keine Speichermöglichkeiten für die gewonnenen Energien gebe. Die Debatte um die Atomkraft Kontrollraum im Atomkraftwerk Indian Point in Buchanan bei New York. Nach den TerrorAnschlägen am 11.September gelten verschärfte Sicherheitsvorkehrungen. Es besteht die Gefahr, Terroristen könnten den Meiler ins Visier nehmen. Foto: AP

Ein Argument gegen den Ausstieg aus der Atomkraft ist außerdem die Klimabilanz: Denn Nuklearenergie ist umweltfreundlicher als Kohle oder Gas. Doch hier setzt die Kritik jener an, die den Ausstieg befürworten. Bislang sei für die radioaktiven Abfälle keine sichere Endlagerung garantiert. Noch dazu seien die Kosten nur schwer zu schätzen. In Deutschland wurde zuletzt Schacht Konrad in Salzgitter als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle genehmigt. Ab 2013 soll dort der Betrieb aufgenommen werden.

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Ebenso läuft die Erkundung des Salzstockes in Gorleben, im dem hochradioaktive, Wärme entwickelnde Abfälle endgelagert werden sollen. Zurzeit steht auch zur Diskussion, ob noch weitere mögliche Endlager geprüft werden. Die Debatte um die Endlagerung wurde auch neu entfacht, nachdem im Atommüll-Versuchsendlager in Asse Missstände aufgetaucht sind. In dem früheren Salzbergwerk sind Salzlaugen mit einer Radioaktivität gemessen worden, die weit über den Grenzwerten liegt. Gegen die Atomenergie werden auch Sicherheitsbedenken angeführt. So zum Beispiel die Gefahr auf internationaler Ebene einer militärischen Nutzung des waffenfähigen Nuklearmaterials. Ebenso könnten AKWs dem internationalen Terrorismus als Angriffsziel dienen. Aber auch die Einhaltung der Sicherheitsstandards der Atomkraftanlagen selbst sind weltweit nicht in gleichem Maße gegeben. 1986 ereignete sich in der Ukraine ein folgenschwerer Störfall im Kernkraftwerk von Tschernobyl, nachdem der Kern im Reaktor geschmolzen war. Als Folge zog eine radioaktive Wolke über Mitteleuropa hinweg. Kernspaltung schuf eine neue Energiequelle Erstmals entdeckten die beiden deutschen Chemiker Otto Hahn und Franz Straßmann 1938 die Kernspaltung. Die Errungenschaft wurde zunächst für militärische Zwecke eingesetzt: 1945 bei den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Erst später entwickelte die Energiewirtschaft ein Interesse an der Kernspaltung als einer neuen Energiequelle. Die Kernkraft nutzt die Energie, die bei der Spaltung von Atomkernen freigesetzt wird. In einem Atomkraftwerk geht die Spaltung in einem Druckbehälter vor sich. Die entstehende Wärme heizt zumeist Wasser auf mehrere Hundert Grad Celsius auf und erzeugt dadurch Wasserdampf, der wiederum eine Dampfturbine antreibt. Diese erzeugt über einen Generator elektrischen Strom. So wird Kernenergie indirekt in elektrische Energie umgewandelt. Es gibt verschiedene Reaktortypen, die sich auch darin entscheiden, ob Wasser oder beispielsweise Helium verwandt wird. Unterscheiden lassen sich unter anderem Schwerwasser- und Hochtemperaturreaktoren, ebenso Leichtwasserreaktoren, die vor allem in Deutschland genutzt werden. Als Kernbrennstoff wird Uran eingesetzt. Uran wird in 18 Ländern gefördert. Wichtige Produzenten sind Kanada, Australien, Kasachstan, Russland und Namibia. Laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) finden sich weltweit Uranreserven von 1,95 Megatonnen. Damit sei die Versorgung der Kraftwerke für die nächsten Jahrzehnte gesichert. 2006 verbrauchten die Kernkraftwerke rund 66.500 Tonnen Natururan, rund 40.000 Tonnen stammten aus der Bergwerksproduktion. Abschalten, aber auch Ausbau In Deutschland wird kein Uran mehr gefördert. Doch die DDR war ein wichtiger Uranproduzent, unter anderem wurde in der Sächsischen Schweiz und im Erzgebirge Uran abgebaut. In Deutschland sind zurzeit 17 Kernkraftwerke an 12 Standorten mit einer Leistung von rund 140 Milliarden kWh am Netz. In Europa gibt es in insgesamt 15 der 27 EU-Mitgliedsstaaten Atomkraftwerke, darunter Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Litauen, Rumänien, Slowenien, Spanien und Ungarn. Knapp ein Drittel des Stroms innerhalb der EU ist Atomstrom. Doch laut Europäischer Kommission, Direktion Energie und Transport, wird der Anteil auf 20 Prozent in 2030 zurückgehen.

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Weltweit trägt Kernenergie zurzeit einen Anteil von rund 15 Prozent zur globalen Stromerzeugung bei. Laut BGR gab es 2006 weltweit 442 Kernkraftwerke in 28 Ländern. Weitere 28 AKWs befanden sich noch im Bau und 62 in Planung. Die wichtigsten Verbraucher von Atomenergie sind aktuell die USA, Frankreich und Japan. Laut Internationaler Energieagentur wurden im Jahr 2005 368 Gigawatt Atomstrom produziert. Die Kapazität wird sich bis 2030 zwar auf 416 Gigawatt erhöhen, doch der Anteil an der Stromerzeugung wird auf rund 10 Prozent zurückgehen. Denn in den kommenden Jahren wird der Stromverbrauch insgesamt zulegen, doch die Atomenergie wird voraussichtlich nicht im gleichen Maße zulegen. Doch zurzeit ist es kaum möglich, die künftige Bedeutung von Atomenergie vorauszusagen. In einzelnen Ländern wird die Kernenergie ausgebaut, hierzu zählen China, Indien, Russland und auch Brasilien, das gerade den Bau von über 50 neuen Atomkraftanlagen angekündigt hat, um Gasimportabhängigkeiten zu dämpfen. Zugleich werden altersbedingt Meiler vom Netz genommen oder Länder entscheiden sich bewusst für den Ausstieg aus der Atomenergie. Auch in Deutschland wird die Diskussion über Atomkraft noch weitergehen.

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Erneuerbare Energien – "Grüner Strom" auf dem Vormarsch Sie gelten als die Klimaretter, die regenerativen Energien. In Deutschland tragen Wind, Wasser, Sonne und Biomasse zunehmend zur Stromerzeugung bei. Doch weltweit spielen die erneuerbaren Energien noch keine zentrale Rolle. Obwohl sie gerade für Entwicklungsländer dezentrale Lösungen bei der Energieversorgung bieten. Windkraftanlage in Nordlinnau bei Flensburg Der Rotor einer Windkraftanlage in Nordlinnau bei Flensburg. Deutschland ist mit rund 24 Prozent weltweit Spitzenreiter bei der Nutzung der Windkraft. Foto: AP

Die Nutzung erneuerbarer Energien ist nichts Neues. Seit Jahrtausenden wird Holz verheizt, seit Jahrhunderten wird die Kraft des Wassers und des Windes genutzt. Doch aktuell erleben regenerative Energien neue Aufmerksamkeit, vor allem ihre modernen Nutzungsformen. Sie sollen helfen, die Abhängigkeit von Kohle, Gas und Öl zu verringern, und nicht zuletzt sollen sie das Klima schonen. Zu den erneuerbaren Energien zählen Wasserkraft, Wind- und Solarenergie, Geothermie und Energie aus Biomasse – einschließlich Bio-, Deponie- und Klärgas – sowie aus dem biologisch abbaubaren Anteil von Abfällen. Im Jahr 2007 trugen die erneuerbaren Energien 8,6 Prozent zum Endenergieverbrauch in Deutschland bei; 2000 waren es noch 3,8 Prozent. Bis 2020 will die Bundesregierung im Rahmen der Richtlinien der Europäischen Union (EU) einen Anteil von 18 Prozent erreichen. Längst ist der Sektor der erneuerbaren Energien ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: 2007 wurden in Deutschland mit erneuerbaren Energien rund 25 Milliarden Euro Gesamtumsatz erzielt. Entscheidend für den Ausbau der Öko-Energien ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Bereits 1991 wurde ein Stromeinspeisungsgesetz für regenerative Energien beschlossen, das durch das EEG im Jahr 2000 abgelöst wurde. Das Regelwerk gilt als wichtiger Baustein der Energie- und Klimapolitik der rot-grünen Koalition; zuletzt gab es im Juni 2008 eine Novelle. Zum einen werden die Energieversorgungsunternehmen mit dem EEG verpflichtet, regenerativ erzeugten Strom abzunehmen; zum anderen wird der Preis dafür festgelegt. Diese garantierte Vergütung unterscheidet sich je nach Energieträger: Für Strom aus Sonnenenergie gibt es mehr als aus Biomasse. Entscheidend ist auch, wie leistungsstark die Anlage ist. Anreize für "grünen Strom" In der Regel wird mit dem EEG eine Vergütung für eine Dauer von 20 Jahren garantiert. Diese Planungssicherheit schafft Anreize für Investitionen in die Erzeugung von Öko-Strom. Denn bislang ist "grüner Strom" – rein betriebswirtschaftlich – nicht konkurrenzfähig mit der konventionellen Stromerzeugung. Die Förderkosten werden auf die gesamte Stromkundschaft verteilt: Die so genannten Differenzkosten betrugen 2007 4,3 Milliarden Euro. Sie ergeben sich aus der Differenz der Vergütung des Öko-Stroms an die Anlagenbetreiber – 2007 waren dies 7,7 Milliarden Euro – und der Einsparung der Kosten der Energieversorger für die Beschaffung konventionellen Stroms in gleicher Menge. Verteilt auf die Stromkunden, bedeutete dies 1 Cent mehr pro 13

Kilowattstunde. Auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten werden erneuerbare Energien gefördert. Teils wie in Deutschland über Einspeiseregelungen, teils über Quoten oder auch steuerliche Vorteile. In 2006 erzielten die erneuerbaren Energien innerhalb der EU einen Anteil von 8 Prozent am Endenergieverbrauch. Ausbau der Windkraft In Deutschland haben die erneuerbaren Energien zuletzt vor allem im Strommarkt, aber auch im Wärme- und Verkehrssektor an Bedeutung gewonnen. 2007 trugen sie 14,2 Prozent zum Bruttostromverbrauch bei, über 6 Prozent zum Endenergieverbrauch für Wärme und 7,6 Prozent zum Kraftstoffverbrauch. Bei der Stromerzeugung ist die Windkraft entscheidend: Sie trug 2007 6,4 Prozent zur Bruttostromerzeugung insgesamt bei. Seit 2000 hat sich die Anzahl der Windkraftanlagen in Deutschland verdoppelt: Waren es damals noch rund 9.300, finden sich heute über 19.000. Mit einem Anteil von 24 Prozent ist Deutschland weltweit Spitzenreiter bei der Windkraftnutzung. Die USA liegen mit 18 Prozent auf Platz 2, dann folgt Spanien mit rund 16 Prozent. Die EU war auch 2007 der größte Windenergiemarkt: 61 Prozent der Windenergie weltweit wurden in der EU genutzt. Global trägt Windkraft einen nur geringen Anteil zur Energieversorgung bei. Energie aus Wasser und Sonne Anders sieht das bei der Wasserkraft aus, die derzeit einen Anteil von rund 16 Prozent an der Stromproduktion weltweit hat. Sie trug 2005 gut 2 Prozent zum globalen Primärenergieverbrauch bei. In Norwegen und Brasilien trägt die Wasserkraft entscheidend zur Stromproduktion bei. Auch in China und Indien wird Wasserkraftstrom genutzt. Doch der Bau großer Staudämme hat für die Umwelt und die Menschen vor Ort meist gravierende Folgen, so dass die Nachhaltigkeit der Nutzung von Wasserkraft teils umstritten ist. In Deutschland spielt Wasserkraft keine entscheidende Rolle. 2007 wurde mit rund 20 Terawattstunden (TWh) zwar mehr Wasserkraftstrom produziert als im Vorjahr, doch Zuwachsraten wie bei der Windenergie oder Biomasse sind nicht zu verzeichnen. Der Anteil an der Bruttostromerzeugung lag bei rund 4 Prozent. Auch aus Sonnenenergie wird Strom gewonnen und zwar durch Photovoltaik-Anlagen. Auch werden Sonnenkollektoren eingesetzt, die für Warmwasser und Raumwärme sorgen. 2007 trug Sonnenenergie rund 0,6 Prozent zum Bruttostromverbrauch in Deutschland bei; mit einem Zuwachs von 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei der Wärmebereitstellung aus erneuerbaren Energien trug Solarthermie rund 4 Prozent bei. Weltweit ist Sonnenenergie bislang nicht entscheidend, doch die Jahresproduktionen nehmen stetig zu. Bei der Photovoltaik liegen Deutschland, Japan und die USA vorne, bei der Solarthermie China und Japan. Biomasse und Geothermie sind zuverlässig Anders als Wind-, Sonnen- oder Wasserenergie, die von den Witterungsbedingungen abhängig sind, steht Geothermie rund um die Uhr zur Verfügung. Dabei wird die im Erdinnern gespeicherte Wärme genutzt, um Wärme aber auch Strom zu erzeugen. 2007 nahm in Landau das zweite deutsche Geothermie-Kraftwerk seinen Betrieb auf. Ebenso wird

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Geothermie in Privathaushalten eingesetzt. Weltweit sind die USA und die Philippinen Vorreiter. Auch Energie aus Biomasse kann unabhängig von der Wetterlage genutzt werden, doch braucht es dafür Holz, Energiepflanzen wie Raps und Mais, ebenso Gülle oder Klärschlamm. Biomasse trägt vor allem zur Wärmeerzeugung bei: 2007 mit rund 84 TWh, das waren 93 Prozent der Wärmebereitstellung aus erneuerbaren Energien insgesamt. Aber auch bei der Stromerzeugung legte die Biomasse – feste und flüssige sowie Biogas – zu und erreichte einen Anteil von 3,8 Prozent bei der Bruttostromversorgung. Weltweit trägt feste Biomasse knapp 10 Prozent zum Primärenergieverbrauch bei. Vor allem in Afrika und Asien wird Biomasse genutzt und zwar traditionell. Mit Holz wird gekocht und geheizt, doch oft mit offenem Feuer, das für die Menschen gesundheitsschädlich ist. Ebenso werden die Wälder teils stark gerodet. Energiepflanzen werden auch als Biokraftstoffe genutzt. 2007 wurden 7,6 Prozent des Kraftstoffbedarfs in Deutschland damit gedeckt: Zu knapp 74 Prozent wurde Biodiesel verbraucht. Der Rest waren Pflanzenöl und Bioethanol. Letzteres wird vor allem in den USA und Brasilien produziert und genutzt. In Deutschland ist umstritten, wie rasch und zu welchem Ausmaß ein Umstieg auf erneuerbare Energien möglich ist. Befürworter sehen einen schnellen Umstieg in den nächsten 20 bis 30 Jahren für möglich und auch nötig. Kritiker halten das für unrealistisch, sie erwarten einen Energieversorgungsengpass. Doch immerhin konnten die erneuerbaren Energien in Deutschland schon 2007 rund 115 Millionen Tonnen an CO2-Ausstoß vermeiden.

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Grundlagen der deutschen und der EU-Energiepolitik Lange galt die Energieversorgung als ein weitgehend politikfreier Raum. Das änderte sich mit dem Ölpreisschock von 1973/1974: Erstmals wurde den Industrienationen die Abhängigkeit ihrer Ökonomien von Rohstoffimporten deutlich. Ab den 1970er Jahren organisierte sich die Anti-Atomkraftbewegung. Später rückten erneuerbare Energieträger, eine effizientere Nutzung fossiler Energien und auch das Energiesparen ins öffentliche Bewusstsein. In den letzten Jahren wurde verstärkt auch über die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte diskutiert – in Deutschland wie auch innerhalb der Europäischen Union. Nach wie vor gibt es keinen EU-Binnenmarkt für Elektrizität oder Gas: Die EU-Staaten verfolgen jeweils ihre eigene nationale Energiepolitik. Doch in Anbetracht zunehmender Importabhängigkeiten und der steigenden Bedeutung der Energieversorgungssicherheit, zeichnet sich auf EU-Ebene die Perspektive einer gemeinsamen Energieaußenpolitik ab.

Einführung: Die Energiepolitik Die fossilen Energien sprengten die Wachstumsgrenzen Zur Person PD Dr. Danyel Reiche, FU-Berlin Forschungsstelle für Umweltpolitik. Seine Schwerpunkte sind Energiepolitik sowie erneuerbare Energien. Reiche war von 2006 bis 2007 Gastprofessor für Energie und Internationale Beziehungen an der School of Foreign Services der Georgetown University in Washington. Er ist Herausgeber des Buches "Grundlagen der Energiepolitik" (2005).

Der Siegeszug fossiler und später auch atomarer Energie führte zu einem veränderten energetischen Grundverständnis: An die Stelle der früher wahrgenommenen Beschränkungen durch regenerative Energien trat nun die Grenzenlosigkeit. Rapsfeld bei Schkopau, Sachsen-Anhalt Biokraftstoffe aus Raps und Windkraft tragen verstärkt zur Energieversorung in Deutschland bei. Seit 2000 regelt das Erneuerbare-Energien-Gesetz die Einspeisung von ÖkoStrom: Ein energiepolitisches Instrument, das hierachisch wirkt. Foto: AP

Weite Teile der Menschheitsgeschichte sind von der Nutzung regenerativer Energien geprägt gewesen. Die Standortgebundenheit von Wasserund Windrädern und der mit ihrer Nutzung einhergehende Zwang zur Dezentralität, der die industrielle Dynamik bremste, waren eine Voraussetzung für die energetische Epochenscheide im 19. Jahrhundert. Als ein zweites Hemmnis des regenerativen Zeitalters wurden seine Wachstumsgrenzen empfunden. Die Menschheitsgeschichte war bis dahin durch einen Zwang zur Sparsamkeit charakterisiert. Insbesondere die fortwährende Angst vor Holzverknappung war für das regenerative Zeitalter prägend. Die Abhängigkeit von erneuerbaren Energien setzte Bevölkerung und Wirtschaft eine natürliche Schranke. Fossile Energien sprengten die Wachstumsgrenzen des regenerativen Zeitalters und ermöglichten eine rasche Expansion von Produktion, Verbrauch und eine Zunahme der Anzahl der Menschen. Der Siegeszug fossiler (und später auch atomarer) Energie führte zu einem veränderten energetischen Grundverständnis: An die Stelle der früher 16

wahrgenommenen Beschränkungen trat die Grenzenlosigkeit. Energie schien im Überfluss vorhanden und die Ära eines verschwenderischen Umgangs mit Ressourcen wurde eingeläutet. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandelte sich das menschliche Bewusstsein im Umgang mit Energie [1]. Entstehung der Energiepolitik Die Energieversorgung galt lange als ein weitgehend politikfreier Raum. Energie-"Politik" wurde so verstanden, dass die Perspektive der Produzenten zu übernehmen ist, die eine sichere und preisgünstige Versorgung gewährleisten [2]. Die Entwicklung der Energiepolitik beschreibt Mez treffend "als eine wechselnde Festlegung auf die jeweils vermeintlich billigsten Energieträger"[3]. Nachdem im Zuge der Industrialisierung erneuerbare Energien durch Kohle verdrängt worden waren, wurde diese später sukzessive durch Öl ersetzt, ehe Atom und Gas in den Mittelpunkt des Interesses rückten. Autofreier

Sonntag 1973 Kaum zu glauben: 1973 wurden infolge der Ölkrise mehrere autofreie Sonntage erlassen. Wann tatsächlich die Grenzen der Ölreserven erreicht sind, ist umstritten. Foto: AP

In der jüngeren Vergangenheit rückten erneuerbare Energieträger, eine effizientere Nutzung fossiler Energien und Energiesparen in den öffentlichen Fokus. Hierfür entscheidend war der Ölpreisschock von 1973/1974. Er führte den Industrienationen erstmals die Abhängigkeit ihres Energiesystems von externen Faktoren vor Augen. In den 1970er Jahren kam auch eine breite globale Debatte über die Erschöpfbarkeit der Antriebsstoffe der Moderne in Gang. Weltweites Aufsehen erregte 1972 das Buch "Die Grenzen des Wachstums". Es fasst eine Studie zusammen, die auf Initiative des "Club of Rome" von Wissenschaftlern am Massachusetts Institute of Technology (MIT) erstellt und von der Volkswagen-Stiftung finanziert worden war [4]. Wenn die Ausbeutung der Rohstoffe unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht sein, lautete die zentrale Botschaft des Reports. Das Thema erneuerbare Energien war fortan auf der politischen Agenda. Klima als neues Politikfeld Doch noch nie zuvor hatten sich so viele Menschen mit der Nutzung von Energie beschäftigt wie im Zuge der Auseinandersetzung um die Kernenergie. Das Wogegen rückte sukzessive auch die Frage nach dem Wofür in den Blickpunkt. Neben dem effizienteren Einsatz fossiler Ressourcen wurde der verstärkte Einsatz regenerativer Energien als Alternative zur Atomkraft propagiert. Die Kritik an diesem Energieträger diffundierte von Ende der 1960er Jahre an aus den USA in alle Industrienationen. Der Protest- folgte die Gestaltungsphase: War es den AntiAtom-Bewegungen zunächst vorrangig darum gegangen, die Gefahren der Kernenergie in den öffentlichen Diskurs einzuspeisen, sollte es mit der Zeit auch darum gehen, Alternativen zu skizzieren. Bei Demonstrationen tauchte, etwa auf Buttons und Luftballons, die Sonne als Symbol für erneuerbare Energien auf. Ende der 1970er Jahre bildete sich national wie international das Politikfeld Klima heraus und schuf die Grundlage für die Etablierung und Weiterentwicklung der Diskussion um umweltverträgliche Alternativen in der Energiepolitik. Voraussetzung war die Wahrnehmung 17

des Phänomens des Treibhauseffekts. Mit der Vergabe des Friedensnobelpreises 2007 an Al Gore für seinen Film "Eine unbequeme Wahrheit" über den Klimawandel und die Wissenschaftler des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist das Thema endgültig auch in der breiten Öffentlichkeit etabliert. Auch die Sicherheitspolitik wird zunehmend zu einem "Driver" für die energiepolitische Diskussion. So beträgt die Energieimportabhängigkeit der USA 30, die Deutschlands sogar 60 Prozent. Das bedeutet, dass die außenpolitische Sicherung von Energielieferungen an Bedeutung gewinnt. Neben der Umwelt- und Sicherheitspolitik ist die Wirtschaftspolitik ein weiteres zentrales Element der Energiepolitik. Die Energiewirtschaft ist einerseits ein wichtiger ökonomischer Faktor, andererseits geht es auch um die Wirtschaftlichkeit von Energien. Zunehmend werden auch die ökonomischen Chancen eines ökologischen Transformationsprozesses der Energiewirtschaft thematisiert. So sind in Deutschland schon über 200.000 Arbeitsplätze im Bereich erneuerbarer Energien entstanden. Rolle des Staates – kooperativ oder hierarchisch Mit den neuen Prioritäten erneuerbare Energien, Energiesparen und Energieeffizienz wandelte sich auch die Rolle des Staates, der nicht weiter allein die Perspektive der Produzenten fossiler Energien einnahm, sondern teilweise auch gegen deren Interessen agierte und Fördergesetze für erneuerbare Energien und Anreize zum Energiesparen setzte sowie die Nutzung bestimmter nicht-regenerativer Energieträger (Atom, Steinkohle) beschränkte. Die Initiativen des bundesdeutschen Staates stellten dabei eine Kombination aus hierarchischen Interventionen und kooperativen Aushandlungsprozessen dar, wie die Gesetze zur Förderung erneuerbarer Energien (hierarchisch) und zum Atomausstieg (kooperativ) zeigen. Nach dem Regierungswechsel 1998 und der Bildung einer Koalition aus SPD und den aus der Anti-Atom-Bewegung hervorgegangenen Grünen ist mit der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 eine Verständigung über ein sukzessives Auslaufen der Atomkraftnutzung in Deutschland erzielt worden. Die Eckpfeiler dieser Vereinbarung sind eine Befristung der Regellaufzeit auf 32 Kalenderjahre, auf dieser Grundlage die anlagenbezogene Festlegung von noch maximal zu produzierenden Strommengen ab dem 01.01.2000 (Reststrommenge) und ein Flexibilisierungsmodell, nach dem Strommengen von älteren auf jüngere Anlagen übertragen werden können (umgekehrt bedarf es der Zustimmung der Bundesregierung). Das Auslaufen bestehender Atomkraftwerke ist somit geregelt. Ebenso wird es keinen Neubau von Atomkraftwerken geben. Die Bundesregierung hätte die Laufzeit der Atomreaktoren auch ohne eine Verständigung mit den Betreibern befristen können. Vorteil der konsensualen Entscheidungsfindung (die gleichwohl "im Schatten der Hierarchie" stattfand, denn das Damoklesschwert einer gesetzlichen Festlegung schwebte stets im Raum) ist das Umgehen einer langwierigen juristischen Auseinandersetzung, die das energiepolitische Patt bis zu einer endgültigen Entscheidung konserviert hätte und deren Ausgang ungewiss gewesen wäre. Es fallen auch keine milliardenschweren Entschädigungszahlungen an, mit der etwa die schwedische Regierung ihren Ausstiegswunsch erkauft hat. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus dem Jahr 2000 beruht auf den Grundsätzen des 1991 in Kraft getretenen Gesetzes über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz, dem Stromeinspeisungsgesetz. Danach besteht für die Energieversorgungsunternehmen eine Abnahmepflicht für regenerativ erzeugten Strom. 18

Außerdem regelt das Gesetz die Höhe der Vergütung. Dieser Strom wird ausschließlich aus Wasserkraft, Windkraft, solarer Strahlungsenergie, Geothermie, Deponiegas, Klärgas, Grubengas und aus Biomasse gewonnen. Die nach Energieträger differenzierten Vergütungssätze werden für eine Dauer von in der Regel 20 Jahren garantiert. Diese Planungssicherheit legte die Grundlage für einen beispielhaften Boom vor allem bei Windund Solarenergie, wo Deutschland weltweit führend ist. Das EEG ist von vielen anderen Ländern kopiert worden, teilweise sogar mehr oder weniger wortgleich. Energiepolitik im Mehrebenensystem der EU Innerhalb der Europäischen Union (EU) ist ein Steuerungsmuster entstanden, das nationales Pionierverhalten begünstigt. In diesem Zusammenhang wird auch von der Methode der offenen Koordination gesprochen. Dies meint die Abkehr von klassischen Formen gemeinschaftlicher Politikgestaltung auf der Basis rechtlich verbindlicher Richtlinien oder Verordnungen. Stattdessen hat sich ein Mechanismus durchgesetzt, der die Vereinbarung rechtlich nicht verbindlicher Zielvorgaben vorsieht, ebenso die jährliche Berichterstattung und Evaluation sowie die Analyse und Förderung des EU-weiten Transfers von Politik die sich in einzelnen Mitgliedsstaaten als erfolgreich erwiesen hat. Beispiele für eine solche offene Koordination sind die beiden Richtlinien der EU zu Biokraftstoffen und zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, die indikative Ziele vorsehen. So ist die Erhöhung des Anteils von Biokraftstoffen auf 5,75 Prozent bis 2010 vorgesehen, aber nicht verbindlich festgelegt. Allein die Ankündigung solcher Harmonisierungsbestrebungen seitens der EU-Kommission kann zu regulativen Wettbewerb führen. Nach der von Héritier geprägten These vom regulativen Wettbewerb findet ein Wettstreit zwischen den Mitgliedsländern der EU um Konzepte und Instrumente statt, weil als Belohnung die Vergemeinschaftlichung des eigenen Steuerungsansatzes winkt und damit Anpassungskosten vermieden werden [5]. Ein Beispiel ist die EU-Richtlinie zur Kennzeichnung des Energieverbrauchs von Haushaltsgeräten, das sich exakt am dänischen Modell orientiert. Neben dem regulativen Wettbewerb ist es auch die Effizienzlogik vieler Länder – auch best practice genannt – die nationales Vorreiterverhalten begünstigt. Denn viele Staaten orientieren sich an Pionierländern.

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Energie in Deutschland Wie abhängig ist Deutschland von Energieimporten? Nur gut ein Viertel der in Deutschland verbrauchten Energien sind heimisch – das sind vor allem Kohle und erneuerbare Energien. Der Rest kommt aus dem Ausland. Woher kommen unser Gas und Öl? Und wer verbraucht was auf dem deutschen Energiemarkt? Zur Person Andreas Mihm, Jahrgang 1960, hat an der Universität zu Köln Volkswirtschaft und politische Wissenschaften studiert und danach für unterschiedliche Medien gearbeitet. Seit 2001 Parlamentskorrespondent der Frankfurter Allgemeine Zeitung in Berlin mit den Schwerpunkten Wirtschafts- und Gesundheitspolitik. Verheiratet, zwei Kinder. (Foto: A. Schoelzel)

Ölhafen Wilhelmshaven Der Ölhafen Wilhelmshaven: Hier wird fast ein Fünftel der Rohölversorgung Deutschlands angelandet und über die Nord-West-Leitung verteilt. 2,3 Millionen Barrel Öl pro Tag verbrauchten die Deutschen in 2007. Foto: AP

Deutschland ist ein reiches Land. Sein Reichtum speist sich aus vielen Quellen, Bodenschätze gehören dazu. Doch die Zeiten, in denen Deutschland sich vor allem auf heimische Energiequellen stützen konnte, sind lange vorbei. Noch dazu wächst die internationale Konkurrenz um Energierohstoffe. Die Menschen in Schwellenländern wie China und Indien erarbeiten sich mehr Wohlstand – die Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle steigt. Das schlägt sich auch hierzulande in spürbar höheren Energiekosten nieder. Sorgen vor einer politischen Erpressbarkeit durch Energielieferländer kommen hinzu, und nicht zuletzt spielen der Umweltschutz und der Kampf gegen die Folgen des Klimawandels eine immer wichtiger werdende Rolle. Doch wie viel Energie (ver-)braucht Deutschland, wo liegen die Bezugsquellen, wie haben sich Verbrauch und Abhängigkeiten im Laufe der Zeit verändert? Und wie werden sie sich vermutlich in Zukunft ändern? Eine Gegenüberstellung von Gewinnung und Verbrauch macht klar, dass nur gut ein Viertel der hierzulande verbrauchten Energie auch hier gewonnen wird. 2007 haben Wirtschaft und Haushalte in Deutschland nach einer Übersicht der Arbeitsgemeinschaft für Energiebilanzen 473,6 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten (SKE) verbraucht. Dem stand aber nur eine heimische Primärenergiegewinnung in Höhe von 135 Mio. Tonnen SKE gegenüber. Die Differenz deckt das Ausland. Gewinnung und Nachfrage in Deutschland

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Kraftwerke und Verbundnetze in Deutschland. Quelle: Umweltbundesamt

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Dabei fiel die inländische Energiegewinnung in 2007 sogar 3,3 Prozent höher aus als im Vorjahr. Während die Förderung von Mineralöl (-3,8 Prozent) und Erdgas (-8,8 Prozent) angesichts weitgehend leer gepumpter Felder weiter zurückging, legte die Produktion von Stein- und Braunkohle mit 2,3 bzw. 2,4 Prozent deutlich zu. Den größten Zuwachs trugen indes die erneuerbaren Energien mit einem Plus von mehr als 4 Mio. Tonnen SKE bei. Unter dem Strich hat sich damit der Anteil der Inlandsenergie von 26,3 Prozent im Jahr 2006 auf 28,5 Prozent in 2007 erhöht. Wichtigster inländischer Energieträger war die Braunkohle (41 Prozent) vor erneuerbaren Energien (23 Prozent), Steinkohle (16 Prozent) und Erdgas (14 Prozent). In manchen Berechnungen wird auch die Kernenergie als "heimische" Energiequelle geführt. Da auf sie 11 Prozent der Primärenergie entfällt, steigt die inländische Energiegewinnung in dieser Rechnung auf knapp 40 Prozent. Zwar wird in Deutschland Uran nicht mehr gefördert, doch wird für den Betrieb der Reaktoren vergleichsweise wenig Uran benötigt. Die Mengen können für Jahre gebunkert werden. Sie sind dann vor Preissprüngen und politischen Versorgungskrisen gefeit. Die deutsche Energienachfrage wird durch ein breites Angebot unterschiedlicher Quellen gedeckt. 2007 sah der Mix wie folgt aus: Öl (33,8 Prozent), Gas (22,7 Prozent), Steinkohle (14,1 Prozent), Braunkohle (11,7 Prozent), Kernenergie (11,1 Prozent) sowie regenerative Energien (6,6 Prozent). Dieser Mix der Energieträger hat sich in den vergangenen Jahren grundsätzlich wenig verändert. Mineralöl bleibt begehrt Mit fast 34 Prozent machen Mineralöle immer noch den mit Abstand größten Brocken vom Primärenergieverbrauch aus. Zwar ist ihr Verbrauch zuletzt wegen steigender Preise, der milden Witterung, sparsamerer Motoren und zunehmender Beimischung von Biokraftstoffen massiv gesunken. Dennoch wurden 2007 noch 108,1 (im Vorjahr: 118,7) Mio. Tonnen Mineralölprodukte verbraucht. 1990 waren es 123 Mio. Tonnen, 1995 sogar 134,7 Mio. Tonnen. Wegen der geringen inländischen Produktion mussten im vergangenen Jahr 107 Mio. Tonnen Mineralöle eingeführt werden. Wichtigste Lieferländer waren Russland (31,8 Prozent), Norwegen (15,8 Prozent), Großbritannien (12,8 Prozent) und Libyen (10,2 Prozent). Auch 2007 waren die Autofahrer der größte inländische Verbraucher. Laut Mineralölwirtschaftsverband (MWV) flossen 50 Mio. Tonnen des Mineralölverbrauchs (46 Prozent) via Benzin (21,3 Mio. Tonnen) und Diesel (29,1 Mio. Tonnen) in den gewerblichen und privaten Kraftfahrzeugverkehr. Gerade 15 Prozent des Rohöls wurden zu leichtem Heizöl verarbeitet, was die schwindende Bedeutung von Öl als Heizenergie in privaten Haushalten unterstreicht. Die verbleibenden rund 35 Prozent gingen vor allem in die Industrie, als Schweres Heizöl, Rohbenzin, Chemieprodukte, oder wurden als Eigenverbrauch im Raffinerieprozess benötigt. Allgemein geht man von einer sinkenden Nachfrage in den nächsten Jahren aus: Sparsamere Motoren, widerstandsärmere Reifen und steigende Preise sind die Gründe. Doch solche Voraussagen sind äußerst unsicher. Bestes Beispiel ist eine Mitte 2006 abgegebene Prognose des Mineralölwirtschaftsverbands: Darin wurde der Ölabsatz in Deutschland für das Jahr 2015 auf 108 Mio. Tonnen veranschlagt. Das Niveau war aber bereits 2007 fast erreicht! Bis 2025 sollte der Mineralölabsatz laut Prognose auf weniger als 100 Mio. Tonnen sinken.

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Der Gasverbrauch nimmt zu – die Lieferabhängigkeiten auch Mehr als ein Fünftel der deutschen Primärenergieversorgung, 2007 waren es genau 22,5 Prozent, wird durch Erdgas gedeckt. Fast jeder zweite Haushalt heizt mit Erdgas. Im Jahr 2007 wurde fast fünfmal soviel verbraucht wie noch 1970. Zwar sank der Verbrauch zuletzt um 5 Prozent auf 106 Mio. Steinkohleeinheiten. Grund war aber vor allem die milde Witterung. Erdgas gilt als vergleichsweise sauber, weil es bei der Verbrennung nur wenig Kohlendioxid freisetzt. Deshalb soll es künftig vermehrt auch zur Stromerzeugung eingesetzt werden – was die Nachfrage weiter steigern dürfte. Doch der Haken ist, dass auch die Förderung von Erdgas in Deutschland nachlässt, 2007 um 9 Prozent. Damit werden zurzeit noch rund 15 Prozent des Verbrauchs aus inländischen Quellen gespeist, 85 Prozent stammen aus dem Ausland und zwar aus wenigen Quellen. Wie beim Öl ist Russland auch beim Gas der mit Abstand wichtigste (und wichtiger werdende) Lieferant mit 37 Prozent, gefolgt von Norwegen (26 Prozent) und den Niederlanden (18 Prozent). Da die Produktion in Holland zurückgeht, die Gasnachfrage in ganz Europa aber steigt, wird der Einfluss Russlands als Lieferant kontinuierlich wachsen. Der größte Gasverbraucher in Deutschland ist die Industrie. Nach Ermittlungen des Bundesverbands der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) nahm sie im Jahre 2006 rund 41 Prozent (1996: 39) des Angebots ab. Zweitgrößte Verbrauchergruppe waren die privaten Haushalte mit 30 Prozent (1996: 35). Unverändert 18 Prozent wurden an Gewerbe, Handel und Unternehmen der Dienstleistungsbranche gepumpt. Von 8 auf 11 Prozent stieg der Einsatz von Gas zur Stromgewinnung in Gaskraftwerken. Hier dürfte auch in den kommenden Jahren die Zuwachsrate am größten sein. Dagegen werden verbesserte Prozessabläufe in der Industrie und Dämmungen von Wohnungen und Häusern die Nachfrage von Gas als Wärmelieferant eher dämpfen.

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Bruttostromerzeugung in Deutschland 2006 nach Primärenergieträgern. Quelle: Umweltbundesamt

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Kohle dient vor allem der Stromerzeugung Steinkohle kommt in der Verbrauchsstatistik der Primärenergien an dritter Stelle. Der Verbrauch hat 2007 gegen den Trend der letzten Jahre zugenommen, um 3,5 Prozent auf knapp 68 Mio. Tonnen Steinkohleeinheiten. Grund dafür war die größere Nachfrage in der Elektrizitätswirtschaft und Stahlindustrie. Die heimische Förderung in den acht noch in Betrieb befindlichen Steinkohlebergwerken stieg gegen den Trend der letzten Jahre leicht um eine halbe auf 22 Mio. Tonnen SKE. Mitte des nächsten Jahrzehnts soll der steuerbezuschusste Abbau von deutscher Steinkohle beendet sein. Deshalb wird die Nachfrage, die Anfang der 1990er Jahre noch zu mehr als 80 Prozent aus heimischer Förderung befriedigt wurde, wohl verstärkt aus dem Ausland gedeckt werden. Die aktuelle Liste der wichtigsten Herkunftsländer führt erneut Russland (19 Prozent) vor Südafrika (17 Prozent), Polen (16 Prozent), Australien und Kolumbien (je 13 Prozent) an. Als Heizenergie in privaten Haushalten ist die Kohle fast ganz aus der Mode gekommen. Sie wird vor allem zur Stromerzeugung und in der Stahl- und Hüttenindustrie eingesetzt. Experten erwarten künftig eine sinkende Nachfrage. Wie stark die ausfällt, das hängt vor allem davon ab, wie viele neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Maßgebend dafür sind neben den Herstellungskosten vor allem drei Faktoren: die Kosten für CO²-Emissionsrechte, die technischen Neuerungen zur Abspaltung und sicheren Lagerung von Kohlendioxid und die Bereitschaft der Politiker und Bürger, an den Standorten Neubauprojekte zu tolerieren. Neurath bei Grevenbroich: Hier baut RWE ein neues Braunkohlekraftwerk. Trotz der hohen Kohlendioxidemissionen ist der Bau weiterer Braunkohlekraftwerke geplant. Braunkohle ist der wichtigste heimische Energieträger. Foto: AP

Braunkohle wird in großen Mengen in Revieren des Rheinlands, der Lausitz und Mitteldeutschlands abgebaut und auch nur dort verbraucht. Ihr Transport über weitere Entfernungen ist unwirtschaftlich. Der Brennstoff hat 2007 11,6 Prozent der Primärenergie- nachfrage gedeckt. Der allergrößte Teil der 180 Mio. geförderten Tonnen wurde verstromt. Braunkohle macht mehr als 40 Prozent der inländischen Energiegewinnung aus. Sie ist damit der mit Abstand wichtigste heimische Energieträger. Allerdings ist sie wegen ihres hohen Kohlendioxid-Gehalts mehr noch als Steinkohle als "Klimakiller" in Verruf geraten. Für den Neubau von Braunkohlekraftwerken gelten deshalb die gleichen Überlegungen wie für Steinkohlekraftwerke. In der Stromerzeugung spielt Öl aus Kostengründen eine zu vernachlässigende Rolle. Der Energiemix zur Stromherstellung hat sich seit der deutschen Einheit wenig geändert: Die Kernenergie trug 2007 22,1 Prozent bei und fiel damit erstmals als Folge von ungeplanten Stillständen mehrerer Großkraftwerke hinter die Braunkohle mit 24,5 und die Steinkohle mit 22,8 Prozent zurück. Die verbleibenden rund 30 Prozent werden, allerdings mit einem deutlich zunehmenden Anteil, aus Erdgas (11,2 Prozent) und erneuerbaren Quellen wie Wind, Wasser, Biomasse oder Photovoltaik (13,6 Prozent) gespeist. Auf der Seite der Stromverbraucher dominierte 2006 die Industrie mit 47 Prozent (1996: 46). An zweiter Stelle folgen die privaten Haushalte. Sie konnten ihren Konsum leicht von 28 auf 25

26 Prozent drosseln. Fast unverändert folgen Gewerbe, Handel und Dienstleitungen mit 22 Prozent (1996: 21). Der Verkehr mit 3 und die Landwirtschaft mit 2 Prozent sind als Stromkunden fast ohne Bedeutung. Die Grüne Energie im Aufwind

Kraftwerke und Windleistung in Deutschland. Quelle: Umweltbundesamt

Die erneuerbaren Energien sind der Shootingstar in der Stromerzeugung. Sie sind neben Braunkohle die wichtigste heimische Energiequelle. Der Löwenanteil im Jahr 2007 entfiel auf 26

die 20.000 Windräder mit 6,2 Prozent der Stromerzeugung – was einem Zuwachs zum Vorjahr von 29 Prozent entspricht. Strom aus Wasserkraft erreichte 3,2 Prozent der gesamten Erzeugung, knapp vor der Biomasse (3,1 Prozent). Der Anteil der Stromerzeugung aus Sonnenlicht erreichte 0,5 Prozent der Gesamterzeugung und der aus der Müllverbrennung 0,6 Prozent, wobei dort allerdings fossile Brennstoffe beigemischt werden. Nach dem Klima- und Energieprogramm der Bundesregierung soll der Anteil regenerativer Quellen an der deutschen Stromerzeugung bis 2020 massiv ausgebaut werden. Wind, Wasser, Sonne und Biomassen sollen 30 Prozent der Stromnachfrage decken, weitere 25 Prozent mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) erzeugt werden. Mit der KWK-Technologie kann Strom und Wärme zugleich gewonnen werden, was besonders effizient ist. Der Zugewinn soll den Wegfall der Kernenergie ausgleichen, die nach heutigem Fahrplan in Deutschland im Jahre 2022 vom Netz gehen soll. Zudem soll der Verbrauch von Stein- und Braunkohle sinken, auch weil der Stromverbrauch insgesamt kleiner werden soll, indem Industrie und Haushalte Strom noch effizienter einsetzen. Die Bundesregierung hat ihr Konzept “ehrgeizig“ genannt. Manche Experten bezweifeln, dass die Ziele überhaupt erreicht werden können, Umweltverbänden gehen sie indes noch nicht weit genug. Die Analyse zeigt: Die deutsche Volkswirtschaft kann ihren Energiebedarf nur zum Teil und künftig noch weniger als heute aus eigener Kraft decken. Sie ist stark von ausländischen Energiebezügen abhängig. Dabei kommt vor allem Russland eine große Bedeutung zu. Bei Öl, Gas und Steinkohle, den wichtigsten Primärenergieträgern, steht es jeweils an Platz 1 der Lieferantenliste. Diese Position dürfte sich zumindest beim Gas noch ausweiten, weil andere Lieferländer ihre Quellen erschöpft haben und die globale Nachfrage weiter steigt. Preiserhöhungen, ein auch vom Staat verordneter rationellerer Energieeinsatz, die bessere Dämmung von Häusern, effizientere Motoren und Kraftwerke werden die Nachfrage senken. Doch die Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten wird damit allenfalls graduell reduziert. Denn heimische Quellen versiegen, teils weil sie erschöpft sind – wie beim Öl und Gas – oder aus (umwelt-)politischen Gründen nicht mehr genutzt werden sollen: Die Kernkraftwerke sollen 2022 vom Netz, gegen den Bau von Braun- und Steinkohlekraftwerke wird vermehrt protestiert. Ob allein der rationellere Einsatz von Energie und der Ausbau regenerativer Energien diese sich öffnende Lücke zu bezahlbaren Kosten schließen kann, bleibt abzuwarten.

