1995-5 R.lo, Ethische Aspekte Der Raumfahrt

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R.E.Lo, Institut für Luft- und Raumfahrt der TU-Berlin:

"Ethische Aspekte der Raumfahrt" Seminar bei K.D.St.V.Borusso-Saxonia, am 3.Mai 1995 Wenn ich hier über die RF und einige ihrer ethischen Aspekte sprechen möchte, hat das seinen Grund darin, daß die RF häufig verkannt wird, indem angenommen wird, sie sei nur einer von vielen High-Tech Tummelplätzen. Dies ist nicht richtig. Vielmehr ist die Raumfahrt ein integraler Bestandteil der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Sie hat Aspekte, die nicht nur hoch interessant sind, sondern die darüber hinaus langfristig auch von sehr großer Bedeutung sein werden. Damit rückt die RF in eine Dimension, in der ethische Gesichtspunkte bei der Wahl von Handlungsalternativen eine große Rolle spielen oder zumindest spielen sollten. Um sich mit diesem Problemkreis auseinander zu setzen, muß man wissen, was RF ist und festlegen, was Ethik in diesem Zusammenhang bedeuten soll. Was RF ist, läßt sich am leichtesten über die Gründe darlegen, warum und wozu RF betrieben wird, und ein kurzer Blick auf die Entwicklung der RF wird dies weiter verdeutlichen. Beantworten wir also folgende Fragen: " Warum RF?“ „Was ist RF und wie könnte sie sich weiter entwickeln?" und weiters "Was bedeutet Ethik in diesem Zusammenhang?" Vordergründig ist RF Mittel zum Zweck. Wir betreiben sie, um im weitesten Sinne des Wortes zur Verbesserung der menschlichen Lebensqualität beizutragen. Die Lebensqualität hat materielle und immaterielle Bestandteile und in beiden Bereichen wirkt die RF. Es ist eine Charakterfrage, ob ein Promotor der RF eher auf den Nutzen von Anwendungssatelliten, also z.B. von Nachrichtensatelliten hinweist, oder lieber vom Forscherdrang des Menschen spricht und von seiner Berufung, sich den Herausforderungen der Natur zu stellen. So oder so, die Aktionsfelder der RF werden zweckmäßiger Weise in drei Gruppen dargestellt: • Es gibt wissenschaftliche Missionen (also wissenschaftliche Erdbeobachtung, Mikrogravitationsforschung, Mond- und Planetenforschung, Astronomie und Astrophysik), • kommerzielle Missionen (kommerzielle Erdbeobachtung einschließlich Meteorologie, Telekommunikationssatelliten mit Navigation, angewandte Mikrogravitation) • und militärische Missionen (militärische Erdbeobachtung, militärische Weltraumüberwachung, raumgestützte Abwehrsysteme) Die mit diesen drei Aktionsfeldern einher gehenden Systeme sind in drei Klassen einteilbar: • Die eigentlichen Raumfahrtsysteme oder Raumfahrzeuge: Satelliten und Sonden • Transportinfrastruktur bestehend nicht nur aus Raumtransportsystemen, also den nichtwiederverwendbaren Einwegraketen, den wiederverwendbaren Raumtransportern und den künftigen raumstationierten Transferfahrzeugen, sondern auch aus der zugehörigen BodenInfrastruktur, d.h. z.B. terrestrische Raumflughäfen und Erdefunkstellen R.Lo, Ethische Aspekte der Raumfahrt

