Das Grossherzogtum Frankfurt

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Gabriela Rutecka, Przemysław Dorszewski

Das Großherzogtum Frankfurt 1810-1813

1. Einleitung Die Französische Revolution brachte in Europa eine neue politische Lage. Die Existenz des Reiches war durch das Souveränitätsstreben seiner Glieder in Frage gestellt. Nach der Schlacht bei Austerlitz wurde die Übermacht Frankreichs sichtbar. Am 12. Juli 1806 unterzeichneten bei Paris 16. süd- und westdeutsche Fürsten die Rheinbundakte1 und sagten sich vom Kaiser und Reich los. Der Rheinbund war ein Bündnis unter dem Protektorat Napoleons. Der Reichserzkanzler Carl von Dalberg, der bis dahin die Fürstentümer Regensburg und Aschaffenburg verwaltete, wurde von Napoleon zum Fürstprimas des Rheinischen Bundes erhoben und erhielt die Reichsstadt Frankfurt und weitere Gebiete um Aschaffenburg. Die meisten Rheinbundstaaten strebten nach Zentralisation, doch Dalbergs Staatsgebiets ermöglichte ihm das nicht. Einzelne Teile seines Staates lagen weit in Deutschland verstreut und es war nicht möglich, so ein Staatsgebiet auf längere Zeit zu erhalten.2 Dalberg war sich das bewusst, deswegen bemühte er sich seine Position zu sichern. Behilflich waren ihm dabei die geschichtlichen Ereignisse in Europa. Die Spannung zwischen Frankreich und Österreich drohte mit einem. In dieser Zeit war Napoleon damit beschäftigt, den Aufstand in Spanien niederzuschlagen. Deswegen konnte er sich keinen Krieg mit Österreich leisten. Der Reichserzkanzler entwickelte einen Friedensplan, wo der französische 1

Huber, E. S. (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd.1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl., Stuttgart 1978, S.28-34. 2 Bilz, W., Die Großherzogtümer Würzburg und Frankfurt. Ein Vergleich., Würzburg 1968, S.179 ; Darmstädter, P., Das Großherzogtum Frankfurt, Frankfurt a. M. 1901, S.3-5.

Kaiser über eine Heirat die Allianz

mit Österreich befestigen sollte. Dankt Dalbergs

diplomatischer Bemühungen heiratete Napoleon eine Habsburgerin Marie-Louise.3 Die Wiederheiratung und Hoffnung auf männliche Nachkommen stellten ein Problem mit dem Stiefsohn Eugen Beauharnais dar, der als Vizekönig in Italien regierte und Napoleons Nachfolger sein sollte. Der Kaiser brauchte eine andere Versorgung für ihn. Er suchte nach einem Staat, den er seinem Stiefsohn unterstellen könnte. Auch das Problem mit den Rheinbundsstaaten wurde dringender. Bayern verlangte das Fürstentum Regensburg, das Dalberg verwaltete. Der Kaiser wollte schon längst auf dem deutschen Gebiet französische Organisation einführen. Er hatte auch vor, den letzten geistlichen Staat in Europa (Dalbergs Fürstprimatstaat) aufzulösen und für Dalberg einen geschlossenem Flächenstaat schaffen.4 Bei allen diesen Plänen hatte er in Dalberg einen perfekten Vertrauten, den er als seinen Vertreter einsetzten konnte. Diese Probleme

wurden mit dem Pariser Vertrag vom 16. Februar 1810 gelöst.

Dalberg trat Regensburg an Bayern ab. Als Ersatz erhielt er Hanau und Fulda mit Ausnahme einiger Ämter, die an das Großherzogtum Hessen fielen. Das dadurch entstandene Land war mehr einheitlich als das fürstprimatische. Der neue Staat erhielt den Namen das Großherzogtum Frankfurt. Die Fläche des Landes betrug 5,160 qkm, die Einwohnerzahl belief sich auf 302 0005. Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen kleinen Ausschnitt aus der Frankfurter Geschichte darzustellen und sich mit dem Thema das Großherzogtum auseinander zu setzten. Obwohl das Großherzogtum nur 3 Jahre bestand (1810-1813) und in der Zeit völlig von Frankreich abhängig war, ist es dem Großherzog gelungen, viele Reformen durchzuführen, deren Nachwirkung auch nach 1813 zu spüren war. Da die Problematik dieses Themas sehr umfangreich ist, haben wir uns darauf konzentriert, die Organisation des Staates und die Lage der Bewohner zu zeigen. Gabriela Rutecka beschäftigte sich mit den Bereichen Verwaltung, Finanz-, Justiz- und Schulwesen. Przemyslaw Dorszewski setzte sich mit den Themen: Militärwesen, gesellschaftliche Struktur, Sozial- und Kirchenwesen auseinander. Die Informationen für diese Arbeit stammen vor allem aus den Quellen damaliger Zeit: aus dem Organisationspatent des Großherzogtums Frankfurt und aus den Verordnungen Dalbergs, die in dem Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt veröffentlicht worden. Als sekundäre 3

