18. Reaktionskinetik „Wie schnell entstehen neue Substanzen aus gegebenen Ausgangsstoffen?“ „Was bestimmt die Reaktionsgeschwindigkeit?“
Kinetik abhängig von Konzentrationen, Temperatur, Katalysator Reaktionsgeschwindigkeit = Konzentrationszunahme oder -abnahme eines Reaktanden pro Zeiteinheit ∆t
A2(g) + X2(g) → 2 AX(g) Reaktionsgeschwindigkeit:
v(AX) = ∆[AX] / ∆t =
d[AX] dt
(Differentialgleichung)
v(AX) oder -v(A2) = -v(X2) 1
Reaktionsgeschwindigkeiten ändern sich während der Reaktion (solange Gleichgewichtszustand noch nicht erreicht ist)
2
Geschwindigkeitsgesetz allgemein:
RG = k . [R1]m [R2]n ... m, n, ... : Reaktionsordnungen Gesamtreaktionsordnung = m + n + ....
z.B.: NH4+ (aq) + NO2– (aq) → N2 (g) + 2 H2O (l) RG = k [NH4+]1 [NO2–]1
m = 1, n = 1 ∑=2
Geschwindigkeitsgesetz: → für jede Reaktion experimentell zu ermitteln, nicht aus Reaktionsgleichung ableitbar! Kein Zusammenhang Stöchiometrie - Exponenten (geht nur wenn Einzelschritte (Elementarreaktionen) bekannt sind) 3
Konzentrationsabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit (RG)
NH4+ (aq) +
NO2– (aq)
→
1x 1x 1x 1x 1/10x 1/5x 3/10x 2/5x
1x 2x 4x 6x 20x 20x 20x 20x
RG = k [NH4+] [NO2-]
N2 (g) + 2 H2O (l)
1x 2x 4x 6x 2x 4x 6x 8x
beim Erhöhen der Konzentration einer Komponente erhöht sich die RG entsprechend
k = Geschwindigkeitskonstante
Berechnung von k: k=
RG [ NH4 ] [ NO ] +
– 2
=
5.4 × 10-7 mol / l s 0.01 mol / l × 0.2 mol / l
= 2.7 × 10-4 l / mol s
4 Einheit für Reaktion 2. Ordnung
Beispiel:
S2O82– (aq) + 3 I– (aq) → 2 SO42– (aq) + I3– (aq) Anfangsgeschwindigkeiten für [S2O82–] und [I–]
Ver-
[S2O82 –]
[I–]
Geschwindigkeit
such 1 2 3
in mol / l 0.038 1x 0.076 2x 0.076 2x
in mol / l 0.060 1x 0.060 1x 0.030 ½x
in mol / l s 1.4 . 10-5 2.8 . 10-5 1.4 . 10-5
[S2O82–] linear
[I–] linear
RG = k [S2O82–] [I–]
1x 2x 1x
„zweiter Ordnung“
5
Beispiel:
2 HgCl2 (aq) + C2O42– (aq) → 2 Cl– (aq) + 2 CO2(g) + Hg2Cl2 (s) Anfangsgeschwindigkeiten für [HgCl2] und [C2O42–]
Ver-
[HgCl2]
[C2O42–]
such 1 2 3 4
in mol / l 0.105 1x 0.105 1x 0.052 ½x 0.052 ½x
in mol / l 0.15 1x 0.30 2x 0.30 2x 0.15 1x
[HgCl2] linear
in mol / l s 1.8 . 10-5 7.1 . 10-5 3.4 . 10-5 8.9 . 10-6
[C2O42–] quadratisch
RG = k [HgCl2] [C2O42–]2
2 N2O5 (g) → 4 NO2(g) + O2(g)
Geschwindigkeit 1x 4x 2x ½x
(!!!)
„dritter Ordnung“
RG = k [N2O5] „erster Ordnung“
6
Reaktionen 1.Ordnung:
A → Produkte
RG =
d[A] dt
= k [A]
× -dt/A
Lösen der Differentialgleichung durch Integrieren mit Grenzen von t = 0 und [A] =[A]0 sowie mit t zur bestimmten Zeit und [A] = [A]t
t d [ A] ∫[ A]0 [ A] = −k ∫0 dt = −kt [ A ]t
(ln [A]t + C) – (ln [A]0 + C) = -k t [A] t = [A] 0 exp (- k t)
[]
mit
dx ∫ x = ln x + C ln
[A] t [A] 0
auf linker Seite folgt:
= -kt
[ A]t = e − kt [ A]0
× [A]0
ln [A]t = -k t + ln [A]0
[]
ln[A] gegen Zeit
7
Halbwertszeit t1/2:
Zeit, nach der 50% des Reaktanden umgesetzt sind
für Reaktionen 1. Ordnung: ln
1/2 [A]
t1/2 =
= - k t1/2 = ln 1/2
[A]
×-1 :k
ln 2 k
t1/2 unabhängig von Konzentrationen!