2 • Künftige extraterrestrische Infrastruktur: Raumstationen in Orbits und auf anderen Himmelskörpern. Aus diesen Aufzählungen folgen bereits die Antworten nach dem "Warum?" der RF, soweit es die vordergründigen RF-Anwendungen betrifft, in denen sie wissenschaftlichen, kommerziellen und militärischen Nutzen stiftet. Darüber hinaus zeigt aber die Geschichte der RF, daß daneben noch andere, subtilere Motive eine Rolle spielten. Die Geschichte der Raumfahrt beginnt 1942 mit dem ersten Flug einer deutschen militärischen A4 Rakete, welche die Grenzen der Erdatmosphäre hinter sich ließ und in Höhen (über 80 km) vorstieß, die heute auch juristisch als Weltraum deklariert sind. Die damit demonstrierte Raketentechnik ist unabdingbare Voraussetzung der RF und an der Tatsache, daß ihre Entwicklung der Militärtechnik zu verdanken ist, geht kein Weg vorbei. Auch die Raketen, mit welchen dann 15 Jahre später 1957 und 1958 die ersten Satelliten von den Russen und Amerikanern gestartet wurden, waren das Produkt militärischer Entwicklungen, nämlich umgebaute interkontinentale Geschosse. Ihr Einsatz für zivile Zwecke erfolgte primär aus Gründen der Demonstration technologischer Macht. Unter den Rivalen des Kalten Krieges entspann sich dann ein Wettkampf um das Primat im Weltraum, der den USA 1969 ihren größten Triumph und 1986 ihre bitterste Niederlage bescherte. Die Landung der ersten Menschen am Mond 1969 war die Krönung des APOLLO Programms, des auch heute noch größten zivilen Projektes aller Zeiten (mit 400 000 Arbeitsplätzen in 20 000 Betrieben). Für dieses Projekt war die größte Rakete aller Zeiten, SATURN V, entwickelt worden. Sie wurde insgesamt 13 mal ohne Fehler gestartet, darunter 6 mal für erfolgreiche Mondlandungen. Das APOLLO Programm war zweifellos ein ungeheurer wissenschaftlicher Erfolg. Darüber hinaus gibt es Rechnungen, die es auch als wirtschaftlichen Erfolg hinstellen, denn, so die Argumentation, jeder Dollar, der in diesem Programm ausgegeben wurde, habe das 7 bis 10fache der Investitionen in Form neuer Technologien und Produkte in die Volkswirtschaft zurück fließen lassen [1]. (Motto: "Das Geld wird ja nicht auf den Mond geschossen, es bleibt auf der Erde!"). Gleichwohl wurde durch den Betrieb dieser Riesenraketen klar, daß die Transportinfrastruktur auf preiswertere Mittel gestützt werden müsse und als Resultat dieser Überlegungen entwickelten die USA in den 70er Jahren das Space Transportation System SPACE SHUTTLE. Dessen zumindest teilweise Wiederverwendbarkeit sollte der Schlüssel zum billigeren Transport sein. Das STS wurde 1981 in Betrieb genommen und sehr bald merkte man, daß die Früchte der Wiederverwendbarkeit nur zusammen mit einer möglichst hohen Startfrequenz zu ernten waren. Mitte der 80er Jahre waren die USA gerade dabei, als Folge dieser Erkenntnis alle älteren Raketen außer Dienst zu stellen, als 1986 die CHALLENGER Katastrophe passierte und man zu der bitteren Erkenntnis gezwungen war, daß es Raumtransportsysteme mit 100%iger Zuverlässigkeit wohl nicht gäbe. Für Systeme mit Astronauten an Bord, bemenschte Systeme, bedeutete dies so aufwendige Startvorbereitungen, daß das STS auch heute noch zu den teuersten Transportmitteln der RF gehört. Während der STS Entwicklung hatten die USA abgesehen vom kurzen SKYLAB Programm und der noch kürzeren amerikansich-russischen APOLLO-SOYUZ Kooperationsübung keine bemenschten Raumprogramme laufen. Sie brachten aber einige wissenschaftliche Planetenforschungsmissionen auf den Weg, von denen vor allem jene zum Mars (VIKING) und zu den äußeren Planeten (PIONIER, VOYAGER) überaus erfolgreich wurden. Die UdSSR tat Gleiches, hatte ihre Erfolge aber vor allem bei den inneren Planeten und hier vor allem bei der Venus (VENERA Sonden). Daneben betrieb die UdSSR aber sehr R.Lo, Ethische Aspekte der Raumfahrt