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Energie als Ware Verschiedenste Faktoren bestimmen die Preisentwicklung Michael Bauchmüller, geb. 1973, berichtet für die Süddeutsche Zeitung seit fünf Jahren über Energiepolitik. Seit 2005 ist er Korrespondent in Berlin. Neben Energiethemen kümmert er sich dort auch um Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes sowie um Verkehrspolitik. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. (Foto: Rolf Walter/Xpress)

Die steigenden Preise für Strom wie auch Öl sorgen immer wieder für Ärger. Aber wie gestaltet sich eigentlich die Preisentwicklung auf dem Markt der Energien? Wer nimmt Einfluss, was passiert an der Strombörse in Leipzig und müssen wir künftig mit stetigen Preiszunahmen rechnen? Experten sehen die Lösung des Problems steigender Strompreise auch beim Verbraucher. Indem Nachfragespitzen beim Strom duch den gezielten Einsatz z.B. von Haushaltsgeräten vermieden werden, bleiben die Preise an der Leipziger Strombörse niedrig. Foto: AP

Deutschland, mittags um zwölf. Bundesweit laufen jetzt gerade Herdplatten heiß. Die Fabriken arbeiten auf Hochtouren, Computer sind angeschaltet, Waschmaschinen rotieren. Und bei der Strombörse in Leipzig gehen die Preise hoch. In dem unscheinbaren Handelsraum der Börse, der European Energy Exchange (EEX), können die Händler genau nachvollziehen, wann die Deutschen wie viel Strom nachfragen. Sie können sehen, wann Heiligabend republikweit die Christbaumbeleuchtung angeschaltet wird. Sie sehen die Halbzeitpause im Fußballspiel, wenn sich in Stadt und Land die Kühlschränke öffnen. Immer dann geht der Verbrauch rauf – und der Strompreis auch. Sie sehen aber auch, wenn der Wind nachts bläst, und Strom plötzlich so gut wie nichts mehr kostet, weil plötzlich mehr als genug davon vorhanden ist. Zugleich ist der Strompreis extrem sprunghaft. Denn Strom lässt sich kaum lagern, das unterscheidet ihn von allen anderen Gütern. Weil immer so viel Elektrizität erzeugt werden muss, wie aus irgendwelchen Steckdosen fließt, ist der Fluss zwischen Kraftwerken und Verbrauchern ein ständiges Auf und Ab. Und der Preis ist es auch. Was genau passiert da? Warum wird Strom tendenziell immer teurer? Und was hat das mit den großen Energiekonzernen zu tun? Vielleicht hilft eine Reise zu den Ursprüngen der Elektrizität, in die Kraftwerke. Die holen ihren Strom aus unterschiedlichen Quellen, zu unterschiedlichen Preisen. Da gibt es die Windräder, die nur Wind brauchen. Es gibt Kernkraftwerke, die sind größtenteils abgeschrieben und deshalb günstig. Es gibt große Kohlekraftwerke und welche, die Gas und Öl verbrennen, die teuersten Brennstoffe in deutschen Kraftwerkskesseln. Kurz: Es gibt teuer und billig. Zugeschaltet wird, wenn es sich rechnet 28

Deutschland, mittags um zwölf. An der Strombörse klettert der Preis. Wer daran verdienen kann, schaltet jetzt sein Kraftwerk zu – wenn sich das rechnet. Beispiel Gas: Gaskraftwerke sind flexibel, wie eine Glühbirne kann man sie schnell an- und wieder abschalten. Aber Gas ist auch teuer. Also werden die Kraftwerke erst zugeschaltet, wenn der Strompreis eine bestimmte Schwelle überschritten hat, ansonsten würde das Kraftwerk ja Verluste machen. Umgekehrt gilt damit: Den Strompreis bestimmt immer das letzte zugeschaltete Kraftwerk. Ökonomen nennen seine Kosten die "Grenzkosten". In der Theorie würden erst alle anderen Kraftwerke angeschaltet, die billigeren. Da liefen zuerst Windräder oder Kernkraftwerke – reicht nicht, Preis steigt. Dann liefen alle verfügbaren Kohlekraftwerke, reicht auch nicht, Preis steigt weiter. Dann schließlich würden die Gaskraftwerke hinzukommen. Ein Honda Civic Hybrid: Die Hybridtechnologie hilft nicht nur beim Benzinsparen. Der Hybridmotor kann auch wie ein Akku zum Speichern von Strom genutzt werden. Foto: AP

Aber nicht nur die Brennstoffe, auch der Klimaschutz hat in dieser Logik seinen Einfluss auf den Preis. Schließlich müssen die Stromerzeuger seit 2005 so genannte Emissionsrechte besitzen, wenn sie Strom erzeugen wollen. Das betrifft vor allem Kraftwerke, die Braun- und Steinkohle verbrennen. Sie bleiben nur solange am Netz, wie der Strompreis hoch genug ist, um den Betrieb des Kraftwerks plus die nötige Kohle plus die Emissionsrechte zu finanzieren. Und weil diese Emissionsrechte in der Europäischen Union (EU) von Jahr zu Jahr knapper werden, steigt auch ihr Preis – und der des Stroms. Auf der anderen Seite sorgen erneuerbare Energien für Entspannung. Je mehr Strom sie in das deutsche Netz einspeisen, desto weniger teure Kraftwerke müssen arbeiten – also sinkt der Strompreis. Der Strompreis wird an der Leipziger Börse gemacht Im Ergebnis verdienen die vier großen deutschen Stromkonzerne an ihrem günstigsten Strom. E.on, RWE, EnBW und Vattenfall Europe können in abgeschriebenen Kernkraftwerken relativ preisgünstig produzieren, den Strom aber teuer über die Börse verkaufen. Das allerdings weckte auch immer wieder den Verdacht der Manipulation. Schließlich könnten die Unternehmen gezielt Kraftwerke aus dem Markt nehmen, um den Strom knapper zu machen und so den Preis zu treiben. Bewiesen freilich wurde dieser Verdacht nie. Inzwischen geben die großen Erzeuger auch Daten ihrer einzelnen Kraftwerke heraus. Sie legen dar, welches Kraftwerk wann Strom erzeugt und welches vielleicht wegen einer Überprüfung stillsteht. Aus der Kritik sind sie damit allerdings noch lange nicht. Zum einen wird nur rund ein Sechstel des deutschen Stroms über die Leipziger Strombörse EEX gehandelt – und trotzdem ist dieser Preis Richtschnur für alle Stromverträge: zwischen Erzeugern und Industrie, zwischen Erzeugern und Stadtwerken, die oft ihren Strom zukaufen müssen. Damit gilt der Börsenpreis letztlich für alle deutschen Haushalte. Gleichzeitig vereinen die vier großen Stromkonzerne 80 Prozent aller Kraftwerks-Kapazitäten auf sich, obendrein betreiben sie auch noch das komplette deutsche Hochspannungsnetz. Das sorgt für Misstrauen. Die EUKommission hegt den Verdacht, die Konzerne könnten sich absprechen. Politiker schärfen die 29

Rechte des Bundeskartellamtes, manche fordern gar, die großen Konzerne zum Verkauf von Kraftwerken zu zwingen. In der Tat könnte mehr Strom von dritten Anbietern dem deutschen Markt helfen. Angelockt von den hohen Strompreisen planen vor allem im Norden und Westen der Republik auch Unternehmen jenseits der großen vier Stromkonzerne neue Kraftwerke, so zum Beispiel der Stadtwerke-Verbund Trianel, die belgische Electrabel, Russlands Gazprom oder die dänische Dong Energy. Dass deshalb aber die Strompreise sinken, ist eher unwahrscheinlich. Denn die neuen Kraftwerke sind teure Kraftwerke, sie werden nur bei ausreichend hohen Strompreisen zum Einsatz kommen. Und während der deutsche Kraftwerkspark in die Jahre kommt, sagen immer mehr Firmen ihre Neubau-Projekte ab. Mal scheitern sie am Widerstand von Bürgerinitiativen, mal haben sie Angst vor strengen Klimaschutz-Vorgaben, mal ist ihnen ihr Kraftwerk schlicht zu teuer geworden: Hohe Stahlpreise haben schon manche Kalkulation über den Haufen geworfen. Rohstoffe werden rar, die Preise klettern Die Auswirkungen auf die Stromkunden sind nicht günstig. Fehlen die neuen Kraftwerke, fehlt auch der Wettbewerb zwischen den Erzeugern. Auch bleiben dann alte, wenig effiziente Kraftwerke länger am Netz, die zu allem Überfluss viel Kohlendioxid in die Luft blasen. Damit aber müssen die Erzeuger entsprechend viel für den Emissionshandel ausgeben – und der Strompreis bleibt hoch. Kohle, Gas, selbst Uran sind inzwischen teils um ein Vielfaches teurer als noch vor wenigen Jahren. Sinkende Strompreise jedenfalls zeichnen sich nicht ab. Auch der Ölpreis hat inzwischen alle Prognosen weit übertroffen, regelmäßig stellt er Rekorde ein. Wo er enden wird, weiß derzeit kein Mensch. Vor allem der wachsende Energiehunger in den Boomländern Asiens hält die Nachfrage hoch, damit auch den Preis. Entscheidend für die weitere Entwicklung des Ölpreises sind inzwischen zwei Fragen, eine kurzfristige, eine langfristige. Auf kurze Sicht fragt sich, wie lange die Weltwirtschaft im derzeitigen Tempo wächst, wie lange also für jeden Tropfen Öl solch eine Nachfrage besteht wie derzeit. In den vergangenen Jahren konnten Händler relativ gefahrlos auf steigende Preise wetten. Öl lässt sich gut lagern und hat eine treue Kundschaft. Verlieren aber Spekulanten die Hoffnung auf steigende Ölpreise, könnte der Preis schnell fallen – die Erwartung weiter fallender Preise führt dann in eine Spirale nach unten. Niemand will ein Gut lange besitzen, das rasch an Wert verlieren könnte. Wie groß der "spekulative" Anteil am Ölpreis ist, vermag jedoch niemand zu sagen. Schätzungen liegen mal bei 20 bis 30 Dollar, mal sogar darüber. Wichtiger noch ist die langfristige Frage. Wann hat das Erdöl seinen Gipfel erreicht? Wann ist der Tag, ab dem die globale Erdölförderung zurückgeht, weil sich die erschlossenen oder leicht erschließbaren Vorräte dem Ende zuneigen? Und: Lassen sich darüber hinaus noch Ölmengen wirtschaftlich fördern, also zu einem Preis, den Verbraucher auch zu zahlen bereit sind? Wann dieser Punkt erreicht sein wird, ist seit fast hundert Jahren Gegenstand heftiger Spekulationen. Bislang aber wurden alle Weltuntergansszenarien regelmäßig von der Realität überholt. Auch lohnen sich mit steigenden Ölpreisen plötzlich Fördermethoden, die noch vor wenigen Jahren als unrentabel galten – sodass die Ölreserven regelmäßig nach oben korrigiert werden. So teuer wie heute allerdings war Öl noch nie. Und damit auch Erdgas, dessen Preis meist an den des Öls gekoppelt ist. Am Ende sind auch die Stromkunden gefragt

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Deutschland, mittags um zwölf, im Jahr 2025. Überall gehen die Herdplatten an, aber der Strompreis steigt sachte. In Nord- und Ostsee weht eine steife Brise, der Strom schwemmt ins Land. Die Waschmaschine steht still, sie wartet auf einen günstigeren Strompreis an der Börse. Das Hybrid-Auto parkt am Stromdock, seine Batterie entlädt sich gerade und sorgt so für zusätzliches Stromangebot. Später, wenn die Nachfrage fällt und damit der Strompreis, wird es sich wieder aufladen. Eine Vision nur. Aber Experten sehen die Lösung des Problems zunehmend auch bei den Stromkunden, nicht mehr nur bei Kraftwerken oder Strombörse. Lässt sich der Verbrauch besser steuern, etwa durch intelligente Stromzähler und durch Hausgeräte, die nur in Zeiten billigen Stroms laufen, dann bräuchte es auch weniger Kraftwerke. Ließe sich noch weit mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen, würde das Land auch unabhängiger von teuren Brennstoffen, außerdem kämen weitere Stromerzeuger auf den Markt – mehr als nur vier. Und ließe sich dann noch Strom speichern, etwa durch ein Netz von Hybrid-Fahrzeugen, die beim Parken Strom aufnehmen oder abgeben, dann könnte sich manches EnergiepreisProblem über Nacht erledigen. Das ist das Gute jeder Krise, und sei es eine Versorgungskrise: Es liegt eine riesige Chance darin.

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Regulierung des Energiemarkts Wie wird in den Strom- und Gasmarkt bislang eingegriffen? Zur Person: Ariette Nüßler arbeitet seit 2007 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Energiewirtschaftlichen Institut der Universität zu Köln und beschäftigt sich u.a. mit der Regulierung des deutschen Strommarktes sowie dem Marktdesign des deutschen und der europäischen Regelenergiemärkte. Sie studierte "International Economic Studies" (Volkswirtschaftslehre) an der Universität Maastricht, Niederlande.

Die einen fordern mehr Regulierung, die anderen warnen vor einer Überregulierung. Besonders um den Strommarkt wird gestritten: Steigende Strompreise lassen das Misstrauen gegenüber der Energiewirtschaft wachsen. Aber wer reguliert eigentlich den deutschen Strommarkt und wie? Untergrundspeicher für Erdgas in Bad Lauchstädt. Aufgrund ihrer Monopolstellung unterliegen die Gasnetzbetreiber der Regulierung durch die Bundesnetzagentur bzw. durch die entsprechenden Agenturen auf Landesebene. Foto: AP

Regulierung stellt den Eingriff des Staates in das Marktgeschehen dar, mit dem Ziel entweder Marktversagen zu korrigieren oder staatliche Ziele durchzusetzen. Teile des deutschen und europäischen Energiemarktes unterliegen einer solchen Regulierung. Die verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette beim Strom – d.h. die einzelnen Schritte vom Kraftwerk bis zur Steckdose des Endverbrauchers – können in (1) Erzeugung, (2) (Groß-) Handel, (3) Transportnetze (Hochund Höchstspannung), (4) Vertrieb, und (5) Verteilnetze unterteilt werden. Vor der Liberalisierung des Strommarktes 1998 wurden jeweils die ersten drei Stufen (z.B. die Energiekonzerne RWE, E.ON, Vattenfall, EnBW) bzw. Stufe 4 und 5 (z.B. Stadtwerke) von jeweils nur einem einzelnen Energieversorgungsunternehmen (EVU) durchgeführt. Man spricht hier von vertikal integrierten Unternehmen. Durch die Liberalisierung wurde auf den Stufen Erzeugung, (Groß-)Handel und Vertrieb freier Wettbewerb eingeführt. Notwendigkeit für Regulierung im Energiemarkt Die Transport- und Verteilnetze hingegen stellen ein so genanntes natürliches Monopol dar – d.h. ein Anbieter kann das Gut "Stromtransport" kostengünstiger bereitstellen als mehrere Anbieter. Dies ist dadurch zu erklären, dass Stromtransport – ähnlich wie z.B. die Eisenbahn – an eine Infrastruktur, also die Stromnetze, gebunden ist, die einen Großteil der Kosten ausmachen. Mehrere parallele Stromnetze, wie es im Falle mehrerer Anbieter nötig wäre, sind nicht sinnvoll, da dies teurer wäre. Folglich wurde auf dieser Stufe das Gebietsmonopol der Netzbetreiber beibehalten. Die EVU mussten allerdings den Unternehmenszweig Transport-

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und/oder Verteilnetze auf rechtlicher, operationeller, informatorischer sowie buchhalterischer Ebene von den übrigen, dem Wettbewerb ausgesetzten Märkten trennen. Damit wurden bei der so genannten vertikalen Entflechtung oder "unbundling" zwar eigenständige Unternehmen ausgegründet, diese verblieben jedoch im Besitz des Mutterkonzerns. Bei der zurzeit diskutierten eigentumsrechtlichen Entflechtung ("ownership unbundling") ist es hingegen nicht mehr zulässig, dass sich innerhalb eines Mutterkonzerns sowohl ein monopolistisches (und daher reguliertes) als auch ein dem Wettbewerb ausgesetztes Unternehmen der Energiewirtschaft befinden. Das bedeutet, dass ein Unternehmen nicht mehr zugleich Energie erzeugen und verteilen darf, so wie es bei den Energiekonzernen RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW aktuell der Fall ist. Die Trennung von Erzeugung und Transport wäre dann notwendig. Alle Teilnehmer in vor- und nachgelagerten Märkten sind auf die Nutzung der Netze angewiesen und müssen dafür Netzentgelte bezahlen. Ein Kraftwerk muss an das Netz angeschlossen sein, und Vertriebsunternehmen müssen das Netz nutzen, um ihre Kunden zu erreichen. Aufgrund der Monopolstellung der Transport- und Verteilungsnetzbetreiber ist allerdings zu befürchten, dass sie diese ausnutzen, indem sie überhöhte Preise fordern und somit Übergewinne, so genannte Monopolrenten, einfahren. Oder aber, dass sie konzernfremde Netznutzer durch höhere Preise oder Verzögerungen beim Netzanschluss diskriminieren, um dem eigenen Unternehmen in anderen Teilen der Wertschöpfungskette einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Folglich ist eine Regulierung des natürlichen Monopols "Netz" notwendig, um Monopolrenten der Netzbetreiber zu verhindern sowie den Wettbewerb auf den anderen Teilmärkten zu ermöglichen. Regelungen in Deutschland und der EU Strommasten Seit 2005 überwacht und kontrolliert die Bundesnetzagentur den Netzzugang und die Netznutzungsentgelte sowohl des Strom- als auch des Gasmarktes. Foto: AP

Den rechtlichen Rahmen für die Umsetzung und Regulierung eines wettbewerbs- orientierten Energiebinnenmarkts der Europäischen Union (EU) bilden auf EU-Ebene die EU-Binnenmarktrichtlinien Elektrizität (1996) und Gas (1998). 2003 wurde zusätzlich die so genannte Beschleunigungsrichtlinie erlassen, die einheitliche Wettbewerbsbedingungen aller Mitgliedstaaten anstrebt, indem diverse Wahlmöglichkeiten bei der Ausgestaltung des Marktes abgeschafft wurden. In Deutschland wurden die EU-Vorgaben durch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG von 1998) und das novellierte EnWG vom 13. Juli 2005 in nationales Recht umgesetzt. In der Bundesrepublik gibt es mehrere Regulierungsbehörden. Zum einen gibt es auf Bundesebene die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahn (BNetzA) mit Sitz in Bonn, die eine selbständige Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie ist. Auf Länderebene gibt es die jeweiligen Landesregulierungsbehörden. Die Landesbehörden sind für alle EVU zuständig, deren Netze sich innerhalb des jeweiligen Bundeslandes befinden und an deren Netz weniger als 100.000 Kunden angeschlossen sind. Für alle übrigen EVU ist die BNetzA zuständig. 33

Die Regulierungsbehörden sorgen für die Einhaltung des EnWG sowie des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Des Weiteren treiben sie die Liberalisierung und Deregulierung voran und sollen einen diskriminierungsfreien Netzzugang und effiziente Netznutzungsentgelte garantieren. Die konkreten Tätigkeiten umfassen u.a.: (1) die Genehmigung und/oder Festlegung der Netzentgelte für Strom und Gas, (2) die Überwachung der Entflechtung ("unbundling"), (3) die Verbesserung der Netzanschlussbedingungen und die Beseitigung von Hindernissen beim Netzzugang sowie (4) die Missbrauchsaufsicht. Regulierung des Netzzugangs Noch in der EU-Stromrichtlinie von 1996 wurde den teilnehmenden Ländern die Möglichkeit offen gelassen, entweder einen verhandelten oder einen regulierten Netzzugang zu wählen. Alle Mitgliedsstaaten mit Ausnahme von Deutschland wählten einen regulierten Netzzugang: Hierbei werden die Tarife und Konditionen für den Netzzugang durch die Regulierungsbehörde des jeweiligen Landes festgelegt. In Deutschland hingegen erfolgte im Rahmen des EnWG (1998) die Einführung des verhandelten Netzzugangs [1]. Dies erlaubte es den jeweiligen Netzbetreibern die Bedingungen für den Netzzugang eigenverantwortlich zu überwachen und zu kontrollieren. Ausschlaggebend dafür war die Initiative verschiedener Verbände, die, um einem regulierten Netzzugang zu entgehen, die so genannte Verbändevereinbarung beschlossen: Hierbei einigten sich verschiedene Interessensgruppen (u.a. der Verband der Netzbetreiber (VDN), der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI)) darauf, Dritten gegenüber den Markt für Netzdienstleistungen zu öffnen. Die EU Beschleunigungsrichtlinie von 2003 beendete die Wahlfreiheit zwischen einem verhandelten und einem regulierten Netzzugang, so dass nur noch ein regulierter Zugang zulässig ist. Außerdem wurde den Mitgliedsländern die Einrichtung einer Regulierungsbehörde vorgeschrieben. Seit 2005 wird daher der Netzzugang und die Netznutzungsentgelte sowohl des Strommarktes als auch des Gasmarktes durch die BNetzA überwacht und kontrolliert. Die Ex-Post-Regulierung der Netznutzungsentgelte Ebenso wie der Netzzugang unterliegen auch die Netznutzungsentgelte der Regulierung. Seit der Novellierung des EnWG (2005) basiert das Regulierungskonzept auf der so genannten kostenorientierten Ex-Post-Regulierung. Dabei setzt der Netzbetreiber die Tarife und Konditionen selbst fest und übermittelt die bei den Kunden erhobenen Kosten an die BNetzA. Diese überprüft anhand von Strukturklassen, ob die Entgelte auf Grundlage der anfallenden Kosten einer effizienten Betriebsführung gebildet wurden [2]. Nach dieser Richtlinie dürfen die Kosten nicht höher sein als die durchschnittlichen Kosten aller Netzbetreiber pro Strukturklasse. Strukturklasse heißt hierbei, dass die Netzbetreiber nur mit solchen Unternehmen verglichen werden, die ähnliche Netzbedingungen haben. Unternehmen, die beispielsweise in Bergregionen agieren, stehen durch die Netzausbauten einem höheren Kostenaufwand gegenüber als Unternehmen in flachen Gebieten. Somit werden Kostenstrukturunterschiede berücksichtigt. Die Vorteile der kostenorientierten Regulierung liegen darin, dass die BNetzA unmittelbar auf unangemessene Tarife reagieren kann, indem sie ein direktes Bußgeldverfahren einleitet. Weiterhin setzt ein Vergleich mit strukturell ähnlichen Unternehmen Anreize, diesen Kostendurchschnitt nicht zu überschreiten. Nachteilig an dieser Regulierungsform ist, dass die 34

erlaubten Tarife sich an den tatsächlichen Kosten der Unternehmen orientieren, wodurch diese kaum Anreiz haben, ihre Kosten durch technologische Neuerungen oder durch effizientere Investitionsentscheidungen zu senken. Vielmehr kann diese Regulierungsform zu einem Übermaß an Investitionen und somit zu höheren Tarifen führen [3]. Außerdem bedarf es eines hohen administrativen Aufwands durch die BNetzA und einer häufigen regulatorischen Überprüfung. Die Ex-Ante-Regulierung nutzt eine Erlösobergrenze Diese Form der Regulierung der Netznutzungsentgelte soll nun abgelöst werden: Mit der am 13.06.2007 durch das Bundeskabinett verabschiedeten Anreizregulierungsverordnung [4] wurde eine neue und im Ausland bereits häufig angewandte Erlösobergrenzenregulierung beschlossen, die 2009 in Kraft tritt. Diese Regulierungsform sieht vor, dass die BNetzA den Netzbetreiber für den Zeitraum einer Regulierungsperiode von fünf Jahren im Voraus, also ex-ante, die maximalen Erlöse festsetzt. Die Höhe der Erlösobergrenze berechnet sich auf der Grundlage von Kostendaten, zu deren Übermittlung der Netzbetreiber verpflichtet ist. Die Kostendaten werden dabei mit den Daten aller Unternehmen verglichen, um die Effizienz im Verhältnis zu anderen Unternehmen bewerten zu können. Basierend auf diesem bundesweiten Effizienzvergleich setzt die BNetzA für jedes Unternehmen eine Erlösobergrenze fest. Wenn sie die vorgegebenen Effizienzziele übertreffen und somit geringere Kosten haben, können sie überdurchschnittliche Erlöse erwirtschaften. Durch die Erlösobergrenzenregulierung steigt für die Netzbetreiber jedoch der Anreiz, notwendige Investitionsaufwendungen zu vernachlässigen, um Kosten zu reduzieren und somit einen höheren Gewinn zu generieren. Dies könnte zu einer Verringerung der Versorgungsqualität führen.[5] Um diesem Anreiz entgegenzuwirken, müssen die Netzbetreiber zum einen verschiedene Berichts- und Dokumentationspflichten erfüllen. Zum anderen ist die gleichzeitige Einführung einer Qualitätsregulierung vorgesehen. Die Idee dabei ist, die Erlösobergrenze in Abhängigkeit der bereitgestellten Qualität – d.h. in Form der Dauer und der Häufigkeit von Stromausfällen – durch Straf- und Bonuszahlungen anzupassen. Mit der Einführung der Erlösobergrenzenregulierung wird das Ziel verfolgt, den Netzbetreibern durch eine Beschränkung der Erlöse einen stärkeren Anreiz zur Kostensenkung durch technologischen Fortschritt oder effizienteren Einsatz von Ressourcen zu geben. Weiterhin haben die Netzbetreiber die Möglichkeit bei einer frühzeitigen Effizienzsteigerung innerhalb der Regulierungsperiode entsprechende Gewinne zu generieren. Zugleich profitieren die Kunden nach Ablauf der Regulierungsperiode durch Weitergabe der Kostensenkung von niedrigeren Netznutzungsentgelten, welche derzeit rund ein Drittel des Strompreises ausmachen.

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Der Energiebinnenmarkt der EU Ein fairer Wettbewerb findet bislang nicht statt Oliver Geden Zur Person Dr. Oliver Geden ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Er ist (gemeinsam mit Severin Fischer) Autor des Buches "Die Energie- und Klimapolitik der Europäischen Union. Bestandsaufnahme und Perspektiven" (NomosVerlag, 2008). Bis heute gibt es keinen integrierten EU-Binnenmarkt für Gas und Strom. Doch gemäß dem Prinzip der Nicht-Diskriminierung muss es auch für die Anbieter von Strom und Gas einen fairen Wettbewerb geben. Darüber hinaus ist nur so eine EU-weite Energie-Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Offshore Windpark vor der Küste Dänemarks bei Esbjerg. Innerhalb der EU schwanken nicht nur die Preise für Strom und Gas, auch der Grad der Liberalisierung der Märkte ist je nach Mitgliedsstaat verschieden. Foto: AP

Die Europäische Union (EU) verfügt seit 1993 über einen sehr weitgehend integrierten Binnenmarkt, der in vielen Wirtschaftssektoren für europaweit einheitliche Bedingungen sorgt und einen diskriminierungsfreien Zugang aller Anbieter in jedem Mitgliedstaat gewährleistet. Eine der bedeutendsten Ausnahmen bildet der Handel mit den leitungsgebundenen Energieträgern Strom und Gas. Trotz zahlreicher Anläufe will das Projekt der Schaffung eines funktionierenden Energiebinnenmarkts bis in die Gegenwart nicht gelingen. Die nationalen Energiemärkte sind grenzüberschreitend kaum miteinander verknüpft, und die Mitgliedstaaten unterscheiden sich stark in ihrer Energiepolitik. Betrachtet man den EU-Gesamtenergiemix, so halten die fossilen Energieträger Öl (36,9 Prozent), Gas (24 Prozent) und Kohle (17,8 Prozent) nach wie vor die größten Anteile. Atomenergie macht 14 Prozent aus und die Erneuerbaren Energieträger kommen auf 7,1 Prozent. Die Importabhängigkeit ist bei Rohöl mit 84 und bei Erdgas mit 61 Prozent schon jetzt sehr hoch, bei Kohle beträgt sie vergleichsweise niedrige 41 Prozent. Problematisch ist dabei nicht zuletzt auch die Abhängigkeit von nur wenigen Lieferländern. So deckt Russland im Gassektor 42 Prozent des Importbedarfs, gefolgt von Norwegen mit 24 und Algerien mit 18 Prozent. Da sich die Energiemärkte weltweit in einer Umbruchphase befinden, sind zukünftige Trends derzeit nur sehr schwer zu bestimmen. Sicher ist lediglich, dass der Anteil der Erneuerbaren Energien in Europa deutlich ansteigen wird. Bis 2020 soll er auf mindestens 20 Prozent ausgebaut werden. Bei der Bewertung solcher Zahlen muss immer berücksichtigt werden, dass es sich lediglich um europäische Durchschnittswerte handelt. Die Strukturen in den einzelnen Mitgliedstaaten unterscheiden sich zum Teil beträchtlich voneinander. So weist etwa Frankreich mit 42 36

Prozent einen besonders hohen Anteil von Atomenergie auf. Polens Energieversorgung basiert größtenteils auf Kohle (58 Prozent). Schweden erreicht bei den Erneuerbaren Energien einen Anteil von knapp 30 Prozent. Ähnlich ungleich verteilt sind Ausmaß und Herkunft der Energieeinfuhren. Während einige wenige Mitgliedstaaten gegenwärtig sogar mehr Rohstoffe fördern als sie selbst verbrauchen – so zum Beispiel Dänemark bei Öl und Gas, Großbritannien bei Öl, Tschechien und Polen bei Kohle – sind viele Staaten fast vollständig auf Energieimporte angewiesen. Insbesondere im Gassektor existieren häufig 100-prozentige Abhängigkeiten von einem einzigen Lieferanten. In Mittel- und Osteuropa ist dieser Lieferant in der Regel Russland, auf der iberischen Halbinsel aber wird der Bedarf überwiegend aus afrikanischen Quellen gedeckt. Ein fairer Wettbewerb findet noch nicht statt Atomkraftwerk Doel in Belgien. Jeder Staat der EU hat seinen eigenen Energiemix. Die Anteile von Atomenergie und erneuerbaren Energien variieren dabei stark. Foto: AP

Die zum Teil deutlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind vor allem deshalb relevant, weil die nationalen Energiemärkte auch heute noch weitgehend voneinander abgeschottet sind. Es existiert bislang kein einheitlicher europäischer Binnenmarkt für die leitungsgebundenen Energieträger Strom und Gas. Zudem sind auch die Marktstrukturen innerhalb einzelner Mitgliedstaaten nur unvollständig liberalisiert und unzureichend reguliert worden. Da Aufbau und Wartung großflächiger Strom- und Gasnetze sehr hohe Investitionen erfordern, sind auf den mitgliedstaatlichen und/oder regionalen Energiemärkten heute diejenigen Energieversorgungsunternehmen im Vorteil, die als einstige Gebietsmonopolisten nach wie vor über die Übertragungs- und Fernleitungsnetze verfügen. Unternehmen wie die französische EdF oder die deutsche RWE produzieren nicht nur selbst Strom (oder fördern bzw. importieren Gas), sie betreiben zudem die Netze und sind zum Teil auch direkt im lukrativen Endkundengeschäft tätig. In der Logik des EU-Binnenmarkts gelten Strom und Gas jedoch als warenförmige Güter. Deshalb muss es gemäß dem Prinzip der Nicht-Diskriminierung jedem neuen Anbieter möglich sein, seine Ware Strom bzw. Gas in jedem Mitgliedstaat ungehindert zu verkaufen. Da es für einen neuen Produzenten zu kostspielig und in volkswirtschaftlicher Perspektive auch widersinnig wäre, zu diesem Zweck jeweils eigene Leitungen aufzubauen, kommt der Regulierung des Netzzugangs eine entscheidende Bedeutung zu. Zwar sind die Netzeigentümer in der gesamten EU zur Durchleitung von Strom- und Gaslieferungen Dritter grundsätzlich verpflichtet. Doch wenn diese selbst auch Energieproduzenten oder -importeure sind, haben sie nur ein geringes Eigeninteresse daran, die neuen Anbieter fair zu behandeln. Nicht selten lehnen sie die Durchleitung mit dem Argument ab, die Kapazität ihres Netzes sei bereits ausgelastet, während sie gleichzeitig notwendige Erweiterungsinvestitionen verweigern oder hohe Durchleitungsgebühren verlangen. Ein fairer Wettbewerb wird dadurch behindert. Verstärkt wird diese Problemkonstellation durch den in der EU nur unzureichenden Ausbau grenzüberschreitender, die nationalen Energienetze verknüpfender Energieleitungen, so 37

genannter Interkonnektoren. Zudem werden zwischenstaatliche Unterschiede bei technischen Standards nur sehr langsam angeglichen, was den grenzüberschreitenden Handel ebenfalls behindert. Ein Wettbewerb zwischen Energieversorgern verschiedener Mitgliedstaaten findet dementsprechend kaum statt. Die nationalen Preisniveaus weisen vor allem im Stromsektor sehr große Unterschiede auf. In vielen EU-Staaten haben sich bis heute Quasi-Monopole oder -Oligopole halten können, etwa in Frankreich oder Deutschland. Ausnahmen bilden einige wenige Länder mit vollständig oder weitgehend liberalisierten Energiemärkten: allen voran Großbritannien, die Niederlande sowie die skandinavischen Staaten. Ein Großteil der mitgliedstaatlichen Regierungen betrachtet die Energieversorgung jedoch immer noch vornehmlich als zentralen Bestandteil der "nationalen Souveränität" und begegnet häufig selbst Unternehmen aus anderen EUStaaten mit großem Misstrauen. Zudem existieren nach wie vor auch "Energieinseln", die – wie im Stromsektor etwa die baltischen Staaten – nur unzureichend an die europäischen Verbundnetze angeschlossen sind und im Krisenfall nur notdürftig aus anderen EU-Staaten mitversorgt werden können. Der Ausbau des Energiebinnenmarkts lässt auf sich warten Innerhalb der EU ist es insbesondere die mit einem Initiativmonopol und weitgehenden kartellrechtlichen Kompetenzen ausgestattete Kommission, die sich dem Projekt einer "Vollendung" des Energiebinnenmarkts verschrieben hat. Die Gesetzgebungsorgane, der EUMinisterrat und das Europäische Parlament agieren in dieser Frage jedoch weitaus zögerlicher. Der Ausbau des Energiebinnenmarktes kommt deshalb nur sehr schleppend voran. Die ersten Liberalisierungsrichtlinien wurden bereits 1996 für Strom und 1998 für Gas erlassen. Aufgrund nur mangelhafter Fortschritte bei der Umsetzung folgten 2003 zunächst zwei Binnenmarkt-Beschleunigungsrichtlinien. Anfang 2007 kam die Kommission nach einer eingehenden Untersuchung der Energiemärkte zu dem Schluss, dass weitere gesetzliche Regelungen notwendig sind. Im Vordergrund stehen dabei insbesondere die wirksame Trennung der Energieproduktion von den Übertragungs- bzw. Fernleitungsnetzen, eine Ausweitung der Befugnisse der nationalen Regulierungsbehörden sowie ein Ausbau der Interkonnektoren. Im September 2007 legte die Kommission ein Paket mit fünf neuen Gesetzesvorschlägen vor, über die seither erbittert gestritten wird. Obwohl auch die Mitgliedstaaten, das Parlament und selbst die Energieversorgungsunternehmen eine stärkere Integration der europäischen Energiemärkte grundsätzlich befürworten, gehen die Meinungen über Auswahl und Eingriffstiefe der Maßnahmen weit auseinander. Und auch innerhalb der verschiedenen Akteursgruppen existiert zu den Kommissionsvorlagen keineswegs eine einheitliche Haltung. Wann die Richtlinien- und Verordnungsvorschläge in eine verbindliche Gesetzesform gegossen werden können, ist angesichts der großen Uneinigkeit noch nicht abzusehen. Die EU-Staaten müssten in Energiefragen Souveränität aufgeben Doch die Schaffung eines funktionierenden Energiebinnenmarkts ist ein zentrales Handlungsfeld der europäischen Energiepolitik, mit mittelfristig großen Potenzialen nicht nur in Fragen der Wettbewerbsfähigkeit. Ebenso zentral ist ein integrierter Energiebinnenmarkt in Fragen der Versorgungssicherheit, denn nur so sind Solidaritätslieferungen im Krisenfall technisch realisierbar. Sollte es tatsächlich zu einem freien europäischen Markt für den Handel mit Energieträgern kommen, so wird dies langfristig auch tiefgreifende Veränderungen in der europäischen Energiepolitik nach sich ziehen, vor allem durch eine 38

weitgehende Relativierung der nationalen Souveränität in energiepolitischen Fragen. Wenn das Ziel, jedem Anbieter einen diskriminierungsfreien Zugang zum europäischen Energiemarkt zu eröffnen, erreicht würde, könnte ein Mitgliedstaat zwar noch immer starken Einfluss darauf nehmen, wie sich die Energieproduktion auf seinem Territorium gestaltet: etwa durch den Vollzug des Ausstiegs aus der Atomenergie wie in Deutschland oder deren Ausbau wie in Finnland und in Frankreich. Doch der Einfluss der Mitgliedstaaten in der letztlich entscheidenderen Frage, nämlich auf welche Energieträger sich der heimische Verbrauch stützt, würde drastisch schwinden. Durch den freien Markt würde sich die Bedeutung der nationalen Souveränität über die Energieerzeugung relativieren und deren Struktur zu einer gesamteuropäischen Frage werden. Eine energiepolitische Steuerung wäre auf mitgliedstaatlicher Ebene nur noch eingeschränkt möglich bzw. sinnvoll. Im Fokus der Akteure im EU-Ministerrat stünde nicht mehr der jeweilige nationale Energiemix, sondern weitaus stärker als heute die gemeinsame europäische Energieversorgungsstruktur.

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Die EU-Energiestrategien Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Energieaußenpolitik? Frank Umbach Zur Person Dr. Frank Umbach, geb. 1963, ist derzeit Senior Associate für internationale Energiesicherheit am Centre for European Security Strategies (CESS), München-Berlin. Zuvor war er von 1996 bis Ende 2007 Programmleiter für internationale Energiesicherheit und Sicherheitspolitik in Asien-Pazifik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er ist u.a. Autor des Buches "Globale Energiesicherheit: Strategische Herausforderungen für die europäische und deutsche Außenpolitik".

