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  • November 2019
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  • Words: 1,642
  • Pages: 3
die intentionen des autors günter grass beschäftigt sich in seinem buch "im krebsgang" intensiv mit dem untergang der "wilhelm gustloff". dies ist ein thema, welches bei ihm "schon sehr lange [tickt]" (interview, steidl, göttingen 2002)1, da auch seine eltern in erwägung gezogen hatten auf der "wilhelm gustloff" zu flüchten. mit der darstellung der tragischen schiffskatastrophe, die in beiden teilen deutschlands lange verdrängt wurde, will g. grass die geschichte so darstellen, wie sie tatsächlich geschehen ist, ohne sich, wie bisher, nur auf deutsche verbrechen zu beschränken. insbesondere möchte er das jahrelange verdrängen durchbrechen (interview, steidl, göttingen 2002). "warum erst jetzt?" heißt es gleich zu beginn der novelle, und es klingt wie ein vorwurf. doch an wen? der erzähler gibt zunächst an, dass "diese geschichte lange vor [ihm]" (s.7) angefangen hat, um sich von jeglicher schuld freizusprechen. später gestehet g. grass, in person des auftraggebers (vgl. auch charakteristik auftraggeber), dass er schon lange darüber hätte schreiben müssen (s.99). doch so wie paul seine abgründe "abgedeckelt zu halten" (s.75) versteht, wurde vieles in unserer gesellschaft lange verdrängt, zum beispiel wurden die deutschen flüchtlinge nicht als opfer anerkannt. dennoch ist es mit der vorbei streichenden zeit kaum leichter geworden, die schrecklichen geschehnisse "in worte zu fassen" (s.139). nach meinung von g. grass hat die jugend lange genug unzureichende erklärungen bekommen, für viele war es einfacher, die ns zeit in die "kategorien des "bösen" (interview, stern, 8/2002)2 zu stecken, so dass heute meist nur noch "[größen wie] hitler [und] goebbels[]genannt" (s.37) werden. wer interessiert sich auch wirklich noch für die ganze geschichte (s.76)? genau diese probleme sieht g. grass als grund dafür, dass der nationalsozialismus wieder im trend liegt, dies erkennt man auch daran, dass die npd zumindest zeitweise in einige landtage eingezogen ist. "die rechten [können sich dieser unausgesprochenen] themen bemächtigen" (interview, steidl, göttingen 2002), um die jugend durch "markige sprüche", die eigentlich "mehr zum lachen als zum kotzen" (s.8) sind, für ihre ideologien zu gewinnen. ebenso waren auch "überzeugte antifaschisten" (s.57) zu hitlers zeiten von dem kdf- schiff als nsdap-lockmittel geblendet und fasziniert. g. grass möchte mit seinem buch unsere gedanken auf die geschichte lenken, damit wir sie nicht einfach beiseite schieben und vergessen, wie es immer häufiger der fall ist. ein weiteres thema, auf welches g. grass aufmerksam machen möchte, sind die gefahren, die das umstrittene kommunikationsmittel internet birgt. hier kann jeder unkontrolliert seinen "stumpfsinn" (s.8) preisgeben und damit bei anderen anklang finden, ohne seine identität preiszugeben (s.18/ 32) oder kritik einstecken zu müssen (vgl. auch "paul und das internet.). auch konny konnte auf diese weise, nur die in seine ideologie passenden, erzählungen seiner oma auf seiner internetseite propagiert, welche trotz ihrer einseitigkeit andere stark beeinflussen können. ebenso rüttelt das buch an der derzeit viel diskutierten entwicklung der familienverhältnisse. die eigenwillige beziehung von konny zu seiner oma (s.95), die fehlende zu seinem vater (s.105/ 208) sowie der zusätzliche mangel an aufmerksamkeit von seiten der mutter (s.74/ 117) könnte als kritik an dem chronischem zeitmangel der modernen eltern gedeutet werden. kinder werden immer häufiger mit ihren problemen allein gelassen, was oftmals dazu führt, dass sie, um kommunikation zu finden, in die virtuelle welt flüchten statt sich mit realen dingen und freunden auseinander zu