Färber, K.M., Kaiser und Erzkanzler. Carl von Dalberg und Napoleon am Ende des Alten Reiches. Die Biographie des letzten geistlichen Fürsten in Deutschland, Regensburg 1988, S.110. 4 Ebenda, S.114; Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.180. 5 Koch, R., Das Großherzogtum Frankfurt, in: Färber, K.M., Klose, A., Riedel, H.(Hrsg.), Carl von Dalberg – Erzbischof und Staatsmann, Regensburg 1994, S.152. 2

Literatur dienten Arbeiten über das Großherzogtum selbst (z.B. Darmstädter) als auch die Biographien Dalbergs (z.B. Färber). 2. Das Großherzogtum Frankfurt 2.1 Der Großherzog Carl von Dalberg wurde von Napoleon zum Großherzog ernannt. Als sein Nachfolger wurde Prinz Eugen Beauharnais, der Stiefsohn Napoleons und

Vizekönig von Italien

designiert (Artikel 5 des Pariser Vertrages, bestätigt im Organisationspatent § 4). Damit wurde auch das Problem der Ausstattung des Prinzen gelöst. Nach dem Aussterben der männlichen Linie der Napoleoniden sollte das Territorium an den französischen Kaiser heim fallen6. Die französische Nachfolge bestimmte die zukünftige Organisation des Großherzogtums. 2.2 Die Verwaltung Im Organisationspatent vom 16. August 18107 erhielt das Großherzogtum Frankfurt eine Organisation, die dem französischen bzw. dem westfälischen System nachgebildet wurde. „Unter allen Verfassungen, welche dem Kaiser Napoleon ihr Dasein zu danken haben, enthält die Verfassung des Königreichs Westfalen die meisten Grundsätze, die man [...] auf das Wohl des Großherzogtums Frankfurt anwenden kann.“8 Das Großherzogtum wurde mit Ausnahme von der Grafschaft Wetzlar in 4 Departements geteilt: Frankfurt, Aschaffenburg, Hanau und Fulda (§ 1). Die Departements wurden weiter in Arrondiessements(okręg) und diese in Mairien oder Munzipalitäten geteilt (§ 29). An der Spitze der Departements standen die Präfekten (§ 30), der Arrondiessements - die Distriktmaires

und der Mairien oder

Munzipalitäten – die Maires. In jedem Departement gab es ein Departementskollegium (§ 32) und einen Generaldepartementsrat (§ 36). Die Departementskollegien waren für die Ernennung der Mitglieder der Stände zuständig (§ 35). In den Munizipalitäten entsprachen der Rolle der Kollegien die Munizipalräte9 (§ 36). Nachdem die Einteilung des Landes in Departements festgestellt worden war, wurde auch der Weg für weitere Organisation vorbereitet. 6

„Nach unserem Absterben kommt das Großherzogtum Frankfurt an des Prinzin Eugen Napoleon kaiserl. Hochheit... und Rückfall an die kaiserliche Krone im Falle, wenn die männliche Linie erlöschen sollte“ , Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd. 1, S.12. 7 Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd. 1, S.10-24. 8 Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd. 1, S.11. 9 Roth, R., Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main. Ein besonderer Weg von der ständischen zur modernen Bürgergesellschaft 1760-1914, München 1996, S.203-204. 3