Für die EU spielte eine gemeinsame Energieaußenpolitik lange Zeit keine Rolle. Erst in jüngster Zeit versucht man gemeinsame Positionen zu erarbeiten, wenn auch regelmäßig Rückschläge drohen. Doch die Notwendigkeit machte nicht zuletzt der russischukrainische Gaskonflikt deutlich, auch der aktuelle Konflikt in Georgien trägt dazu bei. Baustelle der Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland. Es gab viel Kritik an dem Vertrag zwischen dem russischen Energiekonzern Gazprom und den deutschen Firmen BASF und E.ON. Polen, die baltischen Staaten und auch Schweden haben Bedenken. Foto: AP

Am 8. bis 9. März 2007 ist auf dem Frühjahrsgipfel der Staats- und Regierungschefs der EU im Rahmen ihrer gemeinsamen "integrierten Klima- und Energiepolitik" u.a. ein "Energieaktionsplan" verabschiedet worden, der auch eine gemeinsame "Energieaußenpolitik" der EU-Staaten vorsieht. Bis dahin wurde weder in Deutschland noch der EU eine spezifische Energieaußenpolitik als notwendig erachtet. Während in den USA und Asien die nationale Energiepolitik stets mit ihrer Außen- und Sicherheitspolitik verbunden waren und Energieversorgungssicherheit sowie importabhängigkeiten im Mittelpunkt ihrer Staatsräson standen, war ihre Bedeutung in Europa seit der Ölkrise in den 1970er Jahren weitgehend in Vergessenheit geraten. Europa setzte mehr denn je auf einen marktwirtschaftlichen Ansatz, bei dem Energieversorgungssicherheit keine größere Bedeutung zugewiesen wurde. Demnach schienen auch Diskussionen über die globale Bedeutung und die außenpolitischen Auswirkungen des Energiehungers Chinas und Asiens auf Europa und Deutschland entbehrlich. Die Frage der Energieversorgungssicherheit (mit Ausnahme der strategischen Ölund Gasbevorratung) konnte so weitgehend der Privatindustrie überlassen werden. Je weniger sich der Staat in die Energiepolitik einmischte, um so besser. Obwohl ein solcher Ansatz wünschenswert ist, suggeriert ein solches Denken, dass Energiepolitik quasi in einem politikleeren Umfeld stattfindet und sich Europa von der Außenwelt trotz eines globalen Erdölmarktes abkoppeln könnte. Vor allem in Deutschland erschöpften sich die zumeist provinziellen Debatten der Energiepolitik in der Befürwortung oder Gegnerschaft von Kernenergie und erneuerbaren Energien. Selbst nach den 40

Terroranschlägen vom 11. September 2001 – 11 der 15 Terroristen kamen aus Saudi-Arabien, der weltweit größte Erdölproduzent und –exporteur mit den global größten Erdölreserven – sahen die EU-Staaten im Gegensatz zum Rest der Welt bis 2003/2004 keinen Anlass, die künftige europäische Energiesicherheit zu thematisieren. Erste Ansätze einer gemeinsamen EU-Energie(außen)politik Bundeskanzlerin Merkel und EUKommissionspräsident Jose Manuel Barroso (hier im Bild) auf dem EU-Gipfel im März 2007. Erstmals verabschiedete die EU einen Aktionsplan zu einer gemeinsamen "integrierten Klima- und Energiepolitik". Foto: AP

Nur die Europäische Kommission hatte sich mit ihrem ersten Grünbuch vom November 2000 frühzeitig mit Fragen der künftigen Energiesicherheit der EU beschäftigt und dringenden Handlungsbedarf für eine gemeinsame Energiepolitik signalisiert, da in den kommenden 20 bis 30 Jahren bis zu 70 Prozent ihrer Energienachfrage durch höhere Importe aus zumeist politisch instabilen Produzentenstaaten gedeckt werden müssten – gegenwärtig sind es 50 Prozent. Erstmals hatte das Thema "Energiesicherheit" und ihre außenpolitischen Dimensionen im Dezember 2003 in der ersten globalen "Europäischen Sicherheitsstrategie" der EU (dem wichtigsten Dokument der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP) kurze Erwähnung gefunden. Erstaunlich war einerseits, wie sehr die GASP konzeptionell auf einem "erweiterten Sicherheitsbegriff" fußen sollte, andererseits, wie schwer es den Mitgliedsstaaten fiel, diesen zu konzeptionalisieren und "Energiesicherheit" auch als außen- sowie sicherheitspolitische Herausforderung sowie als politisches Querschnittsthema zu begreifen. Einmal mehr war es das britische Foreign & Commonwealth Office, das als erster EUMitgliedsstaat eine internationale "Energy Strategy" mit außenpolitischen Gesichtspunkten veröffentlichte. Die Kommission hatte seit Ende 2000 nicht nur konkrete Ideen und Strategien für eine gemeinschaftliche Energieaußenpolitik (oder "Auswärtige Energiebeziehungen") vorgeschlagen, sondern diese mit ihren begrenzten Kompetenzen in Form einer Vielzahl von Energiedialogen als Teil ihrer "äußeren Energiebeziehungen" sowohl mit Produzenten- und Transitstaaten an der Peripherie Europas als auch auf globaler Ebene bis 2006 bereits implementiert. Der strategische Wandel des internationalen Umfeldes Der russisch-ukrainische Gaskonflikt Anfang 2006 war aus Sicht der Kommission und zahlreicher Energieexperten keineswegs lediglich ein Konflikt nur über die Anhebung der Gaspreise auf ein marktgerechteres Niveau. Die EU hatte sich in ihrer Energiepartnerschaft mit Russland im Oktober 2000 einer verstärkten interdependenten Abhängigkeit mit Russland verschrieben, die jedoch auf der Erwartung gründete, dass Russland seine marktwirtschaftliche Ausrichtung noch verstärke und keine weitergehenden geopolitischen Ambitionen verfolge. 41

Doch die Energiepolitik Putins verkehrte sich ins Gegenteil: In der Innenpolitik wurde die Energiewirtschaft einer weitgehenden Renationalisierung unterzogen, die zugleich die Voraussetzung für die Instrumentalisierung der Energieressourcen, der energiepolitischen Abhängigkeiten und der Pipelinediplomatie für die Außen- und Sicherheitspolitik Russlands bildete. Die von der EU forcierte Liberalisierung ihrer Energiewirtschaft und besonders des Gassektors steht jedoch im diametralen Gegensatz zur Bewahrung und zum Ausbau der energiepolitischen Monopolstrategien Russlands, die nur begrenzten Spielraum für eine wirklich partnerschaftliche Energiepolitik lassen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang vor allem der hohe Gasimportbedarf für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Bereits heute ist Europa der größte Erdgasimportmarkt (2005: EU-27 = 317 Milliarden Kubikmeter) und wird bis 2030 nach Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris mit fast 490 Milliarden Kubikmeter (USA: 159, China/Indien: 83 Milliarden Kubikmeter) weiter den absoluten Spitzenplatz unter den Gasimporteuren der Welt behalten. Doch bereits gegenwärtig stammen rund 80 Prozent der Gasimporte aus nur drei Ländern: Russland (42%), Norwegen (24%) und Algerien (18%). Viele Länder betreiben einen Ressourcennationalismus Zudem haben der wirtschaftliche Aufstieg und die rapide zunehmende Energienachfrage Asiens (vor allem Chinas) zahlreiche Fragen auch für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU aufgeworfen. So haben sich die EU-China-Beziehungen in den letzten Jahren durch eine unterschiedliche Interessenlage als Folge der neuen energiepolitischen Abhängigkeiten sowie der tradierten Nichteinmischungspolitik Pekings in der Iran-, Afrika- (wie im Sudan) und Zentralasienpolitik stark gewandelt. Noch weitaus gravierender sind die weltweiten Trends in Richtung einer Renationalisierung der Energiepolitik und eines Ressourcennationalismus vieler Länder. Aufgrund der weltweiten Nachfrageexplosion nach Öl und Gas, der zunehmenden politischen Instabilitäten in vielen Produzentenländern und der befürchteten "Spitzennachfrage" nach Erdöl ("Peak Oil") im Zeitraum 2010 bis 2020 hat sich das globale Kräfteverhältnis zwischen Energieproduzenten und -konsumenten bereits grundlegend verändert. Die Produzentenländer sind politisch wesentlich gestärkt worden: Je höher die durchschnittlichen Öl- und Gaspreise auf dem internationalen Markt sind, desto geringer ist die Bereitschaft von Regierungen zu interner politischer sowie wirtschaftlicher Reform und desto konfrontativer droht ihre Außenund Sicherheitspolitik zu werden. Dies hat einen "Petro-Autoritarismus" mit weitreichenden Auswirkungen auf die Weltpolitik zur Folge. Vor diesem Hintergrund ist eine allein nationalstaatliche Energiepolitik nicht mehr ausreichend, um gleichzeitig die globalen Herausforderungen der internationalen Energieversorgungssicherheit und des Klimawandels zu bewältigen. In den letzten 20 Jahren überließen die meisten EU-Mitgliedsstaaten die Energieversorgungssicherheit weitgehend der privatwirtschaftlichen Energieindustrie: Deren Geschäftsinteressen sind jedoch vor allem durch kurzfristige wirtschaftliche Gewinne in einer zunehmend konkurrenzbetonten Umwelt bestimmt. In Richtung einer gemeinsamen Energieaußenpolitik der EU Bereits zwei Monate nach dem russisch-ukrainischen Gaskonflikt hatte die Europäische Kommission am 8. März 2006 ihr drittes Grünbuch zu Energiefragen herausgegeben, welches 42

auch die Notwendigkeit einer gemeinsamen "äußeren Energiepolitik" ("external energy policy") als integralen Bestandteil der GASP und Nachbarschaftspolitik der EU vorsieht. Als Folge des Gaskonfliktes warnte nun auch der neue deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier: "Energie darf nicht zur Machtwährung in den internationalen Beziehungen werden. Dies ist das Ziel deutscher Energieaußen- und Sicherheitspolitik. [...]Weltweit gilt es, mögliche Spannungen aus Verteilungs- und Zugangskonflikten um Energie im Vorfeld zu erkennen und zu entschärfen." Im Frühjahr 2006 hatte der Europäische Rat die Kommission aufgefordert, einen konkreten Aktionsplan für die Energiesicherheit und Energieaußenpolitik der EU bis 2007 auszuarbeiten. Am 15. bis 16. Juni 2006 hatten der Hohe Repräsentant der GASP, Javier Solana, und die Kommission konkrete Vorschläge erarbeitet, die am 12. Oktober 2006 in einem Aktionsplan der Kommission mündeten. Am 20. Oktober 2006 auf dem Lahti-EUGipfel sprach die EU erstmals mit "einer Stimme" gegenüber Russland. Auch die zahlreichen Initiativen und die Reisediplomatie des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier ab 2006 (wie nach Zentralasien Ende Oktober) dienten dem Ziel, eine kohärente nationale und europäische Energieaußenpolitik zu forcieren. Gleichwohl gibt es innerhalb der Bundesregierung unterschiedliche Akzentuierungen: Dies ist besonders in der Russlandpolitik zu erkennen, die von Merkel und Teilen der Union mit einer kritischeren Sicht betrieben wird und die deutsche Erwartungshaltung gegenüber Russland nicht zu hoch hängt. Damit wurden neue Akzente für eine gemeinsame Energieaußenpolitik gesetzt und Abstand genommen von einem energie- und außenpolitischen "Sonderweg Deutschlands", wie er für die Schröder-Ära charakteristisch war und aus Sicht vieler anderer EU-Staaten auf Kosten ihrer und der gemeinsamen Energiesicherheit der EU ging. Die Energiestrategie der EU: Der Energieaktionsplan vom März 2008 Auf ihrem Frühjahrsgipfel der Staats- und Regierungschefs am 18-19. März 2007 hat die EU die weltweit ehrgeizigste "integrierte Klima- und Energiepolitik" verkündet. Unter der deutschen EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 wurden die Zielvorgaben auf dem Märzgipfel der EU 2007 entsprechend verschärft: * Die Energieeffizienz der EU soll um insgesamt 20 Prozent verbessert werden; * die Bestimmungen des Kyoto-Protokolls zur Einsparung von CO2-Gasen sollen übertroffen und die Emissionen innerhalb der EU bis 2020 um ein Fünftel (20%) gesenkt werden (bzw. um 30%, sollten sich andere Industrieländer wie die USA, Indien, China u.a. hierzu bereit erklären); * außerdem soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch bis 2020 von derzeit 8,5 Prozent auf 20 Prozent angehoben werden. Dieses Ziel erreichen heute allerdings schon Lettland, Schweden, Finnland und Österreich, wobei die Erfolge Schwedens und Finnlands auf die Nutzung von Kernenergie zurückzuführen sind. Darüber hinaus soll der Anteil der Biokraftstoffe wie Bioethanol und Biodiesel am Treibstoffverbrauch auf 10 Prozent bis 2020 zu steigen. Auch die Biospritvorgaben sind Teil der integrierten Klima- und Energiestrategie, mit der die EU ihren Treibhausgasausstoß um 20 Prozent senken will. Doch die anhaltende globale Kritik und neue Studien wie von der Weltbank, denen zufolge der weltweite Anstieg der Nahrungsmittelpreise wesentlich das Resultat der Nachfrage für Biotreibstoffe der Industriestaaten ist, da diese für die Produktion von Biotreibstoffen vor allem Nahrungsmittelpflanzen wie Mais und Getreide wie Weizen 43

verwenden, haben zum Überdenken dieser Zielsetzung geführt. Stattdessen soll Biosprit, der künftig in der EU zu zwei Dritteln importiert wird, künftig auch umwelt- und sozialverträglich sein und demnach nicht länger aus Nahrungsmittelpflanzen und Getreide gewonnen werden. Damit droht die Biospritzielsetzung von 2007 bereits nach nur einem Jahr hinfällig zu werden und zugleich die Einhaltung der ambitiösen Klimaschutzpläne der EU mehr denn je in Frage zu stellen. So bestand vor dem Märzgipfel 2007 ohnehin keine wirkliche Einigkeit bezüglich der Klimaziele, wie der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien auf 20 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs bis 2020. Hierbei war vor allem umstritten, ob bei der Ermittlung dieses Wertes die Kernenergie berücksichtigt werden sollte. So konnte sich die deutsche Ratspräsidentschaft in dieser Frage nur noch auf die explizite Unterstützung Österreichs gegen die Anrechnung von Kernenergie als kohlenstofffreie Energiequelle stützen. Zudem war der von der EU gleichzeitig verabschiedete Energieaktionsplan (2007-2009) gegenüber der Klimaschutzkonzeption vor und nach dem EU-Gipfel weit weniger beachtet worden. Als Folge dessen und der Zielkonflikte innerhalb des Trias drohen entgegen der im Energieaktionsplan verabschiedeten Zielsetzung der Bewahrung des Gleichgewichts innerhalb des Energietrias künftig Versorgungssicherheit und Wettbewerb zugunsten der Klimapolitik eher untergeordnet zu werden. Aus Sicht der EU-27 soll die zukünftige Versorgungssicherheit der EU durch eine aktive Diversifizierung der Energieträger und der Importe von Erdöl sowie Erdgas gestärkt werden. Dieser Zielsetzung dient auch die am 22. Juni von der EU verabschiedete Zentralasienstrategie, die eine verstärkte sicherheits- und energiepolitische Zusammenarbeit mit den Regionalstaaten Zentralasiens und der Kaspischen Region vorsieht. Problematisch ist der Zielkonflikt zwischen Klima- und Versorgungssicherheit vor allem hinsichtlich des bereits angesprochenen stark ansteigendes Gasimportbedarfs der EU. So ist es in den energiepolitischen Diskussionen vor allem Deutschlands seit dem Märzgipfel der EU von 2007 nicht überraschend, dass die Frage der Diversifizierung mehr denn je auf die Bezugsquellen und Importe beschränkt wird. Tatsächlich lehrt die Ölkrise 1973/74, dass die Notwendigkeit einer Diversifizierung zunächst mit dem Energieträgermix beginnt. Je kleiner der Energieträgermix, um so abhängiger sind Staat und Energiefirmen von den übrigen Energiequellen. Insoweit verstoßen der geplante Ausstieg aus der Kernenergie bis 2012 und auch die gegenwärtigen Diskussionen des Stops des Baus neuer Kohlekraftwerke gegen diese entscheidende Lehre. So wird der deutsche Kernenergieausstieg mit einer höheren Abhängigkeit von Gasimporten erkauft, die gegenüber Öl und Kohle als klimafreundlicher gelten. Dies aber geht zulasten der deutschen Versorgungssicherheit, da die Gasimportabhängigkeit von Russland und politisch instabilen Importländern weiter erhöht wird. Zudem droht der künftige Gasbedarf vor allem aus klimapolitischen Gründen noch weiter zuzunehmen, da die Zahl der Kraftwerke, die mit Öl und Kohle gefeuert werden, abnimmt. In Deutschland wird erwartet, dass zwar ein Rückgang des Energieverbrauchs um bis zu 17 Prozent als Folge der Energiebeschlüsse der EU und der Bundesregierung möglich ist, dass der Anteil von Naturgas jedoch von 23 auf 27-29 Prozent im Primärenergieverbrauchs-Anteil steigen würde. Mit einer Laufzeitverlängerung der bestehenden Kernkraftwerke könnte dieser Gasanteil jedoch wieder auf 24 Prozent sinken. Dies wäre auch deshalb sinnvoll, weil der Gasimportanteil in Deutschland mit 85 Prozent im Vergleich zum EU-Durchschnitt ohnehin hoch ist. Bereits heute ist Deutschland nach den USA der weltweit größte Gasimporteur und 44

mit 18 Prozent am europäischen Gasverbrauch derzeit der zweitgrößte Gasmarkt in Europa nach Großbritannien (mit rd. 20%). Ein Verzicht auf den Bau neuer Kohlekraftwerke würde in diesem Zusammenhang die Erdgasabhängigkeit noch einmal verstärken, was für den Grundlastbedarf – der sich gegenwärtig vor allem noch auf die weitaus billigere Kernenergie und Kohlekraftwerke abstützt – und damit auch für den Verbraucher mit einer drastischen Preiserhöhung des wesentlich teueren Erdgases verbunden wäre. Zwar würden damit die nationalen Zielsetzungen der Reduzierung des Treibhausausstoßes leichter zu erreichen sein, doch würden die globalen Bemühungen der Reduzierungen der CO2-Emissionen erheblich erschwert: Ein erhöhter Import von russischem Erdgas würde Moskau aufgrund seiner Gaskrise (s.u.) noch stärker zwingen, auf den Ausbau der Kohleproduktion für die Stromerzeugung und den heimischen Wärmemarkt zu setzen, um den für den Export höheren Gasbedarf innenpolitisch durch andere Energieträger zu kompensieren. Dies ist zwar ohnehin der Plan des früheren Präsidenten und heutigen Ministerpräsidenten Russlands, Vladimir Putins, die Gaskrise in den Griff zu bekommen, würde die Problematik aber noch zusätzlich verstärken. Da der drastische Ausbau von neuen Kohlekraftwerken in Russland nicht den gleichen durchschnittlichen Wirkungsgrad wie in Deutschland aufweisen wird, würde Russland künftig erheblich mehr Treibhausgase als Deutschland mit modernisierten Kohlekraftwerken emittieren. Im Resultat würden global mehr CO2Emissionen emittiert. Dies aber würde den globalen Zielsetzungen der deutschen Klimapolitik widersprechen und diese innerhalb der EU-27 als politisch unglaubwürdig erscheinen lassen. Auch die Pläne, 30 riesige Windradparks in Nord- und Ostsee zu forcieren (um so den Anteil der erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung von derzeit 14 auf mindestens 30 Prozent bis 2020 zu erhöhen), läuft der deutschen Versorgungssicherheit entgegen. Zwar stärkt der Ausbau der erneuerbaren Energien allgemein die Versorgungssicherheit. Doch mit einem derartigen Ausbau der Windenergie im Widerspruch zu einem ausgewogenen Energiemix werden noch erheblich größere Investitionen zur Sicherung der Grundlastversorgung notwendig. Diese würden jedoch vor allem in Gasturbinen erfolgen und so ebenfalls die Abhängigkeit von Gasimporten aus Russland erhöhen und damit dem Gebot der Stärkung der Versorgungssicherheit zur Bewahrung des Gleichgewichts im Energietrias widersprechen. Zugleich würde dies den Zielsetzungen des Energieaktionsplanes der EU-27 widersprechen. Demgegenüber ist es im Gegensatz zu Deutschland vor allem bei den neuen EUMitgliedsstaaten mehr als nur fraglich, ob diese ohnehin kleineren und politisch schwächeren Staaten mit ihrer zudem höheren Gasabhängigkeit von Russland die nationale Versorgungssicherheit einer international sehr ambitionierten Klimaschutzpolitik der EU vergleichbar unterordnen werden. Zwei Schritte vor, einer zurück Die aktive Forcierung neuer bilateraler Energiekooperationen mit Italien, Ungarn, Griechenland, Bulgarien und Österreich sowie mit Kasachstan und Turkmenistan durch den russischen Präsidenten Vladimir Putin nach dem EU-Märzgipfel 2007 hat jedoch die Diversifizierungs- und neue Zentralasienstrategie der EU noch vor Ende der deutschen EUPräsidentschaft bereits in Frage gestellt. Zugleich wurden damit neue und alte Zielkonflikte in der Russland- und/oder Zentralasienpolitik der EU und Deutschlands aufgeworfen, die eine gemeinsame 45

Energieaußenpolitik gegenüber Moskau mehr denn je in Frage stellen. Während zum Zeitpunkt der deutsch-russischen Unterzeichnung der Nordstream-Pipeline in der Ostsee im September 2005 zumindest formell noch keine gemeinsame Energiepolitik von Seiten der EU-27 proklamiert worden war, widersprechen die jüngsten bilateralen Energiedeals der angeführten EU-Staaten eindeutig Geist und Buchstaben der im März verabschiedeten gemeinsamen Energiepolitik. Als Folge exklusiver bilateraler Abkommen mit europäischen Unternehmen statt wirklicher gleichberechtigter Partnerschaften hat Moskau die Konkurrenz zwischen europäischen Unternehmen und Staaten um den Zugang zu russischen Energieressourcen erheblich verschärft. Dies versetzt den Kreml in die Lage und entspricht seinem geopolitischen Interesse, die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten und europäischen Energieunternehmen gegeneinander auszuspielen. Wie stark ist Moskaus strategische Kontrolle? Durch den systematischen Kauf von Anteilen an europäischen Energiefirmen und deren Infrastruktur (wie Pipelines, Raffinerien, Gasspeicher etc.) und durch die aktive politischdiplomatische Absicherung des eurasisch-europäischen Gaspipeline-Monopols droht inzwischen aus Sicht der Kommission, der Experten von EU-Außenvertreter Javier Solana, des Europäischen Parlaments und unabhängiger Experten eine regelrechte "Einkreisung" Europas durch eine strategische Kontrolle Moskaus der eurasischen und nordafrikanischen Gaszufuhr nach Europa, des Gashandels innerhalb der EU und der Gasspeicherung durch Gazprom und den Kreml. Diese droht die energie- und außenpolitischen Optionen der EU in mittel- und langfristiger Sicht stark einzuschränken und mit einem problematischen Verlust von Souveränität in beiden strategischen Politikfeldern verbunden zu sein. Bereits das Europäische Parlament hatte im September 2007 auf Initiative des Auswärtigen Ausschusses seine Verärgerung über die jüngsten Alleingänge einzelner EU-Staaten geäußert und massiv Kritik geübt. Dieser "Bericht zur gemeinsamen europäischen Außenpolitik zu Energie", der fraktionsübergreifend mit einer beeindruckenden Mehrheit von 553 Stimmen gegen 103 Gegenstimmen bei 27 Enthaltungen verabschiedet wurde, signalisiert, dass die europäischen Parlamentarier in Brüssel parteiübergreifend weitaus mehr als ihre Kollegen und Regierungen in den Mitgliedsstaaten die Herausforderungen begriffen haben und mit den Fort- bzw. Rückschritten auf dem Weg zu einer wirklich gemeinsamen Energie(außen)politik nach den März-Entscheidungen von 2007 des Europäischen Rates absolut unzufrieden sind. Der einzige Ausweg gegenüber Russland, Gazprom, aber auch den großen globalen energieund klimapolitischen Herausforderungen liegt in der Forcierung eines wirklich gemeinsamen europäischen Energie- und besonders Gasmarktes auf der Basis einer weitgehenden liberalisierten Marktwirtschaft (die eine verstärkte kontrollierende und regulierende Rolle des Staates und der Brüssel Behörden jedoch keineswegs ausschließt, sondern voraussetzt), und einer gemeinsamen Energieaußenpolitik, die mit einer Stimme gegenüber Russland sowie der Welt spricht und dabei nicht nur auf dem Papier steht. Nur dann werden die EU und Deutschland auch künftig international Gehör finden, und nur dann werden sie ihren strategischen Einfluss in einer zunehmend multipolaren Weltordnung wahren können. Auf diesem Weg dürfte die russische Militärinvasion in Georgien – wie andere außenpolitische Krisen zuvor – einmal mehr ein Katalysator auf dem Weg zu einer wirklich gemeinsamen Energie(außen)politik der EU sein.

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Energie-Perspektiven Auch Sparsamkeit gehört künftig zur Energiepolitik Zur Person Dr. Stefan Thomas ist Physiker und Politikwissenschaftler. Seit 2003 leitet er die Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik des Wuppertal Instituts. Arbeitsschwerpunkte sind Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen. Hier forscht er insbesondere zur Analyse, Evaluierung, Entwicklung und Erprobung neuer Politikinstrumente für verbesserte Endenergieeffizienz sowie zu neuen Unternehmenskonzepten und förderlichen Rahmenbedingungen in der Energiewirtschaft.

Energie wird nicht nur zunehmend teurer, sondern auch knapp. Dabei gibt es beim Energieverbrauch selbst noch große Einsparpotenziale, auch durch eine verbesserte Energieeffizienz. Bislang werden diese Möglichkeiten aber bei weitem nicht ausgeschöpft. Klimafreundliches Fahrrad Das Fahrradfahren ist sicherlich energiesparend. Doch Klimaanlagen, vor allem ältere Modelle, sind echte Energieschlucker. Foto: AP

In den kommenden Jahrzehnten steht der Strom- und Wärmemarkt in Europa vor erheblichen Herausforderungen. Neben Anzeichen für kommende Verknappungen bei den fossilen Energieträgern besteht ein großer Bedarf an neuer Kraftwerkskapazität. Gleichzeitig ist es aus gesamtwirtschaftlichen Gründen und für den Klimaschutz dringend erforderlich, die Energiekosten zu verringern und die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. Bei einem ungebremsten "Weiter-so" wäre die Europäische Union (EU) zudem schon 2020 zu 70 Prozent von Energieimporten abhängig. Vor diesem Hintergrund erhält das Energiesparen durch verbesserte Energieeffizienz auf der Nachfrageseite – auch als Endenergieeffizienz bezeichnet – neue Aufmerksamkeit auf der Ebene der Vereinten Nationen (UN), der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über die EU bis hin zur deutschen Politik. Ein Beispiel sind der von der EU Ende 2006 beschlossene Aktionsplan Energieeffizienz und die Beschlüsse des Ministerrats im März 2007, unter anderem die Energieeffizienz in der EU bis 2020 gegenüber dem Trend um 20 Prozent zu verbessern. Hierbei bestehen erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten bei der Nachfrage sowohl für Strom als auch für Wärmeenergieträger. Bedeutung der Energieeffizienz im Kontext der Energie- und Klimapolitik Szenarienrechnungen (bspw. für den World Wide Fund for Nature (WWF) 2005) kommen zu dem Schluss, dass bei verstärkten Anstrengungen in der EU und auch in Deutschland insgesamt bis zum Jahr 2020 mehr als 20 Prozent des Verbrauchs an Endenergie – also Strom, Gas, Heizöl, Benzin, Diesel und andere – gegenüber dem Trend eingespart werden könnten. Hinzu kommen Einsparpotenziale auf der Angebotsseite von Energie, zum Beispiel durch Kraft-Wärme-Kopplung. Dabei wird die Abwärme aus der Stromerzeugung zum Heizen oder für die Produktion verwendet. 47

Energieeffizienz, vor allem auf der Nachfrageseite – Endenergieeffizienz also – ist daher der Schlüssel zu einer nachhaltigen Energieversorgung. In Kombination mit dem Ausbau erneuerbarer Energien kann die entschiedene Nutzung der Energieeffizienz die Umsetzung der Ziele der Energie- und Klimapolitik ermöglichen. Der vom Bundesumweltminister im Mai 2007 vorgestellte Acht-Punkte-Plan zum Klimaschutz kann bei vollständiger Umsetzung das Ziel der Treibhausgasreduktion in Deutschland um 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 bei gleichzeitigem Auslaufen der Kernenergie gemäß dem geltenden Gesetz erreichen (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1. Quelle: Wuppertal Institut 2008 nach Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 2007

Abbildung 1: Der Acht-Punkte-Plan der Bundesregierung zum Klimaschutz. Die Maßnahmen 1, 5 und 7 zielen auf das Energiesparen durch Verbesserung der Energieeffizienz auf der Nachfrageseite (Endenergieeffizienz), die Maßnahmen 2 und 4 auf ein energieeffizienteres Energieangebot. Zugleich zeigen aktuelle Untersuchungen für das Bundesumweltministerium (ISI/ÖKO/STE 2007), dass hiermit ein wirtschaftlicher Gewinn verbunden wäre. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Energieeffizienz. Durch die Energiekosteneinsparung ist Energieeffizienz in der Regel sehr wirtschaftlich. Energiesparmaßnahmen bringen oft eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals von 30 Prozent oder mehr. Im Gesamtsystem können dadurch die zeitweiligen Mehrkosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien mehr als wett gemacht werden. Energieeffizienz und Einsparpotenziale Doch was genau bedeutet Energieeffizienz, und wie groß sind die Potenziale? Energiesparen durch effiziente Energienutzung heißt, für die gleiche Dienstleistung – z.B. warme und helle Räume, Transport, Produktion – weniger Energie einzusetzen. Dazu kann entweder in effizientere Technik investiert werden, oder es kann effiziente Technik z.B. durch 48

Energiemanagement besser genutzt werden, oder es kann Energieverschwendung z.B. durch Abschalten nicht benötigter Geräte und Anlagen vermieden werden. Die Potenziale der effizienten Energienutzung sind enorm. Die sparsamsten Kühl- und Gefriergeräte verbrauchen heute zwei Drittel weniger Strom als Geräte im Durchschnitt vor zehn Jahren. Passivhäuser brauchen dank verstärkter Wärmedämmung sowie effizienter Lüftung und Heizung nur 20 Prozent der Heizenergie eines Neubaus nach der Energieeinsparverordnung – bei guter Planung und Ausführung entstehen keine großen Mehrkosten. Bei elektrischen Antrieben sind ähnliche Einsparungen möglich: Bei Heizungsumwälzpumpen sparen z.B. die neue EC-Motor-Pumpe und eine Optimierung des Heizkreislaufs bis zu 90 Prozent. EC-Motoren drosseln mittels eines Permanentmagneten elektrische Verluste. Mehrere Hersteller bieten bereits "3-Liter-Autos" an, und mit Leichtbauweise, Hybridantrieb etc. können auch Mittelklassemodelle in absehbarer Zeit solche niedrigen Verbrauchswerte erreichen. Insgesamt ist es im Rahmen der normalen Erneuerungszyklen für Geräte, Fahrzeuge, Anlagen und Gebäude gesamtwirtschaftlich und für die Energieverbraucher lohnend sowie technisch möglich, zusätzlich bis zu zwei Prozent pro Jahr gegenüber bisherigen Trends einzusparen. Abbildung 2 zeigt, in welchen Bereichen besonders große und wirtschaftliche Potenziale zur Treibhausgas-Minderung durch Endenergieeffizienz bestehen.

Abbildung 2. Quelle: Wuppertal Institut 2006

Abbildung 2: Potenziale zur Treibhausgas-Minderung durch Endenergieeffizienz innerhalb von 10 Jahren, wenn in jedem Fall die effizienteste Technik zum Einsatz kommt, und Nettokosten aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive: durchschnittliche Energieeinsparkosten (dicke Linie) und CO2-Vermeidungskosten (dünne Linie) im Vergleich zu den Kosten bei ohnehin durchzuführenden Maßnahmen, unter Berücksichtigung der eingesparten Energiesystemkosten (daher Nettokosten). Die Breite der Stufen in der Treppenkurve zeigt das Potenzial einer Technik, die Tiefe auf der Treppe ihre Wirtschaftlichkeit. Wenn die Kosten eingesparter Energie kleiner als Null sind, ist das Potenzial wirtschaftlich. Links unten 49

sind daher die wirtschaftlichsten Potenziale. Den Berechnungen liegen Energiepreise von 2004 zugrunde. So entsteht eine Win-win-Situation, bei der alle profitieren: Innovation, Arbeitsplätze und Wertschöpfung können wirtschaftlich mit dem Klimaschutz verbunden werden. Hemmnisse für Energieeffizienz und Aufgaben der Energiepolitik Warum gibt es nach wie vor diese Potenziale, wenn sie doch eigentlich wirtschaftlich sind? Der Grund ist eine Vielzahl von Hemmnissen, die die Umsetzung selbst wirtschaftlicher Energieeffizienzmaßnahmen verhindern. Energieeffizienz hat bei Anschaffungen, Planungen und Instandsetzungen meist keine Priorität: Sie ist geknüpft an viele kleine und mittlere technische Verbesserungen bei Gebäuden, Anlagen oder Techniken und ist nicht deren Hauptzweck. Es fehlt daher an Überblick über mögliche Potenziale genauso wie an Detailwissen zu deren Erschließung oder ab wann sich die Mehrkosten amortisiert haben etc. Bei der Auswahl von Maßnahmen sind häufig die Anfangsinvestitionen ausschlaggebend, die gesamten Lebenszykluskosten bleiben allzu oft unberücksichtigt. Für die Analyse dieser Lebenszykluskosten gibt es zu wenige einfach handhabbare Werkzeuge. Außerdem gibt es in der Regel wenig Anreize, um sparsamste Geräte und Anlagen anzuschaffen, oder die Anreize sind nicht offensichtlich (z. B. Verminderung der Betriebskosten). Zu solchen Hindernissen kann es beispielsweise kommen, wenn Nutzer und Investor nicht identisch sind und darum unterschiedliche Interessen haben. Ein Beispiel dafür ist das Verhältnis von Mieter und Vermieter: Der Vermieter bezahlt nicht die Energierechnung und hat deshalb auch kein Interesse an Investitionen zur Verbesserung der Energieeffizienz wie z. B. Umstellung der Warmwasserversorgung von Strom auf Gas- und Solarwärme. Häufig stehen auch nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung, um in wirtschaftliche Effizienzmaßnahmen zu investieren. Eine dringende Aufgabe der Energiepolitik in Deutschland ist es daher, die vielfältigen Hemmnisse für Energieeffizienz noch besser zu überwinden als bisher. Nötig sind Informationen, z.B. durch Energieberatung, betriebliche Energieanalysen, Energielabel, einen aussagekräftigen Energieausweis für Gebäude, Datenbanken sparsamer Geräte und Fahrzeuge, aber auch bessere Aus- und Weiterbildung. Ebenso ist die finanzielle Förderung für Beratung und/oder Investition zur Energieeinsparung von Bedeutung. Hier gibt es z.B. Programme der KfW-Förderbank der Bundesregierung sowie Programme der Länder und Kommunen. Auch schärfere Grenzwerte für den Energieverbrauch von Fahrzeugen, Geräten, Gebäuden und Anlagen (u.a. durch die Energieeinsparverordnung und die EcoDesignRichtlinie sowie die vorgeschlagene Regulierung des CO2-Ausstoßes von Autos) sind entscheidend. Nicht zuletzt ist die Nutzung des öffentlichen Einkaufs wichtig, um sparsame Technik schneller in den Markt zu bringen (vgl. Borg 2003). Es muss also ein Gesamtpaket von Maßnahmen und Instrumenten umgesetzt werden, um Energieeffizienz insgesamt so einfach und attraktiv wie möglich zu machen – durch individuelle Beratung, praktische Anleitungen und konkrete Handlungsempfehlungen, Sicherstellung der Verfügbarkeit der empfohlenen Maßnahmen, Schulungen, Regulierung, finanzielle Anreize und Finanzierungsangebote. Mit anderen Worten: eine Kombination aus "Zuckerbrot, Peitsche und Werbetrommel". Dieses Bündel von Maßnahmen und Instrumenten sollte sich an alle Akteure in den jeweiligen Marktketten richten, wie Abbildung 3 veranschaulicht. 50

Abbildung 3. Quelle: Wuppertal Institut, 2007

Abbildung 3: Der generelle Politikinstrumente-Mix zur Förderung der Verbesserung der Endenergieeffizienz. Die Abbildung zeigt, dass dabei zunächst in einem Technikmarkt bei der Energieanwendung die Hemmnisse für alle Marktakteure analysiert werden müssen. Sodann gilt es, aus dem dargestellten Mix das jeweils geeignete Paket von Instrumenten zu schnüren. Wichtig für die Umsetzung ist es, dass die dezentralen Angebote zur Information, Weiterbildung und Förderung jeweils bundesweit gebündelt und finanziert werden. Mit einem solchen Gesamtrahmen haben es z.B. Großbritannien und Dänemark ermöglicht, jedes Jahr zusätzlich mehr als ein Prozent Energie einzusparen. Sie nutzen dazu eine Kombination aus Verpflichtungen der Energiewirtschaft, eine bestimmte Menge an Energieeinsparungen bei ihren Kunden nachzuweisen, und staatlich finanzierten Energiesparfonds. Auch in Deutschland könnte ein solcher Energiesparfonds ein wirksames Instrument sein: Ein Beitrag von durchschnittlich etwa 0,1 Cent pro kWh, z.B. aus der Energiesteuer auf Strom, Gas und Öl, würde genügen, um die Energierechnungen (Verbrauch mal Preis) von Industrie, Handel, Gewerbe und Haushalten deutlich zu senken (Thomas/Irrek 2006).

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Ein Dorf schafft die Wende In Jühnde setzt man auf Biomasse als Energieträger Sonja Ernst Zur Person Sonja Ernst ist freie Journalistin und Redakteurin in Köln. Zu ihrenSchwerpunkten gehören Themen aus Politik und Gesellschaft.

Als erster Ort in Deutschland bezieht Jühnde seit 2005 in Eigenregie Energie aus Biomasse – erfolgreich. Die Biogasanlage produziert Strom im Überfluss und versorgt die Häuser mit Wärme und Heißwasser. Doch die ersten Schritte hin zur Energiewende waren nicht immer einfach. Bioenergieanlage in Jühnde Seit 2005 versorgt die Biogasanlage die Bürger Jühndes mit Strom und Wärme. So sparen die Jühnder jährlich pro Kopf 3.300 Tonnen CO2 ein, ohne auf Auto, Kühlschrank oder Fernseher zu verzichten. Foto: AP

Öl- und Gaspreise steigen, Verbraucher sind verärgert. Doch in einem kleinen Dorf bei Göttingen bleibt die Empörung aus, denn hier ist man unabhängig vom Geschehen auf dem internationalen Öl- und Gasmarkt. Die Jühnder haben die Energiewende geschafft und versorgen sich seit 2005 selbst mit Energie. Am Rande des 700-Einwohnerdorfes steht eine Biogasanlage. Sie sorgt für Wärme und Strom. In einem runden, 3.000 Kubikmeter großen Fermenter vergärt Biomasse – Mais, Sonnenblumen, Raps – gemeinsam mit Gülle zu Ethanolgas. Das Biogas wir im angeschlossenen Blockkraftheizwerk verbrannt und erzeugt über einen Generator Strom. Zusätzlich werden über ein Nahwärme-Netz die Häuser in Jühnde mit der Abwärme des Blockkraftheizwerkes versorgt. Pro Kopf sparen die Jühnder jährlich 3.300 Tonnen CO2 ein, ohne auf Auto, Kühlschrank oder Fernseher zu verzichten. Nun könnte man annehmen, in Jühnde leben nur überzeugte "Ökos". Weit gefehlt. Auch hier findet sich eine gemischte soziale Gemeinschaft, so dass der Umstieg auf Biomasse als Energieträger nicht nur ein technischer, sondern auch ein mühsamer politischer Prozess war. Über Monate hinweg wurde verhandelt, wurden die verschiedenen Interessen sowie Risiken abgewägt: Es gab Idealisten und Skeptiker, die Bauern, die Biomasse anbauen und verkaufen wollten, und die Einwohner, die auf günstige Energiepreise aus waren. Nach zahlreichen Anhörungen und Gesprächen fiel schließlich die Entscheidung: 70 Prozent der Jühnder machten mit, 142 von 200 Haushalten. Die Energie eines Dorfes "Heraus gekommen ist ein Hightech-Projekt mit sozialer Dimension", so Eckhard Fangmeier. Für den 49-jährigen Physiker stand der Umweltschutz im Mittelpunkt. Fangmeier ist mittlerweile Vorstand und Sprecher der Betriebs- Genossenschaft Jühnde, die die 52

Biogasanlage betreibt. Jeder Haushalt, der mitmachte, kaufte zu Beginn drei Anteile an der Genossenschaft, für insgesamt 1.500 Euro. 1.000 Euro kostete dann noch der Anschluss an das Nahwärme-Netz. Doch insgesamt mussten über fünf Millionen für die Biogasanlage und das Nahwärme-Netz aufgebracht werden. Fördergelder kamen vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, auch das Land Niedersachsen, der Landkreis Göttingen und die Gemeinde Jühnde beteiligten sich. "Damals brauchte es diese Fördergelder", so Fangmeier. Jühnde war das erste deutsche Bioenergiedorf, ein Modellprojekt ohne Vorläufer. "Doch den Rucksack trägt das Dorf", meint Fangmeier. Denn die Fördergelder in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro reichten nicht aus; ebenso wenig das Eigenkapital einiger Jühnder, immerhin eine halbe Million, das in die Genossenschaft investiert wurde. Kredite in Höhe von 3,5 Millionen Euro waren nötig, die die Betriebsgenossenschaft aufnahm. Die Biogasanlage muss also rentabel laufen und Gewinne erwirtschaften. Strom im Überfluss Eckard Fangmeier, Vorstand und Sprecher der Betriebsgenossenschaft Jühnde: "Mit Bioenergie kann das Energieproblem der Welt zwar nicht gelöst werden, aber sie ist ein Schritt in die richtige Richtung." Foto: Sonja Ernst

Mittlerweile produziert die Anlage über fünf Millionen Kilowatt-Stunden im Jahr. Das Dorf verbraucht knapp zwei Millionen. Wobei der Strom aus der Biogasanlage in das Stromnetz des regionalen Energieversorgers gespeist wird und die Jühnder ganz normal am Monatsende ihre Stromrechnung begleichen müssen. Die Genossenschaft bekommt jedoch für den eingespeisten Strom Geld und zwar zu einem festgeschriebenen Preis. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz garantiert der Betriebsgenossenschaft für 20 Jahre um die 17 Cent pro eingespeister Kilowatt-Stunde. Der Strompreis richtet sich nach Art der Erneuerbaren Energie. Hält die Biogasanlage ihren momentanen Output, dann sind das Einnahmen von rund 900.000 Euro im Jahr. Auch die Versorgung mit Wärme läuft stabil. Mit der Abwärme aus dem Blockkraftheizwerk wird Wasser erhitzt, das über ein unterirdisches Leitungssystem direkt in die Häuser gelangt für Warmwasser und Heizung. In ihren Häusern übernahmen die Jühnder dafür selbst das Kommando: Der alte Ölkessel flog raus und eine so genannte Übernahmestation kam rein, die mit einem Wasserbehälter verbunden ist. Beim Warmwasser und der Heizung liegt der Kostengewinn für die Jühnder. Denn die Preise liegen deutlich unter den aktuellen Öl- und Gaspreisen. Sie sind zwar nicht garantiert und falls Biomasse teurer werden sollte, müssen auch die Jühnder mehr zahlen, doch voraussichtlich nicht so viel wie für Öl und Gas. Die Bakterien brauchen die richtige Temperatur Um die Energieversorgung zu sichern, braucht es ordentlich Biomasse und frische Gülle, die von den Landwirten in und um Jühnde geliefert wird. 2007 wurden 10.000 Tonnen Biomasse 53

und 9.000 Kubikmeter Gülle verbraucht. Beides wird dem Fermenter zugeführt; vier Rührwerke halten im Gär-Tank die Masse in ständiger Bewegung. "Im Fermenter herrschen quasi Urbedingungen", so Fangmeier. Gülle enthält Methanbakterien, die den Biobrei zersetzen und damit Methan freisetzen, sprich Biogas. Dafür brauchen die Bakterien die richtige Temperatur von etwa 38 bis 40 Grad. Im Sommer reichen dafür die üblichen Wärmegrade, im Winter wird der Fermenter mit Abwärme aus dem Blockkraftheizwerk mitversorgt. In den kalten Monaten, wenn die Biomasse des letzten Jahres aufgebraucht und die neue Ernte noch auf dem Feld steht, kann auch der Nachschub für die Biogasanlage schon mal knapp werden. An die Biogasanlage ist deshalb ein Holzhackschnitze-Heizwerk angeschlossen, in dem Restholz verbrannt wird, das aus den umliegenden Wäldern stammt. Für einen dramatischen Kälteeinbruch oder auch für den Ausfall der Biogasanlage steht noch ein Ölheizkraftwerk bereit, das bislang nur in Ausnahmefällen zugeschaltet wurde. Die Felder als Energiekammern? Ein Vorteil der Erzeugung von Energie durch Biomasse ist die so genannte "Grundlastfähigkeit". Anders als bei Wind- oder Solarenergie kann Energie aus Biomasse ohne Unterbrechung produziert werden, es braucht nur Nachschub an Pflanzen. "Biomasse ist nichts anderes als gespeicherte Sonnenenergie, die zeitlich unabhängig eingesetzt werden kann", so Uwe R. Fritsche vom Öko-Institut, Büro Darmstadt. Im Landkreis Göttingen finden sich mittlerweile 10 weitere Energie-Projekte, die auf Biomasse basieren, und nochmal 20 bis 30 Initiativen im übrigen Deutschland. "Der ländliche Raum ist natürlich prädestiniert. Da fällt die Biomasse an", sagt Fritsche, der den Bereich Energie und Klimaschutz koordiniert; Biomasse als Energiesystem zählt zu seinen Arbeitsgebieten. Biomasse sind einerseits Rest- und Abfallstoffe, wie Restholz, Fäkalien oder Essensabfälle sowie andererseits Energiepflanzen wie Mais, Raps und Sonnenblumen, die angebaut werden müssen. "Die entscheidende Frage ist hierbei natürlich, wie viel Fläche hat man?", so Fritsche. Um Konkurrenzen auszuschließen, muss ausreichend Anbaufläche für die Nahrungsmittelproduktion bleiben, ebenso braucht es bewaldete Flächen und solche für den Naturschutz. "Wenn man aber berücksichtigt, dass ein effizienterer Anbau möglich und ein demographischer Rückgang in Deutschland festzustellen ist, dann ergeben sich 3 bis 4 Millionen Hektar, die man nicht mehr braucht." Auf dieser Fläche sei der Anbau von Biomasse möglich, um 10 Prozent des aktuellen Energiebedarfs zu decken; 15 bis 18 Prozent wenn man optimistisch rechne. Zurzeit trägt Biomasse rund 4 Prozent zum deutschen Energiemix bei. "Diesen Anteil kann man schon in kurzer Zeit leicht verdoppeln", meint Fritsche. Aktuell werden nur 15 Prozent der Gülle genutzt, ebenso werden organische Abfallstoffe nur in geringem Maße eingesetzt. Energiemodelle wie in Jühnde seien nicht auf ländliche Gebiete begrenzt, auch für Städte sieht Fritsche eine Chance. Grünschnitt, Fäkalien und weitere organische Abfälle könnten für Wärme- und Stromerzeugung sehr viel umfangreicher eingesetzt werden. Ebenso seien größere Biogasanlagen auf dem Land denkbar: Die dort erzeugte Elektrizität wird in das Stromnetz eingespeist und die Wärme über ein Fernwärmenetz in nahe gelegene Städte transportiert oder das Biogas wird aufbereitet und in das Gasnetz eingespeist.