Beispiel: Radioaktiver Zerfall → Reaktion 1. Ordnung Radioaktivitäts-Halbwertszeiten sind Stoffkonstanten 8
Wie alt ist „Ötzi“?
Bestimmbar mit Hilfe einer Reaktion 1. Ordnung!
t ½ = τ = 5730 a
9
C-14-Methode oder Radiocarbon-Methode 14
C entsteht in Atmosphäre aus 14N:
14
N+n→
C+p
14
C verhält sich chemisch analog zu 12C und 13C, wird zu 14CO2 oxidiert
14
verweilt ca. 70 Jahre in Atmosphäre, vermischt sich mit CO2 der anderen Isotope weitgehend konst. Konzentrationsverhältnis:12C : 14C = 1 : 1.2 × 10-12 Durch Photosynthese: CO2 -Einbau in Biomasse, daher auch konstantes C Konzentrationsverhältnis in lebender Biomasse
14
ab Todeszeitpunkt: kein Zufluss von 14C mehr; Konzentrationsabnahme durch Zerfall: β-Zerfall von 14C:
C →
14
14
N + e
t½ = 5730 Jahre
•Korrektur für 14C-Schwankungen (Verbrennung fossiler Brennstoffe, Atomwaffentests!) durch Abgleich mit Dendrochronologie
10
Reaktionen 2. Ordnung
z.B.:
2 NO2 (g) → 2 NO(g) + O2 (g)
RG (NO2) = k [NO2]2
NO (g) + O3 (g) →
RG (NO2) = k [NO] [O3]
NO2 (g) + O2 (g)
Differentialgleichung, Integration (siehe Atkins, Jones S. 587):
RG =
d[A] dt
= k [A] 2
1/[A] gegen Zeit
1 1 = kt + [A] t [A] 0
dx 1 ∫ x2 = − x + C
Halbwertszeit: 1 1 = k t1/2 + [A] 0 1/2 [A] 0 t1/2 =
1 k [A] 0
konzentrationsabhängig! 11
Reaktionen 0. Ordnung Reaktionsgeschwindigkeit unabhängig von Konzentrationen z. B. Zersetzung mancher Gase an Oberfläche von festen Katalysatoren (Au) 2 N2O (g) → 2 N2 (g) + O2 (g)
RG =
d[A] dt
=k
[A] gegen Zeit
[A] t = - k t + [A] 0
∫ dx = x + C
Halbwertszeit: 1/2 [A] 0 = - k t1/2 + [A] 0 t1/2 =
[A] 0 2k
12
Überblick Kinetische Gleichungen für Reaktionen 0., 1. und 2. Ordnung
c(A) ≡ [A]
13
Beispiel:
[NOCl] gegen t
ln [NOCl] gegen t
1 / [NOCl] gegen t
Test auf 0. Ordnung
Test auf 1. Ordnung
Test auf 2. Ordnung
„Linearer Verlauf?“
14
Reaktionsmechanismen Wie reagieren Moleküle/Atome miteinander? Reaktionsgleichungen
→ Auskunft über Edukte, Produkte; Stöchiometrie
Geschwindigkeitsgesetze → Auskunft über RG als Funktion der Konzentration ABER: keine Aussagen über Reaktionsmechanismus Was geschieht auf molekularer Ebene?
z.B.:
• Einzelschritte? • Zwischenstufen, -produkte?