Eine der wichtigsten Neuordnungen war die Trennung von Justiz und Verwaltung. Der Großherzog bildete das höchste Exekutivorgan. Unter dem Großherzog standen drei Minister: der Minister „des Inneren, der Justiz und der Polizei „(Franz Joseph Freiherr von Albini), „der Finanzen, des öffentlichen Schatzes, der Handlung, der Fabriken und Künste“ (Leopold Graf Beust, noch 1810 wurde er entlassen. Dalberg übernahm selbst die Leitung des Ministeriums, sein Stellvertreter war Georg Steitz) und „der auswärtigen Angelegenheiten, des Kultus und der Militäradministration“ (Joseph Carl Theodor Freiherr von Eberstein). Jeder der Minister war in seinem Bereich für die Durchführung der Gesetzte verantwortlich (§17). Gemeinsam mit sechs Staatsräten bildeten die Minister den Staatsrat, der als beratendes Organ beim Entwurf von Gesetzen und bei Vorschlägen von Verordnungen fungieren sollte. „Der Staatsrat hat die Verwaltungsverordnungen zu diskutieren und zu entwerfen.“(§ 23)10 Der Staatsrat galt auch als Kassationshof für Gerichtsurteile aller Instanzen unter dem Vorsitz des Justizministers („[...] in Gegenständen [...], welche geeignet sind, vor das Kassationstribunal gebracht zu werden, versteht der Staatsrat die Stelle des Kassationsgerichts“- § 25)11. Dem französischen Muster nach sollte eine gewählte Volksvertretung – die Stände - Einfluss auf die Gesetzgebung haben. 20 nach dem Notablenprinzip gewählte Männer sollten sich auf die Einladung des Großherzogs in Hanau versammeln und über die vom Staatsrat vorgelegten Gesetze beraten. Ein Drittel der Mitglieder der Stände sollte alle 3 Jahre neu gewählt werden. Die Stände ernannten die Kommissionen (eine Finanzkommission, eine Ziviljustiz- und eine Kommission des peinlichen Justizwesens), die über die vom Staatsrat entworfenen Gesetze diskutieren. In der mittleren und unteren Ebenen der Staatsverwaltung wurden ähnliche Institutionen durch eine Verwaltungsordnung eingeführt, wie sie dem Gesamtstaat gegeben worden waren. 2.3 Das Finanzwesen „Eine grundlegende Neuerung führte Dalberg im Finanzwesen durch, indem er die Einnahmen des Staates nicht mehr nach territorialen, sondern nach sachlichen Gesichtspunkten erheben lies.“12 Für alle Teile des Großherzogtums wurde dasselbe Steuersystem eingeführt. Die erste einheitliche Steuer bildeten die Einregistrierung und der Stempel (§ 15).13 Dem Finanzministerium wurden die direkten und indirekten Steuer, Zölle, Posten, Schiffahrt, Regalien und andere Geldabgaben unterstellt (§ 43). Die direkten Steuer 10

Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd. 1, S.16. Ebenda, S.17. 12 Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.185. 13 Darmstädter, P., Das Großherzogtum Frankfurt..., S.185-187 ; Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.185-186. 11

4

und Domänenangelegenheiten wurden einer eigenen Generalinspektion unterstellt. Die indirekten Einnahmen wurden von einem Generalinspektor der Zölle und Akzisen und von einem der Einregistrierung Aufgabe,

eine

und Stemepltaxe verwaltet. Ein Generalinspektor hatte die

Zusammenstellung

der

gesamten

Einnahmen

und

Ausgaben

des

Großherzogtums vorzubereiten und dem Finanzminister am Ende des Jahres einen Vorschlag für das Staatsbudget des folgenden Jahres zu unterbreiten. Die Gemeinden (Mairien) lieferten die direkten Steuern an Bezirkseinnehmereien, die indirekten an eigene Stempel- und Einregistrierungsbüros oder Zollämter14. Bis zum 26. Juli 1813 lieferten diese Ämter ihre Einnahmen an eine bis dahin bestehende Departementshauptkasse. Sie wurde deshalb eingeführt,

weil

der

lockere Verband

der

einzelnen

Landesteile

keine

zentrale

Schuldenregulierung zuließ. 2.4 Das Justizwesen Die Steueränderung war stark mit der Einführung des französischen Zivilgesetzbuchs verbunden. Das Zivilgesetzbuch hat Dalberg bereits im fürstprimatischen Staat eingeführt, für das Großherzogtum erlangte es Geltung ab 1. Januar 1811: „Die Einführung des Codex Napoleon

