ISSN 1992-6146 iAusgabe 1/2008
Donau-Universität Krems i Bereich Technologie, Information und Medien i Verlagspostamt 3500 Krems i P.b.b. i Nummer 41, 13. Jahrgang i 02Z030312M
iRatgeber: Infografiken professionell gestalten i PROLIX: Maßgeschneiderte Kompetenzentwicklung in Veränderungsprozessen
E-Gov & E-Dem 2.0 Partnerschaft zwischen Bürger und Politik
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E-Gov & E-Dem 2.0
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PETER PA RYCEK, PETER. PA RYCEK@ D O N A U-U N I . AC . AT
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Auswirkungen der technischen und sozialen Veränderungen auf Staat und Verwaltung iChange Society – die Welt wird „flacher“ Wir leben in einer Zeit beschleunigter Transformationen. Analog zur industriellen Revolution, die damals neue Ausprägungen der Volkssouveränität hervorbrachte, sind auch heute die technologischen, sozialen und ökonomischen Wandlungen mit einer Evolution der Demokratie verbunden – vom strikt hierarchischen, monolithischen Staat des industriellen Zeitalters hin zur pluralistischen Vernetzung mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Dabei zählt das Internet zu den wichtigsten „Flachmachern“ (Thomas Friedman: The world is flat) und ermöglicht neue Formen globaler Kooperation. Die Technologie beflügelt Visionen moderner Demokratie-Modelle, führt aber nicht per se zur Good Governance; entscheidend ist vielmehr: Wie werden die neuen Möglichkeiten genutzt? Derzeit sind auch demokratische Regierungen weltweit bestrebt, die technologisch vermittelte Information und Kommunikation zu kontrollieren. Meist diffus begründet mit dem Kampf gegen den Terrorismus, zieht sich das Netz der Überwachung enger zusammen – in der EU bis zur Vorratsdatenspeicherung. Doch neben Unsicherheiten und Missbrauchsrisiken (wie Auswertung von Bewegungsdaten) eröffnet die IKT bisher ungeahnte Chancen der Zusammenarbeit: Blogs, Wikis und soziale Netze fördern die Demokratisierung innerhalb staatlicher, privatwirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen. Gemeinsam können digital unterstützte Kooperationsnetze öffentliche Services erbringen und Politik gestalten. So reklamiert der sich selbst organisierende „Dritte Sektor“ eine neue Rolle in der (inter)nationalen Governance. iChange Economy – KonsumentIn wird Ko-ProduzentIn Flächendeckend verfügbare Netzwerke zum Informationsaustausch und einheitliche SoftwareInfrastrukturen mit definierten Schnittstellen haben in den letzten Jahren massive Veränderungen der wirtschaftlichen Abläufe herbeigeführt. Zugleich hat sich die Rolle der KundInnen ausgeweitet: Zuvor im Wesentlichen passive AbnehmerInnen von Gütern, werden sie jetzt zu deren KritikerInnen und sogar DesignerInnen. Nicht nur für die globalisierte Wirtschaft entstehen Synergieeffekte, auch KonsumentInnen können weltweit Einfluss nehmen. Sie werden von Unternehmen „top-down“ in den Gestaltungsprozess der Produkte eingebunden. So lädt das IKT-Unternehmen Dell auf www.ideastorm.com zur Beteiligung ein und profitiert vom Erfahrungsund Ideenreichtum der User. Mittels vielfältiger Methoden und Features (Posting, Rating, Videos, RSS-Feed …) werden Vorschläge gemacht, konkrete Anfragen durch Administratoren beantwortet, konstruktive Kritik eingebunden und der Online-Beteiligungsprozess wiederum in einem Metadiskurs reflektiert. Bei Angeboten wie MySpace, flickr und YouTube ist der Produktions- und Bewertungsprozess beinahe gänzlich an die User ausgelagert; Community-Plattformen leben de facto von deren Content. Unabhängige Internetforen ermöglichen die Beteiligung „von unten“ und machen „den Kunden zum König“, dessen Bedürfnisse zählen. Brauchte es zuvor gute Verbindungen zu Gatekeepern wie Zeitungen oder gar aufwändige, riskante Gerichtsverfahren, um auf wahrgenommene Mängel aufmerksam zu machen, so kann heute ein Eintrag im persönlichen Blog ausreichen, um Missstände und Defizite aufzudecken und in Internetzeit aller Welt mitzuteilen. Individuen und NGO können die mächtigsten Organisationen und Konzerne direkt adressieren und attackieren, etwa durch Proteste, Satire, Boykottaufrufe und andere Druckmittel. Diese Entwicklung bedeutet ein vormals ungeahntes Empowerment: Früher rein passive VerbraucherInnen und LeistungsempfängerInnen werden zu „ProsumentInnen“ (Tapscott/Williams: Wikinomics), zu Ko-ProduzentInnen mit beachtlichem Handlungspotenzial. i 5
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E-Gov & E-Dem 2.0 Auswirkungen der technischen und sozialen Veränderungen auf Staat und Verwaltung