2 NO (g) + F2 (g) → 2 NOF (g) verläuft über Zwischenstufe:
NO (g) + F2 (g) → NOF (g) + F (g) NO (g) + F (g)
→ NOF (g)
2 NO (g) + F2 (g) → 2 NOF (g) z.B.:
CO (g) + NO2 (g) → CO2 (g) + NO (g) verläuft einstufig, d.h. in einem einzigen Schritt
15
mechanistische Deutung einstufiger Reaktionen: Kollisionstheorie Chemische Reaktionen als Folge von Stößen gedeutet A2 (g) + X2 (g) → 2 AX (g)
Kollision führt zu Bindungsbruch (A-A, X-X) und Bindungsbildung (A-X) Reaktionsgeschwindigkeit: proportional zu Zahl der Kollisionen pro Zeiteinheit
Wie lässt sich das begründen? 16
Zahl der Kollisionen in einem Gas ist sehr groß: in 1 Liter, bei p = 1 atm und T = 298 K → ca. 1031 Kollisionen pro Sekunde! Warum laufen dann nicht alle Gasreaktionen sehr schnell ab? Nicht jede Kollision führt zur Reaktion! entscheidend: - richtige Stoßrichtung - Mindestenergie effektive Kollisionen experimentelle Beobachtung: bei allen chemischen Reaktionen nimmt RG mit Temperatur zu!
T2 > T1
17
Theorie des Übergangszustands •Effektive Kollision führt zu kurzlebigem Übergangszustand •es bildet sich „aktivierter Komplex“:
A-A und X-X Bindung geschwächt A-X Bindungen partiell gebildet
aktivierter Komplex: -instabiler Verband von Atomen -nicht isolierbar -Zustand mit relativ hoher Epot
18
Differenz zwischen Epot der Reaktanden und Epot des aktivierten Komplexes: „Aktivierungsenergie“ Ea •Energiebarriere, die auf dem Weg von den Edukten zu den Produkten überwunden werden muß •Energiebarriere: z.B. Abstoßung der Elektronenwolken bei Annäherung von A2 und X2 •Deutung im Rahmen der Kollisionstheorie: Aufwand für erfolgreiche Kollision (→ Ekin wird in Epot umgewandelt) Vergleich mit Reaktionsenergie ∆U: → ∆U ist Bilanz für Gesamtreaktion Differenz der Energieinhalte von Edukten und Produkten → ∆U ergibt sich auch als Differenz der Aktivierungsenergien für Hin- und Rückreaktion: ∆U = Ea,h - Ea,r 19
Reaktionsprofile für exotherme bzw. endotherme einstufige Reaktion
20
Elementarschritte bestimmen Geschwindigkeitsgesetze Elementarschritt: einzelner Reaktionsschritt Einstufige Reaktion hat einen Elementarschritt („Einschrittreaktion“) Reaktionsschritt: Zerfall oder Stoß
ein Teilchen beteiligt
zwei oder mehr Teilchen beteiligt
bei Einschrittreaktion: Zahl der beteiligten Reaktanden-Teilchen bestimmt Reaktionsordnung → erscheinen als Exponenten im Geschwindigkeitsgesetz
21
Geschwindigkeitsgesetz: liefert „Ordnung einer Reaktion” → empirische Größe, experimentell ermittelt Reaktionsschritte: liefern „Molekularität” von Elementarschritten → Zahl der beteiligten Teilchen; → folgt aus postuliertem Reaktionsmechanismus Vorgänge auf molekularer Ebene, i.a. nicht beobachtbar → Hypothese Bei Einschrittreaktionen: einfacher Schluss von Molekularität auf Ordnung einer Reaktion Bei komplexen Mehrschrittreaktionen: keine direkte Beziehung zwischen Molekularität und Ordnung; erst nach Aufstellen eines Reaktionsmechanismus über alle Zwischenschritte läßt sich Geschwindigkeitsgesetz verstehen! 22
•Unimolekulare Reaktion ein Reaktanden-Molekül zerfällt oder lagert um; RG hängt von Konzentration des einen Reaktanden ab
•Bimolekulare Reaktion: zwei Reaktanden-Moleküle kollidieren → Reaktion folgt; Verdopplung von [A] oder [X] verdoppelt Zahl der Stöße: RG proportional zur Konzentration beider Reaktanden
•Trimolekulare Reaktion: drei Reaktanden-Moleküle kollidieren → Reaktion folgt; (seltener Fall !!) RG hängt von der Konzentration der drei Reaktanden ab
z.B.: 2 NO (g) + O2 (g) → 2 NO2 (g)
RG(NO2) = k [NO]2 [O2] 3.Ordnung