vom 1ten Januar 1811 an, ist bereits von [Dalberg] für das Großherzogtum

Frankfurt verordnet worden“(§37).15 Die früheren Gesetze über alle Materien, die der Code Napoleon regelte, wurden außer Kraft gesetzt. Nachdem der Code Napoleon eingeführt worden war, änderte Dalberg durch den Erlass vom 5. Oktober 1812 die Justizverfassung. Er übernahm das französische Straffgesetzbuch. Der bisherige Dreiinstanzenzug wurde durch den französischen Zweiinstanzenzug ersetzt. Die zivilen Fälle (ab 75 Gulden Streitwert) wurden von dem Departementsgericht und dem Apellationshof behandelt. Friedensgerichts und Departementsgericht betrachteten alle diejenigen Fälle, die dem Friedensrichter zum Urteil vorgelegt wurden. Alle Staatsbürger wurden vom Gericht gleichgestellt.16 1812 wurde die französische Prozessordnung17 anstelle der verschiedenen herrschenden Gerichtsverfahren

eingesetzt, deren Neuerung darin bestand, dass das mündliche und

öffentliche Verfahren zum Grundsatz erhoben wurde. „Tortur war aus der Reihe der Beweismittel gestrichen.“18

14

Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.185. Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd. 1, S.19. 16 Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.186-187 ; Darmstädter, P., Das Großherzogtum Frankfurt..., S.158. 17 Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd.2, S.169-171. 18 Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.187. 15

5

Die Justiz in Großherzogtum Frankfurt hatte durch die Bemühungen Dalbergs einen wesentlichen Fortschritt gemacht. Doch die Zeitgenossen fanden sie „zu französisch“ und nach der Auflösung des Großherzogtums wurde sie wieder abgeschafft. Die großherzogliche Verwaltungsordnung von 1810 sowie die Justizordnung von 1812 setzten die standes- und grundherrlichen Ämter des landsherrlichen gleich. 2.5 Das Militärwesen Die Innenpolitik und Reformen im Großherzogtum wurden nicht nur durch die Nachfolgerschaft eines französischen Prinzen beeinflusst, sondern auch von der Verpflichtung des Rheinbundsouveräns 2800 Mann (§ 3)19 zur französischen Armee zu stellen. Wie sich herausgestellt hatte, gab sich Napoleon nicht damit zufrieden, dass das Kontingent nur einmal gestellt wurde. Vielmehr legte er die Verpflichtung der Rheinbundmitglieder so aus, dass jeder Zeit die volle Stärke des Kontingents zu seiner Disposition zu stehen habe. Trotz der großen Verluste, welche die Kontingente fast aller Rheinbundstaaten erlebten, wagte es Dalberg nicht die Komplettierung seines Wehrbeitrags zu verzögern. Aus diesem Grund führte er 1811 die völlige Umstellung des gesamten Militärs nach dem französischen Beispiel ein. Bereits im Organisationspatent vom August 1810 war die allgemeine Wehrpflicht zum Grundgesetz erhoben worden (§ 41)20. Alle im Alter von 19-25 Jahren - unabhängig von ihrem Stand oder ihrer Religion - waren zum Militärdienst verpflichtet.21 Trotzdem lies Dalberg Befreiung von der Wehrpflicht gegen eine Art Wehrsteuer oder Stellung von Stellvertretern zu. Die Dispensationstaxen

betrugen

durchschnittlich

5%

des

Vermögens.

Seit

der

Gleichberechtigung im Jahre 1812 waren auch die Frankfurter Juden militärpflichtig.22 Außer dem regulären Militär befand sich in jedem Departement die Landmiliz. Ihre Aufgabe war bei Abwesenheit der Armee das Land in Not zu verteidigen und Ordnung zu bewahren. 1812 wurde die Miliz in die Nationalgarde umgewandelt. In der Verfassung der Nationalgarde wurden alle Männer bis 60. Lebensjahr zum Dienst verpflichtet.23 Die Neuordnung des Militärwesens veränderte das Leben der Bürger des Großherzogtums. Im Land wurde jetzt ständige Armee gehalten. Für einige - vor allem arme Leute bedeutete das eine Möglichkeit auf besseres Leben, reiche Bürger sahen darin eine Gefahr für ihre 19