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Energie-Tourismus in Jühnde Doch vorerst bleibt Jühnde eher die Ausnahme und ist mittlerweile zur Energie-Attraktion geworden. In den ersten Jahren kamen täglich busweise Fachleute und Laien, die das autarke Dorf betrachten wollten. Mittlerweile hat der Besucherstrom abgenommen, abgerissen ist er noch lange nicht. Auch aus Japan, Thailand und den USA kamen und kommen Besucher. "Wir sind zum Aushängeschild im Bereich ländliche Bioenergienutzung für Deutschland geworden", so Fangmeier. Das primäre Ziel war die Wärmeversorgung für das Dorf zu erwirtschaften und, dass die Anlage rentabel läuft. Das sei gelungen, meint Fangmeier. Ist das Dorf Jühnde also eine Antwort auf eine drohende Energiekrise? Der Physiker sieht in Jühnde zwar einen Baustein für sichere und klimafreundliche Energieversorgung. "Allein mit Bioenergiedörfern können wir unsere Energieproblem auf der Welt nicht lösen. Aber bei uns selbst anzufangen und Lösungsbeiträge zu liefern, ist der richtige Ansatz", so Fangmeier.

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Dezentrale Stromerzeugung wird an Bedeutung gewinnen Vier Fragen an Dierk Bauknecht Dierk Bauknecht ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ÖkoInstitut e.V. Zu seinen Schwerpunkten zählt u.a. die Netzregulierung und die Integration dezentraler Stromerzeugung sowie die Entwicklung von Strommarktmodellen. Das Öko-Institut ist eine unabhängige Forschungs- und Beratungseinrichtung mit drei Standorten in Freiburg, Darmstadt und Berlin. Schon mehrere Dörfer in Deutschland versorgen sich selbst mit Energie aus Biomasse und/oder Windkraft. Manche Gemeinden sind sogar autark. Wie bewerten Sie solche Modelle? Erneuerbare Energien sind oft dezentrale Ressourcen, und entsprechend können dezentrale Akteure wie Kommunen eine wichtige Rolle dabei spielen, diese Ressourcen zu erschließen. Kommunale Stadtwerke sind seit langem ein wichtiger Bestandteil der deutschen Stromwirtschaft und entscheidend für die Entwicklung des Wettbewerbs. Häufig haben sich Kommunen ganz oder teilweise aus der Stromversorgung zurückgezogen. Umso erfreulicher ist es, wenn neue Initiativen entstehen. Auch haben sich die meisten Stadtwerke bislang darauf konzentriert, Strom von der Übertragungsnetzebene zu den Verbrauchern durchzuleiten. Selten sind sie aktiv geworden, um die dezentralen Ressourcen in ihrem Netzgebiet zu erschließen. Die Vision einer Versorgung mit erneuerbaren Energien kann eine wichtige strategische Bedeutung haben, viele Kräfte mobilisieren und nicht zuletzt auch finanziell attraktiv sein. Doch das Hauptziel sollte nicht die autarke Energieversorgung einzelner Dörfer sein, sondern die möglichst effiziente Entwicklung erneuerbarer Ressourcen insgesamt. Sind solche dezentralen Versorgungsnetze, die auf regenerative Energien setzen, deutschlandweit möglich und wünschenswert? Es ist sicherlich deutschlandweit möglich und wünschenswert, dezentrale Akteure in der Stromerzeugung zu stärken. Mit einem zunehmenden Anteil der Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien und in Kraft-Wärme-Kopplung nimmt auch der Anteil der Kraftwerke zu, der an die Verteilnetze angeschlossen ist. Damit wächst die Bedeutung der Verteilnetze: Strom wird nicht mehr einfach nur von Großkraftwerken zu den Kunden durchgeleitet, sondern in den Verteilnetzen wird Strom vor Ort erzeugt und der Stromverbrauch gesteuert. Gerade für kleine Gemeinden dürfte es aber sehr schwer sein, unter den gegebenen Rahmenbedingungen die Netze zu übernehmen und selbst zu betreiben. Nicht sinnvoll sind schließlich autarke Netze im Sinne der Abkopplung vom übergeordneten Netz. Dazu müssten Stromerzeugung und -verbrauch vor Ort jederzeit ausgeglichen werden. Dieser Aufwand wäre nicht gerechtfertigt und die Vorteile eines überregionalen Stromverbundes gingen verloren, die gerade auch den erneuerbaren Energien zugute kommen. Auch die Kraft-Wärme-Kopplung kann dezentral genutzt werden. Seit 2002 wird sie durch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz gefördert. Welches Potential steckt in der KWK als dezentrale Lösung? 56

Die Entwicklung der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung sollte bei der Gestaltung eines nachhaltigen Energiesystems Hand in Hand gehen. Die KWK kann auch deshalb eine wichtige Rolle spielen, weil sie insgesamt besser steuerbar ist als die oftmals wetterabhängige und daher fluktuierende Erzeugung aus erneuerbaren Energien. Zwar können auch Großkraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung betrieben werden, was bei neuen Kraftwerken, wo immer möglich auch genutzt werden sollte. Allerdings liegen große Potenziale der KWK gerade in der dezentralen Nutzung. Denn so kann die Wärme am besten in der Nähe der Wärmeverbraucher erzeugt werden. Wichtig ist aber eine verlässliche Förderung der KWK. In vielen Fällen wird auch der Aufbau von Wärmenetzen notwendig sein. Kann mit vielen dezentralen Lösungen die Energieversorgung deutschlandweit gesichert werden? Die dezentrale Stromerzeugung wird an Bedeutung gewinnen. Damit wächst auch die Bedeutung der Betreiber der Verteilnetze. Allerdings werden auch zentrale Großkraftwerke weiterhin eine Rolle spielen, nicht zuletzt weil die Stromerzeugung in Windkraftwerken und Offshore-Windparks meist keine dezentrale Stromerzeugung darstellt. Eine Dezentralisierung der Stromversorgung bedeutet also nicht, dass künftig wieder autarke Systeme betrieben werden, die nicht miteinander gekoppelt sind – so wie es zu Beginn der Entwicklung der Stromversorgung bereits einmal der Fall war. Dezentralisierung wird vielmehr einhergehen mit einer stärkeren Integration dezentraler Systeme mit zentralen Strukturen. Dabei werden moderne Kommunikationstechnologien eine zentrale Rolle spielen. Wie sich eine solche Entwicklung auf die Versorgungssicherheit auswirkt, ist noch weitgehend offen. Eine Herausforderung ist, wie mit der zeitlich unregelmäßigen und kaum steuerbaren Stromerzeugung vieler erneuerbarer Energien – ob dezentral oder zentral – umgegangen werden kann. 08. Januar 2009

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Auch künftig Mix aus zentraler und dezentraler Erzeugung Vier Fragen an Dr. Oliver Weinmann Zur Person Dr. Oliver Weinmann ist Innovationsmanagements der Vattenfall Europe AG.

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Schon mehrere Dörfer in Deutschland versorgen sich selbst mit Energie aus Biomasse und/oder Windkraft. Manche Gemeinden sind sogar autark. Wie bewerten Sie solche Modelle? Die Energieerzeugung aus Biomasse wird sicherlich zunehmen. Allerdings halte ich wenig von der Formel: "Biomasse plus Dezentralität ist per se wünschenswert und gut fürs Klima." Solche Lösungen sind nur dort sinnvoll, wo sie effizient und wirtschaftlich sind sowie den größtmöglichen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten. Denn nicht immer ist "small" auch "beautiful". Biomasse-Mitverbrennung in bestehenden Kraftwerken ist besser fürs Klima, da die Biomasse die Kohle direkt ersetzt. Diese Kraftwerke verfügen über deutlich höhere Wirkungsgrade als Kleinkraftwerke und sind mit hochmodernen Rauchgasreinigungsanlagen ausgerüstet, die spezifischen Schadstoffemissionen sind geringer. Durch die bereits vorhandene Infrastruktur sind die Anlagen zudem kostengünstiger. Was den Wind betrifft, werden wir hier in Deutschland eine Entwicklung weg vom Land hinaus auf das Meer erleben. Weg von der kleinteiligen Erzeugung mit relativ wenigen Anlagen und geringer Leistung, hin zur Erzeugung von Strom aus leistungsstarken OffshoreWindparks. Sind solche dezentralen Versorgungsnetze, die auf regenerative Energien setzen, deutschlandweit möglich und wünschenswert? Sie sind wünschenswert dort, wo sie möglich sind, unter den bereits genannten Aspekten: Biomasse-Anlagen müssen mit hohem Wirkungsgrad Strom und Wärme produzieren können, sie müssen wirtschaftlich und umweltschonend sein. Ebenso muss die Biomasse in räumlicher Nähe zum Ort ihrer Verwertung verfügbar sein. Es nützt nichts, Biomasse kreuz und quer durchs Land zu transportieren nur um einer Dezentralität willen. Zudem ist Biomasse nicht unbegrenzt verfügbar: Die Anbauflächen stehen in unmittelbarer Konkurrenz zu Agrarflächen für die Nahrungsmittelproduktion. Die Nutzung der Windenergie ist an Land stark abhängig von lokalen Windverhältnissen, insofern wäre ich vorsichtig mit dem Begriff "deutschlandweit". Geeignete Wind-Standorte an Land werden bereits weitgehend genutzt. Hier kommt eher das so genannte Repowering infrage, d.h. alte Windenergieanlagen werden durch neue Anlagen mit höherer Leistung ersetzt. Viel wichtiger jedoch ist: Wollen wir die Ausbauziele der Bundesregierung in puncto Windenergie erreichen, müssen wir in Deutschland mit den Windenergieanlagen raus aufs Meer.

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Auch die Kraft-Wärme-Kopplung kann dezentral genutzt werden. Seit 2002 wird sie durch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz gefördert. Welches Potential steckt in der KWK als dezentrale Lösung? Eine dezentrale Energieerzeugung auf Basis von Biomasse erfordert zwingend Kraft-WärmeKopplung. Alles andere wäre Verschwendung von wertvollen Ressourcen. Weiteres Potenzial liegt in so genannten Kleinst-KWK-Anlagen. Das sind Anlagen, die Ein-, Zwei- oder Mehrfamilienhäuser mit Strom und Wärme versorgen. Hier zeigt die neuere Technologieentwicklung vielversprechende Ansätze wie z.B. Stirling Motoren oder Brennstoffzellen. Aber auch motorgetriebene KWK-Anlagen sind denkbar. Kann mit vielen dezentralen Lösungen die Energieversorgung deutschlandweit gesichert werden? Es wird auch zukünftig einen Mix aus zentraler und dezentraler Energieerzeugung geben, wobei dezentrale Lösungen die zentrale Energieversorgung mehr und mehr sinnvoll ergänzen werden. Ein solch komplexes System aus zentraler und dezentraler Erzeugung erfordert jedoch den weiteren Ausbau des Stromnetzes. Denn der Regel- und Steuerungsbedarf wird zunehmen, so dass wir intelligente Netze benötigen, die zudem einen effektiven Datenaustausch ermöglichen. Es müssen die Prognoseverfahren, gerade für die schwankende dezentrale Stromproduktion aus erneuerbaren Energien wie beispielsweise Windenergie verbessert werden. Es muss das Lastmanagement verbessert werden. Kurzum: Das schwankende Angebot und die schwankende Nachfrage müssen möglichst passgenau zur Deckung gebracht werden, und das gespeist aus vielen kleinen Quellen. Denn es nützt nichts viel Energie dezentral und regenerativ zu erzeugen zu Zeiten, zu denen sie niemand benötigt, um in Spitzenzeiten mangels Angebot auf konventionelle Erzeugung zurückgreifen zu müssen.

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Wir benötigen mehr Wettbewerb Fünf Fragen an Claudia Kemfert Zur Person Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Im September 2008 erschien ihr Buch "Die andere Klimazukunft: Innovation statt Depression".

Auf dem deutschen Strommarkt gibt es vier große Versorgungsunternehmen: EnBW, E.on, Vattenfall und RWE. Brauchen wir mehr Wettbewerb? Ja, wir benötigen mehr Wettbewerb. Die vier großen Unternehmen haben derzeit über 80 Prozent der deutschen Kraftwerkskapazitäten inne und besitzen die Stromnetze. Es gibt somit potentiell die Gefahr, dass eben diese großen Vier an der Strombörse das Stromangebot künstlich kontrollieren und somit auch Einfluss auf die Preise nehmen können. Der Börsenpreis ist der Preis, der den Verbrauchern dann in Rechnung gestellt wird, obwohl viel preisgünstiger Strom anhand von abgeschriebenen Kohle- und Kernkraftwerken produziert wurde. Zudem können durch überhöhte Durchleitungsentgelte potentielle Wettbewerber und neue Anbieter abgeschreckt werden. Daher sollte der Wettbewerb in erster Linie durch den Ausbau der Stromnetze ins Europäische Ausland angekurbelt werden, sodass neue Energiehersteller Interesse haben, auf dem deutschen Markt Strom anzubieten. Die Bundesnetzagentur kontrolliert schon die Durchleitungsentgelte, dies ist ein wichtiger Baustein für mehr Wettbewerb. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Erhöhungen des Strompreises. Ist diese Preissteigerung gerechtfertigt? Ja und nein. Ein Teil der Preiserhöhungen ist mit der Zunahme von Steuern und Abgaben zu erklären: die Mehrwertsteuer wurde erhöht, zudem zahlen die Verbraucher mittlerweile bis zu fünf Prozent des Strompreises für die Förderung von erneuerbaren Energien und KraftWärme-Kopplung. Die Preissteigerungen, die durch die Konzerne ausgelöst wurden, sind zwar zu erklären, wären aber durch mehr Wettbewerb zu verhindern gewesen. Denn die Konzerne haben die Emissionszertifikate, die sie kostenlos zugeteilt bekommen haben, auf den Strompreis umgelegt – dies hat zu Extra-Profiten der Konzerne in einer Größenordnung von bis zu fünf Milliarden Euro geführt. Zudem stellen die Konzerne die Großhandelspreise den Verbrauchern in Rechnung, obwohl nur 17 Prozent des Stroms an der Börse gehandelt wird. Der Großteil des Stroms wird durch preisgünstige Kohle- und Kernkraftwerke gewonnen und über bilaterale Verträge gehandelt. Die Produktionskosten sind nicht in dem Umfang gestiegen, dass damit die Preissteigerungen zu erklären wären. Um für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt zu sorgen, wird – auch aus Brüssel – gefordert, den Betrieb von Kraftwerken und Netzen nicht nur organisatorisch, sondern auch eigentumsrechtlich zu trennen. Wie bewerten Sie diese Forderung?

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Sie ist nicht falsch, nur hätte man dies gleich zu Beginn der Öffnung des Marktes machen müssen: die Forderung kommt zehn Jahre zu spät. Eine Trennung von Netz und Produktion kann zumindest verhindern, dass durch Marktdominanz ungerechtfertigte Preise verlangt werden. Allerdings ist es unerheblich, wem die Netze gehören, wenn die Regulierungsbehörde die Netzentgelte überwacht und somit ausschließt, dass die Durchleitungsentgelte durch strategische Interessen beeinflusst werden. Die Netze werden aber durch die Kostenkontrolle finanziell unattraktiv, daher wollen Eon und nun auch Vattenfall die Stromnetze verkaufen. RWE plant, das Gasnetz zu verkaufen. Wichtig ist aber der Netzausbau, damit neue Anbieter auf den Markt kommen – die Diskussion um das Eigentum der Netze und nun auch der Verkauf führen dazu, dass kostbare Zeit verloren geht. Zeit, die genutzt werden sollte, um die Netze auszubauen. Denn nur durch den Netzausbau können die erneuerbaren Energien in den Markt integriert und der Stromfluss innerhalb Europas garantiert werden. Als Lösung für die Trennung von Kraftwerksbetrieb und Netz wurde unter anderem eine Netz AG vorgeschlagen. In dieser AG sollten die Netze der vier überregionalen Stromversorger zusammengeführt werden und sie sollte als unabhängiger Betreiber agieren. E.on und Vattenfall gehen nun einen anderen Weg, sie wollen ihr Hochspannungsnetz verkaufen. Ist die Netz AG damit hinfällig? Wie könnte eine andere Lösung aussehen? Ich denke nicht, dass die Netz AG damit hinfällig wird. Sie ist aber auch nicht unbedingt notwendig, jetzt, wo die Konzerne mehr oder weniger freiwillig die Netze verkaufen. Die Frage ist ja, wer das Netz dann erwerben wird – vielleicht Infrastrukturgesellschaften, die Erfahrungen in anderen liberalisierten Energiemärkten sammeln konnten. Im Grunde wäre es aber wichtig, dass es nicht nur eine deutsche Netz AG geben kann, sondern ebenso eine europäische. Denn der kritische Punkt ist derzeit die Sicherstellung des Wettbewerbs und die Versorgungssicherheit in ganz Europa. Dazu müssen zunächst identische Spielregeln in allen europäischen Ländern dazu führen, dass nicht nur einige wenige Ländern für mehr Wettbewerb sorgen, sondern alle. Die verschiedenen Netz AGs sollten zumindest kooperieren, damit der Netzausbau zwischen den europäischen Ländern sichergestellt wird. Bislang gibt es keinen integrierten EU-Binnenmarkt für Strom. Ist solch eine Integration wünschenswert, und würde sie für mehr Wettbewerb sorgen? Ja, unbedingt! Denn nur ein solcher EU-Binnenmarkt kann für ausreichend Wettbewerb sorgen. Derzeit gibt es allerdings leider immer noch sehr ungleiche Entwicklungen in den verschiedenen Ländern. Manche Länder, wie die skandinavischen oder auch England, haben ihre Märkte schon lang geöffnet und einen ausreichenden Wettbewerb sichergestellt. Deutschland hat zwar den Markt liberalisiert, doch zu wenig für die Sicherstellung eines funktionsfähigen Wettbewerbs getan. Andere Ländern wiederum, wie Frankreich oder Spanien, schotten ihren Markt systematisch ab, kreieren nationale Champions, die dann in anderen Ländern auf Einkaufstour gehen – das kann nicht richtig sein. Wenn Wettbewerb gewünscht wird, dann müssen auch alle Länder ihre Märkte ausreichend öffnen. Ein wirklich fairer EU-Binnenmarkt sollte von einer EURegulierungsbehörde in Ergänzung zu den nationalen Behörden überwacht werden. 24. November 2008

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Dynamik auf dem Strommarkt hat zugenommen Fünf Fragen an Hildegard Müller Zur Person Hildegard Müller, geb. 1967, ist seit 1. Oktober 2008 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie-und Wasserwirtschaft (BDEW), Berlin. Der Verband vertrit 1800 Unternehmen aller Größenklassen aus den Bereichen Strom, Erdgas, Fernwärme, Wasser und Abwasser.

Auf dem deutschen Strommarkt gibt es vier große Versorgungsunternehmen: EnBW, E.on, Vattenfall und RWE. Brauchen wir mehr Wettbewerb? Wir haben auf dem deutschen Strommarkt einen intensiven Wettbewerb. Rund 150 neue Stromanbieter sind heute aktiv. In Deutschland herrscht seit 1998 Wettbewerb zwischen rund 1100 Stromunternehmen – jeder Haushalt kann seinen Lieferanten frei wählen. Die Stromkunden nutzen diesen Wettbewerb und entscheiden sich immer häufiger für neue Tarife und Produkte: Seit Beginn der Liberalisierung im Jahr 1998 haben 62 Prozent der Privathaushalte entweder einen neuen Stromtarif ihres alten Stromversorgers oder einen neuen Stromversorger gewählt. Das sind elf Prozentpunkte mehr als noch zum Jahresende 2007. Der von der Liberalisierung ausgelöste Wettbewerb hat neue Anbieter angezogen, die Dynamik auf dem Strommarkt hat deutlich zugenommen. Große internationale Konzerne gehören ebenso zu den Marktteilnehmern wie regionale Energieversorger, Stadtwerke, Stromhändler, neue Stromanbieter oder reine Ökostrom-Anbieter. Diese Dynamik schlägt sich auch in den Investitionszahlen der Branche nieder. In diesem Jahr wird mit gut 9.Milliarden Euro fast drei Mal so viel für neue Erzeugungsanlagen und Stromnetze ausgegeben wie im Jahr 2000. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Erhöhungen des Strompreises. Ist diese Preissteigerung gerechtfertigt? Seit der Liberalisierung bilden sich die Strompreise aufgrund von Angebot und Nachfrage am Markt. Und der Markt, auf dem das passiert, ist die Strombörse in Leipzig. Dort kaufen die Unternehmen auf eine Frist von teilweise bis zu zwei Jahren im Voraus den Strom ein, den sie aufgrund ihrer Prognosen benötigen werden. Sie tun dieses, um nicht von kurzfristigen Schwankungen abhängig zu sein. Die Strombörse in Leipzig wiederum ist nicht frei von den Entwicklungen auf den internationalen Energiemärkten. Dort sind die Preise beispielsweise für Öl und Kohle aufgrund der starken Nachfrage insbesondere aus China, Indien und Brasilien in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Dieses hat auch die Großhandelspreise für Strom an den europäischen Strombörsen und damit auch in Deutschland kräftig nach oben getrieben. Weil aber Öl und Kohle inzwischen wieder billiger geworden sind, werden wahrscheinlich auch die Strompreise wieder sinken. Vergessen darf man auch nicht, dass Steuern und Abgaben inzwischen 40 Prozent des Strompreises in Deutschland ausmachen. Ohne diese Belastungen läge der Strompreis heute auf dem Niveau von 1998.

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Um für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt zu sorgen, wird – auch aus Brüssel – gefordert, den Betrieb von Kraftwerken und Netzen nicht nur organisatorisch, sondern auch eigentumsrechtlich zu trennen. Wie bewerten Sie diese Forderung? Die eigentumsrechtliche Entflechtung der Übertragungs- und Fernleitungsnetze stellt einen unverhältnismäßigen und ungerechtfertigten Eingriff in das Eigentumsrecht der Unternehmen dar. Die erwünschte Wirkung des diskriminierungsfreien Netzzugangs kann auch durch die in allen EU-Staaten praktizierte Regulierung erreicht werden. Mehrere Staaten haben darauf hingewiesen, dass es bisher keine belastbaren Erkenntnisse über Vorteile der eigentumsrechtlichen Entflechtung zum Beispiel im Hinblick auf die Strompreise gebe. Deutschland, Frankreich, Österreich, aber auch Bulgarien, Lettland, Griechenland, Slowakei und Luxemburg haben die Vorschläge der Kommission zur eigentumsrechtlichen Entflechtung zu Recht abgelehnt. Als Lösung für die Trennung von Kraftwerksbetrieb und Netz wurde unter anderem eine Netz AG vorgeschlagen. In dieser AG sollten die Netze der vier überregionalen Stromversorger zusammengeführt werden und sie sollte als unabhängiger Betreiber agieren. E.on und Vattenfall gehen nun einen anderen Weg, sie wollen ihr Hochspannungsnetz verkaufen. Ist die Netz AG damit hinfällig? Wie könnte eine andere Lösung aussehen? Entscheidend für den Energiemarkt ist eine effiziente Regulierung der Netze und nicht die Frage, wer Eigentümer dieser Netze ist. Und die Regulierung in Deutschland funktioniert sehr gut. Sie sorgt für einen diskriminierungsfreien Netzzugang und eine diskriminierungs-freie Nutzung. Dazu muss Regulierung auch Sorge dafür tragen, dass für Unternehmen Investitionen zum Erhalt sowie notwendigen Aus- und Umbau des Netzes möglich sind. Bislang gibt es keinen integrierten EU-Binnenmarkt für Strom. Ist solch eine Integration wünschenswert, und würde sie für mehr Wettbewerb sorgen? Die Energiewirtschaft in Deutschland setzt sich aktiv für ein Zusammenwachsen der bislang überwiegend nationalstaatlich ausgerichteten Märkte für leitungsgebundene Energien zu einem einheitlichen europäischen Markt ein. Denn ein funktionierender, liberalisierter, europäischer Energiemarkt bietet die besten Chancen, die Ziele, welche die EU-Kommission mit ihrem dritten Binnenmarktpaket verbindet, zu erreichen: wettbewerbsfähige Preise, hohe Versorgungssicherheit und hohe Klima- und Umweltstandards. Dass sich aktuell in einem ersten Schritt Betroffene aus mehreren Mitgliedsstaaten zu grenzüberschreitenden Regionalmärkten zusammenfinden, so wie es in Nordwesteuropa schon geschehen ist, ist ein notwendiger Zwischenschritt, um diese Ziele zu erreichen. Die Kopplung der Strom- und Gasmärkte in Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg hat Modellcharakter.

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Anteil der Erneuerbaren Energien an der Energieversorgung steigern Sechs Fragen an Björn Klusmann Zur Person Björn Klusmann ist Geschäftsführer des Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. Der BEE wurde 1991 als Dachverband der Fachverbände der Erneuerbaren Energien gegründet. Ihm gehören rund 20 Verbände aus den Bereichen Wasserkraft, Windenergie, Biomasse, Solarenergie und Geothermie an.

Deutschland ist Vorreiter bei der Nutzung erneuerbarer Energien. 2007 trugen die Erneuerbaren 6,6 Prozent zum gesamten Primärenergieverbrauch bei. Um wie viel kann dieser Anteil noch gesteigert werden? Der Anteil Erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch lag im vergangenen Jahr mit 8,6 Prozent sogar noch deutlich höher. Zur Stromversorgung tragen die Erneuerbaren Energien schon jetzt mehr als 15 Prozent bei, zur Wärmeversorgung derzeit 6,5 Prozent und im Mobilitätssektor etwa 7 Prozent. Langfristig können und müssen wir die Energieversorgung vollständig auf Erneuerbare Energien umstellen. Alle anderen Energieträger sind endlich. Es wäre gegenüber kommenden Generationen unverantwortlich, Öl, Gas, Kohle und Uran zu verbrauchen, ohne bereits jetzt den Ausbau Erneuerbarer Energien voranzutreiben. Die vollständige Umstellung auf Sonne, Wind, Wasser, Bioenergie und Geothermie wird noch in diesem Jahrhundert kommen. Noch vor 2050 werden wir bereits unseren gesamten Stromverbrauch aus diesen unendlich lange verfügbaren Energieträgern decken können. Ist ein weitreichender Umstieg auf erneuerbare Energien, bei Beibehaltung des Ausstiegs aus der Atomenergie, möglich? Und zwar ohne große Preisschübe im Energiesektor? Es wäre sogar kontraproduktiv, die Atomkraft länger als vereinbart zu nutzen. Der Ausbau Erneuerbarer Energien im Stromsektor geht deutlich schneller voran als der Ausstieg aus der Atomenergie. Der wegfallende Atomstrom wird mehr als kompensiert. Außerdem ist der Ausstieg Teil der Investitionsbedingungen für unsere Unternehmen. Unter diesen Bedingungen haben wir entschieden, bis 2020 mehr als 200 Milliarden Euro in Erneuerbare Energien zu investieren. Wer den Atomausstieg ständig in Frage stellt, verunsichert damit auch die Investoren unserer Branche. Dass Atomkraft günstige Strompreise garantiert, ist im Übrigen ein Märchen. Heute steigen die Strompreise, obwohl die Atomkraft noch am Netz ist. Der Strompreis an der Börse wird vom teuersten Kraftwerk bestimmt. Wenn Konzerne abgeschriebene Atomkraftwerke betreiben, senkt das nicht den Strompreis, sondern steigert den Gewinn. Darauf zu hoffen, dass diese Zusatzgewinne an die Verbraucher oder den Staat abgegeben werden, wie dies einige Politiker derzeit vorschlagen, ist vollkommen naiv. Seit 2000 fördert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) regenerative Energien. Wie bewerten Sie dieses Gesetz, und wie wichtig ist die Förderung regenerativer Energien? 64

Das EEG ist das zentrale Förderinstrument für Wind, Wasser, Sonne, Bioenergie und Geothermie im Stromsektor. Es garantiert verlässliche Investitionsbedingungen für Kraftwerke, die ansonsten derzeit noch keine Chance hätten. Weil der Preis für fossile Energieträger die Kosten für Umweltschäden nicht ausreichend widerspiegelt, sind Erneuerbare Energien heute teilweise noch etwas teurer als die so genannten konventionellen Energien. Das EEG gleicht dies aus, indem es feste Einspeisetarife für Strom aus Erneuerbaren Energien garantiert. Trotzdem ist das Gesetz keine Dauersubvention. Die Vergütungssätze für neue Anlagen sinken von Jahr zu Jahr. Das zwingt die Anlagenhersteller, in jedem Jahr etwas kostengünstiger zu produzieren. Solch strenge Effizienzvorgaben gibt es für keine andere Branche. Schon heute kostet Windstrom nur noch halb so viel wie noch Anfang der 1990er Jahre. Der Mix aus allen Erneuerbaren Energien wird noch vor 2020 günstiger sein als der fossile Rest der Stromproduktion. Sollte neben den erneuerbaren Energien verstärkt auch eine effizientere und umweltschonendere Ausbeute fossiler Brennstoffe gefördert werden? Wir haben das Ziel, möglichst schnell den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Energieversorgung zu steigern. Dies geht umso schneller, je weniger Energie insgesamt verbraucht wird. Aus diesem Grund setzen wir uns sehr für wirksame Effizienzmaßnahmen ein. Aus unserer Sicht müssen der Ausbau Erneuerbarer Energien und Effizienz Hand in Hand gehen. Leider werden die Ansätze beim Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz nicht optimal verzahnt. Wer sein Haus besser dämmt, wird von der Pflicht zum Einsatz Erneuerbarer Energien befreit. Dies verhindert die notwendige Kombination beider Ansätze. Zurzeit gewinnt Biomasse an Bedeutung. Wie viel Potential steckt in der Biomasse als Energielieferant? Die Bioenergie ist derzeit der Erneuerbare Energieträger, der am meisten zur Energieproduktion beiträgt. Im Wärme- und im Mobilitätssektor sind Holz und Energiepflanzen die Hauptträger des Beitrages Erneuerbarer Energien. Dies wird in der öffentlichen Diskussion, die häufig sehr auf den Stromsektor verengt ist, leider übersehen. Aus unserer Sicht ist es möglich, auf 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Energie zu produzieren. Früher, als noch Zugtiere eingesetzt wurden, wurde sogar auf mehr als 30 Prozent der Fläche Kraftstoff für Pferde und Ochsen angebaut. Langfristig wird die Bioenergie in Deutschland mindestens 25 Prozent des Energieverbrauchs abdecken. Weltweit wächst die Nutzung und auch das Interesse an erneuerbaren Energien. Welchen Vorteil kann Deutschland als Industriestandort aus dem Wissensvorsprung bei der Entwicklung der erneuerbaren Energien ziehen? Unsere Wirtschaft profitiert schon in hohem Maße von dem Effekt, den wir "Pionierrendite" nennen. Weil hierzulande frühzeitig auf den Ausbau Erneuerbarer Energien gesetzt wurde, sind Unternehmen aus Deutschland in vielen Teilbereichen der Branche technologisch weltweit führend. Im vergangenen Jahr wurden bereits Anlagen im Wert von mehr als 8,5 Milliarden Euro aus Deutschland exportiert. Der Exportanteil an unserem Gesamtumsatz wächst rasant. Während heute 250.000 Menschen in unserer Branche arbeiten, werden es 2020 mehr als 500.000 sein. Grund hierfür ist auch der schnell wachsende Exportanteil. Die Zukunftsaussichten sind bestens. Während 2006 weltweit noch rund 60 Milliarden Euro in Anlagen zur Nutzung Erneuerbarer Energien investiert wurden, wird dieses Weltmarktvolumen bis 2020 auf mehr als 400 Milliarden Euro explodieren. 65

Energieeffizienz fängt bereits bei der Förderung von Energievorkommen an

Erschließung

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Sechs Fragen an Jörg Adolf Zur Person Dr. Jörg Adolf ist Chefvolkswirt der Shell Deutschland Oil GmbH. Shell ist eine globale Gruppe aus Energieund Petrochemieunternehmen, die in mehr als 110 Länder tätig ist.

Deutschland ist Vorreiter bei der Nutzung erneuerbarer Energien. 2007 trugen die Erneuerbaren 6,6 Prozent zum gesamten Primärenergieverbrauch bei. Um wie viel kann dieser Anteil noch gesteigert werden? Wirtschaft und Politik haben in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, den Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch zu steigern. Dabei konnten zuletzt beachtliche Fortschritte erzielt werden; zum Beispiel machten Biokraftstoffe im vergangenen Jahr bereits 7,6 Prozent am gesamten Kraftstoff-Absatz in Deutschland aus; damit liegt Deutschland weit über dem EU-Durchschnitt. Im internationalen Vergleich ist das Potenzial für erneuerbare Energien in Deutschland aber eher unterdurchschnittlich. Während Erneuerbare weniger als 10 Prozent zum Endenergieverbrauch in Deutschland beitragen, sind es – dank Wasserkraft - zum Beispiel in Österreich über 20 Prozent und in Schweden fast 40 Prozent. Um so mehr kommt es darauf an, bestehende erneuerbare Technologien weiter zu entwickeln und neue zur Anwendungsreife zu bringen. Hier leistet Shell zum Beispiel wichtige Beiträge, um heutige Biokraftstoffe nachhaltiger zu machen, oder Biokraftstoffe zweiter Generation auf den Markt zu bringen. Ist ein weitreichender Umstieg auf erneuerbare Energien, bei Beibehaltung des Ausstiegs aus der Atomenergie, möglich? Und zwar ohne große Preisschübe im Energiesektor? Wir haben gesehen, dass der Anteil erneuerbarer Energien in Deutschland wächst, aber auch bei starkem Anstieg wird er weiterhin unterdurchschnittlich bleiben. Deutschland wird also auch in Zukunft auf einen ausgewogenen, breiten Energie-Mix angewiesen sein. Mit Blick auf den Klimaschutz kommt hierbei CO2-armen und -freien Energietechnologien – wie Erdgas, erneuerbare Energien oder eben Atomkraft – große Bedeutung zu. Darüber hinaus muss man auch die globalen Entwicklungen beachten: Die weltweite Energienachfrage wird weiter wachsen; bis zum Jahre 2050 halten wir eine Verdoppelung für möglich. Für eine wirtschaftliche, sichere und nachhaltige Energieversorgung können wir auch hier auf keine Alternative verzichten. Dabei verzeichnen wir eine zunehmende Umstellung auf erneuerbare Energien; bis 2050 rechnen wir mit einem erneuerbaren Anteil von einem Drittel. Das heißt aber auch, dass selbst zur Mitte des Jahrhunderts noch immer rund 60 Prozent der Energieversorgung weltweit auf Erdöl, Erdgas und Kohle basieren wird.

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Seit 2000 fördert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) regenerative Energien. Wie bewerten Sie dieses Gesetz, und wie wichtig ist die Förderung regenerativer Energien? Shell tritt ein für Wettbewerb und Marktwirtschaft; von daher müssen sich aus unserer Sicht alle Energietechnologien langfristig am Markt ohne staatliche Unterstützung behaupten können. Gleichwohl sehen wir die Notwendigkeit, junge, noch in der Entwicklung befindliche Technologien in der Entwicklungs- und Markteinführungsphase zu unterstützen. Immer wichtiger wird in Zukunft jedoch das Thema CO2-Emissionen sein. Für erneuerbare Energieträger heißt das, die jeweiligen CO2-Vermeidungskosten und -beiträge müssen berücksichtigt werden – zum Beispiel Energieträger, die für das gleiche Geld mehr CO2Einsparung liefern, müssen stärker gefördert werden. Das deutsche EEG ist ein Instrument, neue Energie-Technologien bei der Einführung in den Strommarkt staatlich zu fördern. Und es hat sich als sehr effektiv erwiesen. Mittelfristig muss das EEG jedoch auf eine breitere europäische Basis gestellt und der fortgeschrittenen Marktreife erneuerbarer Energieträger stärker Rechnung getragen werden. Sollte neben den erneuerbaren Energien verstärkt auch eine effizientere und umweltschonendere Ausbeute fossiler Brennstoffe gefördert werden? Wir sehen grundsätzlich drei Wege, um zu einer nachhaltigeren Energieversorgung zu gelangen: 1) Den Anteil von erneuerbaren Energieträgern am Energie-Mix zu erhöhen. 2) Konventionelle Energieträger sauberer zu machen – zum Beispiel durch Abtrennung und unterirdische Einspeicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS). Und 3) Energieeffizienz. Energieeffizienz fängt bereits bei der Erschließung und Förderung von Energievorkommen an. So konnten bisher nur 30 bis 40 Prozent des Erdöls aus Erdöl-Lagerstätten gefördert werden; mit neuen Fördertechnologien kann die Ausbeute verdoppelt werden. Beim Öl entstehen 20 Prozent der CO2-Emissionen in der Vorkette, vier Fünftel der CO2-Emissionen durch Verbrauch beim Endnutzer. Deshalb müssen Energieprodukte und Energiegeräte effizienter werden. Im Bereich Verkehr bedeutet dies, effizientere Antriebs- und Fahrzeugtechnologien, aber auch sparsamere, CO2-ärmere Kraftstoffe zu entwickeln. Aus diesem Grund arbeitet Shell eng mit führenden Fahrzeugherstellern an verschiedenen Konzepten zusammen. Zurzeit gewinnt Biomasse an Bedeutung. Wie viel Potential steckt in der Biomasse als Energielieferant? Biomasse ist heute der wichtigste erneuerbare Energieträger mit 5,9 Prozent am Endenergieverbrauch in Deutschland. Rund zwei Drittel der gesamten Endenergie aus erneuerbaren Energiequellen werden damit durch Biomasse bereit gestellt. Allerdings wird Biomasse-Energie sehr unterschiedlich genutzt: Während bei Kraftstoffen und Wärmeenergie Biomasse fast 100 Prozent der Alternativen bereitstellt, ist es bei der Stromerzeugung nur etwa ein Drittel. Der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Endenergieverbrauch liegt noch unter zehn Prozent und wird aber weiter steigen; hierzu wird Biomasse einen weiteren Beitrag liefern. Schätzungen über das Potenzial von Biomasse an der deutschen ebenso wie der globalen Energieversorgung gibt es reichlich; sie reichen von geringen einstelligen bis zu höheren 67

zweistelligen Anteilswerten. Wie hoch der Anteil letztendlich sein wird, hängt nicht zuletzt von den künftigen Rahmenbedingungen ab – staatliche Vorgaben, Wirtschaftlichkeit, technologische Entwicklung, alternative Nutzungen. Weltweit wächst die Nutzung und auch das Interesse an erneuerbaren Energien. Welchen Vorteil kann Deutschland als Industriestandort aus dem Wissensvorsprung bei der Entwicklung der erneuerbaren Energien ziehen? Die Möglichkeiten, erneuerbare Energien in Deutschland oder Europa zu erzeugen, sind begrenzt. Dennoch gehört Deutschland mit seinem Know-how bei alternativen Energietechnologien zu den führenden Standorten weltweit – sei es in der Windkraft, sei es bei der Photovoltaik oder im Bereich biogener Kraftstoffe. Da die globale Energieversorgung durch alternative Energietechnologien nachhaltiger und klimafreundlicher gemacht werden muss, kann sich hieraus ein wichtiger Vorteil im internationalen Wettbewerb ergeben. Das kann insbesondere dann gelingen, wenn die Energieindustrien konsequent auf Effizienz und CO2-Einsparung ausgerichtet werden. Hierfür ist etwa ein entsprechender klimapolitischer Rahmen mit einem funktionierenden Emissionshandel für Industrieanlagen essentiell. Ebenso wird es erforderlich sein, auch weiterhin offen für neue Energie-Technologien zu sein.

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Kohleverstromung ist klimaschädlichste Art der Stromerzeugung Fünf Fragen an Thorsten Becker Zur Person Thorben Becker ist Energiereferent in der Bundesgeschäftsstelle des BUND in Berlin. Der Bund für Umweltschutz und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) tritt als Umweltschutzorganisation für eine nachhaltige Entwicklung in Deutschland an.