iChange Governance – zum E-Government 2.0 Österreich bietet den BürgerInnen ein reichhaltiges Informationsangebot mit bürgerfreundlichen One-Stop-Lösungen, zielgruppenorientierten Websites und Anwendungen für individuelle Lebenssituationen. Die anstehende Herausforderung liegt nun darin, die mündigen BürgerInnen am Erreichten partizipieren zu lassen: Wie von der Privatwirtschaft verlangen User auch hier optimalen Service und einfachen Informationszugang; anspruchsvolle „Netizens“ wollen darüber hinaus mitreden bei Entscheidungen, von denen sie sich unmittelbar betroffen fühlen. Die sich verbreitenden Web-2.0Technologien wie Videokonferenzen, moderierte Foren und Wikis unterstützen Wissensmanagement, Informationsgewinnung und Vernetzung und fördern damit die Einbindung von BürgerInnen und Zivilgesellschaft. Eine erfolgreiche Modernisierung von Staat und Verwaltung erfordert konsequenterweise auch die elektronisch unterstützte Zusammenarbeit mit BürgerInnen und unterschiedlichen gesellschaftlichen Institutionen. In Zukunft werden solch kooperativen Governance-Netze sowohl öffentliche Services erbringen als auch politische Prozesse mitgestalten. iE-Services als gemeinsame öffentliche Dienstleistungen So wie Amazon, eBay und andere Plattformen ihren Mehrwert durch Einbeziehung von Kundenmeinungen schaffen, kann auch öffentlicher Content interaktiv generiert, Dienste gemeinsam erbracht und im Bedarfsfall rasch effektive Hilfe geleistet werden. Mittels Web-2.0-Technologien und bereits mehrfach im E-Government eingesetzten Methoden wie Meinungsumfragen oder Beschwerdemanagement werden qualitätvolle, standardisierte Angebote für die spezifischen Bedürfnisse von Individuen und Gemeinschaften maßgeschneidert. Dies veranschaulicht auch das vom Zentrum für E-Government mitgetragene Projekt Jugend2Help (siehe Seite 9). Die Jugend in die Verwaltung und den politischen Diskurs zu involvieren eröffnet zukunftsweisende Ideen und Potenziale. Auch internationale Initiativen wie www.peertopatent.org nutzen das „Crowdsourcing“, die kollektive Intelligenz, und generieren Verwaltungsdienstleistungen gemeinsam mit den BürgerInnen. Aufgrund der hohen Zahl unaufgearbeiteter Patentanträge wurde ein Peer-Review-Prinzip zur Qualitätssicherung und Beschleunigung des Verwaltungsprozesses
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eingeführt. Die Bearbeitungszeiten konnten inzwischen halbiert werden, die Effektivität und Wettbewerbsfähigkeit gesteigert. Auch bei fehlenden Angeboten durch die Verwaltung können von unten Graswurzel-Initiativen wachsen, wie beispielsweise die Wiener NGO-Initiative www.rassismusstreichen.at, deren User rasch verfügbare Handykameras nutzen, um rassistische Straftaten aufzuzeigen und damit Druck zur Beseitigung durch die Stadtverwaltung auszuüben. iE-Policy als politische Mitgestaltung Das stellt auch in Österreich die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung vor die Frage: Wie lässt sich die Online-Meinungsbildung fördern, lenken und organisieren? Der Mehrwert für die Öffentlichkeit: Kritische User-Beiträge können auf wahrgenommene Probleme hinweisen – und solche Meinungsäußerungen in Blogs oder Foren lassen sich schwerer ignorieren als Briefe oder Anrufe. Im Idealfall bringt die gesteigerte Transparenz somit demokratiepolitischen Nutzen für die Allgemeinheit. Umstritten ist, wie die breite Öffentlichkeit konkret in den politischen Prozess eingebunden werden sollte. Derzeit ist die Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen, die dann oft rasch vom Nationalrat „abgesegnet“ werden, faktisch ein Top-down-Prozess von Verwaltung bzw. Ministerien, in den nur ausgewählte Gruppen involviert sind. Doch komplexe Herausforderungen erfordern vernetzte, innovative Lösungswege. Oft verfügen Betroffene und ihre Interessenvertretungen (z.B. Behindertenverbände) selbst über spezielle Kompetenzen und Alltagswissen, um ihre eigenen Probleme zu identifizieren, zu artikulieren und in Kooperation mit anderen Sektoren zu lösen. Freilich lassen sich nicht alle erwünschten Handlungsweisen der BürgerInnen per Gesetz erzwingen. In vielen gesellschaftlichen Bereichen ist offizielles, beamtetes Fachwissen „von oben“ erst durchsetzungsfähig, wenn es von der Bevölkerung auch aufgenommen und umgesetzt wird. So ist auch der drängende Problemkomplex Klimawandel, Umweltverschmutzung und Energieverschwendung nicht allein durch Normen und Verwaltungsmaßnahmen zu regeln, sondern erfordert breite Kooperation, basierend auf grundlegender breiter Information. Von praktischem Nutzen wäre hier etwa die Einrichtung von Online-Brainstormings, Wettbewerben, Citizen Panels etc., um originelle, innovative Ideen anzusammeln, wie man konkret im eigenen Alltag die Umwelt schonen kann.