setzen. dies hat zur folge dass sie nicht lernen richtig und falsch zu erkennen. das mittlerweile angepasste erscheinungsbild der rechtsradikalen macht es oft schwer, diese als solche zu identifizieren. viele neonazis stammen nicht mehr nur aus sozial schwachen klassen, sondern immer öfter aus einem guten elternhaus und "sind [häufig] an gymnasien und universitäten zu hause" (interview, stern, 8/2002). genau aus diesem grund wählte günter grass die figur konny, die einen gebildeten außenseiter darstellt (vgl. charakteristik konny), als täter. ein weiteres problem bei der frühzeitigen erkennung von rechtsradikalen jugendlichen ist, dass eltern nicht wahrhaben möchten, wenn ihr "eigen fleisch und blut" (s.176) sich auf abwegen befindet, stattdessen sehen sie nur das, was sie sehen wollen (vgl. s.199). so ist auch paul als konnys vater begründet gewählt. seine übermäßig neutrale und angepasste art repräsentiert die zeittypische lethargie unserer gesellschaft (s.200), die erst selbst aktiv wird, wenn es beinahe

schon zu spät ist. paul hat seine politische einstellung stets angepasst (s.75), bis er am eigenen leib erfahren muss, welche folgen dies haben kann, denn für wolfgang kommt jegliche hilfe zu spät (s.81). doch selbst danach gibt er vor, nur einen "bericht"(s.59/ 210) zu schreiben, in dem er vergeblich versucht, sich aus seinen erzählungen emotional herauszuhalten (vgl. charakteristik paul). damit kritisiert günter grass die mehrheit der bevölkerung, die damals einfach weggesehen hat (interview, hamburger abendblatt, bitburg 1985)3, und besonders die journalisten, die, so wie paul es getan hätte, einfach nur "das maul gehalten" (s.59) haben. . grass bringt subtil zum ausdruck, dass die ansicht, ob jemand gut oder böse ist, vom standpunkt der moralischen wertevorstellungen abhängt. zum beispiel musste alexander marinesko in der sowjetunion sehr lange um anerkennung für seine tat kämpfen, und genauso hat konny nicht nur gegner, sondern auch "genossen" gefunden, die seine tat gutheißen oder ihn sogar bewundern. mit bildlicher, aber sehr deftiger sprache ("wir spülen und spülen, die scheiße kommt dennoch hoch" (s.116)) bringt g. grass schließlich zum ausdruck, dass die geschichte nie aufhört (s.216) und sich die vergangenheit "bis zur [verzerrten] karikatur in der heutigen jungen generation" interview, steidl, göttingen 2002) widerspiegelt. krebsgang als methode krebse können vorwärts sowie rückwärts als auch seitwärts gehen. am schnellsten kommen sie jedoch seitlich voran. dieses wissen, aber auch andere Ähnlichkeiten auf den gang eines krebses bezogen, verwendet günter grass in seinem gleichnamigen buch "im krebsgang". gleich zu anfang des buches lässt g. grass erkennen, dass der titel seiner novelle nicht in verbindung zu dem inhalt steht, sondern dass er die außergewöhnliche idee hatte, den gang eines krebses als erzählweg zu verwenden (s.8). auf den ersten blick wirkt diese technik zwar umständlich und zwingt möglicherweise so manchen leser zur kapitulation, doch sie ermöglicht dem erzähler ausweichmanöver, ohne dabei weit abschweifen zu müssen. diese metaphorische verbindung bringt g. grass über die hauptfigur paul pokriefke zum ausdruck, welcher zunächst nicht weiß, wie er seine geschichte beginnen soll. entweder er berichtet sie geradeaus von vorne nach hinten oder querläufig, nach der art der krebse (s.7). der weg geradeaus ist für einen krebs, bedingt durch seine anatomie, nicht einfach und würde daher länger dauern. dies spiegelt sich auch in den schreibweisen dieser novelle wieder. würde man die geschichte von vorne nach hinten, mit allen lebensläufen der beteiligten personen erzählen, wäre der weg für den erzähler zwar geradliniger, dafür aber umso länger und steiniger (s.9). hingegen ist die methode des krebsganges, bei dem stets ein bein noch in der