Die Preise für Öl und Gas steigen. Braun- und Steinkohle gelten als billige fossile Energieträger: Wie günstig ist die Kohle? Auch der Preis für Steinkohle ist in den letzten Monaten rasant gestiegen. Und Kohle mit seinen hohen CO2Emissionen kann nur dann vermeintlich preiswert sein, solange die Klimafolgenkosten nicht berücksichtigt werden: Die Abschätzungen für die weltweiten Schadenskosten variieren stark in unterschiedlichen Studien. Ein auch vom Bundesumweltministerium zitierter Wert liegt bei 70 Euro pro Tonne CO2. Ein neues Steinkohlekraftwerk, wie das von Vattenfall in Hamburg Moorburg geplante, würde also externe Klimaschäden in Höhe von rund 700 Millionen Euro jährlich verursachen. Deshalb ist es wichtig, dass auch CO2 über den Emissionshandel endlich einen Preis bekommt. Wenn die Politik in den nächsten Jahren strenge Klimaschutzvorgaben erlässt, dann werden Kohlekraftwerke voraussichtlich so teuer, dass sie unwirtschaftlich sind. 2007 trugen Braun- und Steinkohle 25 Prozent zum deutschen Energiemix bei, sie sind damit ein wichtiger Energielieferant, aber auch ein großer CO2-Verursacher. Was wiegt mehr: Wirtschaftlichkeit oder Umweltschutz? Der BUND ist der festen Überzeugung, dass dieses "oder" keinen Sinn macht. Wir brauchen eine Energieversorgung, die klimaverträglich und wirtschaftlich ist. Dies kann die Kohleverstromung nicht sein. Kohleverstromung ist die klimaschädlichste Art der Stromerzeugung. Wenn wir Klimaschutz ernst nehmen, dürfen wir keine neuen Kohlekraftwerke in Deutschland bauen und keine neuen Braunkohle-Tagebaue in Betrieb nehmen. Befürworter des Neubaus von Kohlekraftwerken behaupten oft, diese Technologie sei wirtschaftlicher als andere Varianten. Tatsächlich gilt dies nur unter ganz bestimmten Randbedingungen. Bei einer Umstellung der deutschen Energieversorgung auf einen klimagerechten Energiemix ist dies nicht mehr der Fall. Die Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten wächst; Braunkohle ist hingegen ein wichtiger heimischer Energieträger. Welche Rolle sollte der Aspekt der Versorgungssicherheit spielen? Die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten sinkt in den letzten Jahren dank der verstärkten Nutzung der erneuerbaren Energien in Deutschland. Und dies ist auch der einzig richtige Weg, um weiter eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Denn Braunkohle kann keinen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Energieversorgung leisten. Das Verbrennen von Braunkohle setzt ungeheure Mengen an klimaschädlichem CO2 frei. Und allein die 69

ökologischen Schäden und die unverantwortliche Umsiedlung von ganzen Dörfern, die der Braunkohle-Tagebau bedeutet, sind ein ausreichender Grund mit der Braunkohleverstromung aufzuhören. Der Bau neuer Kohlekraftwerke wird von den Anwohnern meist abgelehnt. Ebenso ist insbesondere der Tagebau stark umstritten. Wenn überhaupt, wie kann die Akzeptanz der Bevölkerung gewonnen werden? Der BUND arbeitet nicht an Akzeptanz für klimaschädliche Kraftwerke und Umwelt zerstörende Tagebaue. Wir arbeiten daran, die Bevölkerung in ihrem berechtigten Protest zu unterstützen. In Brandenburg etwa hat der BUND zusammen mit einem breiten Bündnis ein Volksbegehren gegen neue Braunkohle-Tagebaue initiiert. Alle Menschen, die nicht in Brandenburg wohnen, können sich trotzdem mit dem Volksbegehren solidarisieren. Seit längerem wird an der Entwicklung der CCS-Technologie gearbeitet: Damit soll das in Kohlekraftwerken freigesetzte CO2 aufgefangen, verdichtet und in unterirdischen Lagerstätten gespeichert werden. Die Kohlendioxidmenge soll so stark reduziert werden. Wie ausgereift ist das Verfahren, und könnte es einen Wendepunkt für die Kohle als Energieträger bedeuten? Das Verfahren ist noch überhaupt nicht ausgereift und wird frühestens ab 2020 eine Rolle spielen können. Dann werden nach den Plänen der Stromkonzerne aber bereits viele neue Kohlekraftwerke am Netz sein, bei denen diese Technik keine Rolle spielt. Es ist aus heutiger Sicht sehr fraglich, ob es überhaupt ausreichend sichere Lagerstätten für das CO2 gibt, wo es für mehrere tausend Jahre nicht entweichen kann. Klar ist, dass die Technik sehr energieaufwändig und teuer ist. Deshalb sollten wir auf die Technologien setzen, die bereits heute vorhanden sind wie erneuerbare Energien, Energieeffizienz und KraftWärmekopplungs-Kraftwerke.

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Braunkohle ist wichtiger Energieträger für Kraftwerke Fünf Fragen an Franz-Josef Wodopia Zur Person Prof. Dr. Franz-Josef Wodopia ist Hauptgeschäftsführer und Vorstandsmitglied des Gesamtverband Steinkohle (GVSt). Der GVSt vertritt unter anderem die RAG Deutsche Steinkohle AG. Der Verband agiert auf nationaler und internationaler Ebene.

Die Preise für Öl und Gas steigen. Braun- und Steinkohle gelten als billige fossile Energieträger: Wie günstig ist die Kohle? Braun- und Steinkohle gelten mit Recht trotz der jüngsten Preisanstiege am Kohleweltmarkt als relativ günstige fossile Energieträger. Nach wie vor besteht ein deutlicher Preisabstand zu Öl und Gas. Die heimische Braunkohle ist auch mit Importkohle voll konkurrenzfähig und wird dies langfristig bleiben. Die heimische Steinkohle wurde aus Gründen der Versorgungssicherheit durch Subventionen unterstützt. Zu erinnern ist an die Gesetze zur Sicherung der Stromversorgung zu Zeiten der Ölkrisen und ebenso an den Kohlepfennig, einer verbraucherorientierten Finanzierungsmethode. 2007 wurde das sozialverträgliche Auslaufen des subventionierten heimischen Steinkohlenbergbaus politisch beschlossen, jedoch eine Überprüfung durch den Deutschen Bundestag im Jahre 2012 eingeplant. Dafür entscheidend wird sein, wie sich die Energiepreise weltweit entwickeln. Die Überprüfung soll gemäß § 1 Abs. 2 Steinkohlefinanzierungsgesetz "unter Beachtung des Gesichtspunktes der Wirtschaftlichkeit, der Sicherung der Energieversorgung und der übrigen energiepolitischen Ziele" erfolgen. 2007 trugen Braun- und Steinkohle 25 Prozent zum deutschen Energiemix bei, sie sind damit ein wichtiger Energielieferant, aber auch ein großer CO2-Verursacher. Was wiegt mehr: Wirtschaftlichkeit oder Umweltschutz? Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz sind zusammen mit der Versorgungssicherheit gleichrangige energiepolitische Ziele. Zwar sind die CO2-Emissionen beim Einsatz von Kohle höher als beim Einsatz von Erdgas, doch ist Gas deutlich teurer und zudem mit größeren Versorgungsrisiken verbunden. Eine Abwägung "Wirtschaftlichkeit oder Umweltschutz" muss aber auch deshalb nicht vorgenommen werden, weil die Verfahren zum Einsatz von Kohle in der Stromerzeugung ständig verbessert werden. Würden weltweit Steinkohlenkraftwerke nach neuestem deutschen Stand eingesetzt, könnten die CO2Emissionen bei der Stromerzeugung weltweit um ein Drittel gesenkt werden. Mit Sicherheit muss Umweltschutz unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchgeführt werden. Es sollten die Verfahren gewählt werden, die die Einsparung einer Tonne CO2 zu den geringstmöglichen Kosten ermöglichen. Je günstiger die Einsparkosten je Tonne sind, umso mehr CO2 kann auch eingespart werden. Die Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten wächst; Braunkohle ist hingegen ein wichtiger heimischer Energieträger. Welche Rolle sollte der Aspekt der Versorgungssicherheit spielen?

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Die Versorgungssicherheit ist ein gleichrangiges energiepolitisches Ziel, das gemeinsam mit der Wirtschaftlichkeit und dem Umweltschutz zu sehen ist. Während die Verwendungskonkurrenz um Öl und Gas weltweit steigt, ist die Braunkohle als heimischer Bodenschatz noch für viele Jahrzehnte verfügbar. Deshalb sollte die energiepolitische Beurteilung von Energiequellen stets alle Dimensionen des energiepolitischen Zieldreieckes berücksichtigen. Braunkohle ist ein wichtiger Energieträger für Kraftwerke, die rund um die Uhr laufen müssen (Grundlast). Braunkohle könnte in der Zukunft sogar wie schon in der Vergangenheit zur Herstellung von Kohlenwasserstoffen genutzt werden. Die Verfahren wurden in Deutschland entwickelt und würden eine sichere Versorgung beispielsweise auch der chemischen Industrie in Deutschland ermöglichen. Die Braunkohle ist deshalb im wahrsten Sinne des Wortes ein heimischer Bodenschatz. (Das ließe sich in ähnlicher Weise für die heimische Steinkohle begründen.) Der Bau neuer Kohlekraftwerke wird von den Anwohnern meist abgelehnt. Ebenso ist insbesondere der Tagebau stark umstritten. Wenn überhaupt, wie kann die Akzeptanz der Bevölkerung gewonnen werden? Bergbau und Stromerzeugung sind immer mit Umwelteinwirkungen verbunden. Leider ist in den Industrieländern die Haltung beliebt, diese Umwelteinwirkungen möglichst auf andere Länder zu verlagern. Gelöst werden sie aber auf diese Weise nicht. Im Gegenteil sind die Umweltstandards bei der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung – und so auch bei der Stromerzeugung – in den OECD-Ländern deutlich höher als in vielen Ländern mit wirtschaftlichem Nachholbedarf. Deshalb müsste wieder stärker in den Vordergrund gerückt werden, dass der Energieverbrauch auch stets ein Bekenntnis zum verantwortungsvollen Umgang mit Rohstoffen voraussetzt. Eine Verlagerung zählt bestimmt nicht dazu. Allerdings ist es schwierig, den unmittelbar in der Nähe wohnenden Menschen heute noch dieses Verständnis abzugewinnen. Bezeichnend ist, dass man für die bei uns als Kirchturmspolitik bezeichnete Haltung auch in vielen anderen Sprachen Entsprechungen findet. In den USA spricht man von Nimby-Politik: "Not In My Back Yard", also "nicht in meinem Hinterhof". Seit längerem wird an der Entwicklung der CCS-Technologie gearbeitet: Damit soll das in Kohlekraftwerken freigesetzte CO2 aufgefangen, verdichtet und in unterirdischen Lagerstätten gespeichert werden. Die Kohlendioxidmenge soll so stark reduziert werden. Wie ausgereift ist das Verfahren, und könnte es einen Wendepunkt für die Kohle als Energieträger bedeuten? CCS-Technologien sind der Wirkungsgradsteigerung insofern überlegen, als nur noch eine geringe Restmenge an CO2 emittiert wird. Allerdings führt dieses Verfahren zu einem höheren Energieverbrauch. Dies erhöht nicht nur den Verbrauch an Steinkohle, sondern senkt auch den Wirkungsgrad. Deshalb sind weitere Anstrengungen zur Erhöhung des Kraftwerkswirkungsgrades unverzichtbar. Eine Option ist die Abspaltung von CO2 im Kraftwerk und der Transport zu einer Lagerstätte, wo das CO2 dauerhaft sicher in geologischen Formationen verbracht werden kann, also die CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage). Derzeit befinden sich unterschiedliche Abscheidetechniken in der Erprobung, eine Pilotanlage in Schwarze Pumpe existiert bereits auf Braunkohlenbasis. Anschließend ist die großtechnische Machbarkeit zu erweisen. Während die Lagerung Stand der Technik ist, bringt der Transport ein Akzeptanzproblem mit sich. Ob sich durch diese Technik eine höhere Akzeptanz der Kohle ergeben wird, kann heute deshalb noch nicht sicher eingeschätzt werden.

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Renaissance der Atomkraft ist bloße Rhetorik Sechs Fragen an Robert Werner Zur Person Robert Werner, 40, ist seit 2001 Vorstandsmitglied der Greenpeace Energy eG. Zuvor arbeitete er für eine Unternehmensberatung und für die Umweltorganisation Greenpeace e.V. Die 1999 gegründete Genossenschaft Greenpeace Energy versorgt inzwischen deutschlandweit 85.000 Kunden mit Ökostrom und investiert zudem in den Bau umweltfreundlicher Kraftwerke.

Die Konzentration von Kohlendioxid in der Erdatmosphäre nimmt stetig zu und heizt das Klima an. Ist die Atomkraft ein möglicher Klimaretter? Wie umweltschonend ist die Nuklarenergie? Atomkraft ist nicht klimaneutral und schon gar nicht umweltfreundlich. Inklusive Bau, Betrieb und BrennstabHerstellung verursachen Atomkraftwerke rund 60 Gramm CO2 je erzeugter Kilowattstunde Strom. Zwar stoßen Kohlekraftwerke noch mehr CO2 aus, doch um einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, müssten bis zum Jahr 2050 weltweit 1.300 neue AKWs entstehen. Derzeit sind 439 Meiler in Betrieb. Ein solcher massiver Ausbau wäre unbezahlbar, im Hinblick auf die AtombombenProblematik unverantwortbar und bei der betroffenen Bevölkerung nicht durchsetzbar. Der relative Klimavorteil im Vergleich zu Kohle wiegt die schwerwiegenden Umweltprobleme bei Uranabbau und Atommüllentsorgung nicht auf. Weltweit gibt es kein sicheres Endlager für Atommüll. Die Berge von Atommüll werden unsere Nachkommen noch über Jahrhunderte gefährden. Deutschland ist von Gas- und Ölexporten aus dem Ausland abhängig. Inwiefern bietet die Atomkraft ein Plus an Versorgungssicherheit? Sämtliches Uran für die Atomkraftwerke in Deutschland muss importiert werden – aus Kanada, Russland, Australien, Namibia und Kasachstan. Die Versorgungssicherheit wird durch mehr Atomkraft durch ein ganz anderes Problem geschwächt: Knowhow und ausreichend qualifiziertes Personal. Schon jetzt können in Europa maximal zwei Reaktoren gleichzeitig gebaut werden, weil nicht mehr Ingenieure für Atomkraftwerke zur Verfügung stehen. Auch für den Betrieb und erst recht für den Rückbau und die Entsorgung würden die notwendigen Ingenieure fehlen, was am Ende ein großes Sicherheitsrisiko darstellt. Zurzeit wird der Klimaschutz ebenso diskutiert wie die Energiesicherheit. Noch dazu sehen sich Privathaushalte und die Industrie steigenden Strompreisen ausgeliefert. Findet vor diesem Hintergrund möglicherweise ein gesellschaftliches Umdenken zugunsten der Atomenergie statt? Wenn dank Atomkraft die Strompreise sinken würden – warum sind sie dann jetzt so hoch, obwohl doch der Atomausstieg noch gar nicht richtig angefangen hat? Alle ernsthaften Untersuchungen zeigen, dass der Weiterbetrieb der AKWs nicht zu niedrigeren Strompreisen führen würde, sondern bloß zu höheren Gewinnen für die Betreiber. Nach Berechnungen des Öko-Institutes ermöglicht eine Laufzeitverlängerung von acht Jahren den Konzernen 73

Gewinnmitnahmen in der Größenordnung von 66 bis 84 Milliarden Euro. Das ist auch der Grund für die unsachliche PR-Kampagne, die wir derzeit erleben: Mit dem windigen Versprechen, dass der Strom vielleicht irgendwie billiger werde, soll den Bürgern das Nein zur Atomkraft abgekauft werden. Ich glaube nicht, dass sich die Leute mit solchen Tricks auf Dauer hinters Licht führen lassen. Im Jahr 2000 wurde der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Nun werden teils längere Restlaufzeiten für Atomkraftwerke gefordert. Ist das eine annehmbare Übergangslösung, oder besteht die Gefahr, dass damit der Konsens über die Befristung nuklearer Stromerzeugung gekippt werden könnte? Wegen der zahlreichen und schwerwiegenden Probleme, die Atomkraft nun mal mit sich bringt, ist ihre Zeit ohnehin längst abgelaufen. Deshalb wäre es äußerst unklug, den notwendigen Ausstieg noch länger hinauszuschieben, als der Atomkonsens von 2002 ohnehin erlaubt. Abgesehen davon, dass ein Weiterbetrieb nicht zum Nulltarif zu haben wäre, weil die AKWs sicherheitstechnisch nachgerüstet werden müssen: Längere AKW-Laufzeiten sind längere Gefahrenzeiten, sie bringen uns noch höhere Atommüll-Berge und behindern den Aufbau einer nachhaltigen Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Für letzteres brauchen wir Kraftwerke, die auf Veränderungen bei Stromnachfrage und -angebot schnell reagieren können. Dafür sind AKWs viel zu unflexibel. In der Diskussion um Atomkraft ist die Frage der Endlagerung der Uran-Abfälle von zentraler Bedeutung. Gibt es eine sichere Endlagerung, und gibt es eine langfristige Lösung in Deutschland? Das Endlager-Problem ist völlig ungelöst – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die ganze Misere zeigte sich jüngst wieder beim Skandal um das undichte Lager Asse, wo – übrigens als offizieller Test für das geplante Endlager Gorleben – schwach- und mittelradioaktive Abfälle landen. Ergebnis des Tests: Die Fässer mit Atommüll rosten durch, verseuchtes Wasser schwappt durch den Salzstock, die Betreiber vertuschen, die Aufsicht versagt. Die Missstände sind eine Warnung für Gorleben, wo hochradioaktiver Atommüll für immer aufbewahrt werden soll. Angesichts solcher Missstände, für die keinerlei Lösung in Sicht ist, dennoch auf längere AKW-Laufzeiten setzen zu wollen, ist unverantwortlich. Die Kernenergietechnologie findet weltweit weiterhin Anklang. Japan oder auch Indien bauen derzeit ihren Atomkraftsektor aus. Verliert Deutschland mit seinem Ausstieg aus der Kernenergietechnologie an Ansehen als Industriestandort? Die angebliche Renaissance der Atomkraft ist bloße Rhetorik. In Wirklichkeit wurden seit 2002 weltweit fünf AKWs mehr stillgelegt als neu in Betrieb gingen. Und angesichts eines durchschnittlichen Alters der Reaktoren von 22 Jahren dürfte sich der Abschied von der Atomkraft zukünftig noch beschleunigen. Die Nukleartechnologie ist nicht nur die gefährlichste, sondern auch die teuerste Art der Stromerzeugung. Auf 7,5 Milliarden Euro Kosten schätzt das "Wall Street Journal" die Kosten für jedes neue AKW, das in den USA gebaut würde. Betreiber finden sich überhaupt nur, wenn sie die Gewinne behalten dürfen, Kosten und Risiken jedoch auf die Allgemeinheit abwälzen können. Als Industriestandort ist Deutschland klug beraten, stattdessen auf erneuerbare Energien zu setzen, die – anders als die Atomenergie – weltweit tatsächlich boomen. Erneuerbare Energien sind nicht nur umweltfreundlich und zukunftsfähig. Sie bieten Technikern gewaltiges Entwicklungspotential und den Unternehmen, die in sie investieren, großartige Gewinnmöglichkeiten.

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Ausstieg hat auch negative Auswirkungen Sechs Fragen an Johannes Teyssen Zur Person Dr. Johannes Teyssen, geb. 1959, studierte Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Freiburg und Göttingen. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Vorstands und Chief Operating Officer (COO) der E.ON AG, Düsseldorf.

Die Konzentration von Kohlendioxid in der Erdatmosphäre nimmt stetig zu und heizt das Klima an. Ist die Atomkraft ein möglicher Klimaretter? Wie umweltschonend ist die Nuklearenergie? 2007 hat die Nutzung der Kernenergie weltweit 2,4 Mrd. Tonnen CO2 vermieden, bei einem gesamten CO2Ausstoß der Stromerzeugung von 8 Mrd. Selbst bei Betrachtung des kompletten Lebenszyklus, liegen die Treibhausgasemissionen bei Kernenergie zwischen 5 bis 33 Gramm CO2-Äquivalent je Kilowattstunde; fossile Energieträger weisen hier Werte von 399 bis 1.231 Gramm auf. Die Kernenergie trägt also erheblich zu einer klimaverträglichen Stromversorgung bei. Sie ist zwar nicht "der" Klimaretter, sie ist aber mittelfristig Teil der Lösung und nicht des Problems. Nur ein breiter Energiemix sichert eine nachhaltige Versorgung, d.h. eine Kombination CO2-freier Energien wie Kernenergie, Wasser, Wind und Biomasse mit den übrigen fossilen Energien. Greenpeacemitgründer Dr. Patrick Moore bringt es auf den Punkt: "Ich habe erkannt, dass die Kernenergie gemeinsam mit einer verstärkten Konzentration auf Erneuerbare Energien unverzichtbar ist, wenn es darum geht, in Zukunft eine umweltverträgliche Stromerzeugung [...] bereit zu stellen." Deutschland ist von Gas- und Ölexporten aus dem Ausland abhängig. Inwiefern bietet die Atomkraft ein Plus an Versorgungssicherheit? Bei Gas beträgt die Importabhängigkeit rund 85 Prozent, bei Öl weit über 90. Bei Gas, wo E.ON durch E.ON Ruhrgas aktiv ist, setzen wir verstärkt auf eine Diversifizierung der Lieferländer, -quellen und -wege. Die Internationale Energieagentur geht von einer Steigerung des Primärenergieverbrauchs von 50 Prozent bis 2030 aus. Das bedeutet, dass viele Staaten verstärkt fossile Energieträger importieren müssen. Dies kann durch Kernenergie kompensiert werden. Die Reichweiten von Uran werden nach heutigem Kenntnisstand noch mindestens 200 Jahre betragen, und dank der ständigen technologischen Weiterentwicklung dürfte noch eine deutlich größere Reichweite zu erwarten sein. Während sich die Erdöl- und Erdgasreserven auf eher unruhige Regionen konzentrieren, kommt Uran nahezu überall auf der Welt vor. Versorgungssicherheit hat zudem noch die Komponente einer sicheren Versorgung. Hier sind deutsche Kernkraftwerke seit Jahren im internationalen Vergleich bei Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Leitungsfähigkeit an der Spitze. Zurzeit wird der Klimaschutz ebenso diskutiert wie die Energiesicherheit. Noch dazu sehen sich Privathaushalte und die Industrie steigenden Strompreisen ausgeliefert. Findet vor diesem Hintergrund möglicherweise ein gesellschaftliches Umdenken zugunsten der Atomenergie statt? 75

Der positive Stimmungswandel pro Kernenergie ist schon seit einiger Zeit festzustellen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid befürworten inzwischen 52 Prozent der Bevölkerung eine Verlängerung der Laufzeiten über das Jahr 2021 hinaus. In der Wirtschaft ist die Akzeptanz noch größer. So informierte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag im August 2008, dass 78,1 Prozent der deutschen Unternehmen längere Laufzeiten für sinnvoll halten. Ursachen für diese Stimmung pro Kernenergie gibt es viele: neben den bereits beschriebenen Klimaschutz- und Versorgungssicherheitsaspekten spielt auch die Befürchtung eine große Rolle, dass Deutschland mit dem Ausstiegsbeschluss sowohl in Europa als auch weltweit isoliert ist. Auch die Preiseffekte sind nicht zu vernachlässigen: So kann die Laufzeitverlängerung kurz- bis mittelfristig nach verschiedenen Gutachten den Strompreisanstieg um bis zu 10 Prozent dämpfen und der Volkswirtschaft bis zu 4 Mrd. Euro jährlich sparen. Im Jahr 2000 wurde der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Nun werden teils längere Restlaufzeiten für Atomkraftwerke gefordert. Ist das eine annehmbare Übergangslösung, oder besteht die Gefahr, dass damit der Konsens über die Befristung nuklearer Stromerzeugung gekippt werden könnte? Um eines von vornherein klarzustellen: Die Energiewirtschaft hält sich an die Vereinbarung mit der Bundesregierung. Wie die Politik ist sie aber verpflichtet, ständig weiterzudenken und Veränderungen bewusst zu machen. Es ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Rahmenbedingungen seit der Vereinbarung grundlegend geändert haben. So etwa die ambitionierten Klimaziele, die laut Europäischer Kommission ohne Kernenergie nicht umsetzbar sind. Die Entwicklung des Ölpreises, die die Risiken der Importabhängigkeit bewusst macht. Auch ist kein realistischer Ersatz der Kernenergie erkennbar: Erneuerbare Energien sind weit überwiegend nicht grundlastfähig. Kohle ist klimapolitisch umstritten, und die CCS-Technologie allenfalls nach 2020 effektiv verfügbar. Es bleibt nur Gas mit seinen Preisrisiken und der hohen Importabhängigkeit. Deshalb muss eine verantwortungsvolle Energiepolitik die Kernenergie neu bewerten, und daher werben wir im Dialog mit Politik und Öffentlichkeit für die Rücknahme der Laufzeitverkürzung deutscher Kernkraftwerke. In der Diskussion um Atomkraft ist die Frage der Endlagerung der Uran-Abfälle von zentraler Bedeutung. Gibt es eine sichere Endlagerung, und gibt es eine langfristige Lösung in Deutschland? Zweifellos ist die Endlagerung ein wichtiges Thema. In der Diskussion wird aber häufig übersehen, dass die Frage der Endlagerung gelöst werden muss, unabhängig davon wie lange wir in Deutschland die Kernenergie noch nutzen werden. Alle bisher durchgeführten Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass sicherheitstechnisch und methodischkonzeptionell nichts gegen den Salzstock Gorleben als Endlager für wärmeentwickelnde Abfälle (hochradioaktiv) spricht. Es ist daher bedauerlich, dass das Gorleben-Moratorium immer noch steht, obwohl alle Voraussetzungen für seine Aufhebung gegeben sind. Für nicht wärmeentwickelnde Abfälle (schwach- und mittelradioaktiv) sind Endlager in den meisten Ländern, die Kernenergie nutzen, zum Teil seit Jahrzehnten erfolgreich in Betrieb. In Deutschland gibt es am Standort Konrad ein genehmigtes Endlager. Anfang 2008 hat die zuständige Behörde den Hauptbetriebsplan für die Errichtung des Endlagers zugelassen und die Arbeiten für den Ausbau wurden begonnen.

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Die Kernenergietechnologie findet weltweit weiterhin Anklang. Japan oder auch Indien bauen derzeit ihren Atomkraftsektor aus. Verliert Deutschland mit seinem Ausstieg aus der Kernenergietechnologie an Ansehen als Industriestandort? In der Tat zeigt sich, dass die Kernenergie für viele Länder eine wichtige Option im zukünftigen Energiemix darstellt. Dies hat zuletzt der G8-Gipfel im japanischen Toyako sehr deutlich gemacht. Dabei ist der Trend zur Kernenergie nicht auf einzelne Regionen beschränkt. Zubau und Planungen gibt es sowohl im asiatischen Raum als auch in den USA und Russland. Aber auch die EU setzt auf Kernenergie als wichtige Zukunftsoption. Das 2007 verabschiedete Grünbuch "Eine Energiepolitik für Europa" enthält ein klares Plädoyer für die Kernenergie. Viele Mitgliedstaaten handeln entsprechend. Der Ausstieg hat auch negative Auswirkungen auf das Ansehen des Industriestandorts Deutschland. Technik "made in Germany" hat weltweit noch immer einen sehr guten Ruf, auch Kerntechnik. Das von der rot-grünen Regierung verhängte Forschungsverbot bei der Reaktorneuentwicklung ist ein Beispiel dafür, dass eine Politik der Denkverbote, Chancen für die Zukunftsfähigkeit der Technologie- und Industrienation Deutschland verspielt.

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Vollständige Versteigerung der Zertifikate dringend notwendig Sieben Fragen an Tilman Santarius Zur Person Tilman Santarius ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Er ist zudem Vorstandsmitglied bei Germanwatch e.V. Seine Hauptarbeitsfelder sind ökonomische Instrumente in der Klimapolitik, Global Governance sowie Fragen des Welthandels. Er ist Ko-Autor des Wuppertal-Reports "Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit". Zuletzt war Santarius Mit-Autor bei der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt".

Der Emissionshandel auf EU-Ebene wurde bei seiner Einführung 2005 als wichtiger Schritt im Kampf gegen die Erderwärmung gefeiert. Wie bewerten Sie die Wirkung der Emissionszertifikate bislang? Der Emissionshandel ist eines der wichtigsten Klimaschutzinstrumente in der EU. Obwohl nur einige tausend Unternehmen daran beteiligt sind, werden durch das System rund die Hälfte der Kohlendioxidemissionen der EU abgedeckt. Wenn also die energie-intensiven Unternehmen, die an dem Handel verpflichtend teilnehmen müssen, durch den Emissionshandel zu einer Reduktion ihres Treibhausgas-Ausstoßes gebracht werden, hat dies weit reichende positive Folgen. Bisher waren die tatsächlichen Vermeidungen allerdings gering. In der erste Phase des Emissionshandels (2005-2007) haben die EU-Regierungen nur sehr vorsichtige Reduktionsziele bis gar keine verfolgt. Mitunter wurden Unternehmen sogar über ihr bisheriges Emissionsniveau hinaus mit Zertifikaten ausgestattet, so dass die EU-Kommission einer verdeckten Subventionierung vorbeugend eingreifen musste. In der zweiten Phase (ab 2008) wurden bereits etwas ambitioniertere Reduktionsziele verfolgt. Insofern steckt in dem Instrument ein großes Potential. Ein Ziel der Emissionszertifikate sollte sein, dass Unternehmen umweltfreundliche Technologien investieren. Ist das eingetreten?

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Das lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend feststellen, darf aber erwartet werden. Es gibt Studien, etwa auch von McKinsey (2005), die dem Instrument klar ein Innovationspotential bescheinigen. Andererseits haben die Unternehmen, die kaum dem Wettbewerb ausgesetzt sind – allen voran die Stromerzeuger – die Mehrkosten durch den Emissionshandel einfach in Form höherer Preise an die Konsumenten weitergegeben. Investitionsanreize waren daher äußert gering. Zudem hat eine nach Brennstoffen gestaffelte Verteilung der Zertifikate – je mehr Treibhausgase, desto mehr Zertifikate – dazu geführt, dass der Ersatz von Kohle und Öl durch Gas und vor allem Erneuerbare Energien nur langsam vonstatten geht. Die nächste Überarbeitung der EU-Emissionshandelsrichtlinie muss die Frage in den Mittelpunkt stellen, wie das Innovationspotential des Instruments deutlich verbessert werden kann. In der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 haben Unternehmen in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern noch sehr viele Zertifikate erhalten. Der Anreiz, Emissionen zu sparen war also gering. War die EU-Politik zunächst zu zögerlich?

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Die Phase zwischen 2005 und 2007 kann als Einführungsphase bezeichnet werden. Nach langen Diskussionen, ob Unternehmen in dieser Phase zunächst nur freiwillig teilnehmen sollten, hat sich die EU-Kommission mit einer verpflichtenden Teilnahme durchgesetzt. Dafür wurden allerdings die Strafgebühren geringer angesetzt, die kostenfreie Verteilung der Zertifikate wurde EU-weit vorgeschrieben, und die Kommission hat auch wenig ambitionierte Reduktionsziele der Mitgliedsstaaten durchgehen lassen. Dies war sinnvoll, um zunächst Vertrauen in das Instrument aufzubauen und die Institutionen zu testen. Allerdings hatten die geringen Anreize zur Vermeidung selbst für die Unternehmen Nachteile: die Zertifikatspreise waren instabil, und der Handel kam nicht richtig in Gang. Es war insofern sehr begrüßenswert, dass die EU-Kommission die Reduktionsziele wie die Verteilung der Zertifikate jetzt, in der zweiten Phase wesentlich strenger geprüft hat. Den Stromunternehmen wird vorgeworfen, dass sie in der ersten Handelsperiode mit den Zertifikaten Gewinne erzielten und trotzdem höhere Strompreise durchsetzten. Teilen Sie diesen Vorwurf? Der Vorwurf kann nicht darin bestehen, dass die Unternehmen die Zertifikatspreise in ihren Berechnungen berücksichtigen, auch wenn sie diese kostenfrei erhalten haben. Denn dies ist die übliche betriebswirtschaftliche Praxis. Allerdings kann der Vorwurf erhoben werden, die Unternehmen hätten die höheren Gewinne auch zu Klimaschutzzielen verwenden sollen. Sprich, sie hätten sie für eine Verbesserung der Effizienz bestehender Anlagen oder für Investitionen in einen Brennstoffwechsel nutzen sollen. Dass die großen Stromversorger durch den Emissionshandel Milliarden zusätzlich erwirtschaftet haben, aber damit fast nichts für den Klimaschutz tun, ist nicht vermittelbar. In der zweiten Handelsperiode von 2008 bis 2012 kommt es zur Kürzung der Zertifikate. Was ist nun zu erwarten? Der Handel mit Zertifikaten wird mehr in Gang kommen, und der Preis wird verlässlicher. Das wird hoffentlich dazu führen, dass Unternehmen verstärkt in Gas als "sauberstem" fossilen Energieträger, in nach-fossile Technologien und in Energiesparmaßnahmen investieren. Das Innovationspotential des Instruments wird aber erst voll eingelöst, wenn ein größerer Teil der Zertifikate an die Unternehmen versteigert und damit für sie voll kostenpflichtig wird. So lange dies nicht erfolgt, werden die Stromkonzerne nach wie vor die Kosten einpreisen und damit höhere Gewinne einfahren, ohne viel ändern zu müssen. Übrigens ist in dem Zusammenhang das Angebot der Energiekonzerne, bei einer Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken einen Teil ihrer Gewinne endlich in den Ausbau von Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz zu stecken, besonders pikant. Ab 2012 soll auch die Luftfahrt in den europäischen Emissionshandel einbezogen werden. Ist das ein richtiger Schritt, und sollte der Straßenverkehr folgen? Es ist längst überfällig, dass der internationale Luft- und Schiffsverkehr seinen Teil zu den weltweiten Klimaschutzanstrengungen leisten muss. Bisher blieben diese stark wachsenden und emissionsintensiven Sektoren völlig vom Umdenken und -handeln verschont. Es ist insofern wichtig und richtig, den Flugverkehr in den EU-Emissionshandel einzubeziehen. Allerdings sollten auch hier die Zertifikate in Zukunft versteigert werden. Der Straßenverkehr könnte indes nur indirekt in den Emissionshandel aufgenommen werden, indem die Raffinerien und eventuell Automobilerzeuger einbezogen würden. Denn wenn alle Verkehrsteilnehmer individuell teilnehmen, würde dies die Administration des Systems überfordern und brächte zudem soziale Probleme mit sich. Allerdings halte ich es zunächst für 79

zielführender, im Verkehrssektor eine ganze Palette anderer Maßnahmen anzuwenden – um ganz spezifische Anreize bei den Automobilerzeugern, den Verbrauchern, den Straßen- und Stadtplanern, den Forschern und Entwicklern usw. setzen zu können. Der Emissionshandel soll weiter verschärft werden. Die EU plant deshalb ab 2013 die CO2-Verschmutzungsrechte teils oder gar vollständig zu versteigern. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen? Eine vollständige Versteigerung der Zertifikate ist dringend notwendig. Ansonsten sind die Innovations- und Vermeidungsanreize viel zu gering, um das Ziel noch erfüllen zu können, die globale Erwärmung unter der gefährlichen Schwelle von 2 Grad zu halten. Nicht nur eine Versteigerung wäre notwendig, sondern auch ein langfristiger Reduktionspfad sollte vorgegeben werden, so dass Unternehmen und Finanzmärkte ein klares Signal zum Umsteuern erhalten. Allenfalls könnte man für die energie- und emissionsintensiven Zementoder Eisen- und Stahl-Industrie, die im internationalen Wettbewerb stehen, eine teilweise kostenfreie Vergabe der Zertifikate in Erwägung ziehen. Oder es müsste durch andere Maßnahmen, wie etwa eine Grenzausgleichssteuer, vermieden werden, dass die Produktion in Europa aufgegeben und diese Produkte nur noch importiert würden.

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Vor allem internationale Anstrengungen nötig Sieben Fragen an Joachim Hein Zur Person Dr. Joachim Hein ist Referent für Klimapolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Während des Gesetzgebungsprozesses zur Einführung des EU-Emissionshandels in Deutschland hat der Chemiker den Industrie-Input in die vom Bundesumweltministerium dazu einberufene interministerielle Staatssekretärsrunde koordiniert. Der BDI ist die Dachorganisation von 38 Mitgliedsverbänden, die rund 100.000 Unternehmen repräsentieren.

Der Emissionshandel auf EU-Ebene wurde bei seiner Einführung 2005 als wichtiger Schritt im Kampf gegen die Erderwärmung gefeiert. Wie bewerten Sie die Wirkung der Emissionszertifikate bislang? CO2 hat einen Preis bekommen. Wenn man den zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen glauben darf, ist das eine Grundvoraussetzung für einen effizienteren Klimaschutz. Weiter gedacht heißt das, dass die Etablierung eines internationalen Emissionshandelssystems das eigentliche Ziel sein muss. Das EU ETS (Emissions Trading System) ist regional beschränkt – mit allen damit verbundenen Nachteilen. Zudem wurde das System insbesondere in Deutschland auf ein bestehendes umfangreiches Klimaschutzinstrumentarium "draufgesattelt". Es wäre also nicht statthaft, die in Lehrbüchern für das ideale ETS beschriebenen Vorzüge auch für das reale mit Defiziten behaftete System als gegeben anzunehmen. Im Übrigen hat die zweite Handelsperiode eben erst begonnen. Es ist damit noch zu früh, um die Wirkung des ETS belastbar beurteilen zu können. Ein Ziel der Emissionszertifikate sollte sein, dass Unternehmen umweltfreundliche Technologien investieren. Ist das eingetreten?

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Das Ziel sollte vor allem sein, den Klimaschutz kosteneffizienter zu machen. Unternehmen, die kompetitiv bleiben wollen, sind ohnehin gezwungen, in innovative und damit hocheffiziente Technologien und Prozesse zu investieren. Sie befinden sich ja nicht im rechtsleeren Raum, sondern haben nahezu "jede Menge" an immer neuen Anforderungen "wegzustecken" (Bundes-Immissionsschutzgesetz, Chemikalienverordnung REACH etc.). Inwieweit der Emissionshandel als weitere zusätzliche Auflage Investitionen anreizt, muss also sehr differenziert betrachtet werden. Jedoch wurde das EU ETS ja eben erst "scharf" geschaltet: seit 1.1.2008 läuft die Kyoto-Periode. Ob die schärferen Emissionsobergrenzen wirklich Investitionsanreize in Deutschland und der EU schaffen, kann noch nicht hinreichend beurteilt werden. Die Gefahr besteht auch, dass sie auf längere Sicht sogar das Gegenteil bewirken – "carbon and job leakage", d.h. Produktion und Arbeitsplätze werden in Länder außerhalb der EU verlagert, wo geringe oder keine Emissionsbeschränkungen gelten. In der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 haben Unternehmen in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern noch sehr viele Zertifikate erhalten. Der Anreiz, Emissionen zu sparen war also gering. War die EU-Politik zunächst zu zögerlich?

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Nein. Es handelte sich um ein völlig neues System, mit einem, zumindest in Deutschland im Vergleich zum bisher gebräuchlichen, völlig anderen Ansatz: Es wurden absolute Emissionsobergrenzen festgelegt, im Gegensatz zu den bisherigen relativen Emissionsgrenzwerten (z. B. 200 Milligramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter). Ein möglichst "weicher" Übergang in das neue System war deshalb unbedingt erforderlich. Strukturbrüche verursachende Maßnahmen hätten sehr ernste wirtschaftliche Verwerfungen zur Folge gehabt. Den Stromunternehmen wird vorgeworfen, dass sie in der ersten Handelsperiode mit den Zertifikaten Gewinne erzielten und trotzdem höhere Strompreise durchsetzten. Teilen Sie diesen Vorwurf? Zum Teil. Es sollte unbestritten sein, dass werthaltige Zertifikate, auch wenn die Unternehmen sie kostenfrei zugeteilt bekommen haben, bilanzrechtlich zu Opportunitätskosten führen. Höhere Strompreise rühren vor allem aus dem anspruchsvollen "cap", also der für Deutschland festgelegten Emissionsobergrenze her. Höhere Strompreise resultieren sicherlich auch aus dem noch nicht vollständig liberalisierten und unvollkommenen EU-Elektrizitätsbinnenmarkt. Ein ganz erhebliches Problem bei der Einführung des Emissionshandels war die irreführende Darstellung der komplexen Zusammenhänge in den Medien. Klimaschutz kostet Geld. Den Verbrauchern den Eindruck zu vermitteln, dass sie dies nicht beträfe und bspw. die Strompreise von der Einführung des neuen Systems nicht beeinflusst würden, war kein Meisterstück politischer Kommunikation. Der BDI hat diese Dinge übrigens immer beim Namen genannt. In der zweiten Handelsperiode von 2008 bis 2012 kommt es zur Kürzung der Zertifikate. Was ist nun zu erwarten? Dies ist schwer abzuschätzen. Denn es geht bei Anlagenlebensdauern von im Schnitt mehreren Jahrzehnten nicht um fünf Jahre, sondern um die längerfristige Vorhersagbarkeit und Zuverlässigkeit politischer Rahmenbedingungen. Die sind aber bspw. davon abhängig, ob es nach dem Kyoto-Protokoll ein internationales Anschlussabkommen geben wird, und falls ja, wie dieses aussehen wird. Beide Fragen sind derzeit nicht zuverlässig zu beantworten. Weitere beträchtliche Unsicherheit bringt das Energie- und Klimapaket der Kommission vom Januar 2008. Die Regeln für das EU ETS sollen für die Zeit nach 2012 grundlegend verändert werden. Viele betroffene Unternehmen befürchten eine deutliche Verschlechterung der Investitions- und Produktionsbedingungen in der EU, da sie mit immer schärferen Minderungsverpflichtungen konfrontiert werden. Konkret soll der Emissionshandelssektor, bezogen auf 2005, seine Emissionen noch einmal um 21 Prozent reduzieren. Dies bedeutet erhebliche Restriktionen, denen sich Wettbewerber in Nicht-EU-Staaten nicht stellen müssen. Ab 2012 soll auch die Luftfahrt in den europäischen Emissionshandel einbezogen werden. Ist das ein richtiger Schritt, und sollte der Straßenverkehr folgen? Die Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel ist prinzipiell sinnvoll. Aber es sind noch zu viele Fragen offen. Denn angesichts des scharfen globalen Wettbewerbs im Luftverkehr ist der Schritt unverständlich, solange offen ist, ob nicht nur die europäischen Fluggesellschaften zusätzliche Lasten tragen. Es ist ungeklärt, ob Fluggesellschaften, die nicht aus der EU stammen, sich dieser EU-Entscheidung beugen werden. Dies ist jedoch die Voraussetzung für eine Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel. Sonst bleibt es bei einer EU-Insellösung, die für den Klimaschutz wenig bewirkt. 82

Das ETS ist zum einen noch in den Kinderschuhen, zum anderen administrativ sehr aufwändig. Beide Gründe sprechen nicht dafür, den Straßenverkehr in das System einzubeziehen. Außerdem gibt es bereits eine ganze Reihe ordnungsrechtlicher Maßnahmen zur Begrenzung der Emissionen im Straßenverkehr (CO2-Grenzwerte, Maut etc.). Den Emissionshandel hier wiederum nur "draufsatteln" zu wollen, wäre weder effektiv noch effizient. Der Emissionshandel soll weiter verschärft werden. Die EU plant deshalb ab 2013 die CO2-Verschmutzungsrechte teils oder gar vollständig zu versteigern. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen? Deutschland mindert erheblich sein CO2 und den größten Anteil daran hat die deutsche Industrie. Deutschland ist für ca. 3 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, die EU für ca. 15. Deshalb sind vor allem internationale Anstrengungen nötig, um Emissionsminderungen zu erreichen. Solange es keine belastbare internationale Vereinbarung zur Emissionsminderung gibt, müssen Industrieanlagen in der EU ihre Zuteilungen 100 Prozent kostenfrei erhalten. Nur so lassen sich Wettbewerbsverzerrungen gegenüber NichtEU-Anlagen verhindern. Mit der Änderung der EU ETS-Richtlinie, die eine Reduzierung der Emissionen bis 2020 um 21 Prozent für den ETS-Sektor vorsieht, werden die EU-Industrien die weltweit schärfste Minderungsverpflichtung haben. Durch die kostenfreie Zuteilung ändert sich daran nichts: die Unternehmen müssen entweder investieren oder Zertifikate zukaufen, um die drastische Emissionsbegrenzung einzuhalten. Die kostenfreie Zuteilung auf der Basis von Benchmarks ist daher die Methode der Wahl für das verarbeitende Gewerbe.