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Zur nachhaltigen Unterstützung der selbstorganisierenden Gesellschaft könnte der Staat zugleich zusätzlich Fördermittel für energiesparende Maßnahmen anbieten, die direkt online zu beantragen sind. Ein internationales Beispiel erfolgreicher Online-Kooperation ist www.politicopia.com. Dieses Wiki wurde von einem Abgeordneten des US-Staates Utah eingerichtet, also einem „Insider“, der die Tore der hohen Politik nach außen öffnen wollte. Aktuelle Gesetzesentwürfe werden so verständlich wie möglich zusammengefasst, ihre Vor- und Nachteile präsentiert, bewertet und öffentlich diskutiert. Die Ergebnisse und Ideen stoßen wiederum auf großes Interesse bei den RepräsentantInnen, die sie als wichtigen Input begreifen und aufgreifen – vorbildlich für die wechselseitige Verknüpfung von Web 2.0 und repräsentativer Demokratie.
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iI-Democracy – der interaktive Staat Denn bei der E-Participation geht es nicht vorrangig um direkte, plebiszitäre Demokratie als Konkurrenz zur repräsentativen oder gar als deren Ersatz – so dass etwa im Anschluss an die Abendnachrichten schnell per Fernsteuerung oder „Ja/Nein“-SMS über die Einführung neuer Strafmaßnahmen entschieden würde. Vielmehr sind breite Information und Meinungsbildung unerlässlich, auf dem Fundament von E-Skills und politischer Bildung. Demokratie braucht Zeit zur Überlegung in Form von offenem Online-Brainstorming, vernünftiger Abwägung und gleichberechtigter, neutral moderierter Diskussion. Anzustreben ist also eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie, die elektronische Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Partizipation im Ideal des interaktiven Staates. Nicht nur die Abgeordneten können zu ihren WählerInnen so mehr wechselseitigen Kontakt halten. Im Idealfall führt die Interaktion zwischen BürgerInnen und PolitikerInnen zu einer Stärkung der Demokratie. Darüber hinaus fördert die E-Participation das gesellschaftliche Engagement in Meinungsbildungs- und Selbstorganisationsprozessen und Aktivitäten wie Freiwilligenagenturen oder Expertenforen. Sowohl organisierte, offizielle Interessenvertretungen als auch einzelne „Laien“ werden unterstützt, sich bei Vorhaben, Planungen und Entwicklungen im öffentlichen Bereich zu beteiligen. Auch innerhalb des „Dritten Sektors“ schlummert noch demokratisches Veränderungspotenzial durch die IKT, bei der Binnen-Kommunikation von Interessenvertretungen etwa durch Wissensmanagement und internes Vorschlagswesen.
Letztlich strahlt politische Partizipation auf alle gesellschaftlichen Gebiete aus, trägt damit zum Abbau struktureller Ungleichheiten und Barrieren bei – ein wechselseitiger Rückkopplungsprozess der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft. iPerspektiven Eine unerlässliche Grundlage für jede weitergehende Beteiligung ist nachvollziehbare Information. In diesem Sinn sollten staatliche, privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Beteiligte ihr Wissen einbringen – zumal dessen Wert wächst, wenn man es teilt. Diesem Ziel dient auch die Forderung nach verfassungsrechtlich verankerter Informationsfreiheit, die den Staat verpflichten würde, seine traditionell geheim gehüteten Wissensschätze zur Verfügung zu stellen. Weitere essenzielle Aspekte, auf die hier nur hingewiesen werden kann, sind die rechtsstaatliche Verankerung, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Stakeholder, die Rolle des „Rechtsunterworfenen“. Wie Politicopia, PeerToPatent und andere Partizipationsprojekte zur Integration von ExpertInnenwissen belegen, muss Öffentlichkeitsbeteiligung keinesfalls sämtliche Individuen umfassen, um legitimiert und effektiv zu sein. Bei der E-Democracy wird sich die Masse der Personen auch weiterhin bevorzugt auf ihre konsumierende Rolle beschränken. ]
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