„Das Kontingent des Großherzogtums Frankfurt besteht in 2800 Mann „ , Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd. 1, S.12. 20 „Die Militär-Konskription ist ein Grundgesetz des Großherzogtums Frankfurt“, Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd. 1, S.20. 21 Darmstädter, P., Das Großherzogtum Frankfurt..., S.199 ; Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.254. 22 Arnsberg, P., Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution, hrsg. von O. Schembs, Bd. 1, Der Gang der Ereignisse, Darmstadt 1983, S.277. 23 Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.254-255. 6

familiären Geschäfte. Ab und zu kam es auch zum unmoralischen Handel. Um ihre Söhne vor Wehrpflicht zu schützen, boten die reichen Eltern armen Familien Geld für die Stellvertretung. Zusätzliche Belastung für die Bürger bereiteten ständige Einquartierungen und Truppendurchzüge. Im Zeitraum zwischen Januar und Juni 1813 mussten in Frankfurt über 230 000 Soldaten und 40 000 Pferde untergebracht und versorgt werden.24 Eine der Aufgaben der Regierung war es, Krankenhäuser zu errichten und Magazine anzulegen. Die Wirtschaftslage des Großherzogtums verschlechterte sich von Tag zu Tag. Man sprach sogar vom Staatsbankrott.25 Die Bürger litten unter Verwüstung der Felder, Rückgang des Handels, Knappheit und Teuerung der Lebensmittel, Pressezensur (die Verordnung vom 10. Oktober 1810 ließ nur eine einzige „Zeitung des Großherzogtum Frankfurt“ zu 26) Einschränkung der Redefreiheit, Gehaltsstop bei den Staatsdienern.27 2.6 Das Sozialwesen und die gesellschaftliche Struktur Bedeutende Veränderungen gab es auch in der Sozial- und Wohlfahrtspolitik. Vor allem wurde die Armenpflege durch Dalbergs persönliches Eingreifen entwickelt. Es entstanden Altersheime,

Baumwollspinnereien, Witwenkassen,

Ziegelbrennereien,

Pfandämter,

Suppenanstalten,

Feuerversicherungen,

Waisenhäuser,

Darlehenskassen

für

Handwerke. 2.6.1 Die Adligen Das Organisationspatent brachte völlige Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Vor allem wurden alle Bewohner des Großherzogtums vor dem Gesetz gleichgestellt (§ 11) und hatten gleiche Rechte (§ 13). Ab jetzt durften sie sich als Staatsbürger bezeichnen. Mit anderen Worten durften sie in dem Land Eigentum besitzen. Die Adligen, die vorher Anspruch auf Ämter, Dienste und Würden wie auch Steuerfreiheit genossen, wurden mit anderen Schichten geglichen (§ 14). Sie verloren die politischen Vorrechte. Das eröffnete den Weg zu Ratsstellen in Frankfurt anderen Schichten. Sie wurden auch verpflichtet, alle Lasten des Bürgersdaseins zu tragen. Auch ihren privilegierten Gerichtsstand verloren sie

durch die Verordnung vom 7. Oktober 1812: „Alle auf das

Verfahren in bürgerlichen und peinlichen Rechtssachen sich beziehende ehemalige Gesetze, 24

Roth, R., Stadt und Bürgertum..., S.204. Darmstädter, P., Das Großherzogtum Frankfurt..., S.173-174 ; Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.238-240. 26 Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd.1, S.65. 27 Klötzer, W., Frankfurt am Main von der Französischen Revolution bis zur preußischen Okkupation 1789-1866, in: Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen. Hrsg. Frankfurter Historische Kommission, Sigmaringen 1991, S.313. 25

7

Gewohnheiten und Gebräuche sind abgeschafft.“28 Wie es in dem Organisationspatent steht, wurden besonderen Verfassungen und Privilegien aufgehoben (§ 12). Die Unterscheidung in verschiedene Schichten war damit beseitigt. Die ehemaligen Privilegierten wurden jetzt zu Staatsangehörigen, die sich jedoch durch große Grundbesitze und ihre Abstammung von anderen Bürgern unterschieden.