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Der globale Energiemarkt Die internationale Politik wird zunehmend durch das Kräfteverhältnis zwischen Energieproduzenten und -konsumenten bestimmt. Die steigende Nachfrage nach Öl und Gas machen beide zu zentralen politischen Faktoren. Noch dazu kehren einige ressourcenreiche Länder zurück zum Energienationalismus. Eine Welt, die zu über 80 Prozent fossile Energieträger verbraucht und über Jahrzehnte dementsprechend ihre energiewirtschaftlichen Infrastrukturen aufgebaut hat, braucht auch in naher Zukunft einen gesicherten Nachschub an Öl, Gas und Kohle. Wie kann eine weltweite Kooperation auf dem globalen Energiemarkt aussehen? Und welche Rolle spielen die verschiedenen Regionen sowohl als Energielieferanten wie auch -konsumenten?

Der globale Energiemarkt: Kooperation statt Konfrontation Zur Person Enno Harks arbeitet seit 2007 als Political Advisor bei der Deutschen BP in Berlin. Zuvor war er 21⁄2 Jahre Wissenschaftlicher Mitarbeiter der SWP, wo er zum Thema internationale Energiepolitik gearbeitet und in diesem Rahmen am deutschen Energiegipfel teilgenommen hat. Davor war er 7 Jahre Energy Analyst bei der IEA in Paris, zuständig für Öl- und Gasmarktthemen. Der Autor gibt hier seine persönliche Meinung wider.

Öl und Gas sind längst zu wichtigen Faktoren der internationalen Politik geworden. Importabhängigkeiten, Versorgungssicherheit und das Geschäft mit Rohstoffen nehmen starken Einfluss auf politische Entscheidungen. Doch wie kann der internationale Energiemarkt geregelt werden? Ein Ölförderturm in der Nähe von Denver in Colorado. Nicht nur die USamerikanische Wirtschaft ist abhängig von Öl, Gas und Kohle. 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs werden durch fossile Energieträger gedeckt. Insbesondere Öl und Gas ist dabei längst eine immanent politische Rolle zugewachsen. Foto: AP

Öl und Gas stehen seit einigen Jahren wieder im Vordergrund der deutschen Politik – nachdem sie viele Jahre ein eher stiefmütterliches Dasein führten, zumindest was ihre internationalen Aspekte angeht. Zu dieser Wende hat prominent der auf historische Höhen gestiegene Ölpreis beigetragen. Ebenso ist die Erkenntnis gereift, dass beide Energieträger Charakteristika besitzen, die sie als volkswirtschaftlich strategisch und besonders sensibel erscheinen lassen: Öl ist als nahezu ausschließlicher Energieträger des weltweiten Verkehrssektors bisher, jedenfalls großindustriell, nicht ersetzbar und exponiert somit die weltweit wichtigsten Industriezweige. Gas ist überwiegend leitungsgebunden, wodurch Verbraucher und Produzent von einander, von der Pipeline-Infrastruktur und von der Zuverlässigkeit der Lieferanten und Transitstaaten abhängig sind.

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Hinzu kommt, dass Öl und Gas nicht nur die wichtigsten Energieträger der Welt und auch Deutschlands sind und gut 35 Prozent des gesamten Primärenergieverbrauchs ausmachen. Sondern es kommt erschwerend hinzu, dass die meisten großen Verbraucherländer, so auch Deutschland, nur wenig heimisch produzieren und in hohem Maße von Ölimporten abhängig sind. Hieran, so die meisten Marktbeobachter, wird sich auch in Zukunft nicht viel ändern. Dies liegt insbesondere daran, dass eine Welt, die zu über 80 Prozent fossile Energieträger verbraucht, über Jahrzehnte dementsprechend ihre energiewirtschaftlichen Infrastrukturen aufgebaut hat – und diese Investitionen besitzen ein hohes Momentum. Auch ein steigender Ölpreis wird hieran vorrangig zur Konsequenz haben, den Energieträger Kohle gegenüber Erdgas zu stärken – eine Tendenz, die wir in den letzten Jahren hochpreisigen Öls schon deutlich feststellen konnten. Öl und Gas sind entscheidende Faktoren der internationalen Politik Ministertreffen der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) im September 2008. Die 13 Mitgliedsstaaten besitzen gemeinsam 75 Prozent der Ölreserven. Die OPEC dient als Förderkartell: Regelmäßig werden Fördermengen und Preise vereinbart. Foto: AP

Hieraus folgt, dass Öl und Gas eine immanent politische Rolle spielen, Versorgungssicherheit und Aspekte der nationalen Sicherheit eng miteinander verbunden sind, und die Abhängigkeit von Importen bzw. auch – und dies sollte in der Diskussion nicht vergessen werden – die Abhängigkeit der Ressourcenstaaten von Exporten Fragen der internationalen Politik aufwirft. Da diese zum großen Teil über die Lösungsfähigkeit durch nationale Parlamente hinausgehen, ist zu fragen, inwieweit institutionalisierte Foren oder Prozesse zur Verfügung stehen, in denen drängende Probleme internationaler Energiemärkte und -beziehungen diskutiert und gelöst werden können. Hierfür zunächst einige Aprioris: * Ein großer Teil der energiewirtschaftlichen aber auch geopolitischen Zuspitzung auf den globalen Energiemärkten in den letzten Jahren ist auf das außerordentlich hohe Wachstum Chinas zurückzuführen. Bis 1993 noch Exporteur von Rohöl, sind Chinas Importe seither steil gestiegen: die Volksrepublik ist bei Öl auf Rang 2 der weltgrößten Verbraucher. Dieses Wachstum ist plausibel auch in die Zukunft fortzuschreiben, insbesondere aufgrund des hohen Motorisierungsbedarfs der Bevölkerung. * Konsequenz hieraus ist, dass mit der starken Entwicklung der Schwellen- und Entwicklungsländer ein deutlicher Bedeutungsverlust der OECD-Länder einhergeht. Lag Anfang der 1970er Jahre der Anteil des OECD-Verbrauchs am globalen Ölmarkt noch bei knapp 75 Prozent und liegt er heute bei 60 Prozent, so wird er durch den Aufstieg der Schwellenländer bis 2030 weiter auf ca. 47 Prozent sinken.[1] Hierdurch sinkt der Einfluss, den die heutigen Industrieländer auf die Bedingungen des globalen Marktes haben, insbesondere aber stellt 85

eine solche Entwicklung die heute existierenden Institutionen internationaler Energiepolitik infrage. * Weiterhin ist eine der fundamentalen Bedingungsvariablen von Öl und Gas die hohe Konzentration der verbleibenden Reserven in nur einer Hand voll Ländern. 61 Prozent der Weltölreserven liegen in den Ländern des Mittleren Ostens, weitere 14 Prozent befinden sich in den 7 OPEC-Ländern außerhalb dieser Region. Ähnlich verhält es sich bei Erdgas, bei dem gut 55 Prozent aller nachgewiesenen Welt-Gasreserven in nur 3 Ländern liegen: Russland, Iran und Qatar. Hieraus folgt, dass ein wichtiger Teil der internationalen Diskussion über anzustrebende oder kritisierte Zustände auf diesen beiden Märkten mit den ressourcenreichen Staaten gemeinsam geführt werden muss – und es ohne sie in Zukunft nicht mehr gehen wird. * Ein weiteres Charakteristikum des heutigen Ölmarktes ist auch, dass die internationalen privaten (westlichen) Ölgesellschaften heute nur mehr einen Anteil von ca. 15 Prozent an der weltweiten Ölproduktion haben, 85 Prozent des Marktes wird heute durch nationale, staatliche Unternehmen beherrscht. In der Folge ist auch die Kontrolle gesunken, die westliche Regierungen und Öffentlichkeiten auf die Unternehmen ausüben konnten; insbesondere aber sind heute die Ansprechpartner für viele ressourcenpolitische Probleme nicht mehr die großen westlichen "Ölmultis", sondern staatliche Ölfirmen nicht-westlicher Provenienz. Um in einen Dialog mit diesen treten zu können, muss daher zunächst ein Forum für Diskussionen mit ihren Heimatregierungen geschaffen werden. Diese kurze Auflistung alleine zeigt die Größe der Aufgabe, wenn heute über Themen einer "Global Energy Governance", einem guten Steuerungs- und Regelungssystem für den globalen Energiemarkt, gesprochen wird. Bevor auf existierende oder zu wünschende globale energiepolitische Institutionen eingegangen werden soll, muss kurz verdeutlicht werden, dass sich die Gegebenheiten bei Öl und Gas strukturell unterscheiden: Öl wird auf einem Weltmarkt gehandelt, der (ähnlich dem Devisenmarkt) nahezu ein Lehrbuchbeispiel eines hochgradig fungiblen und vernetzten globalen Marktes ist. Gas hingegen wird aufgrund seiner überwiegenden Pipelinegebundenheit auf Regionalmärkten gehandelt, mit deutlich geringerer Flexibilität. Für beide Energieträger bestehen aktuell kaum tragfähige internationale Institutionen: * Welthandelsorganisation (WTO): Aus der WTO bzw. GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) ist das Thema Energie durch ein so genanntes "Gentlemen’s agreement"[2] bei den GATT-Verhandlungen 1947 ausgeschlossen worden. WTO Handelsrichtlinien können somit nicht Energiemärkte regulieren oder Verträge absichern. * Energie-Charter-Vertrag (ECT): Der ECT ist zwar ein mustergültiger Vertragstext und gilt für alle Energieträger; leider wurden jedoch sehr hohe Standards angestrebt, so dass die großen Öl- und Gasproduzenten (Russland, Norwegen, die Länder des Mittleren Ostens) und ebenso die großen Verbraucher (USA, China) kein Interesse an einer Unterzeichnung bzw. Ratifikation zeigen – institutionell lässt sich dieser Rahmen daher nicht für ein "Global Energy Governance" nutzen. * Europäische Union (EU): Die EU hat in den letzten Jahren faktisch eine hohe Regulierungskraft gehabt – allerdings hat sie sich vorrangig auf den Binnenmarkt konzentriert. Für Energie-Außenpolitik, die notwendig wäre, um über die Region Europa hinausgehende Probleme der Energiemärkte Öl und Gas zu lösen, hat sie noch keinen gangbaren Weg gefunden. Des Weiteren ist zumindest im Ölmarkt zu bezweifeln, dass sie 86

alleine von ausreichendem Gewicht wäre, liegt doch ihre Ölproduktion bei weniger als 4 Prozent der Weltproduktion und ihr Gesamtverbrauch (EU-27) bei weniger als 18 Prozent des Weltverbrauchs. * G8: Die G8 ist als Impulsgeber bei den großen Herausforderungen ein hervorragender und notwendiger Akteur. Allerdings sind ihre Teilnehmer (6 Verbraucher, 2 Exporteure – bei Erweiterung um die so genannten O5 (die 5 Outreach Countries, Brasilien, Indien, China, Südafrika, Mexico) sind es 9 Verbraucher, 3 Exporteure und Brasilien als Selbstversorger) für den Weltmarkt Öl keineswegs repräsentativ, denn es fehlen die großen Produzenten der OPEC und für den Regionalmarkt Gas sind ihre Teilnehmer zu global. * Internationale Energie Agentur (IEA): Die IEA ist in Antwort auf das Ölembargo 1973 gegründet worden, um als Interessenvertretung der großen Industrienationen des Westens, insbesondere gegenüber der OPEC, zu agieren. Ihre heute 27 OECD-Mitgliedsländer besitzen stattliche Öl-Krisenvorräte, einen solidarischen Mechanismus für die Ausschüttung dieser Vorräte im Krisenfall und, für eine internationale Organisation ungewöhnlich, auch Statuten über legal bindende Entscheidungen durch Mehrheitsentscheidungen im Verwaltungsrat. Jedoch: Letztlich repräsentiert die IEA die Machtverhältnisse der 1970er Jahre – die USA sind Vetomacht, Mitglieder sind die westlichen Industrienationen; der rasante Aufstieg Chinas und Indiens spiegelt sich nicht in der IEA wider. Eine Aufnahme oder Assoziierung Indiens und Chinas ist daher dringend notwendig, um sie in einen Kompromiss einbinden zu können, der eine regelgebundene und -setzende globale Energiepolitik ermöglicht – was besonders auch das Verhalten in und mit afrikanischen Rohstoffländern angeht. Wenn auch eine ganze Reihe von Hindernissen überwunden werden muss, so ist doch auch unterhalb der Schwelle einer Vollmitgliedschaft eine Formalisierung und Verstetigung des Dialogs möglich und notwendig und kann Impulse für eine internationale Energiepolitik leisten. Fast wichtiger noch als der Dialog unter den Verbrauchern ist derjenige zwischen Verbrauchern und Produzenten von Öl und Gas. Denn letztlich hängen viele der versorgungssicherheitspolitischen Probleme mit der Interessendivergenz zwischen Produzenten- und Konsumentenstaaten zusammen, insbesondere auch mit ihrer perzepierten Konfrontationsstellung. Trotz dieser simplen Wahrheit existiert weltweit nur ein Forum, das einen solchen Austausch ermöglicht, das Internationale Energieforum (IEF). Es ist ein regelmäßiges, aber relativ unformalisiertes Treffen der großen Produzenten und Konsumenten, mit Sekretariat (seit 2003 in Riad) unterhalb des Status einer internationalen Organisation. Dieses Forum, wenn auch bisher international nicht in prominenter Weise in Erscheinung getreten, ist ein notwendiger erster Schritt, den es zu unterstützen gilt. Denn es dient nicht nur der Vertrauensbildung und dem Dialog konträrer Positionen, sondern ermöglicht auch, sich über Erwartungen zukünftiger Marktentwicklung auszutauschen und so langfristig böse Überraschungen (Stichwort Preisvolatilität) zumindest zu dämpfen. Dass die Teilnehmer sich relativ freimütig auch zu sensiblen Themen äußern, ist wahrscheinlich eine Konsequenz der Tatsache, dass das IEF keine institutionell verankerte Internationale Organisation ist – was insofern eher ein Vorals ein Nachteil ist. Dies gilt es, insbesondere mit Blick auf den weltweiten Öl- und den entstehenden weltweiten Gasmarkt, noch deutlicher als bisher zu befördern. Zum Schluss sei noch ein kurzer Ausblick gewagt: In den langfristigen internationalen Beziehungen, derer es auf den Energiemärkten bedarf, ist letztlich nur Kooperation ein strategisch nachhaltiger Weg, konfrontatives Verhalten ist für alle Parteien langfristig suboptimal. Denn die Verbraucher und Produzenten von Öl und Gas sitzen bei Debatten um 87

Versorgungs-, bzw. im Spiegel hiervon um Abnahmesicherheit im selben Boot. Dies gilt auch bzw. umso mehr in Zeiten schwieriger politischer Beziehungen – hier sei an die strategisch äußerst weitsichtigen Pipeline-Erstellungen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gedacht, die in der Hochphase des Kalten Krieges in den 1970er Jahren durchgeführt wurden. Auch mit und für Russland gilt diese Aussage; für Europa ist die geographische Nähe zu Russland eine Chance (mehr als ein Risiko), deretwegen wir in anderen Weltregionen des öfteren beneidet werden. Alternativen, so wissen wir heute, sind technisch teurer (so z.B. alternative Energieträger) oder politisch deutlich brisanter (alternative Importquellen, z.B. aus dem Mittleren Osten) als Energieimporte aus Russland. Eine partnerschaftliche, über die rein energiewirtschaftliche hinausgehende Beziehung zu Russland ist für Europa alternativlos und sollte auch unter schwierigen Bedingungen fortgeführt werden.

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Die nationalen Energiekonzerne Welche Bedeutung haben die nationalen Energieriesen? Zur Person Dr. rer. pol. Andreas Goldthau ist Assistant Professor an der Central European University in Budapest. Seine Forschungsgebiete sind internationale Energiemärkte und Versorgungssicherheit bei Öl und Gas, mit regionalem Fokus auf Eurasien. Zuvor arbeitete Andreas Goldthau als Transatlantic PostDoc Fellow bei der RAND Corporation, Washington DC, der Paul Nitze School of Advanced International Studies (SAIS), Johns Hopkins University, in Washington DC und der Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin.

Internationale Ölkonzerne, wie Shell oder BP, sind allseits bekannt, doch mittlerweile dominieren nationale Ölunternehmen den Markt. Gazprom, Saudi Aramco oder auch Venezuelas Öl- und Gasgesellschaft PDVSA zählen dazu. Wem gehören diese Ölkonzerne und wie marktorientiert agieren sie? Die Energie-Rohstoffmärkte erlebten in den letzten Jahren einen neuen Schub an "Ressourcen-Nationalismus". Dabei erhöhten die Produzentenstaaten signifikant ihren Einfluss auf den Energiesektor: durch direkte Verstaatlichungen (beispielsweise in Venezuela oder Bolivien) oder durch subtilere Methoden des Eigentumstransfers (beispielsweise der Fall Yukos in Russland). Dieser Trend zu nationalen Energiekonzernen – so genannten NOCs (National Oil Companies) – ist an sich nichts Neues. In Zeiten hoher Rohstoffpreise stellt er schlicht das Bestreben der Produzentenstaaten dar, Öl- oder Gas-Einkommen in staatliche Budgets umzulenken. Doch besonders in den letzten Jahren hat der Trend zu Verstaatlichungen und Eigentumstranfers erheblich zugenommen und neue Verhältnisse geschaffen. Die nationalen Energieriesen gewinnen an Einfluss, hier die Zentrale des russischen Gas-Monopolisten Gazprom in Moskau. Foto: AP

Zugleich setzen nun auch die "neuen Nachfrager" auf den Energiemärkten, unter anderem China und Indien, auf Staatsfirmen, um ihren steigenden Bedarf zu decken. Wie beispielsweise die chinesischen Aktivitäten in Afrika zeigen, versuchen diese "Späteinsteiger" den volatilen Ölmarkt zu meiden und sich über den direkten Einkauf in Förderprojekte einen eigenen Anteil an der Produktion – so genanntes Equity Oil – zu sichern. Im Ergebnis dieses doppelten Trends dominieren NOCs mittlerweile die globalen Öl- und Gasreserven. Gerade noch etwa geschätzte sieben Prozent der weltweiten Öl- und Gasreserven sind für private Ölfirmen (IOCs – International Oil Companies) heute noch voll zugängig. Im Zuge dieser Entwicklung sind, gemessen an den Reserven, die Top 20 weltweit größten Öl- und Gasfirmen mittlerweile nahezu ausschließlich Staatsfirmen, vor allem aus den Golfstaaten, Russland und China: Auf Platz eins ist die Iranische NIOC (National Iranian Oil Company), dann folgen Saudi Aramco, Katar GPC u.a. "Big Oil", also ExxonMobil, Chevron, BP oder Shell, dagegen liegen abgeschlagen auf den hinteren Rängen; ihre Reserven reichen zusammengenommen kaum an den nächst größeren NOC heran, siehe Grafik. 89

Aber welche Eigentumsstrukturen weisen NOCs auf, und wie transparent sind sie? Wie stark sind sie mit der politischen Führung verbunden, und inwieweit handeln sie überhaupt unternehmerisch? Da sich NOCs deutlich voneinander unterscheiden, sollen im Folgenden drei Fallbeispiele wichtiger Produzenten-NOCs Aufschluss über diese Fragen geben. Saudi Aramco Saudi Aramco, das staatliche Ölkonglomerat des saudischen Königreichs, besitzt das Monopol auf die Upstream-Aktivitäten des Landes – Exploration sowie Produktion von Erdöl – und kontrolliert etwa 98 Prozent der Ölreserven. Der Internationale Währungsfond schätzt, dass Öl- und Ölprodukte etwa 90 Prozent der saudischen Exporterlöse, über 70 Prozent der Staatseinnahmen und etwa 45 Prozent des Inlandsproduktes generieren. Saudi Aramco spielt damit eine wichtige Rolle für das Königshaus, das seine Macht zentral auf die Öleinnahmen stützt; zugleich werden letztere indirekt redistribuiert, beispielsweise im Rahmen von subventionierten Benzinpreisen, über die Rohstoffversorgung der heimischen Industrie oder die Bereitstellung von Infrastruktur. Alleiniger Eigentümer von Saudi Aramco ist die saudische Regierung – wie viele der saudischen Industriezweige ist auch der Ölsektor ausländischen Investoren verschlossen. Ziele und langfristige Strategie des Unternehmens werden vom Hohen Rat für Petroleum und Mineralien bestimmt, dessen Vorsitz wiederum der Wächter der beiden Heiligtümer und Regierungschef, König Abdullah, innehat. Trotz eines relativ unabhängigen Managements hat Saudi Aramco keine Möglichkeit, die Entscheidungen der politischen Führung anzufechten. Saudi Arabien, das gegenwärtig etwa 9 Millionen Barrel pro Tag produziert, profitiert bei Produktionskosten von unter 10 US-Dollar pro Barrel (ein Barrel entspricht 159 Liter) und Ölpreisen von zurzeit deutlich über 100 US-Dollar pro Barrel von einer riesigen Gewinnmarge auf dem Weltmarkt. Die genauen Einkommensflüsse sind allerdings wenig transparent, was Saudi Aramco im diesjährigen globalen Ranking internationaler und nationaler Öl- und Gasfirmen von Transparency International an eine der letzten Stellen rücken ließ. Zugleich handelt Saudi Aramco jedoch nach unternehmerischen Maßstäben und setzt ähnliche Returns on Investment (Kapitalsertragskräfte) an wie seine privaten Wettbewerber. Dass Saudi Aramco dabei auch jederzeit außenpolitischen Zielen dient, zeigte beispielsweise der Golf-Krieg von 1990: Während des Krieges erhöhte Saudi-Arabien, ein Alliierter der internationalen Koalition zur Befreiung Kuwaits, innerhalb von 90 Tagen seine Öl-Produktion um 3 Mio. Barrel pro Tag . Petróleos de Venezuela, S.A. (PDVSA) PDVSA ist Venezuelas staatliche Öl- und Gasgesellschaft und kontrolliert seit der Verstaatlichung des Energiesektors durch Hugo Chávez im Jahre 2007 mehr als 60 Prozent aller venezolanischen Förderprojekte. Das Unternehmen generiert etwa ein Drittel des Inlandsproduktes, die Hälfte aller staatlichen Einnahmen und nahezu 90 Prozent der Exporterlöse Venezuelas. Es ist zudem einer der größten Arbeitgeber des Landes. PDVSA, das noch in den 1980er und -90er Jahren als eines der am effizientesten geführten NOCs galt, wird im diesjährigen Ranking der Öl- und Gasunternehmen von Transparency International unter den weltweit intransparentesten Unternehmen geführt, und liegt sogar hinter der Iranischen NIOC (National Iranian Oil Company). Neben fehlenden Geschäftsberichten – für die Zeit nach 2003 liegen nahezu keine verlässlichen Finanzdaten vor – sind auch die Unternehmensangaben zur Produktion zweifelhaft; letztere wird von der Internationalen Energieagentur (IEA) statt der offiziellen 3,15 auf 2,6 Mio. Barrel pro Tag geschätzt.

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Seit Amtsantritt von Chávez finanziert das Unternehmen milliardenschwere soziale Programme und stellt damit quasi-staatliche Leistungen zur Verfügung. Es dient so zugleich als innenpolitisches Instrument im Rahmen der von Chávez ausgerufenen "Bolivarischen Revolution" und damit sowohl zur Machtsicherung als auch zur Hebung des Lebensstandards. Aufgrund einer intransparenten Parallelbürokratie arbeiten jedoch die zentralen Vehikel der Sozialprogramme, der Sozialfonds "Fondespa" und die "Misiones sociales", wenig effizient. Auch außenpolitisch wird PDVSA instrumentalisiert, u.a. über das auf Initiative Venezuelas geschaffene "Petrocaribe-Abkommen". Dieses garantiert primär Erdöllieferungen an teilnehmende Karibikstaaten zu Vorzugsbedingungen und indirekt eine de facto-Reduktion des Preises. Die zuverlässige Umsetzung der politischen Vorgaben durch PDVSA wird dabei von den zahllosen Gefolgsleuten garantiert, die Chávez seit dem Streik 2002 in dem Unternehmen installiert hat – das gesamte Management und mit 18.000 Arbeitern die Hälfte der Arbeitnehmerschaft wurden damals ersetzt. OJSC Gazprom Gazprom kontrolliert etwa 60 Prozent der russischen Gasreserven und produziert 90 Prozent des russischen Erdgases. 51 Prozent der Unternehmensanteile werden vom Staat gehalten – ein Anteil der bis 2004 noch deutlich unter 40 Prozent lag und den generellen Trend zu einer stärkeren Staatskontrolle im russischen Energiesektor widerspiegelt. Einziges ausländisches Unternehmen mit Sitz und Stimme im Aufsichtsrat ist die deutsche E.ON Ruhrgas AG. Gazprom ist alleine für etwa 20 Prozent der russischen Staatseinnahmen verantwortlich und für knapp 10 Prozent des russischen Inlandsprodukts. Der Gasgigant ist zudem aufgrund vielerlei Aktivitäten auch in "energie-fremden" Bereichen, beispielsweise im Bankensektor oder den Medien, ein wichtiger Faktor in der russischen Wirtschaft. Zudem ist das Unternehmen gesetzlich verpflichtet, auf dem heimischen Markt Gas zu Niedrigstpreisen anzubieten. Im diesjährigen Ranking der Öl- und Gasunternehmen von Transparency International liegt Gazprom, allen negativen Voraussagen zum Trotz, hinsichtlich seiner Unternehmenstransparenz im russischen Vergleich erstmals vor privaten Firmen wie zum Beispiel LukOil. International ist Gazprom allerdings eher in den unteren Rängen zu finden. Grund hierfür ist neben dem Mangel eines unabhängigen Aufsichtsrats die starke Verflechtung des Unternehmens mit der Politik. Hierfür steht zum Beispiel der neue russische Präsident und langjährige Gazprom-Aufsichtsratschef Dmitri Medvedev. Diese Verflechtung gewährleistet die Unterstützung des Unternehmens bei innenpolitischen Zielen – beispielsweise in Form von als Investition getarnten Subventionen in strukturschwachen russischen Regionen. Zugleich kann sich das Unternehmen der politischen Unterstützung bei seinen in- wie ausländischen Expansions- und Akquisitionsbestrebungen sicher sein. Dessen ungeachtet handelt Gazprom jedoch in vielerlei Hinsicht im Rahmen ökonomisch nachvollziehbarer Kriterien, die jedoch immer wieder zu internationaler Kritik führen. Sein dominantes Verhalten auf dem heimischen Markt entspricht dem Paradebeispiel eines Monopols, seine teils aggressive Strategie, die Subventionierung der GUS-Staaten, wie der Ukraine, Georgien oder Weissßrussland, zu beenden und Gas-Schuldner zur Zahlung zu zwingen, dem Prinzip der Profitmaximierung. NOCs sind nicht rein marktorientiert Wie ist zusammenfassend der Trend zu nationalen Energiekonzernen zu bewerten? Für den Ölmarkt ist es zunächst prinzipiell gleichgültig, ob ein Staatsunternehmen oder ein privater Spieler fördert, da jedes zusätzliche Barrel, ob es nun auf dem Markt landet oder nicht, die 91

Angebotssituation entlastet. Allerdings ist es fraglich, ob NOCs die in den kommenden Jahren notwendigen Investitionen tätigen werden – nach Schätzungen der IEA bis 2030 4,3 Billiarden US-Dollar im Ölsektor. Der Grund: Staatsunternehmen tendieren dazu, Entscheidungen nicht aus rein unternehmerischen Motivationen zu treffen. Aus diesem Grund birgt der Trend zu NOCs die Gefahr, dass sich das globale Ölangebot nicht mit der Nachfrage entwickelt, was weiter zunehmende Knappheit auf den Märkten bedeuten würde. Ähnliches gilt, allerdings mit regional beschränkter Reichweite, im Gassektor, der bis 2030 einen Investitionsbedarf von etwa 4 Billiarden US-Dollar aufweist. Gazprom alleine beispielsweise wird deutliche Mühe haben, die notwendigen Upstream-Investitionen von etwa 400 Mrd. US-Dollar bis 2030 zu tätigen, um die heimische Nachfrage und seine europäischen Exportmärkte bedienen zu können. Für die privaten, westlichen Wettbewerber bedeutet der Aufstieg der NOCs, dass sie zwar weiter vor allem Technologie und Managementerfahrung in Förderprojekte einbringen können, sich jedoch wohl zunehmend mit der Rolle des Juniorpartners begnügen müssen.

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Weltmeere: Ringen um Ressourcen Arktis und Antarktis versprechen Öl- und Gasvorkommen Zur Person Holger Dambeck, geb. 1969, ist seit 2004 bei SPIEGEL ONLINE, Ressorts Wissenschaft und Netzwelt. Studium Physik und Romanistik in Leipzig und Metz, Assistent der Geschäftsführung, Werbetexter, zuletzt Volontär und Redakteur beim Computermagazin c't/heise online.

Zuletzt hisste Russland 4.200 Meter tief im Meer – genau unter dem Nordpol – seine Flagge und demonstrierte somit seine Gebietsansprüche. Die Arktis lässt viele auf reichhaltige Öl- und Gasreserven hoffen. Doch genaue Schätzungen gibt es nicht, und ebenso vage bleiben die Förderkosten. Russische Fahne am Nordpol Im August 2007 hisste die Besatzung eines russisches Mini-U-Boots die Nationalflagge auf dem Meeresboden unter dem Nordpol: Symbol des Anspruchs auf das rohstoffreiche Gebiet. Foto: AP

Die Menschheit ist dabei, die Erde leer zu pumpen. Schon fast 40 Prozent aller weltweiten Ölvorräte hat sie an die Erdoberfläche geholt und verbrannt oder Plastik daraus hergestellt. Knapp 4 Gigatonnen wurden 2006 gefördert, die Nachfrage steigt weiter, der Rohölpreis eilt von Rekord zu Rekord. Wann ist der Höhepunkt der Ölförderung – auch Peak Oil genannt – erreicht? Spätestens 2020 – so prognostizieren es zumindest die Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe Hannover. Angesichts derartiger Aussichten verwundert es kaum, dass sich immer mehr Länder in viel versprechenden, bislang wenig erkundeten Regionen der Erde umschauen: den Meeren. Und so hat in den vergangenen Jahren ein regelrechtes Wettrennen um jene Regionen eingesetzt, die bis dahin allerhöchstens eine Hand voll Forscher und Militärs interessiert hat: die unwirtlichen Regionen an Nord- und Südpol. Aber auch die den Küsten vorgelagerten Festlandsrücken sind von großem Interesse, denn auch dort vermuten Geologen Öl- und Gasreserven. Es ist freilich ein Spekulieren auf Pfründe, von denen keiner so genau weiß, wie groß sie eigentlich sind. Den Anfang machte Russland im August 2007. In mehr als 4.200 Metern Tiefe hissten Taucher auf dem Meeresboden die russische Flagge – genau am Nordpol. Es war eine Demonstration der eigenen Gebietsansprüche. Moskau will weite Teile der Arktis als eigenes Seeterritorium gewinnen. Schnell noch die eigenen Gebietsansprüche abstecken Nur ein paar Monate später holten die Briten zum Gegenschlag aus – in knapp 13.000 Kilometern Entfernung, auf der gegenüberliegenden Seite der Erde in der Antarktis. London meldete Ansprüche auf ein Seegebiet von einer Million Quadratkilometer an. Es liegt vor der 93

antarktischen Küste. Chile reagierte umgehend und kündigte an, eine verlassene Antarktisstation wieder eröffnen zu wollen, um eigene Gebietsforderungen zu unterstreichen. Auch Kanada und Dänemark schalteten sich in das Ringen um Meeresterritorien ein sowie zuletzt Frankreich. Um etwa eine Million Quadratkilometer will Paris seine Seegebiete vergrößern – vor allem nahe französischer Inseln im südlichen Indischen Ozean. Teile der Antarktis stehen nicht auf dem Wunschzettel der Pariser Regierung – zumindest vorerst nicht. Ausweitung der Wirtschaftszonen Unter dem "Arctic National Wildlife Refuge" im Nordosten Alaskas werden große Ölvorkommen vermutet. Bislang gibt es nur Probebohrungen. Umweltschützer lehnen die Erschließung des Naturschuztgebietes ab, Präsident Bush drängt auf seine Freigabe. Foto: AP

Alle diese Ansprüche betreffen Gewässer, die nach derzeitiger Rechtslage international sind. Kein Staat darf sie als sein Eigentum betrachten, das gilt auch für die unter dem Meeresboden vermuteten Bodenschätze. Über die internationalen Gewässer wacht übrigens eine eigens geschaffene Institution der Vereinten Nationen (UNO): die Internationale Meeresbodenbehörde mit Sitz in Kingston (Jamaika). Ihr Auftrag lautet, die Bodenschätze der Tiefsee als "gemeinsames Erbe der Menschheit" zu verwalten. Wer also außerhalb nationaler Gewässer Öl oder Gas fördern möchte, muss zuerst ein umfangreiches Genehmigungsverfahren inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung durchlaufen. Doch es gibt eine Hintertür, um die Meeresbehörde zu umgehen und Seegebiete dem eigenen Land zuzuschlagen: den Artikel 76 der UNO-Seerechtskonvention. Er besagt, dass das Seeterritorium eines Landes so weit reichen kann wie sein Festlandsockel. Und so geht es bei dem Rennen um Meeresgebiete darum zu beweisen, dass das eigene Land unter Wasser noch viel weiter geht als jene maximal 200 Seemeilen, die schon jetzt als Wirtschaftszone nutzbar sind. Russland steht beispielsweise auf dem Standpunkt, der Lomonossow-Rücken, ein unterseeisches Gebirge, reiche bis zum Nordpol. Daraus folgt, dass auch das darüber befindliche Seegebiet zu Russland gehört. Die Expedition mit dem Hissen der Fahne auf dem Meeresboden war mehr als eine PR-Aktion, sie diente angeblich auch zum Erbringen geologischer Beweise, dass der Lomonossow-Rücken russisch ist. Die Ansprüche Russlands, Großbritanniens und Frankreichs sind keine Einzelfälle. Bis zum Mai nächsten Jahres könnten bis zu 50 weitere Staaten bei der dafür zuständigen UNOKommission für die Grenzen des Kontinentalschelfs (CLCS) eine Ausweitung ihrer Wirtschaftszonen beantragen. Praktisch in allen Fällen geht es um die Hoffnung auf Bodenschätze aus dem Meer – auf Öl, Gas oder Edelmetalle. Doch sind diese Hoffnungen berechtigt? Zumindest die nüchternen Zahlen sprechen dafür: So beträgt der Anteil der Offshore-Förderung bei Erdöl derzeit rund 35 Prozent, bei Erdgas sind 94

es 29 Prozent. Bezogen auf die Reserven lägen die Anteile bei circa 33 und 29 Prozent, sagt Hilmar Rempel, Experte für Energierohstoffe an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Hannover. Rempel rechnet damit, dass die Bedeutung der Meere in den kommenden Jahren noch zunimmt. "Dafür sprechen unter anderem die Funde in Tiefwasserbereichen des Golfs von Mexiko, vor der Küste Brasiliens und vor Westafrika." Allerdings sei die für die Kohlenwasserstoffsuche verfügbare Fläche begrenzt, denn Lagerstätten könne es aus geologischen Gründen nur in mächtigen, unterseeischen Sedimentschichten geben . "Damit scheiden große Teile der Ozeane aus, die durch das Auseinaderdriften der Kontinente in jüngerer Zeit entstanden sind", erklärt Rempel, denn dort reiche die Sedimentbedeckung nicht aus. Die Schätze der Arktis Hoffnung macht den auf Öl spekulierenden Ländern der Klimawandel, so zynisch das auch klingt. Die Erderwärmung könnte die Ausbeutung von Rohstoffen in der unwirtlichen Arktis erst möglich machen. Geoforscher rechnen damit, dass die Region womöglich schon in wenigen Jahren im Sommer komplett eisfrei ist – eine wichtige Voraussetzung, um Öl und Gas überhaupt fördern und abtransportieren zu können. Dass es in der Arktis reichhaltige Öl- und vor allem Gasvorräte gibt, davon sind viele Geologen überzeugt. Die Bedingungen für die Entstehung von Kohlenwasserstoffen waren einst in der Region gegeben, also dürften sich auch Vorkommen finden lassen. Vor allem die Flachwassergebiete und Schelfe, die Kontinentalrücken, gelten als viel versprechend. Wie groß die Vorkommen tatsächlich sind, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber kaum sagen. Bislang existieren nur grobe Schätzungen, etwa jene vom US Geological Survey (USGS). Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass in der Arktis etwa 14 Prozent aller weltweiten Ölressourcen liegen. Dies würde etwa 11 Gigatonnen entsprechen, wenn man die geschätzten Ressourcen von rund 80 Gigatonnen zu Grunde legt, also 80 Milliarden Tonnen Öl. Geologen unterscheiden zwischen Ressourcen, deren Förderung technisch oder finanziell noch nicht möglich ist, hierzu gehören auch Lagerstätten, deren Existenz noch nicht erwiesen ist, die geologisch aber als wahrscheinlich gelten, und Reserven, das sind bekannte, heute bereits ausbeutbare Vorkommen. Laut BP Statistical Review lagen die Öl-Reserven 2006 weltweit bei 164,5 Milliarden Tonnen. Die Edinburgher Ölberatungsfirma Wood Mackenzie schätzt die Vorkommen in der Arktis auf 10 Gigatonnen Öl und 43 Gigatonnen Gas. Dabei sind jedoch bislang nur die Ränder des Ozeans berücksichtigt. Welche Funde im zentralen Nordpolarmeer schlummern, weiß niemand. Es gibt aber auch Experten, die bezweifeln, ob dort überhaupt die Bedingungen zu Erdölbildung gegeben waren. Die Förderung ist eine teure Angelegenheit Doch selbst wenn es in 3.000, 4.000 Metern Wassertiefe Lagerstätten geben sollte, stünden Erdölfirmen immer noch vor einem schwierigen Problem: Wie fördert man Gas und Öl aus so großen Tiefen? Und selbst wenn es technisch und unter den extremen Bedingungen der Arktis gelingt, ist die Förderung dann überhaupt noch bezahlbar? Genau daran haben Experten wie Peter Kehrer von der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe Hannover so ihre 95

Zweifel. Er hält all die Gedankenspiele über Öl und Gas aus Arktis und Antarktis für geradezu absurd. "In 50 Jahren haben wir etwas viel Intelligenteres als Öl", sagte er SPIEGEL ONLINE. Wenn man sich die Zahlen der globalen Ölvorräte vor Augen führt, wird schnell klar: Die in den Kontinentalrücken weit vor den Küsten liegenden Reserven und Ressourcen könnten für eine gewisse Entlastung auf dem Energiemarkt sorgen – wohl aber nur für eine gewisse Zeit. Das Kernproblem des immer knapper werdenden Öls können Lagerstätten in den Ozeanen aber kaum lösen. Womöglich werden die meisten fossilen Energieträger niemals vom Meeresboden geholt, weil der Solarantrieb für Autos schlicht günstiger ist als die aufwendige Förderung. Für den Klimaschutz wäre dies eine gute Sache. Und auch für die empfindlichen Ökosysteme von Arktis und Antarktis wäre es das Beste, wenn niemand mit Fördertechnik anrückt und tiefe Löcher in die Erde bohrt. Zumindest der Kontinent am Südpol ist durch den Antarktisvertrag geschützt, den 1959 zwölf Staaten unterschrieben hatten. Er erklärt den weißen Kontinent zu einem Naturreservat, "dem Frieden und der Wissenschaft" gewidmet, wie die Unterzeichner es formulierten. Territoriale Forderungen wurden ausdrücklich nicht anerkannt. Wie weit weg die Menschheit von einer Ausbeutung der Meere noch ist, zeigt auch der Blick nach Jamaika, zur Internationalen Meeresbodenbehörde, die bislang wenig Arbeit hatte: Die noch vor Jahren als lukrativ geltende Förderung von Manganknollen vom Meeresboden findet bislang nicht statt – mangels entsprechender Technik und aus Kostengründen. Konsequentes Recycling hat sich hier als günstige Alternative erwiesen.

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Russland und der Kaspische Raum – Exportschlager Energie Vorkommen, Förderung und Exportpotentiale Zur Person Dr. Roland Götz, geb. 1943, war von 1986 bis 2000 wissenschaftlicher Referent in der Wirtschaftsabteilung des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BIOSt) in Köln. Ab 2001 untersuchte er an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin die Wirtschaft der GUS-Staaten unter besonderer Berücksichtigung der Energiewirtschaft Russlands. Seit Mai 2008 ist er in Ruhestand. Roland Götz ist Verfasser einer Vielzahl von Publikationen in den Schriftenreihen des BIOst und der SWP, in der Zeitschrift "Osteuropa" sowie in Sammelbänden zur Wirtschaft und Energiepolitik Russlands.