aber: keine trimolekulare Reaktion! läuft über Zwischenschritte: 2 NO → N2O2 N2O2 + O2 → 2 NO2
23
bei Mehrschrittreaktionen:
→ ein Schritt ist geschwindigkeitsbestimmend → „Flaschenhals” der Reaktion
Beispiel:
Gesamtreaktion: 2 NO + F2 → 2 NOF 1. Schritt (langsam): NO + F2 → NOF + F
RG (NOF) = k [NO] [F2] RG1(NOF) = k1 [NO] [F2]
2. Schritt (sehr schnell, da F-Atom sehr reaktiv!): NO + F → NOF
RG2(NOF) = k2 [NO] [F]
Erster Schritt bestimmt die Gesamtgeschwindigkeit! RG (NOF) = RG1 (NOF) k = k1 24
Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit Beispiel: Umlagerung von Methylisocyanid
ln k gegen 1/T
25
(Daten aus Tabelle)
ln k = Achsenabschnitt + Steigung • ln k = ln A - Ea / RT
1 T
R = 8.314 J mol-1K-1
Entlogarithmiert:
k = A • exp (- Ea / RT)
Arrhenius-Gleichung
Ea: Aktivierungsenergie A: reaktionsspezifische Konstante Geschwindigkeitskonstante hängt exponentiell von T ab kleine Änderung von T → große Änderungen für k Faustregel:
Aktivierungsenergien ~ 60 ... 250 kJ/mol ∆T 300K → 310K:
bei Ea = 60 kJ/mol
→
bei Ea = 250 kJ/mol →
Faktor 2 für k Faktor 25 für k
Kurve wird steiler bei größerer Aktivierungsenergie, d.h., k nimmt bei Temperaturerhöhung 26 stärker zu.
Katalyse Katalysator → ändert Reaktionsgeschwindigkeit ohne selbst eine bleibende chemische Veränderung zu erfahren i.a. zur Beschleunigung von Reaktionen eingesetzt
Katalysator senkt die Aktivierungsenergie einer chemischen Reaktion Deutung: mit Katalysator wird ein anderer Reaktionsweg eingeschlagen 27
Beispiel:
2 H2O2 → 2 H2O + O2
Zersetzung von H2O2
mit Br2 als Katalysator: Br2 + H2O2 → 2 Br – + 2 H+ + O2 2 Br – + H2O2 + 2 H+ → Br2 + 2 H2O gesamt:
2 H2O2 → 2 H2O + O2
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Katalysator: • senkt die Aktivierungsenergie • beschleunigt die Reaktion • beschleunigt Hin- und Rückreaktion → AX ) ( reversible Reaktion A + X ← • verschiebt nicht die Gleichgewichtslage • ändert nicht ∆U oder ∆H der Reaktion (Differenz zw. Edukten und Produkten) • führt zur Bildung von reaktiven Zwischenstufen • wird bei der Reaktion nicht verbraucht 29
Stratosphärisches Gleichgewicht von Ozonbildung und -spaltung gestört durch katalytisch wirkende Fremdstoffe Beispiel 1: Ozonabbau katalysiert durch Cl-Atome Cl gebildet aus FCKWs:
Beispiel 2: Ozonabbau katalysiert durch NO-Moleküle, stammt aus Flugzeugabgasen 30
Heterogene Katalyse Katalysator befindet sich in anderer Phase wie Reaktionskomponenten Beispiel: Gasphasen-Reaktion mit festem Katalysator z.B.:
Reinigung von Automobilabgasen Umsetzung von NO an Platin-Oberfläche: 2 NO → N2 + O2
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In der Praxis als Katalysator eingesetzt:
Platin-Rhodium Legierung Katalysierte Reaktionen: O2
CO, Cx Hy → NO, NO2 →
CO2 + H2O N2
bzw.: 2 CO + 2 NO →
2 CO2 + N2
Katalysatorgift: Blei zerstört katalytische Wirksamkeit → Verwendung nur mit unverbleitem Benzin 32
Biologische Katalysatoren: Enzyme → katalysieren biochemische Prozesse z.B. Verdauung, Atmung, Biosynthese, Regelkreise, Stoffwechsel
allgemein: Umsetzung von einem „Substrat“ zu einem Produkt; Substrat wird dazu temporär von Enzym gebunden → pharmazeutisch interessant: Einflußnahme auf Krankheitsbild durch Einflußnahme auf Enzyme, z.B. durch Hemmung („Inhibition“) der katalytischen Wirkung von Enzymen kompetitive Hemmung: Inhibitor konkurriert mit Substrat um Bindestelle (“aktives Zentrum”) nicht-kompetitive Hemmung: Inhibitor bindet nicht in Substratbindestelle, verändert Enzym aber so, daß katalytische Wirkung ausbleibt 33