2.6.2 Die Leibeigenen Auch die früheren Minderberechtigten bekamen volle Rechte. Ihre Lage veränderte sich durch die Abschaffung der Leibeigenschaft (§ 13). Die Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit hörte damit auf. Sie mussten auch nicht mehr Abgaben leisten. Sie konnten Eigentum erwerben, Gewerbe und Handel treiben, so wie Ämter erwerben. Leider stellte sich später heraus, dass die Abschaffung der Leibeigenschaft nur auf dem Papier stattgefunden hat. Laut der Verordnung vom 7. Februar 1811 sollte die Einlösung erst in der Zukunft nach einer Bezahlung durchgeführt werden: „Vordersamst sollen alle Lasten abgelöst werden, welche die Leibeigenen, die Schutzverwandten und die Juden dem Staate und den Gemeinheiten rechtmäßig und herkommlich zu bezahlen haben.“29. Da die Betroffenen meistens kein Geld hatten, um sich frei zu kaufen, wurden nur wenige Ablösungsverträge abgeschlossen (vor allem im Departement Aschaffenburg)30. 2.6.3 Die Beisassen Ähnliches Schicksal traf auf die Beisassen und Schutzverwandten zu. Vor der Gründung des Großherzogtums hatten sie keine Rechte, ihre Freiheit war durch viele Beschränkungen gebunden, sie mussten hohe Abgaben zahlen. Auch der Weg zu Ämtern war für sie geschlossen. Sie durften keinen Grundbesitz besitzen und keinen Handel treiben. Nicht nur das – für ihren Schutz von der Stadt mussten sie Schreib- und Schutzgelder einbringen. Erst das Organisationspatent verkündete Gleichheit aller Untertanen. Die Beisassen wurden mit den Bürgern gleichberechtigt. Nach dem Erwerben der Gemeindenangehörigkeit konnten sie an dem Gemeindevermögen teilnehmen. Doch der Empfang der Gemeindeangehörigkeit hing vom Ablösungsgeld ab (Verordnung vom 7. Februar 1811). Die Beisassen waren zu arm, um sich das zu leisten, deswegen hat sich ihre gesellschaftliche Lage fast gar nicht verändert.

28

Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd.2, S.170. Ebenda, Bd.1, S.294. 30 Darmstädter, P., Das Großherzogtum Frankfurt..., S.246. 29

8

2.6.4 Die Juden Auch die Lage der Juden änderte sich mit der Entstehung des Großherzogtums. Dalberg setzte sich dafür, die endgültige Einbürgerung der Juden durchzuführen. Schon im fürstprimatischen Staat bereitete er den Boden dafür.31 In dem Organisationspatent bekamen sie Bürgerrecht (§ 11). Am 7. Februar 1811 wurde das Judenemanzipationsedikt eingeführt.32 Die Einbürgerung der Juden hing von der Ablösungsgelder ab (Art.1)33. Mit den Ablösungsgeldern sollten sich die Ablösungskommissionen beschäftigen, die für jedes Departement getrennt gebildet wurden (Art. 3)34. Die Summe wurde auf den 40-fachen Betrag von 22 000 Gulden der Jahresabgabe also 880 000 Gulden festgelegt. Bis zur Ablösung sollte noch das alte Recht gelten (Art. 2)35. Die Diskussion über Judenlasten wurde fortgesetzt. Die Finanzlage des Großherzogtums entschied darüber, dass man nach einem Ersatz „für den Ausfall der jüdischen Jahreszahlungen von 22 000 Gulden“36 gesucht hat. Am 9. November 1811 erlies der Großherzog eine Verordnung. Die Ablösungssumme wurde in den 20-fachen Betrag verändert (440 000 Gulden).37 Diese Veränderung war mit der Einführung der Ablösung der Leibeigenschaft verbunden, die mit dem 20-fachen Betrag der Jahresabgaben genehmigt wurde. Die Gleichberechtigung der Juden sollte nicht von Anfang an verletzt werden, deswegen wurde ihre Ablösung auch vermindert. Die Zahlung 200 000 Gulden von der Gesamtsumme sollte möglichst schnell erfolgen. Der Rest wurde in jährlichen Raten nebst 5% Zinsen festgesetzt. Das Judenemanzipationsedikt hatte Geltung nur für die Frankfurter Juden. Ein Jahr später erkauften sich auch die Fuldaer Juden die Gleichstellung mit den Christen durch eine Zahlung von 60 000 Gulden in Obligationen. In allen anderen Teilen des Landes hatten die Juden bis zur Auflösung des Großherzogtums noch keine bürgerlichen Rechte.38 Am 28. Dezember 1811 erschien die „Höchste Verordnung, die bürgerliche Rechtsgleichheit der Judengemeinde zu Frankfurt betreffend“39. Am Anfang liest man: „Nachdem die Judengemeinde zu Frankfurt, in Gemäßheit unserer Verordnung vom 7ten Feb.1811 und zufolge der besonderen an dieselbe unter 9ten November d. J. erlassene Erklärung, die ihr 31