Seit 2005 bringt eine Pipeline Öl von Aserbaidschan über Georgien bis zur türkischen Mittelmeerküste. Einige Staaten des Kaspischen Raums sind reich an Öl und auch Gas, ebenso ihr Nachbar Russland. Das Exportgeschäft läuft gut, doch die Länder selbst haben einen hohen Energieverbrauch. Der Hafen von Supsa am Schwarzen Meer in Georgien. Hier endet die Baku-Supsa-Pipeline, die Öl aus dem Kaspischen Meer aus Aserbaidschan liefert. Während des Konflikts im Sükaukasus wurde die Pipeline stillgelegt. Foto: AP

Russland sowie die GUS-Staaten des Kaspischen Raums Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und Aserbaidschan verfügen über Vorkommen an Energierohstoffen, wie sie sonst nur noch im Nahen Osten und in Nordamerika auftreten. Russland Russland besitzt die weltgrößten Erdgasvorkommen (Reserven und Ressourcen) und förderte 2007 mit 651 Milliarden Kubikmeter mehr Erdgas als jedes andere Land. Russlands Erdölvorkommen sind zwar deutlich kleiner als die des Nahen Ostens, werden aber wesentlich intensiver als letztere ausgebeutet und trugen so seit 1999 maßgeblich zum Anstieg der Ölförderung außerhalb der OPEC, der Organisation Erdöl exportierender Länder, bei. 2007 wurden in Russland 473 Millionen Tonnen Erdöl gefördert; das Land steht damit an zweiter Stelle hinter Saudi-Arabien. Russlands Kohlevorkommen erreichen dieselbe Größenordnung wie die der USA und Chinas. Russlands Kohleförderung (2007: 315 Mio. Tonnen) dient vor allem dem heimischen Bedarf und erst in zweiter Linie dem Export. Infobox Kaspischer Raum Unter "Kaspischer Raum" werden hier die südkaukasischen und zentralasiatischen GUSStaaten Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan verstanden, nicht jedoch der Iran.

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In Russland werden im Osten und Norden Sibiriens sowie in den nördlichen Küstengewässern weitere große Öl- und Gasfelder vermutet. Aber auch nach ihrer Erschließung wird die russische Öl- und Gasförderung nicht mehr in hohem Umfang ansteigen, da die Vorkommen im Westen Sibiriens, von wo die Hauptmengen stammen, sich im Zustand zurückgehender Förderung befinden. Die Ölförderung wird in Russland voraussichtlich um 2030, die Gasförderung um 2040 ihr Maximum erreichen und dann allmählich zurückgehen. Infobox "Vorkommen" – Reserven und Ressourcen Bei Öl- und Gasvorkommen bezeichnen "Reserven" den zu gegenwärtigen Bedingungen technisch und wirtschaftlich gewinnbaren Teil. "Ressourcen" sind entweder zwar nachgewiesen, aber (noch) nicht technisch und wirtschaftlich gewinnbar, oder es sind nicht nachgewiesene, aber geologisch mögliche Vorkommen. Russland tauscht mit den Staaten das Kaspischen Raums Erdöl, Erdgas und Kohle aus, wobei regionale Versorgungsdefizite in Südrussland einerseits, in den Nordregionen des Kaspischen Raums andererseits ausgeglichen werden. Auf Nettoimporte von Energieträgern aus dem Kaspischen Raum ist Russland nicht angewiesen. Allerdings wird über russisches Territorium per Pipeline vor allem Erdöl zu den Schwarzmeerhäfen und Richtung Ukraine bis Westeuropa sowie Erdgas nach Belarus und in die Ukraine – nicht jedoch in die EU-Staaten – transportiert. Russland, die meisten zentralasiatischen GUS-Staaten und auch Aserbaidschan unterscheiden sich von den Ressourcenstaaten des Nahen Ostens dadurch, dass sie einen erheblichen Teil der geförderten Energieträger für den eigenen Bedarf benötigen, weil sie verhältnismäßig große Bevölkerungen und energieintensive Industriezweige aufweisen – nur Turkmenistan entspricht dem klassischen Fall eines bevölkerungsarmen Ressourcenstaates, der seine Förderung überwiegend dem Export widmen kann. Insbesondere für das bevölkerungsreiche und industriell entwickelte Russland wird es darauf ankommen, durch Steigerung der Energieeffizienz in Industrie, Transport und Haushalten zu verhindern, dass ein stark ansteigender Binnenverbrauch den Export maßgeblich einschränken wird. Aserbaidschan Aserbaidschans Ölförderung beträgt 2008 knapp eine Million Barrel pro Tag (ein Barrel entspricht 159 Liter) bzw. 50 Mio. Tonnen pro Jahr. Da im Inland nur rund 10 Mio. Tonnen benötigt werden, können rund 40 Mio. Tonnen durch die 2005 eröffnete Baku-TbilissiCeyhan Pipeline (BTC) von Aserbaidschan über Georgien bis zur türkischen Mittelmeerküste geleitet und dann weiter per Tanker transportiert werden. Deutschland bezog 2007 knapp 3 Mio. Tonnen Erdöl aus Aserbaidschan. Aserbaidschans Gasförderung war in den 1990er Jahren wegen Erschöpfung der damals bekannten Gasfelder auf rund 5 Mrd. Kubikmeter jährlich zurückgegangen. Erst die Produktionsaufnahme des großen, östlich von Baku unter dem Kaspischen Meer gelegenen Gasfeldes "Shah Deniz" verspricht einen erneuten Aufschwung der Gasförderung. Aserbaidschan könnte den geplanten "südlichen Gaskorridor" ("Nabucco") für sich nutzen und ab 2015 mit jährlich rund 3 Mrd. Kubikmeter beliefern. Mittelfristig wird das Gasfeld "Shah Deniz" eine Fördermenge von knapp 50 Mrd. Kubikmeter bieten. Damit ist unter Berücksichtigung des steigenden Inlandsverbrauchs ein Exportvolumen von bis zu 30 Mrd. Kubikmeter zu erwarten, das für die Türkei und Westeuropa bestimmt ist.

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Infobox Südlicher Gastransportkorridor "Nabucco" Ein Konsortium, dem staatliche Gasgesellschaften der Türkei, Bulgariens, Rumäniens, Ungarns, Österreichs und die deutsche RWE angehören, plant den Bau einer Gaspipeline von der Ost- in die Westtürkei und über den Balkan weiter nach Westeuropa. Sie soll jährlich 31 Mrd. Kubikmeter Erdgas transportieren und 5 Mrd. Euro kosten. Kasachstan Bei Uran gehört Kasachstan zu den weltweit führenden Anbietern. 2008 werden rund 1,5 Mio. Barrel pro Tag bzw. 75 Mio. Tonnen Erdöl gefördert, wovon ein Großteil exportiert werden kann. Deutschlands Anteil wird wie 2007 rund 8 Mio. Tonnen betragen. Einen weiteren Anstieg der kasachischen Erdölförderung und des Exports verspricht man sich von der Inbetriebnahme des riesigen Offshore-Ölfeldes Kashagan im Nordteil des Kaspischen Meers. Erdöl aus Kasachstan gelangt über russisches Gebiet per Pipeline zum Schwarzen Meer und über nach Norden führende Pipelines Richtung Westen. Geringere Mengen werden in den Nordiran sowie nach China geliefert; die Ölexporte nach China, wohin eine Pipeline gebaut wird, dürften noch erheblich ausgeweitet werden. Das kasachische Erdgas wird vorwiegend im Nordwesten und im Schelf des Kaspischen Meers gefördert, großenteils als Begleitgas der dort anzutreffenden Erdölförderung. Mittelfristig kann ein Förderpotential von rund 75 und ein Exportpotential von rund 40 Mrd. Kubikmeter erreicht werden. Abnehmer für das kasachische Erdgas wird wie bisher Russlands Gazprom sein (das damit die westlichen GUS-Staaten beliefern möchte), künftig aber auch China, wohin eine Pipeline mit einer jährlichen Kapazität von 30 Mrd. Kubikmeter gebaut wird. Turkmenistan Während Kasachstan das erdölreichste Land Zentralasiens ist, verfügt Turkmenistan über die größten Erdgasvorräte. Das mittelfristige jährliche Gasförderpotential des Landes wird auf rund 150 Mrd. Kubikmeter geschätzt. Für den Export stehen damit unter Berücksichtigung des künftigen Eigenverbrauchs rund 130 Mrd. Kubikmeter zur Verfügung. Wenn Turkmenistan seinen langfristigen Liefervertrag mit Russland einhält, der um 2020 Liefermengen von bis zu 90 Mrd. Kubikmeter pro Jahr vorsieht, verbleiben rund 40 Mrd. Kubikmeter für die geplanten Exporte nach China sowie für ebenfalls beabsichtigte Exporte in den Iran, die Türkei und weiter Richtung Westeuropa. Die Aufteilung der Exportmengen wird davon abhängen, welche Preiskonditionen die betreffenden Abnehmer bieten und welche Transportmöglichkeiten zur Verfügung stehen werden. Usbekistan Usbekistan förderte 2007 nur rund 5 Mio. Tonnen Erdöl, was den Inlandsbedarf nicht deckte. Usbekistans Erdgasförderung erreichte 2007 rund 60 Mrd. Kubikmeter. Das mittelfristige Gasproduktionspotential Usbekistans wird wegen des fortgeschrittenen Erschöpfungsgrads der usbekischen Gasfelder voraussichtlich bei diesem Wert stagnieren und selbst bei kaum steigendem Inlandsbedarf keine Exporte erlauben. Die Exportmöglichkeiten für Erdgas aus dem Kaspischen Raum

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Insbesondere von amerikanischer Seite wird aus geopolitischen Erwägungen vehement der Bau der "Trans Caspian Gas Pipeline" zwischen der turkmenischen Hafenstadt Turkmenbaschi und der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku gefordert. Deren Realisierung scheiterte bisher an der ungelösten Statusfrage des Kaspischen Meers, an von Russland vorgebrachten Umweltbedenken und an ihrer nicht geklärten Rentabilität. Infobox Status des Kaspischen Meers Wenn das Kaspische Meer als Meer definiert wird, stehen jedem Anrainerstaat, ausgehend von seiner Uferzone, eine 12-Seemeilen-Zone als territoriales Gebiet sowie ein 200Seemeilen-Streifen entlang seiner Küste als "ausschließliche Wirtschaftszone" zu, wobei im Falle des Kaspischen Meers eine Grenzziehung zwischen den jeweiligen Wirtschaftszonen in der Mitte des Gewässers erforderlich wird. Wenn es dagegen als See (also als Binnengewässer) betrachtet wird, würden seine Bodenschätze von den Anrainerstaaten gemeinsam ausgebeutet werden (Kondominiums-Lösung). Russland und Kasachstan haben sich 1998 für den nördlichen Teil des Kaspischen Meers bereits auf eine Aufteilung geeinigt, Aserbaidschan folgte ihnen 2001. Während Turkmenistan für Gasexporte nach Russland und China über eine ausreichende Transportinfrastruktur verfügt bzw. verfügen wird, sind Turkmenistans Exportmöglichkeiten nach Westen vergleichsweise wenig entwickelt. Aserbaidschan dagegen besitzt mit der South Caucasus Pipeline (SCP) über eine Exportpipeline, die gemäß Bedarf erweitert werden kann. Die SCP verläuft parallel zur Baku-Tbilissi-Ceyhan Erdölpipeline. Aserbaidschans Gasförderung und -export werden in Zukunft vor allem davon bestimmt werden, wie sich der Gasmarkt in der Türkei und in Südeuropa entwickelt und welchen Raum dort die Wettbewerber aus Russland und Afrika einnehmen werden. Ob die Gaspipeline "Nabucco", die die Osttürkei über den Balkan mit Westeuropa verbinden soll, gebaut werden wird oder nicht, wird den Grad der Diversifizierung der europäischen Gasimporte nicht entscheidend verändern, da mit den jährlich 30 Mrd. Kubikmeter nur 6 bis 8 Prozent des bis 2020 auf 400 bis 500 Mrd. Kubikmeter angestiegenen Importbedarfs Europas abgedeckt werden könnten. Ein anderes Bild ergäbe sich, wenn der Iran umfangreiche Gasexporte nach Europa aufnehmen würde. Dann könnte dieser neben Russland und Afrika zum dritten Hauptversorger Europas aufsteigen. Irans Prioritäten der Gasexportpolitik sind aber bis auf weiteres nicht klar erkennbar. Energiepartnerschaft Deutschlands und des Kaspischen Raums? 2007 stammten 43 Prozent der deutschen Erdgasimporte und 32 Prozent der Erdölimporte Deutschlands aus Russland. Weitere 10 Prozent der deutschen Erdölimporte kamen aus dem Kaspischen Raum, davon drei Viertel aus Kasachstan, der Rest aus Aserbaidschan. Deutschland, wie auch das restliche Europa importierten 2007 (mit Ausnahme der Türkei) kein Erdgas aus dem Kaspischen Raum. An diesen Verhältnissen wird sich auf absehbare Zeit nichts Wesentliches ändern: Deutschlands Erdölimport stagniert und wird auch in Zukunft überwiegend aus Russland, Norwegen, Großbritannien und Nordafrika stammen. Bei den wahrscheinlich noch zunehmenden Erdgasimporten Deutschlands werden Russland, Norwegen und die Niederlande auch in Zukunft die Hauptlieferländer bleiben. Erdgas aus dem Kaspischen Raum wird auch nach der eventuellen Fertigstellung eines Transportkorridors durch die Türkei, die "Nabucco-Pipeline", nur in geringen Mengen nach Deutschland gelangen.

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Die Hoffnungen auf eine wesentliche Verringerung der Abhängigkeit Deutschlands und anderer europäischer Staaten von russischem Gas durch künftige Gasimporte aus dem Kaspischen Raum werden sich daher nicht erfüllen. Dies gibt jedoch keinen Anlass zur Besorgnis, da die Abhängigkeit im Gasbereich zweiseitig ist. Liefer- und Abnehmerländer sind durch das Pipeline-Netz und langfristige Gaslieferverträge, derart aufeinander angewiesen, dass keine Seite die andere erpressen kann. Weder wird etwa aus politischen Gründen Russlands Gazprom "den Gashahn abdrehen", noch ein europäisches Land auf russisches Gas verzichten wollen. Infobox Langfristige Gaslieferverträge Erdgasimporte werden in Europa und in den meisten außereuropäischen Ländern im Rahmen von langfristigen (20- bis 30-jährigen) Lieferverträgen durchgeführt. Diese enthalten eine Bindung des Importpreises an die Preise für Erdöl und Erdölprodukte. Da diese Langfristverträge sowohl für die Lieferanten- als auch Abnehmerunternehmen Vorteile bieten, wird nicht beabsichtigt, von diesem seit Jahrzehnten bewährten System abzugehen. Kartellrechtliche Bedenken gegen die Langfristverträge bestehen nicht. Das System der Langzeitverträge und der Ölpreisbindung des Gaspreises war 1962 in den Niederlanden von der Regierung zusammen mit ESSO und Shell eingeführt worden, um die Produktion des Groningen-Gasfeldes zu vermarkten. Der Preis für Gasexporte in ein bestimmtes Land wird seither von den Preisen der dortigen Substitute für Erdgas, z.B. Kohle und Heizöl, abgeleitet (replacement value), der Preis ab Grenze des Exportlandes wird durch Abzug der Transportkosten in das Empfängerland ermittelt (netback pricing). Daher differieren die Exportpreise an der Grenze des liefernden Landes je nach Empfängerland. Im Empfängerland sind sie aber weder von den Förderkosten, noch von den Transportkosten abhängig. Um Änderungen der Preise der Gassubstitute zu berücksichtigen, wird eine Preisrevisionsklausel (price review clause) vereinbart. Während in den Langzeitverträgen der Abnehmer das Mengenrisiko trägt (er muss eine vereinbarte Mindestmenge pro Jahr abnehmen), trägt der Lieferant das Preisrisiko, weil er den Preis nicht beeinflussen kann. Eine Energiepartnerschaft des Kaspischen Raums mit Deutschland kann sich somit nicht in erster Linie auf die Sicherung der deutschen Energieversorgung stützen und berufen. Eine Zusammenarbeit könnte sich dagegen bei der gemeinsamen Förderung von Projekten der Energieeffizienz und der Vermeidung von Treibhausgasemissionen ergeben. Hierbei könnten deutsche Erfahrungen bei der Nutzung von erneuerbaren Energien (Wind- und Solarenergie) eingebracht werden. Diese Projekte dürfen aber nicht dazu führen, dass Fragen der Menschenrechte im Dialog mit den betreffenden Staaten hintangestellt werden.

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Afrika – die Energiewirtschaft boomt Reich an Ressourcen, doch die Gewinne gehören wenigen Zur Person Dominic Johnson ist Redakteur der taz und ein ausgewiesener Afrika-Kenner. Zuletzt erschien im April 2008 sein Buch "Kongo: Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens".

Die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen kurbelt Afrikas Wirtschaft an: Die größten unerschlossenen Reserven an Erdöl und -gas lagern auf dem Kontinent. Doch zugleich ist nur ein Fünftel der Bevölkerung an ein Stromnetz angeschlossen. Der Aufschwung mindert nicht die sozialen und politischen Spannungen. Im Mai 2008 wurde Südafrikas erste Windkraftanlage eingeweiht. Neben der Windkraft gelten auch Wasser- und Solarenergie als ausbaufähig – in ganz Afrika. Foto: AP Energiepolitisch stellt Afrika ein Paradox dar. Die meisten Menschen auf dem Kontinent haben keinen Zugang zu modernen Energiequellen, aber Afrika ist Netto-Energieexporteur: Nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Afrika (UNECA) werden 7 Prozent der Energie weltweit in Afrika produziert – aber nur 3 Prozent auch in Afrika verbraucht, bei einem Anteil an der Weltbevölkerung von 13 Prozent. Nur ein Fünftel der Bevölkerung des Kontinents ist an ein Stromnetz angeschlossen, weniger als irgendwo sonst auf der Welt. Afrika ist der ärmste Kontinent der Welt, aber nirgends sonst geben die Menschen einen so hohen Anteil ihrer Einkommen für Energie aus: 20 bis 30 Prozent, so der "World Energy Council". Damit werden vor allem Holzkohle, Brennholz und Kerosin gekauft, gerade weil es für die große Mehrheit der Bevölkerung keinen Anschluss an ein Stromnetz gibt. Die so genannte "Biomasse" ist für die überwiegende Mehrheit der Afrikaner der wichtigste, wenn nicht der einzige Energielieferant zum Kochen. Gleichzeitig befindet sich Afrika in einem Wirtschaftsboom. Ein Grund dafür ist die stark gewachsene globale Nachfrage nach mineralischen und metallischen Rohstoffen und nach Erdöl und Erdgas. Für all dies befinden sich einige der größten unerschlossenen oder nur wenig erschlossenen Reserven in afrikanischen Ländern. Zugleich sorgen hohe Wachstumsraten der exportorientierten Industrien in Afrika sowie die rasche Verstädterung für ein überdurchschnittlich starkes Wachstum in Afrikas eigener Nachfrage nach Energie. Der weltweite Rohstoffboom treibt Afrikas Wirtschaft doppelt an: durch hohe Primärexporte aus dem Kontinent und durch die dadurch mitverursachte rasche Zunahme an Afrikas eigenem Rohstoffverbrauch. Afrika als Energielieferant Afrika enthält ein Zehntel der nachgewiesenen Erdölreserven der Welt und leistete 2007 12 Prozent der weltweiten Förderung, mit einer Wachstumsrate von 7,5 Prozent im selben Jahr – 102

bei einem gesamtafrikanischen Wirtschaftswachstum von über 5 Prozent. Die USA importieren 23 Prozent ihres Öls aus Afrika. Deutschland bezieht 17 Prozent seiner Ölimporte aus Afrika, wovon allein 10 Prozent aus Libyen kommen. Chinas Ölimporte aus Afrika wachsen am schnellsten, insbesondere aus Angola und Sudan, und chinesische Firmen kaufen sich massiv in Afrikas Ölindustrie ein. Die Rivalität zwischen Importeuren ermöglicht es den Regierungen der Förderländer, ihre ausländischen Kunden gegeneinander auszuspielen und sich Forderungen nach mehr Transparenz oder nach Einhaltung sozialer und ökologischer Mindesstandards zu verschließen. Damit trägt Afrikas Ölboom zu neuen sozialen und politischen Spannungen auf dem Kontinent bei. Afrikas wichtigste Ölförderländer waren 2006 Nigeria mit 2,4 Millionen Barrel pro Tag, Algerien (2 Mio.), Libyen (1,8 Mio.), Angola (1,4 Mio.), Ägypten (0,7 Mio.), Sudan (0,4 Mio.) und Äquatorialguinea (0,4 Mio.). 2007 stieg Angolas Tagesproduktion auf 1,9 Mio. Barrel, während die Nigerias wegen ständiger Rebellenangriffe auf Ölförderanlagen und Pipelines im Sinken begriffen ist. Angola, mit jährlichen Wachstumsraten von 20 Prozent und einem immensen Wiederaufbaubedarf nach 30 Jahren Bürgerkrieg, dürfte ab 2010 Afrikas Ölförderland Nummer eins werden, mit 2,5 Mio. Barrel am Tag. Mit einer relativ geringen Bevölkerung von 13 Millionen Einwohnern, ein Zehntel von der Nigerias, stehen damit dem angolanischen Staat gigantische Mittel zur Verfügung. Angola ist neben dem ebenfalls aus jahrzehntelanger Isolation hervortretenden Libyen im Begriff, Lieblingsziel für Investoren zu werden – wenn auch beide weiterhin autoritäre Regime bleiben. Nigeria hingegen kommt trotz hoher Öleinnahmen aus seiner Krise nicht heraus. Im Staatshaushalt 2008 sind Öleinnahmen von 35 Milliarden US-Dollar vorgesehen, aber auch Ausgaben für die Einfuhr von Ölprodukten in Höhe von 2,6 Mrd. Dollar. Grund ist, dass die eigene Raffineriekapazität des Landes immer noch durch das Herunterwirtschaften unter der 1999 beendeten Militärherrschaft leidet, deren Entscheidungsträger lieber mit Benzinimporten Geld verdienten. Die neue Zivilregierung, die einen breiten politischen Pluralismus zulässt, hat es nicht geschafft, die Rohstoffindustrie zu modernisieren oder die wachsende Unzufriedenheit der Bewohner der Ölgebiete zu mäßigen. Öl und Gas als wichtige Energiereserven Auch für Erdgas wird Afrika immer wichtiger. Jahrzehntelang wurde das bei der Ölförderung entweichende Erdgas einfach abgefackelt, da es nicht exportiert werden konnte und weder Förderunternehmen noch Regierungen sich darum kümmerten, es lokal zu nutzen. Inzwischen ist dieser Umgang mit Gasvorkommen als ökologisch unhaltbar und ökonomisch unsinnig erkannt worden. Doch es dauert lange, alte Gewohnheiten zu ändern. Bislang geschieht das in größerem Ausmaß nur in Nordafrika, wobei große Anteile des Erdgases vor Ort verbraucht werden. 2006 lag Algerien mit 87 Milliarden Kubikmeter (m³) an der Spitze der afrikanischen Gasförderung, mit einem Eigenverbrauch von 25 Mrd. m³; es folgten Ägypten mit 52,3 Mrd. m³ (Eigenverbrauch 36 Mrd. m³), Nigeria mit 28,2 Mrd. m³ (Eigenverbrauch 10,6 Mrd. m³) und Libyen mit 14,8 Mrd. m³ (Eigenverbrauch 6,4 Mrd. m³). Die Umwandlung von Erd- in Flüssiggas, das auf Tankern exportiert werden kann, ist jedoch eine Wachstumsbranche für westafrikanische Förderländer: Nigerias Gasexporte, 2006 bei 17,6 Mrd. m³, sollen bis 2010 auf 22 Mrd. m³ steigen, und auch 103

Äquatorialguinea soll mit 1,6 Mrd m³ in den Exportmarkt einsteigen. Auch Gasleitungen aus Westafrika quer durch die Sahara-Wüste Richtung Europa sind in Planung, werden aber durch die sich ausbreitende Unsicherheit im Grenzgebiet Algerien-Mali-Niger behindert. Als Energielieferant in Afrika ist ferner Südafrika wichtig. 2006 war Südafrika mit 244 Mio. Tonnen der fünftgrößte Kohleförderer der Welt. Der Großteil der Förderung wird zur einheimischen Stromproduktion verwendet. Ein Viertel wird exportiert, mit Deutschland als einem wichtigen Abnehmer – für Deutschland war Südafrika 2006 der größte Kohlelieferant. Energieinvestitionen in Afrika Der Aufbau von Kapazitäten zur Stromproduktion für den Eigenbedarf gilt als eine der großen infrastrukturellen Herausforderungen Afrikas. Nur in Südafrika und den MaghrebStaaten reichen diese derzeit einigermaßen aus. Aber selbst in Südafrika stoßen die Stromproduzenten zunehmend an Kapazitätsgrenzen. Die Internationale Energieagentur schätzte bereits 2001, dass Afrika Investitionen im Wert von 250 Mrd. US-Dollar bis 2030 bräuchte, damit alle Afrikaner Zugang zu Elektrizität bekommen. Als besonders ausbaufähig gelten Wasserkraft und Solarenergie; erstere ist bereits mit zahlreichen Staudämmen unter anderem am Nil (Assuan, Ägypten), Kongo (Inga, Demokratische Republik Kongo), Sambesi (Cabora Bassa, Mosambik) und Volta (Aksombo, Ghana) vorhanden, letztere verharrt noch auf der Ebene von Kleinprojekten. Südafrika ist das Land mit den größten Investitionsprojekten im Energiesektor – getrieben vom Bedarf der Bergbauindustrie, von den staatlichen Zielsetzungen zur Elektrifizierung der früheren Apartheid-Townships und von der Fußball-WM 2010, bei der Blackouts vermieden werden sollen. Der staatliche Stromkonzern Eskom plant Investitionen in Höhe von 21 Mrd. US-Dollar bis 2012 in den Ausbau der Energieproduktion, darunter die Erneuerung alter Kohlekraftwerke und der Ausbau der Wasserkraft. Neben Kohle und Wasserkraft investiert Südafrika auch in die Atomenergie. Das bisher einzige Atomkraftwerk Koeberg bei Kapstadt, mit einer Kapazität von 1.800 Megawatt (MW), soll bis 2016 durch ein zweites mit einer Kapazität von 4.000 MW ergänzt werden, Vorstufe zu einem groß angelegten Nuklearprogramm von 20.000 MW. Die größten Zukunftsprojekte auf dem Kontinent gibt es für die Demokratische Republik Kongo, wo der Inga-Staudamm am Unterlauf des Kongo-Flusses bisher weit unter seinen Möglichkeiten bleibt. Der einst zur Versorgung des Bergbaureviers von Katanga (über die längste Hochspannungstrasse der Welt versorgt) gebaute Damm liegt heute zum großen Teil still, mangels Wartung der Turbinen, Ausbaggerung des Wasserwegs und Modernisierung der technischen Anlagen. Die Kapazität der beiden Dämme Inga I und Inga II, einst auf 1.300 MW angelegt, liegt heute bei unter 600 MW, wovon 180 MW exportiert werden, meist nach Südafrika und Kongo-Brazzaville. Die Weltbank finanziert die Modernisierung dieser beiden Anlagen. Außerdem sollen die Stromleitungen nach Katanga erneuert und erweitert werden; dies gilt ausländischen Investoren als Vorbedingung, um geplante Milliarden in Kongos Bergbau zu stecken, potentiell die größten Rohstoffinvestitionen Afrikas außerhalb des Ölsektors.

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Wasserkraft als Lösung Ein dritter Staudamm Inga III soll ab 2012 2.500 MW liefern und über ein Stromkonsortium Angola, Namibia, Botswana und Südafrika beliefern. Noch in den Sternen steht das Großprojekt "Grand Inga", bei dem nicht nur wie bisher fünf Prozent des Kongo-Flusses durch einen Damm gejagt werden sollen, sondern der ganze Fluss; damit könnten 40.000 MW Strom produziert werden, fast doppelt so viel wie der chinesische Drei-Schluchten-Damm mit 22.500 MW liefert, derzeit der größte der Welt. Der Grand Inga-Strom könnte, falls jemand die entsprechenden Trassen baut, sogar Südeuropa mit versorgen. Doch bislang fehlen klare Zeit- oder Finanzierungspläne. Der Ausbau der Wasserkraft steht auch in anderen Ländern auf der Tagesordnung. Der Akosombo-Damm am Volta-Fluss in Ghana produziert nur noch 115 MW; eine Verfünffachung ist geplant. Uganda plant den Staudamm Bujagali am Nil direkt oberhalb der Nil-Abflussstelle aus dem Victoria-See; die anvisierten 800 Mio. US-Dollar für lediglich 175 MW gelten allerdings als relativ teuer, so dass sich ausländische Investoren bereits größtenteils aus dem ohnehin aus Umweltgründen kritisierten Projekt zurückgezogen haben. Bestehende Dämme in Kiira und Nalubaale, deren vorgesehene Kapazität von 380 MW sich im realen Betrieb auf nur 120 MW verringert hat, zeigen die Risiken der Stromproduktion am Nil, dessen Wasserstand anders als der des Kongo saisonal schwankt. Auch Äthiopien, das bevölkerungsmäßig drittgrößte Land Afrikas hinter Nigeria und Ägypten und Herr über den Blauen Nil, plant einen deutlichen Ausbau seiner Wasserkraftkapazitäten in seinem regenreichen Hochland. Die Nutzung der Öl- und Gasvorkommen des Kontinents zur Selbstversorgung wäre ein weiterer Weg zur Energiesouveränität Afrikas. Das derzeit noch in Nigeria abgefackelte Erdgas soll nicht nur als Flüssiggas auf Tankern nach Europa exportiert werden; eine 600 Mio. US-Dollar teure Westafrika-Gaspipeline soll zudem auf einer Länge von 678 Kilometern Nigeria mit seinen westlichen Nachbarn Benin, Togo und Ghana verbinden. Allein in Ghana werden dann zwei Gaskraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 560 MW versorgt. Die "West Africa Gas Pipeline" ist somit gemessen an ihrem Ertrag um ein Vielfaches billiger als zum Beispiel der Bujagali-Staudamm in Uganda. Die Nutzung der Methangasvorkommen im Kivu-See an der Grenze zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo stellt ebenfalls ein für Investoren interessantes Projekt der einheimischen Energiegewinnung dar, ebenso in zahlreichen afrikanischen Ländern die Erschließung geothermischer Energie und Solarenergie. Afrika steht energiepolitisch noch ganz am Anfang – aber die Potentiale und Märkte sind immens.

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Der Nahe und Mittlere Osten – die Tankstelle der Welt Der Ölreichtum verleiht der Region globalen Einfluss Zur Person Jürgen Stryjak, geboren 1962, ist freiberuflicher Journalist und berichtet für deutschsprachige Zeitschriften und den ARD-Hörfunk aus der arabischen Welt. Er ist Mitbegründer des globalen Korrespondentennetzwerkes WELTREPORTER.NET.

Rund 60 Prozent der Erdölreserven weltweit befinden sich in nur fünf Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Wenn zurzeit die Ölpreise Rekordniveau erreichen, bedeutet das viel Geld in den Staatskassen. Ebenso bringen die globalen Ölbegehrlichkeiten aber auch politischen Einfluss. Die Dura Ölraffinerie bei Bagdad. Der Irak verfügt über die zweitgrößten Ölreserven weltweit nach SaudiArabien. Westliche Ölkonzerne wollen jetzt wieder vermehrt im Irak fördern: Während des Krieges war das Ölgeschäft zum Erliegen gekommen. Foto: AP

Am 22. Mai 2008 kommentierte eine Karikatur in der International Herald Tribune besonders zynisch die Abhängigkeit der USA vom Öl des Nahen und Mittleren Ostens. Zu sehen war Präsident Bush, wie er auf Knien König Abdallah von Saudi-Arabien entgegenrutscht und um eine Erhöhung der Ölfördermenge bettelt. Der König dreht sich auf dem Thron nach hinten zum Diener und flüstert hinter vorgehaltener Hand: "Gib ihm eine Geschenktüte und schick ihn des Weges!" Wenige Tage zuvor war Bush zum zweiten Mal in diesem Jahr nach Saudi-Arabien gereist. Fast einen gesamten Tag lang hatte der Texaner diesmal mit dem König verbracht, auf dessen Wochenendsitz außerhalb der Hauptstadt Riad, dem unter anderem ein Pferdegestüt mit 150 Araberhengsten angeschlossen ist. Das Erdöl erzielt Rekordpreise Die krisengeschüttelte US-Wirtschaft braucht dringend mehr und vor allem billigeres Öl, aber Bush bettelte vergeblich. Mehr als eine magere Erhöhung der Produktion um vorerst 300.000 Barrel Öl pro Tag (ein Barrel entspricht 159 Liter) werde es nicht geben. Anfang Juni kündigte das Königreich überraschend eine weitere Erhöhung um 200.000 Barrel pro Tag an. Am 22. Juni rief Saudi-Arabien dann sogar einen Öl-Krisengipfel der OPEC ein, der Organisation Erdöl exportierender Länder. Das Königreich sowie Kuwait zeigten Bereitschaft, die Fördermengen noch einmal zu erhöhen. Andere OPEC-Staaten wollen vorerst nicht mehr Öl auf den Markt bringen und warnten vor Spekulanten, die den Preis nach oben trieben. Frühestens im September bei ihrem nächsten regulären Treffen in Wien wird die OPEC erneut über Fördermengen nachdenken. Bis dahin soll es keine weiteren Treffen geben. Doch die Stimmung bleibt angespannt.

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Tankstelle in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens. 40 Prozent des derzeit auf dem Weltmarkt angebotenen Öls kommen aus dem Königreich. Foto: AP

Dafür steht auch der 6. Juni. An diesem Tag war der Ölpreis auf den internationalen Märkten um nochmal neun Prozent in bisher ungekannte Höhen geschnellt, auf rund 140 US-Dollar pro Barrel. Nie zuvor gab es solch einen Preisanstieg an nur einem einzigen Tag. Anlass waren die Kriegsdrohungen vom israelischen Vizepremier Shaul Mofaz gegen den Iran und die Furcht der Händler, ein Waffengang könnte die strategisch wichtige Meeresstraße von Hormuz blockieren und den Ölexport aus den Golfstaaten stoppen. Die Straße von Hormuz verläuft zwischen Iran und Oman. Sie ist eine wichtige Route für den Ölexport nach Westeuropa, die USA und Japan. Beide Ereignisse – das amerikanisch-saudische Gerangel um die Förderquoten wie auch die Ölpreisexplosion vom 6. Juni – verdeutlichen auf beklemmende Weise den Stellenwert, den die "Tankstelle der Welt" für die globale Wirtschaft und die internationale Politik besitzt. Rund 60 Prozent der Erdölreserven weltweit befinden sich in nur fünf Staaten des Nahen und Mittleren Ostens: in Saudi-Arabien, Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten, im Irak und im Iran. Die genannten Länder mit Ausnahme von Iran und Irak bilden zusammen mit den Scheichtümern Bahrein, Qatar und Oman den Golfkooperationsrat, der rund die Hälfte aller weltweiten Erdölreserven besitzt.[1] Während es vor 20 Jahren 15 so genannte Super Giant Oil Fields auf der Welt gab, also Riesenölfelder mit verfügbaren Reserven von mehr als 5 Milliarden Barrel bei einer gleichzeitigen Förderung von mindestens einer Million Barrel pro Tag, so sind es heute nur noch vier – zwei davon im Nahen Osten. Saudi-Arabien besitzt mit dem Ghawar-Ölfeld das größte der Welt, Kuwait mit dem Burgan-Feld das zweitgrößte.[2] Seine Kundschaft kann man sich aussuchen Der rasante Anstieg der Weltmarktpreise für Rohöl spült einen nahezu unermesslichen Reichtum in die Kassen der Golfstaaten. Saudi-Arabien, das rund ein Viertel aller mit herkömmlichen Methoden förderbaren Ölmengen weltweit besitzt, so BP Statistical Review 2008, konnte in den letzten Jahren ein enormes Wachstum seiner Einnahmen verbuchen. Im Jahre 1998 betrug der Erlös aus dem Erdölgeschäft 33 Milliarden US-Dollar. 2005 waren es bereits 143 Milliarden Dollar, 2006 165 Milliarden und im Jahre 2007 stattliche 170 Milliarden. Für 2008 wird erwartet, dass der Ertrag die magische Grenze von 200 Milliarden US-Dollar überschreitet. 40 Prozent des derzeit auf dem Weltmarkt angebotenen Öls kommen aus Saudi-Arabien. Damit erhält das Königreich ein außerordentliches ökonomisches wie politisches Gewicht. Das gilt ähnlich auch für andere Länder der Region. Der Westen muss es hinnehmen, dass sich ein so existenziell wichtiger Energierohstoff in so großem Maße im Besitz von Staaten befindet, die dem Westen oder zumindest seinen Werten eher feindlich gesinnt sind. Es entstehen unangenehme Abhängigkeiten, und so ist es vermutlich kein Zufall, dass Bush bei seiner letzten Nahostreise scharf die Menschenrechtssituation in Ägypten kritisierte, in SaudiArabien aber nicht, obwohl dort eines der undemokratischsten Regime der Region herrscht. 107

Hinrichtungen gehören zum Alltag, Regimegegner landen oft genug im Gefängnis, Frauen werden elementare Rechte vorenthalten. Ägypten hingegen ist als Rohstofflieferant zu unbedeutend, um hofiert zu werden. Immer wieder tauchen in der US-amerikanischen Presse Leitartikel auf, die behaupten, der westliche Ölhunger finanziere den islamistischen Terrorismus. Doch so einfach ist das nicht. Auch Regime wie das von Saudi-Arabien werden von radikalen Islamisten und von Terroristen in ihrer Macht bedroht. Zudem landen die Gewinne aus dem Erdölexport in etlichen modern strukturierten Ländern der Region, wie Dubai oder Bahrein, in Fonds, um sie auf den internationalen Finanzmärkten und im Rahmen der Weltwirtschaft für sich arbeiten zu lassen. Richtig ist allerdings: Der Geldsegen macht es Ländern wie Saudi-Arabien leicht, für eine Verbreitung der dort herrschenden konservativen bis extremen Auslegung des Islam zu sorgen. Und die ist nachweisbar Nährboden für radikale Gesinnungen auch über die Grenzen des Königreiches hinaus. Zudem konkurriert der Westen im Nahen und Mittleren Osten mit despotischen Regimen aus aller Welt um die knapper werdenden Ressourcen – als Kooperationspartner bei der Erschließung wie auch als Kunde. Die Ölstaaten können es sich aussuchen, wen sie bevorzugen und damit letztendlich stützen wollen. Derzeit bezieht zum Beispiel China 40 Prozent seiner Ölimporte aus Saudi-Arabien, dem Oman sowie aus dem Iran.[3] Peking hat mit diesen Ländern sowie mit Libyen, dem Sudan und Algerien langfristige Lieferverträge und Abkommen über die Beteiligung chinesischer Firmen an Erschließung und Verarbeitung des Öls unterzeichnet. Mit dem Iran vereinbarte China einen 100-Millionen-US-DollarVertrag für Öl- und Gaslieferungen über insgesamt 25 Jahre. Fluch und Segen zugleich Der Ölreichtum hat also zweifelsohne eine systemstabilisierende Wirkung in der Region – wie auch darüber hinaus, denn er bringt Schwung in die Kooperation zwischen undemokratischen Regimen. Der systemerhaltende Effekt gilt sogar für Länder im Nahen Osten, die vergleichsweise unbedeutende Ressourcen besitzen. In Syrien haben die mageren Erdölvorkommen das Regime zumindest in den 1990er Jahren etwas abfedern können.[4] Und in Ägypten, das ebenfalls nur über kleinere Erdöl- und Erdgasvorkommen verfügt, spielt der Investitionsboom aus den Golfstaaten eine signifikante Rolle, ebenso wie die Einnahmen aus dem Suez-Kanalbetrieb. Dessen Erträge steigen kontinuierlich, denn nicht zuletzt wächst gleichsam die Zahl der Öltanker, die den Kanal passieren. So sind Öl und Gas gleichzeitig Fluch und Segen für eine Region, die unter anderem aufgrund des Energiereichtums ein Herd ständiger politischer Spannungen ist. Daran wird sich in naher Zukunft vermutlich wenig ändern, wenn die Welt, wie prognostiziert, bis 2030 nochmal 50 Prozent mehr Energie benötigen wird. [5] Die Zeit arbeitet allerdings eher für den Westen als gegen ihn. Denn die Ressourcen sind endlich. Einer Studie der unabhängigen Energy Watch Group vom Frühjahr 2008 zufolge hat die weltweite Ölförderung bereits 2006 ihren Höhepunkt überschritten und wird sich bis zum Jahr 2030 halbieren. Auch die Berufsoptimisten von der Internationalen Energieagentur kündigten überraschend an, ihre Prognosen in Kürze nach unten zu korrigieren.[6] Im Nahen und Mittleren Osten gehen die Ressourcen unterschiedlich schnell zur Neige. Im Oman etwa reicht das Öl vielleicht noch 30 bis 35 Jahre [7], in Saudi-Arabien einige Jahrzehnte länger. Zuverlässige Schätzungen existieren nicht, weil vor allem die Erdöl produzierenden Staaten an optimistischen, wenn nicht gar geschönten Voraussagen 108

interessiert sind, um den Handel ungebremst in Schwung zu halten. Dubai hingegen profitiert jetzt schon kaum noch von eigenem Erdöl. In Bahrein geht es innerhalb der nächsten Jahre aus.[8] Für beide Scheichtümer hat dies durchaus positive Folgen. Sie mussten sich wirtschaftlich umorientieren und gehören inzwischen zu den liberalsten Ländern der Region. In Zukunft: Erneuerbare Energien und Kernkraft Für die Zeit nach dem Öl ist die Region auf tragfähige Allianzen innerhalb der Weltwirtschaft angewiesen. Die wird es unter anderem im Westen suchen, zum einen wegen seines technischen Knowhows, zum anderen weil viele arabische Staaten, etwa das sunnitische Saudi-Arabien, nicht daran interessiert sind, dem schiitischen Iran bei seinen regionalen Vormachtsbestrebungen zu helfen. Das Ende des Erdgases wird nur wenig länger auf sich warten lassen. Zwar besitzen die sechs Staaten des Golfkooperationsrates 30 Prozent aller Gasvorkommen weltweit, aber im Oman wird es bereits innerhalb der nächsten Jahre zur Neige gehen. Dort bemüht man sich derzeit um die Kooperation mit dem gasreichen Qatar. Das ägyptische Erdgas wird schätzungsweise 20 Jahre lang reichen. Noch sorgt es allerdings für politische Querelen: Im Juni 2008 musste ein Lieferabkommen mit Israel nach Protesten aus den Reihen der Opposition in die Wiedervorlage. Rund 85 Prozent seines Stroms gewinnt Ägypten aus Erdgas, das es eigentlich lieber ins Ausland verkaufen möchte.[9] Nicht zuletzt deshalb gewinnen hier langsam die Bemühungen um alternative Energieträger an Fahrt. Angesichts einer ungetrübten Sonneneinstrahlung rund ums Jahr und eines nahezu gleichbleibend starken Windes an der Küste des Roten Meeres besitzt das Land besonders bei Wind- und Sonnenenergie einen enormen Standortvorteil. Bis 2020 will es 20 Prozent seines Bedarfes aus alternativen Energiequellen decken. Zudem wurde jüngst der Bau von Kernkraftwerken angekündigt. Zwei Wege, die auch andere Staaten der Region beschreiten. Der Golfkooperationsrat beschloss 2006 ein Programm zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die Vereinigten Arabischen Emirate dagegen investieren derzeit 15 Milliarden US-Dollar in die Gewinnung erneuerbarer Energien, im Rahmen des so genannten Masdar-Projektes. Im Zentrum des Projektes steht die schadstoffneutrale "Grüne Stadt", die zurzeit nahe Abu Dhabi entsteht. Sie wird frei von Autos, Müll und Kohlendioxid sein und komplett mit erneuerbaren Energien versorgt werden. Überall auf der Welt soll sie Nachahmer finden.[10]

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Asien – Wirtschaftsboom und globale Energieinteressen „Der steigende Energiebedarf hat globale Auswirkungen.“ Zur Person Dr. Saskia Hieber ist Sinologin und Politikwissenschaftlerin. Sie ist an der Akademie für Politische Bildung Tutzing für "Internationale Politik" zuständig und Lehrbeauftragte am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München.