vergangenheit steht, während das andere in die zukunft gehen kann, zwar zuerst verwirrend, letztendlich jedoch praktisch. denn auf diese weise können die passenden szenen sowohl aus den nebeneinander her laufenden geschichten als auch aus der vergangenheit und der gegenwart parallel dargestellt und je nach bedarf aufgegriffen werden, ohne dass dabei etwas notwendiges entschwindet. interessanter weise blitzen hin und wieder andeutungen bezüglich des endes auf (s.45), die man erst beim zweiten lesen entdeckt. unter den bedingungen können problemlos unwichtige kleinigkeiten weggelassen werden. deshalb ist diese erzählmethode die passende für diesen in der vergangenheit, der gegenwart und der zukunft spielenden stoff. günter grass lässt paul die zeiten parallel abarbeiten, zum ersten die generationen von marinesko, gustloff, frankfurter und tulla, zum zweiten die generation von paul und gabi sowie zum dritten die von konrad und wolfgang. der lebenslauf einer einzelnen person ist jedoch nicht übersichtlich in chronologischer abfolge zu lesen, sondern man findet sie quer durch das buch verstreut. dieses hin- und herspringen zwischen den zeiten lässt günter grass paul mehrfach bewusst ankündigen, "ich lasse das schiff jetzt liegen[...] und komme im krebsgang auf mein privates unglück zurück." (s.88), "bevor ich auf das treffen der Überlebenden komme, muß (sic!) jedoch eine peinlichkeit eingerückt werden[...]"(s.90) und "während in meinem bericht zwei schiffe einander näher und näher kommen[...], bietet sich gelegenheit[...]" (s.122). grass bewegt sich also so, wie es für die krebse am schnellsten ist, seitwärts fort (s.9). g. grass berichtet als paul pokriefke auch mit einschüben, um in einer zeit, in der er sich beim erzählen gerade aufhält, einen anderen charakter querläufig nachzuziehen, so dass sich

zwischen den charakteren verbindungen ergeben (s.54/ s.130). so kreuzen sich die wege und verbindungen werden geknüpft. oftmals lässt er es so aussehen, dass er zu schnell vorankommt, dann muss er sich bremsen, damit er auf seinem weg bleibt und nicht vorgreift (s.22 / s.33 / s.45 / s.70 / s.76 / s.84/ s.87). genauso wie sich ein krebs langsam und wackelig auf einer stelle dreht, um sich neu auszurichten, gibt paul in manchen momenten vor, unschlüssig zu sein, wie er weiter schreiben könnte. er schreibt dann entweder, dass er auf die richtige zeit wartet (s. 54), oder setzt drei punkte hintereinander (s.73), das erzeugt zusätzlich spannung. wenn ein krebs sich bedrängt fühlt, zieht er sich zurück in ein versteck und beobachtet das geschehen aus sicherer entfernung. auch solche situationen werden in dem "krebsgang" deutlich: so wehrt sich paul dagegen, "[...]mit episch ausladender gelassenheit und angestrengtem einfühlungsvermögen den großen bogen zu schlagen[...]"(s.136), obwohl der auftraggeber, der eindeutige parallelen zu g. grass erkennen lässt (siehe auch charakteristik auftraggeber) paul dazu drängt, berichtet dieser stattdessen nur wie ein distanzierter zuschauer (s.175). um dinge zu verdeutlichen, legt paul auch mal den rückwärtsgang ein, nennt es dann auch "rückwärts krebsen" (s.107). noch einmal beschreibt er dann etwas aus der vergangenheit, um das verständnis für die gegenwart zu steigern. dadurch erreicht er, dass dem leser wichtiges verdeutlicht wird und somit in erinnerung bleibt (s.169). die intention wird mithilfe dieser kreativen technik, den krebsgang als methode zu nutzen, verdeutlicht (siehe auch intention!). er spricht themen an, die jede generation beschäftigen sollte, denen man durchaus nicht aus dem weg gehen kann. die anspruchsvolle, kreative idee, den krebsgang als methode für eine novelle zu nutzen, hat er fantastisch umgesetzt und kann damit selbst "nachkriegsmuffel" in seinen bann ziehen.

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