Roth, R., Stadt und Bürgertum..., S.197-201 ; Arnsberg, P., Die Geschichte der Frankfurter Juden..., S.172-188, 244-259 ; Färber, K.M., Klose, A., Riedel, H.(Hrsg.), Carl von Dalberg..., S.101f. 32 Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd.1, S.293-296 ; Arnsberg, P., Die Geschichte der Frankfurter Juden..., S.264 ; Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.264. 33 Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd.1, S.294. 34 Ebenda, S.294. 35 Ebenda, S.294. 36 Arnsberg, P., Die Geschichte der Frankfurter Juden..., S.265. 37 Darmstädter, P., Das Großherzogtum Frankfurt..., S.260. 38 Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.264-265. 39 Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd.1, S.609-611. 9

bisher obgelegenen besonderen Abgaben und Leistungen abgelöset hat; so ist dieselbe und deren Nachkommen nunmehr in die vermöge Unsers Organisationspatents vom 16ten August 1810 §. 11. constitutionsmäßig verordnete Gleichheit der Rechte wirklich eingetreten, und es geniessen von nun an die israelitischen Einwohner der Stadt Frankfurt unter gleichen Verbindlichkeiten auch gleiche bürgerliche Rechte und Befugnisse mit den übrigen christlichen Bürgern“40. Am 30. Januar 1812 wurde in Frankfurt

eine israelitische

Verwaltungsbehörde

(Kommissarius) errichtet.41 Die Hauptaufgabe dieser Behörde bestand aus der Verwaltung des Schulwesens, der Armenanstalten und gleichmäßiger Verteilung der Gemeindelasten. Gleichzeitig wurde die so genannte Notablenversammlung ins Leben berufen, die etwa den konstitutionellen Körperschaften im staatlichen Leben entsprach.42 Die Rechtsgleichheit eröffnete den Juden den Weg ins Staatsdienst und ermöglichte ihnen politische Karriere (z.B. Mayer Amschel Rothschild, Josef Oppenheimer). Sie durften Grundbesitz außerhalb des Gettos erwerben. Man könnte sagen, dass die Juden sich ins alte Bürgerrecht emanzipierten, das nicht mehr existierte, weil alle Bürger vor dem Recht gleich gestellt wurden. 2.7 Das Kirchenwesen Durch den Reichsdeputationshauptschluss wurde der erzbischöfliche Stuhl von Mainz auf die Domkirche von Regensburg übertragen.43 Diese Bestimmung wurde durch die Rheinbundakte bestätigt. In dem Großherzogtum Frankfurt kam es zu einer Änderung des Kirchenwesens. Der Sitz des Erzbischofs wurde nach Frankfurt verlegt. Dafür verpflichtete sich der Großherzog dem Erzbischof von Regensburg jährlich 60 000 Franken zum Unterhalte zu bezahlen (§ 5).44 Für die einzelnen Landesteile wurden eine gemeinsame Verfassung und neue Gesetze eingeführt. Die wichtigste Neuerung war die Gleichberechtigung der Konfessionen (§ 11)45. Dalberg bemühte sich auch, die Konfessionsgegensätze zu überbrücken. „Er sah nicht auf das Trennende, sondern auf das Verbindende der Konfessionen.“46 Die katholische Kirche im Großherzogtum war dem Generalvikariat zu Aschaffenburg unterstellt, mit der Ausnahme von Fulda, wo der Bischof selbst die geistliche 40

Ebenda, S.609-610. Ebenda, Bd.2, S.9-16. 42 Darmstädter, P., Das Großherzogtum Frankfurt..., S.211 ; Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.265 ; Arnsberg, P., Die Geschichte der Frankfurter Juden..., S.272-274. 43 Huber, E. S. (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S.10. 44 Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, S.12. 45 Ebenda, S.14. 46 Darmstädter, P., Das Großherzogtum Frankfurt..., S.207. 41

10

Oberaufsicht ausübte.47 Die evangelischen Pfarrereien (lutherisch und reformiert) wurden zwei