China ist heute der zweitgrößte Ölverbraucher der Welt. Der anhaltende Wirtschaftsboom in Asien führt zu einem wachsenden Energiebedarf. China und auch Indien suchen deshalb neue Energielieferanten oder tätigen eigene Investitionen, in Afrika wie auch Asien. Dabei gilt das Prinzip der Nichteinmischung. Arbeiter verladen in Gauhati in Ostindien Kohle auf einen Lastwagen. Kohle ist in Asien ein zentraler Energieträger: Indien verbraucht zurzeit rund 7, China 40 Prozent der Kohle weltweit. Foto: AP

Asien spielt für die internationale Energiesicherheit eine entscheidende Rolle durch seine wirtschaftliche Entwicklung und den anhaltend wachsenden Energiebedarf. Nicht nur China beeindruckt seit fast drei Jahrzehnten mit Wirtschaftswachstumszahlen von acht bis elf Prozent, auch andere asiatische Länder haben die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise Ende der 1990er Jahre längst überwunden und benötigen immer mehr Energie. Das Problem wird verstärkt durch die Tatsache, dass der Anstieg des asiatischen Wirtschaftswachstums eng an einen Anstieg des Energiebedarfs gekoppelt ist. Außerdem lässt die gegenwärtige Situation durch die meist nationalstaatlich geprägte Interessenspolitik asiatischer Staaten kaum kooperative, regionale Lösungen erkennen. Der Ölbedarf Asiens steigt Chinas und Indiens Energieinteressen spielen eine wachsende Rolle im regionalen und internationalen Wirtschaftssystem. Beide Länder sind zunehmend auf Ölimporte angewiesen, denn beide haben ihren Ölverbrauch zwischen 1997 und 2007 verdoppelt; China von 196 auf fast 370 Millionen Tonnen, Indien von 86 auf fast 130 Millionen Tonnen. Im Vergleich: Japan konnte seinen Ölverbrauch in den vergangenen 10 Jahren von 265 Millionen Tonnen auf 230 reduzieren. Deutschland verbrauchte 2007 "nur" 112 Millionen Tonnen Öl.[1] Dies hängt unmittelbar mit den durch die Ölkrisen der 1970er Jahre entstandenen Energiesparmaßnahmen, mit hoher Produktivität und Effizienzsteigerung zusammen.

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Intl. Ölverbrauch im Vergleich (mio. t)

(BP Statistical Review of World Energy, Juni 2008) China ist inzwischen der nach den USA zweitgrößte Ölverbraucher und der nach den USA und Japan drittgrößte Netto-Ölimporteur der Welt. Chinas Ölindustrie gehört zwar zu den "Top 5" Ölförderern der Welt, der größte Teil der Produktion wird aber im Land selbst verbraucht – und kann die Nachfrage nur noch zu knapp zwei Dritteln befriedigen. Auch Indiens Ölindustrie muss sich immer mehr um internationale Projekte und Konzessionen bemühen, um den steigenden Ölbedarf des Landes zu decken. Die großen asiatischen Ölverbraucher bemühen sich inzwischen auf dem gesamten Globus um eine Diversifizierung ihrer Lieferungen, Lieferanten und Lieferrouten. Zwar fließen etwa zwei Drittel des Öls des Persischen Golfs nach Ostasien und die Zahl der "Strategischen Ölpartnerschaften" mit den Öllieferanten der arabischen Welt wächst. Doch werden Afrika und Lateinamerika zunehmend zu wertvollen Energiepartnern: Angola beispielsweise lieferte im Jahr 2006 mehr Öl nach China als Saudi-Arabien.[2] Asiens Energieinteressen in Afrika In Peking herrscht ungezügelter Bauboom. Infolge des enormen Wachstums der chinesischen Wirtschaft steigt auch der Energiebedarf. Foto: AP

China betreibt in Afrika ein ganzes Bündel wirtschaftlicher und politischer Aktivitäten und beschwört die "Süd-Süd-Solidarität" gegen amerikanisches "Hegemoniestreben". Eine Nischenpolitik, kaum konditionierte Hilfe und Schuldenerlass sind Pfeiler der Afrikapolitik. Im Zentrum stehen Rohstoffe und neue Märkte. China zeigt hier einerseits neue Machtansprüche, ist aber im Gegensatz zu westlichen Ländern auch bereit, Milliardensummen in den Kontinent zu investieren. Den Regierungen in Afrika sind alternative Ordnungsmodelle und das Nichteinmischungsprinzip willkommen. Es muss 111

allerdings klar erkannt werden, dass unkonditionierte Leistungen internationale Bemühungen in Bezug auf Korruptionsbekämpfung, "good governance", Finanztransparenz und damit insgesamt Konfliktprävention, unterlaufen. China betreibt heute eine diversifizierte Wirtschaftspolitik und sorgt weltweit durch Investitionen und den Kauf von Konzessionen im Rohstoffbereich für Versorgungssicherheit. So verschafft sich die Volksrepublik nicht nur in Nachbarstaaten, sondern auch im weiteren Asien, in Ozeanien, Afrika und Südamerika Zugang zu Energie- und Metallvorkommen.[3] Indische Energiefirmen hatten bisher beim Versuch, ihr internationales Engagement zu vergrößern das Nachsehen gegenüber der chinesischen Konkurrenz. Auch hat Indien noch nicht sehr diversifiziert und versorgt sich hauptsächlich aus dem Persischen Golf. Doch als inzwischen fünftgrößter Energieverbraucher muss Neu-Delhi neue Wege einschlagen. Inzwischen gibt es erste Kooperationen zwischen chinesischen und indischen Energiefirmen im Iran. Diversifizierung und Investitionen Was die Importabhängigkeit von Energieträgern betrifft, stellt sich die Lage in Japan besonders dramatisch dar: Japan muss über 90 Prozent des benötigten Öls importieren. Außer einigen Offshore-Gasfeldern und Kohlevorkommen verfügt Japan über keine nennenswerten Energieressourcen.[4] Dies erklärt auch den hohen Anteil von Nuklearstrom in Japans Energiestruktur. Japan hat neue Probleme durch auslaufende Öl-Konzessionen im Persischen Golf und hofft wie China und Indien auf neue Projekte in Iran, Irak, Zentralasien und im Pazifik. Viele asiatische Länder folgen dem Instrumentenkatalog der Internationalen Energieagentur (IEA) zur Versorgungssicherung: Energiesparmaßnahmen, Ausbau der eigenen Energieindustrie, Diversifizierung und Investitionen in die Infrastruktur. Die chinesische Regierung verordnete mit einem "go abroad"-Programm eigenen Energieunternehmen sich stärker international zu engagieren. Die relativ jungen chinesischen und indischen Energiefirmen hatten im Vergleich mit den alten westlichen Multis wie BP, Royal Dutch Shell, Exxon Mobil zunächst wenig Erfahrung im internationalen Energiebusiness und mussten feststellen, dass die "billigen" und leicht zugänglichen Felder in der Welt des Öls schon lange vergeben waren. Des weiteren litten sie zumindest bis Ende der 1990er Jahre unter einem Mangel an Managementqualifikation und Kapital. Mittlerweile sind sie wichtige Akteure auf dem Energiemarkt. Der globale Gasmarkt ist stark regionalisiert: Südostasien liefert hauptsächlich an die ostasiatischen Großabnehmer, vornehmlich Japan; Nordafrika und Russland an Europa. Japan hat die Gasnutzung früh ausgebaut, in Südostasien den weltgrößten Flüssiggasmarkt aufgebaut und gehört zu den größten Gasnutzern. Erstaunlich ist der geringe Gas-Anteil von unter 4 Prozent in Chinas Energiestruktur. Es gilt das Prinzip der Nichteinmischung Dies hat industrietraditionelle Gründe – Gas wurde lange zur Düngemittelproduktion verwendet – und hat mit der fehlenden Infrastruktur zu tun. Zur Gasnutzung ist ein Leitungsnetz von der Quelle bis zum Endverbraucher notwendig. Die entsprechenden Probleme in China erschließen sich angesichts der geographischen Ausdehnung. Hier dürfte auch der Grund dafür verborgen sein, dass ungeachtet vieler alter Pipeline-Pläne und mit Ausnahme eines Anschlusses der chinesischen West-Ost-Gasleitung nach Kasachstan, bisher 112

keine transnationale Leitung China etwa mit den reichen Gasfeldern Sibiriens verbindet. Russlands Gas fließt bisher fast ausnahmslos nach Westen. Bis 2015 und 2020 sollen jedoch Leitungen von Sibirien nach China und Japan gebaut werden. Ein Grund für die Verzögerungen liegt in der Frage über die Kontrolle und das Aufbringen jeweils zweistelliger Milliardensummen für diese Bauvorhaben. Indien und China sind auch im Gasbereich Konkurrenten. Nicht nur vor Indiens Westküste liegen Gasvorkommen, auch Burma soll über reiche Offshore-Felder verfügen. Folgerichtig bemühen sich sowohl Peking als auch Neu-Delhi mit Infrastrukturprojekten und diversen Investitionen um Einfluss auf Burmas Wirtschafts- und Energiepolitik – ohne sich in Burmas innere Angelegenheiten einzumischen. Das Prinzip der Nichteinmischung ist insbesondere für China wichtig – muss doch eine Einmischung etwa in Taiwan oder Tibet unter allen Umständen verhindert werden. China verbindet mit seiner Burmapolitik und dem neuen Hafen im pakistanischen Gwadar noch ein weiteres strategisches Ziel: Zugang zu südasiatischen und südostasiatischen Gewässern. Die Straßen- und Eisenbahnverbindungen zwischen Zentralasien, Westchina und Pakistan sowie zwischen Burma und Südwestchina werden mit dem Ziel ausgebaut, China mit dem Arabischen Meer und dem Indischen Ozean zu verbinden. Ungeklärte Territorialansprüche Im Ost- und Südchinesischen Meer bieten sich überlappende Territorialansprüche immer wieder Konfliktpotential. Im Ostchinesischen Meer kollidieren chinesische und japanische Ansprüche insbesondere über Gasvorkommen. Im Südchinesischen Meer beanspruchen alle Anrainer unterschiedlich große, sich überlappende Territorien: China und Vietnam argumentieren mit der Zugehörigkeit zum Festlandsockel und beanspruchen das ganze Gebiet. Die Philippinen, Malaysia und Brunei ziehen jeweils eine 200-Seemeilen Anspruchszone um die am weitesten vorgelagerte Insel. Verstärkt wird das Problem rund um das Spratly-Archipel im Südchinesischen Meer: Alle Akteure haben mehrere winzige Inseln oder Riffe besetzt oder mit Anspruch belegt und melden auch hier die 200-Seemeilen-Wirtschaftszone an. Das Internationale Seerecht sieht aber vor, dass dies nur für bewohnbare Inseln gilt, auf denen Leben, Landwirtschaft, generell wirtschaftliche Aktivität beständig möglich sind und die dauerhaft ÜBER dem Wasser liegen. Viele Anspruchhalter, insbesondere China und Vietnam haben Kreativität darin bewiesen, einige "ihrer" Riffe mit Hilfe von Holz und Beton über die Wasserlinie zu heben. Kohle ist in Asien ein zentraler Energieträger China verfeuert über 1.300 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr zur Energieerzeugung. Kohle hat einen Anteil von 70 Prozent an der Energiestruktur und die chinesische Regierung hat wenig Spielraum dieses Dilemma zu lösen ohne den Ölanteil und damit die teuren Ölimporte zu erhöhen: Der Gasanteil ist mit unter 4 Prozent niedrig und auch alle erneuerbaren und "sauberen" Energien – inklusive Atomkraft – haben nur einen Anteil von 7 Prozent an der Gesamtstruktur. China konsumiert fast die Hälfte des weltweiten Kohleverbrauchs; nimmt man den restlichen asiatisch-pazifischen Raum hinzu entsteht das erschreckende Bild, dass auf die Region 60 Prozent des Weltkohleverbrauchs entfallen. Regelungen zur Emissionskontrolle und zum Klimaschutz müssen folglich asiatische Regierungen stärker mit einbeziehen. China steht aber 113

vielen internationalen Vereinbarungen, z.B. über verbindliche Ziele zur Reduzierung von Emissionen zögerlich gegenüber.[6] Indien setzt sich aus Gründen der Armutsbekämpfung gegen Vereinbarungen über Emissionsreduzierungen ein. Der Grund für den hohen Kohleanteil in China aber auch Indien liegt auf der Hand: Die Länder verfügen über große Vorkommen, die technisch verhältnismäßig einfach und durch die niedrigen Arbeitskosten auch "billig" zu fördern sind. Doch die katastrophalen Folgen für die Umweltsituation erfordern dringend die Einführung von Filteranlagen und "sauberen" Prozessen. Angesichts der oft unbefriedigenden Qualität in Kohleförderung und -verarbeitung sowie der Notwendigkeit auch alternative Energieformen einzusetzen, haben deutsche Unternehmen aus dem Energie- und Umweltbereich gute Chancen, neue Märkte in Asien zu erschließen bzw. zu erweitern. Der Bekämpfung der Umweltzerstörung stehen in den meisten asiatischen Ländern bereits ausreichende Gesetze zur Verfügung – es hapert an der Umsetzung. Der Ausbau Erneuerbarer Energien drängt Um die Energieversorgung zu sichern, müssen die Staaten Asiens die vorhandene Energieindustrie ausbauen, Sparmaßnahmen durchsetzen und die Nutzung aller Energieformen und –träger ausbauen.[7] So hat die Verwendung von Biomasse in Asien eine gewisse Tradition, wird aber erst langsam wieder entdeckt. Dies liegt zum einen an der Dominanz der Kohle im Versorgungssystem, an der Bedeutung von Ölprodukten für den rasant wachsenden Verkehrssektor und an Mängeln in der Infrastruktur. Wasserkraft wird überall in Asien gefördert: China hat das größte Wasserkraftpotential der Welt und wird in diesen Sektor weiter investieren – ungeachtet ökologischer, sozialer und kulturhistorischer Bedenken. Auch Indiens große Staudammprojekte haben schon früher durch ihre rücksichtslose Durchsetzung gegenüber der Bevölkerung für Schlagzeilen gesorgt. Nuklearkraft spielt nur in Japan eine große Rolle für die Energiegewinnung. China will zwar in den kommenden Jahren bis zu 40 Atomkraftwerke bauen, da der Energiebedarf jedoch so stark steigt, wird diese Energieform, die bis vor kurzem im wesentlichen experimentell betrieben wurde, auch in Zukunft nur etwa 2 Prozent zur Energieversorgung beitragen. Japan gewinnt etwa ein Drittel des Strom aus Atomkraftwerken.[8] Die Sicherung von Asiens Energieversorgung erfordert eine langfristige regionale und internationale Kooperation. Dazu wäre eine Art "asiatische Energieagentur" sinnvoll. China und Indien wären auch ein machtvolles "Käuferkartell" auf den internationalen Ölmärkten. Gründe für den Westen, nicht in Panik zu verfallen angesichts des asiatischen Ölverbrauchs, sind die anlaufenden Sparprogramme und verbrauchsreduzierenden Preissteigerungen, das Produktionspotential der OPEC und die nicht genutzten Produktionskapazitäten in Iran und Irak. Die IEA sollte die Hand weiter nach Asien ausstrecken. Schließlich kommen von dort nicht nur Ölnachfrage, sondern auch gewaltige Investitionen in die internationale Energieindustrie.

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Die USA – Notwendigkeit eines neuen Energiekurses „Die Sucht nach Öl schwächt nicht nur die Wirtschaft.“ Zur Person Dr. Josef Braml, geb. 1968, leitet seit Oktober 2006 bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) die Redaktion des Jahrbuchs Internationale Politik. Zudem ist er Mitarbeiter im Programm USA / Transatlantische Beziehungen. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (2002-2006), Projektleiter des Aspen Institute Berlin (2001), Visiting Scholar am German-American Center (2000), Consultant der Weltbank (1999), Guest Scholar der Brookings Institution (1998-1999), Congressional Fellow der American Political Science Association (APSA) und legislativer Berater im US Abgeordnetenhaus (1997-1998).

Die USA beanspruchen mehr als ein Fünftel des weltweiten Energieverbrauchs. Vor allem braucht das Land Öl; 60 Prozent werden mittlerweile aus dem Ausland importiert. Dabei sind viele Bürger längst zu einem Kurswechsel bereit. Doch die Regierung stellt sich bislang quer. Das Projekt "White Bluffs Solar Station" in Richland, Washington, wollte eine Alternative demonstrieren. Im Hintergrund steht die "Investitionsruine" eines Atomkraftwerkes, das Washington Nuclear Project No. 1. Foto: AP

Die von ihrer Ölsucht verursachten Versorgungssicherheits-, Wirtschafts- und Umweltkosten ihrer gegenwärtigen Energie(außen)politik werden die USA schon bald zum Kurswechsel, insbesondere ihres Verkehrssektors veranlassen.[1] Mit knapp fünf Prozent der Erdbevölkerung beanspruchen die Vereinigten Staaten von Amerika mehr als ein Fünftel (21,8 Prozent) des globalen Energiekonsums.[2] In den letzten sechs Jahrzehnten hat sich der Energieverbrauch der USA beinahe verdreifacht.[3] Der erhöhte Energiebedarf wurde in erster Linie durch Öl gedeckt: 2007 betrug der Anteil des Mineralöls knapp 40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs. Zwar ist in den 1970er Jahren der Verbrauch der Energiequellen Gas und Kohle ebenso angestiegen. Aber seit den 1980er Jahren blieb ihr Anteil an der Deckung des Gesamtenergieverbrauchs mit etwa einem Viertel bzw. einem Fünftel relativ konstant. Nuklear- und erneuerbare Energie tragen mit 8 bzw. 7 Prozent nur wenig zur Deckung des Gesamtenergiebedarfs bei. Amerikas Sucht nach importiertem Öl Der gestiegene Ölbedarf konnte nicht durch eigene Produktion gedeckt werden. Zwischen 1950 und 2006 erhöhte sich zwar die Gewinnung amerikanischen Mineralöls von 5,9 auf 7,8 Millionen Fässer pro Tag.[4] Doch angesichts der insgesamt 20,6 Millionen Fässer, die heute in den USA täglich benötigt werden, nimmt sich dieser Anstieg geringfügig aus. Allein der – fast ausschließlich durch Flugbenzin, Benzin und Diesel angetriebene – amerikanische Transportsektor verbrauchte 2006 14 Millionen Fässer Erdöl pro Tag. Der Verkehrssektor beansprucht mittlerweile zwei Drittel des gesamten Ölkonsums.[5] Aufgrund der hohen Abhängigkeit des amerikanischen Transportsektors von fossilen Kraftstoffen – und wegen der Zeitspanne, die zur Entwicklung neuer markttauglicher Technologien benötigt würde – 115

werden die Vereinigten Staaten mindestens noch für mehrere Dekaden auf den Import von Öl angewiesen sein.[6] Die internationale Abhängigkeit der Weltmacht USA vom Erdöl hat – anders als beim Energieträger Gas[7] – deutlich zugenommen: Deckten die USA 1950 ihren Bedarf noch überwiegend durch die Gewinnung eigener Ressourcen, so stammten 2007 65 Prozent des Gesamtölverbrauchs aus Importen, insbesondere von den Nachbarstaaten der so genannten Westlichen Hemisphäre und von Ländern am Persischen Golf (vgl. Tabelle).[8] Tabelle: US-Hauptimportländer von Mineralöl, 1965 vs. 2007

Quelle: EIA, Annual Energy Review 2007, S. 131.

Strategische Energieressourcen-Unsicherheit Sollten die Vereinigten Staaten ihre übermäßige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beibehalten, bleiben sie verwundbar, zumal in instabilen Regionen. Zwar können die USA weiterhin auf ihre wichtigen Öllieferanten Kanada und Mexiko zählen. Doch die angespannten Beziehungen mit Venezuela verdeutlichen, dass es für die USA schwieriger wird, selbst in ihrer geographischen Nachbarschaft ihre Energieressourcen zu sichern. Der Persische Golf erweist sich als volatil und unzuverlässig im Hinblick auf preiswerte Lieferung von Energieressourcen. Zudem ist mit dem wirtschaftlich expandierenden China ein weiterer Konkurrent um knappe Ressourcen auf den Plan getreten, sowohl im Mittleren Osten als auch in "hot spots", das heißt in entwicklungsfähigen Regionen wie Westafrika oder Zentralasien. Einige Beobachter dieses Wettstreits, der so genannten "petropolitics", haben bereits eine "Achse des Öls" identifiziert, wonach Russland, China und möglicherweise der Iran als "Gegengewicht zur amerikanischen Hegemonie" agieren und den USA ihre Ölversorgung und strategischen Interessen streitig machen.[9] Schon jetzt werden die USA mit den Machtressourcen der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) konfrontiert: Die OPEC kann aufgrund der Kapazitätsgrenzen anderer Ölproduzenten seit Ende der 1990er Jahre wieder ihre Kartellpolitik betreiben, damit den Ölpreis hochhalten und in wirtschaftlichen und politischen Einfluss ummünzen.

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Wirtschafts- und Handelsrisiken Ölpumpen des Inglewood Ölfeldes in Baldwin Hills, Kalifornien. Mittlerweile fließen zwei Drittel des gesamten Ölbedarfs der USA in den Verkehrssektor des Landes. Foto: AP

Die durch die Ölpreiserhöhungen verteuerten Energieimporte belasten die ohnehin schon Besorgnis erregende amerikanische Außenhandelsbilanz: 2005 um zusätzliche 70 Milliarden Dollar, 2006 um weitere 50 Milliarden Dollar.[10] Das US-Außenhandelsdefizit ist zu etwa einem Drittel auf Energieimporte zurückzuführen.[11] Die USA sind wegen ihres Außenhandelsdefizits verwundbar. Anzeichen einer schwächer werdenden USWirtschaft könnten die Handelspartner dazu bewegen, ihre Verkaufserlöse nicht mehr in den USA zu reinvestieren und sie in anderen Finanzmärkten zu sichern. Teure Energieimporte belasten die US-Wirtschaft ohnehin. Bereits im Sommer 2005 gab der damalige Notenbankchef Alan Greenspan der US-Legislative zu bedenken, dass allein die seit Ende 2003 erhöhten Energiepreise das amerikanische Wirtschaftswachstum 2004 und 2005 jeweils um einen halben bzw. Drei-Viertel-Prozentpunkt vermindert hätten.[12] Hohe Energiepreise belasten in erster Linie energieintensive Wirtschaftssektoren, und sie verursachen damit indirekt zusätzliche Kosten für andere Wirtschaftszweige. Konsumenten spüren den Anstieg der (Energie-)Preise, und sie sehen sich angesichts ihrer geschrumpften Kaufkraft veranlasst, an anderen Ausgaben einzusparen. Sollte der Konsum merklich zurückgehen und Unternehmen aufgrund gestiegener Energiekosten und der allgemein sinkenden Kaufkraft zurückhaltender investieren, könnten die USA in eine Rezession abrutschen, was die Arbeitslosigkeit erhöhen, den Konsum noch stärker vermindern und die Abwärtsspirale beschleunigen würde. Dank ihrer – auch in der Vergangenheit bewiesenen Innovationskraft – könnten sich amerikanische Märkte auf lange Sicht jedoch den neuen Gegebenheiten anpassen. Höhere Energiepreise geben starke Anreize, alternative Energieträger zu finden, neue Technologien zu entwickeln und die Energieeffizienz zu verbessern. Dahingehend wirkt eine zusätzlich treibende Kraft, nämlich das gewachsene öffentliche Bewusstsein um die von fossilen Energien verursachten Umweltschäden, Gesundheits- und Sicherheitsrisiken. Wahrnehmung von Umwelt- und Sicherheitsgefahren In den letzten fünf Jahren ist in den USA die allgemeine Überzeugung gereift, dass Umweltthemen mehr politische Aufmerksamkeit verdienen. Nicht nur internationale Umweltorganisationen, sondern mittlerweile auch renommierte US-Sicherheitsexperten warnen öffentlichkeitswirksam vor (sicherheitspolitischen) Risiken von Umweltbelastungen und -katastrophen.[13] Amerikaner sind auch bereit, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und diese gegebenenfalls aus der eigenen Tasche zu finanzieren. Zudem erwarten die US-Bürger auch von ihrer Regierung Problemlösungen. Eine beträchtliche Mehrheit von ca. 80 Prozent befürworten, Steuergelder zur Entwicklung alternativer Kraftstoffe für Autos auszugeben, mehr Geld in die Entwicklung 117

von Solar- und Windenergie zu investieren, strengere Emissionswerte für Kraftfahrzeuge und Pflichtkontrollen für Kohlendioxidemissionen und andere Treibhausgase einzuführen.[14] Reformunfähigkeit der US-Regierung unter George W. Bush Interessanterweise waren in der bisherigen Amtszeit George W. Bushs diese Vorschläge und Sorgen der amerikanischen Bevölkerung weniger stark auf der politischen Agenda vertreten als andere, die nicht in der Gunst der öffentlichen Meinung stehen, wie das Bohren nach Öl im Nationalen Arktischen Naturschutzgebiet (57 Prozent sind dagegen) oder der Ausbau der nuklearen Energiegewinnung (46 Prozent sind dagegen).[15] Bush hat immer wieder internationale Bemühungen torpediert – zuletzt beim G8-Gipfel in Heiligendamm und bei der UN-Klimakonferenz auf Bali –, verbindliche Ziele zur Reduktion der Treibhausgasemissionen festzulegen und setzt stattdessen auf technologische Entwicklung. Ebenso hat Präsident Bush in der legislativen Auseinandersetzung mit dem seit 2006 von den Demokraten kontrollierten Kongress (unter anderem durch Vetodrohungen) nachhaltige Reforminitiativen verhindert. Der von Bush am 19. Dezember 2007 unterzeichnete Energy Independence and Security Act of 2007 erfordert zwar die Verbesserung der Verbrauchswerte bei Kraftfahrzeugen und eine Erhöhung des Produktionsanteils von Biokraftstoffen. Aber aufgrund des Drucks des Weißen Hauses sahen die Gesetzgeber letztlich davon ab, Stromerzeuger zu verpflichten, den Anteil erneuerbarer Energiequellen zu erhöhen und Steuererleichterungen für die Ölindustrie um rund 13 Milliarden Dollar zu kürzen – Steuermittel, die zur Forschung und Entwicklung alternativer Kraftstoffe investiert worden wären. Anlässlich der Unterzeichnung des Gesetzes forderte Präsident Bush hingegen den Kongress einmal mehr dazu auf, nicht weiter die Förderung einheimischer Öl- und Gasquellen (im arktischen Naturschutzgebiet) zu behindern. Chancen eines Kurswechsels nach den US-Wahlen Unternehmerisch denkende Politiker könnten schon im aktuellen Kongress- und Präsidentschaftswahlkampf 2008 mit dem Thema umweltverträglicher Energieinnovationen punkten und die künftige politische Agenda abstecken. Laut Meinungsumfragen ist das Umweltthema für 35 Prozent der Amerikaner wahlentscheidend für die Präsidentschaftswahl.[16] George W. Bushs Nachfolger und politische Entscheidungsträger im Kongress, die aufgrund der gestiegenen wirtschaftlichen, sicherheits- und umweltpolitischen Probleme mit zunehmender Kritik ihrer Bevölkerung und nicht zuletzt auch den Vorstößen der Einzelstaaten konfrontiert werden, sind angehalten, ihren politischen Führungsbeitrag zu leisten, um die Abhängigkeit von traditionellen fossilen Kraftstoffen zu verringern. Das weltweite Interesse an erneuerbaren Energien schafft eine Gelegenheit für die Vereinigten Staaten, sich wieder als Führungsmacht zu etablieren, indem sie die internationale Zusammenarbeit anführen, um das globale Energie- und Umweltproblem zu lösen. Während die von Geostrategen häufig ins Feld geführte Hard-Power Amerikas an die Grenzen seiner Fähigkeiten stößt, die nationale Energieversorgungs- und wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten, bieten seine technologischen und politischen Fähigkeiten – sprich Smart-Power – vielversprechende Alternativen für den nächsten US-Präsidenten.

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Südamerika – zwischen Überfluss und Knappheit Chance auf regionale Integration trotz Energienationalismus Zur Person Prof. Dr. Detlef Nolte, Direktor des Instituts für Lateinamerika-Studien am GIGA, dem German Institute of Global And Area Studies. Nolte hat u.a. aktuell im GIGA Fokus 2007 über die neue Verortung Lateinamerikas innerhalb der internationalen Politik mit Blick auf die Energierohstoffe geschrieben.

Zur Person Christina Stolte, Mitarbeiterin am GIGA German Institute of Global and Area Studies in Hamburg. Sie befand sich bereits zu mehrmonatigen Aufenthalten in Peru, Ekuador und Mexiko/Zentralamerika.

Der steigende Energiebedarf hat das Kräfteverhältnis in Südamerika verschoben. Die Andenstaaten gewinnen an Bedeutung, und Venezuela verstaatlicht seine Energieressourcen. Auf dem Kontinent zeichnet sich ein Energienationalismus ab, aber auch die Chance auf verstärkte Integration. Der halbstaatliche brasilianische Energieriese Petrobras fördert mitten im Amazonas Öl und Gas. Das Öl wird direkt vor Ort in der Urucu Ölraffinerie behandelt. Noch Ende 2008 soll eine Gaspipeline in Betrieb genommen werden, die Urucu mit dem 670 Kilometer entfernten Manaus verbindet. Foto: AP

Betrachtet man die Energiesituation in Südamerika, so scheint die Region auf den ersten Blick relativ reich an fossilen Ressourcen: Der Kontinent ist im Besitz von 9 Prozent der weltweiten Ölvorkommen und 4,4 Prozent der globalen Gasreserven.[1] Ein ambivalenteres Bild ergibt sich hingegen, wenn die regionale Verteilung der Energievorkommen in die Analyse einfließt: Die großen Öl- und Gasvorkommen konzentrieren sich auf nur wenige Staaten des Kontinents. So befinden sich allein in Venezuela knapp 78 Prozent der regionalen Ölvorkommen sowie 67 Prozent der Gasreserven. Dieser Reichtum verleiht dem Land eine energiepolitische Vormachtstellung. Weitere nennenswerte Energievorkommen finden sich hauptsächlich in der Andenregion. Hier sind vor allem Ecuador, als zweitgrößter Ölexporteur, und Bolivien als wichtigster Gasexporteur der Region zu nennen. Auch Kolumbien und Peru verfügen über umfangreiche Öl- und Gasvorkommen. Dem gegenüber stehen die Länder des südlichen Südamerika, dem so genannten Cono Sur mit Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Brasilien, die in den letzten Jahren immer wieder mit Energieknappheit zu kämpfen hatten. Besonders kritisch stellt sich die energiepolitische Lage in Chile dar. Das Land verfügt über so gut wie keine eigenen Öl- oder Gasvorkommen und ist vollständig auf Energielieferungen aus dem Ausland angewiesen. Hingegen sind Brasilien und Argentinien zwar im Besitz eigener Öl- und Gasvorkommen. Doch aufgrund ihrer Bevölkerungsstärke und ihres Wirtschaftswachstums haben sie einen sehr hohen Energiebedarf. Dabei sind Argentinien, lange Zeit selbst Energieexporteur, und Brasilien, das 119

seit 2006 die Selbstversorgung mit Erdöl erreicht hat, vor allem abhängig von Gasimporten. Ihren Energiehunger deckten die beiden großen Volkswirtschaften Südamerikas bislang durch Gaslieferungen aus dem Nachbarland Bolivien. Die extreme Abhängigkeit von den bolivianischen Energielieferungen birgt ein hohes Risiko für den Cono Sur. So gefährden die aktuellen Produktionsausfälle in dem politisch instabilen Andenstaat die Energieversorgung der gesamten Subregion. Strom- und Gasrationierungen, wie sie in Argentinien bereits im Winter 2007 stattfanden, drohen nun auch Brasilien, Chile und Paraguay [2]. Eine Energiekrise im Cono Sur hätte sowohl wirtschaftliche als auch politische Folgen. Vor allem Brasilien, die größte Volkswirtschaft des südamerikanischen Kontinents, würde durch die Lieferprobleme Boliviens empfindlich getroffen werden. Brasilien konkurriert deshalb offen mit Argentinien um die knapper werdenden Gaslieferungen aus Bolivien. Venezolanische Petropolitik Angesichts der extremen Abhängigkeiten der Cono Sur-Staaten von Energieimporten, haben sich die wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse auf dem südamerikanischen Kontinent zugunsten der energiereichen Andenstaaten verschoben. Der steigende globale Energiebedarf und die sich abzeichnende Erschöpfung fossiler Energieressourcen verleihen energiereichen Ländern strategische Relevanz. Besonders Venezuela, das mit Abstand energiereichste Land der westlichen Hemisphäre, konnte deshalb in der regionalen Machthierarchie aufsteigen. Der venezolanische Regierungschef Hugo Chávez setzt den Energiereichtum seines Landes gezielt als Instrument seiner Außenpolitik ein. Mithilfe von Öllieferungen zu Vorzugspreisen versucht er seinen Einfluss in der Region zu vergrößern. Im Rahmen des "PetrocaribeAbkommens" von 2005 versorgt Venezuela die Karibikstaaten mit insgesamt 190.000 Barrel Öl pro Tag zu besonders niedrigen Preisen. Darüber hinaus bietet Chávez den Mitgliedern des Energieabkommens einzigartige Finanzierungskonditionen für die venezolanischen Öllieferungen: Je höher die Preise auf dem Weltmarkt steigen, desto günstiger werden die Kredite, die Chávez den Mitgliedsstaaten des Energieabkommens gewährt. Ferner stellt er den Staaten frei, die Öllieferungen bei Devisenmangel in Naturalien oder Dienstleistungen zu bezahlen. [3] Seit 2003 regt der venezolanische Präsident außerdem die Gründung eines lateinamerikanischen Energieverbundes namens Petroamérica an, in welchem alle bisherigen Abkommen zusammengeführt werden sollen. Energienationalismus in Südamerika In Südamerika, dessen Ressourcenreichtum jahrhundertelang durch ausländische Mächte ausgebeutet wurde, reicht die Bedeutung der Rohstoffe weit über ihre Funktion als Einnahmequelle hinaus: Die Verfügbarkeit über die Energieressourcen ist ein Symbol der nationalen Souveränität. Vor diesem Hintergrund verzeichnet Südamerika einen zunehmenden Energienationalismus. [4] Politisch und wirtschaftlich gestärkt durch die hohen Öl- und Gaspreise der vergangenen Jahre treten die Regierungen der energiereichen Staaten Südamerikas zunehmend selbstbewusst gegenüber den ausländischen Energieunternehmen auf. Mit dem Ziel, die Entscheidungsgewalt des Staates über die Förderung der Energievorkommen wiederzuerlangen und sich einen Anteil an den steigenden Gewinnen aus dem Öl- und Gasgeschäft zu sichern, haben Bolivien und Venezuela ihre Energieressourcen 2006 und 2007 verstaatlicht und die Förderverträge mit den ausländischen Unternehmen neu 120

ausgehandelt. Auch die Regierung Ecuadors fordert zunehmend eine größere Beteiligung an den Gewinnen aus dem lukrativen Ölgeschäft. Für ausländische Investoren stellt der Trend zur Verstaatlichung von Energieressourcen in Südamerika ein Risiko dar. In den letzten zwei Jahren mussten zahlreiche internationale Energiekonzerne wie etwa die spanische Repsol, der US-Konzern Exxon Mobil oder auch das brasilianische Energieunternehmen Petrobras ihre Mehrheitsanteile an der Öl- und Gasförderung in den Andenstaaten abtreten und im Rahmen neuer Verträge ungünstigeren Förderbedingungen zustimmen. Dies führte in einigen Fällen zu erbitterten Rechtsstreitigkeiten zwischen den Konzernen und den Regierungen der jeweiligen Länder. So befindet sich der venezolanische Staat seit mehreren Monaten in einem Rechtsstreit mit dem Energieriesen Exxon Mobil. Der Konzern lehnt eine Minderheitsbeteiligung in den Ölförderprojekten im Orinoco-Becken ab und hat deshalb Venezuela auf hohe Schadensersatzforderungen verklagt. Von den neuen, wenn auch umstrittenen Vertragsbedingungen profitieren die armen Bevölkerungen in den ressourcenreichen Staaten. So fließt ein beachtlicher Teil der Gewinne aus dem Öl- und Gasgeschäft Venezuelas und Boliviens in sozialpolitische Maßnahmen. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit den gestiegenen Staatseinnahmen auch die Korruption deutlich zugenommen hat. Zudem ist fraglich, ob die finanzielle Basis für die großzügigen Sozialprogramme langfristig gesichert ist: Die verstaatlichten Energiekonzerne investieren zu wenig und können aufgrund ihrer ineffizienten Geschäftsführung das ursprüngliche Produktionsniveau oft nicht aufrechterhalten. [5] So ist teils mit sinkenden Ölförderquoten und sogar mit Produktionsausfällen und damit trotz Ressourcenreichtums mit Versorgungsengpässen zu rechnen.[6] Die Suche nach Alternativen Die Regierungen der von Energieimporten abhängigen Länder, wie Argentinien, Brasilien und Chile, sind deshalb bestrebt, durch eine Diversifizierung ihrer Energieversorgung und die Erschließung eigener Energievorkommen langfristig autonom von ausländischen Energielieferungen zu werden. In diesem Zusammenhang kommt der Produktion von Biokraftstoffen eine steigende Bedeutung zu. Brasilien, das schon heute 40 Prozent seines Kraftstoffverbrauchs durch Biobrennstoffe deckt und auf diese Weise seinen Ölverbrauch signifikant verringert hat, nimmt hier eine Vorreiterolle ein. [7] Viele Staaten der Region folgen dem brasilianischen Beispiel und haben in den letzten Jahren ebenfalls Biokraftstoffprogramme entwickelt. Eine weitere Alternative zu den fossilen Energieträgern sehen die südamerikanischen Staaten in der verstärkten Nutzung von Wasserkraft. In den kommenden Jahren sollen deshalb nicht nur bestehende Wasserkraftwerke erneuert, sondern auch mehrere neue Staudämme gebaut werden. Dies stößt jedoch auf wachsenden Widerstand in der Bevölkerung, da viele der Staudammprojekte in ökologisch sensiblen Gebieten geplant sind. Neben gravierenden ökologischen käme es auch zu sozialen Auswirkungen, denn großflächige Landflutungen würden die lokalen Bevölkerungen zu Umsiedlungen zwingen. Andere alternative Energien, wie die Nutzung von Windkraft, Solarenergie oder Erdwärme, sind trotz ihres großen Potenzials bisher kaum verbreitet. Stattdessen setzen die Staaten des südlichen Südamerika verstärkt auf Atomenergie. So schlossen Argentinien und Brasilien im Februar 2008 ein Abkommen zur gemeinsamen Urananreicherung ab und planen mit Atucha II (Argentinien) und Angra III (Brasilien) den Bau weiterer Reaktoren [8]. 121

Energieintegration als Lösung? Eine andere Möglichkeit, dem Ziel der Energiesicherheit in Südamerika näher zu kommen, stellt die Energieintegration dar. Durch verstärkte Kooperation im Energiebereich könnten erhebliche Kosten gespart und die Potenziale der ressourcenreichen Region besser genutzt werden. [9] Zudem könnten teure Investitionen in Raffinerien oder in den Ausbau der Gaspipelines gemeinsam getätigt werden. Von einer Energieintegration in Südamerika würden nicht nur die energieabhängigen Staaten des Cono Sur in Form von größerer Versorgungssicherheit profitieren, sondern auch die ressourcenreichen Länder des Andenraumes. Der Vorteil läge für sie in einer Diversifizierung ihrer Lieferbeziehungen und verstärkten Investitionen der Nachbarländer in ihre Öl- und Gasproduktionen. Zudem könnte eine verstärkte Kooperation im Energiebereich eine Möglichkeit darstellen, die stagnierenden wirtschaftlichen Integrationsprozesse in der Region wiederzubeleben. Erste Projekte zur Energieintegration Lateinamerikas werden bereits auf subregionalem Niveau durchgeführt. So schlug der venezolanische Regierungschef den Bau einer panamerikanischen Gaspipeline vor, die über fast 8.000 Kilometer die Länder des südlichen Südamerikas mit der Energiemacht Venezuela im Norden des Kontinents verbinden und so den steigenden Gasbedarf Brasiliens, Argentiniens und Chiles decken soll.[10] Ob dieses Megaprojekt tatsächlich umgesetzt wird, ist sowohl aus ökonomischen wie auch ökologischen Gründen fraglich, doch die energiepolitische Diskussion hat begonnen. Auf dem ersten Südamerikanischen Energiegipfel in Venezuela im April 2007 vereinbarten die Regierungschefs die Gründung eines südamerikanischen Energierates, der einen regionalen Energieplan ausarbeiten soll. [11] Das Potenzial der Energieintegration für die Region ist erkannt.

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