Konsistorien in Hanau (getrennt für die Lutheraner und für die Reformierten)

unterstellt.48 2.8 Das Schulwesen Bis zum Unterrichtsgesetz vom 1. Februar 1812 unterstand das Schulwesen keiner offiziellen staatlichen Aufsicht. Erst hierin wurde für das gesamte Großherzogtum Frankfurt festgelegt, das von nun an das Schulwesen alleinige Sache des Staates sei und die Kirche keinen Einfluss mehr haben sollte.49 In Aschaffenburg war ein staatlicher Visitator angestellt, der alle zwei Jahre sämtliche Schulen besuchen sollte. Im Unterrichtsgesetz wurde auch eine Normalschulung für die Lehrer angekündigt. Sie sollte in Aschaffenburg stattfinden und die Lehrer für das gesamte Großherzogtum ausbilden. Das Unterrichtsgesetz forderte die Errichtung von akademischen Fachschulen. Von vielen in dieser Zeit gegründeten Institutionen kann man das medizinische Institut und die so genannte Senckenbergische Stiftung nennen. Frankfurt galt in der Zeit als kulturelles Zentrum. Hier ist nämlich durch den Zuzug einer großen Anzahl ehemaliger Beamten, Offizieren und Intellektuellen eine neue intellektuelle Schicht entstanden.50 2.9 Das Ende des Großherzogtums Frankfurt Die Verluste Napoleons brachten Dalberg zu Übergabe der Regierung des Großherzogtums an seine Minister. Er selbst verlies am 30. September 1813 Frankfurt und begab sich nach Konstanz51. Vier Wochen später war Aschaffenburg von einem vereinigten bayrisch-österreichischen Heer besetzt. Am 28. Oktober erlies der General dieser Truppeneinheit Graf Wrede eine Proklamation, wodurch die großherzoglichen Gebiete unter bayrische Aufsicht vorläufig gestellt wurden. Am 2. November 1813 besetzte Frankfurt die Koalitionsarmee. Die Verwaltung über das Großherzogtum übte der Zentralrat mit dem Freiherrn vom Stein an der Spitze aus. Er ernannte den österreichischen Prinzen Philipp von Hessen-Homburg zum Generalgouverneur des Großherzogtums Frankfurt. Mit der Besitzergreifung wurden die französischen Gesetze52, die Kontinentalsperre

und die

französische Rechtsprechung beseitigt, politische Zeitungen durften wieder erscheinen. Die 47

Ebenda, S.208-209 ; Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.259-262 ; Klötzer, W., Frankfurt am Main..., S.311. Darmstädter, P., Das Großherzogtum Frankfurt..., S.209 ; Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.262-265. 49 Großherzoglich frankfurtisches Regierungsblatt, Bd.1, S.633. 50 Bilz, W., Die Großherzogtümer..., S.271. 51 Carl von Dalberg starb 1817 in Regensburg. 52 Fehrenbach, E., Politischer Umbruch und gesellschaftliche Bewegung. Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte Frankreichs und Deutschlands im 19. Jahrhundert., Hrsg. H.W. Hahn und J. Müller, München 1997, S.68. 48

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Verantwortlichkeit des Generalgouverneurs für das gesamte Großherzogtum war nicht von langer Dauer. Schon in Dezember 1813 wurde das Departement Hanau dem Kurfürsten von Hessen-Kassel übergeben. Im selben Monat wurden die oberen Behörden aufgelöst. Zur Jahreswende 1813/1814 übernahm nach dem Prinzen von Hessen-Homburg der Prinz Heinrich XIII. von Reuß-Greiz den Gouverneurposten. In dieser Zeit bestand das Großherzogtum aus Aschaffenburg, Fulda und Stadt Wetzlar. Bald fielen Aschaffenburg an Österreich, Fulda an Preußen und die restlichen Gebiete an Bayern zu. Damit war das Ende des Großherzogtums Frankfurt besiegelt. Die Zeit des Großherzogtums brachte für Frankfurt viele Veränderungen. Die Gesellschaftsstruktur wurde durch das Organisationspatent ganz umformt. Die Einführung der französischen Organisation brachte dem Großherzogtum viele Vorteile: die Emanzipation der Juden, die Parität aller christlichen Religionsgemeinschaften, die Abschaffung der Leibeigenschaft, die Gleichstellung aller Bürger vor den Gerichten durch die Abschaffung besonderer Privilegien und Verfassungen, die Lockerung des Zunftzwanges. Andererseits wurde das neue Land der ausbeuterischen Politik Napoleons ausgewiesen. Rechtsmäßig waren alle Untertanen frei und gleich, aber die Freiheit und Gleichheit mussten sie de facto sich kaufen, was die wirtschaftliche Krise fast unmöglich machte.

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