3 konsequent ein ständiges Programm bemenschter Raumstationen in LEO, d.h. in erdnahen Umlaufbahnen (Low Earth Orbit). Abgesehen davon, daß Astronauten in LEO Erdbeobachtung betreiben und Experimente durchführen können, sind sie aber auch selbst Forschungsobjekt. Das Verhalten des Menschen unter anhaltender Schwerelosigkeit muß genau bekannt sein, wenn man Reisen zu anderen Planeten durchführen möchte. Es lag damals also die Annahme nahe, das die Russen nach der Schlappe beim Wettrennen zum Mond, nun eine spektakuläre Marsexpedition planten. Es verwundert daher nicht daß die Amerikaner 1983 den Bau einer Raumstation ("FREEDOM") zu planen begannen, um im Westen mit den Russen wieder gleichzuziehen. Ein paar Jahre später demonstrierten die Russen dann mit zwei erfolgreichen Starts der ENERGYA Großrakete ihre Fähigkeit, bis zu 100 Tonnen schwere Nutzlasten nach LEO zu transportieren. Dies ist unabdingbar, wenn man zum Mars fliegen möchte. Mars Raumschiffe werden in LEO zusammengesetzt und starten von dort aus. Wieder reagierten die Amerikaner alsbald mit korrespondierenden Plänen. Sie begannen mit der Entwicklung einer eigenen großen Rakete (dem sog. National Launch Vehicle NLV) und verkündeten das Programm "Highway to Space", welches über die LEO-Raumstation zum Mond und zum Mars führen sollte. Die RF-Politik der Europäer kann in den drei Jahrzehnten der bisher geschilderten RF-Geschichte am besten als ein ständiger Balanceakt zwischen Kooperation und Konfrontation beschrieben werden. Nach einem in den 60er Jahren mißlungenen Versuch der Entwicklung einer europäischen Rakete wurde in den 70ern dann vor allem auf Betreiben der Franzosen erfolgreich die ARIANE Rakete gebaut. Daneben beteiligten sie sich auch am Space Shuttle Programm mit der Entwicklung des SPACELAB. Dieses Weltraumlabor war bzw. ist ein Instrument der Mikrogravitationsforschung und im Einsatz vollständig vom STS abhängig. Die ungünstige Entwicklung, welche die Mikrogravitationsforschung nahm, und die Probleme mit dem STS führten zu leidvollen Erfahrungen für die Europäer: anstelle der ursprünglich erhofften fast wöchentlichen Einsätze des SPACELAB wurde dieses nur im Abstand von Jahren einige Male verwendet. Diese Erfahrungen waren es wohl, welche die europäische Raumfahrtbehörde ESA veranlaßten, die Beteiligung an der internationalen Raumstation FREEDOM wieder sehr ambivalent zu gestalten. Das COLUMBUS Programm sah neben einem fest mit FREEDOM verbundenen Modul auch frei fliegende, rein europäische Raumstationsteile vor. Dazu brauchten die Europäer folgerichtig auch ein eigenes Transportgerät, nämlich die ARIANE V und darüber hinaus, zum Transport europäischer Astronauten, ein eigenes Shuttle, den Raumgleiter HERMES. Damit nahm sich Europa einen gewaltigen Sprung vor. Die Rückkehrtechnologie wäre leichter als mit dem aerodynamisch landenden HERMES mit einer ballistischen Kapsel zu akquirieren gewesen. Dies war die Vorgehensweise, welche die Volksrepublik China, die vierte Weltraummacht, gewählt und für den Materialrücktransport erfolgreich entwickelt hatte. Nach den USA, der UdSSR, Europa und China sind noch Japan und Indien als Raumfahrtnationen zu nennen. Japan hat ein kleines, aber sehr ehrgeiziges und viel beachtetes rein ziviles Weltraumprogramm. Es gibt ähnlich wie Deutschland weniger als ein Zehntelprozent seines Bruttosozialprodukts für RF aus (1992: 1,045 Mia $ = 0.07% des BSP). In den USA und der UdSSR lagen die Vergleichszahlen langfristig stabil 3-4 mal höher (USA: ca. 14 Mia.$ oder 0.24% des BSP, Rußland 1992 5,6 Mia.$ = 1,2%) und dieser Faktor verdoppelt sich noch, wenn die militärische RF mit hinzugezählt wird. Diese Situation spiegelt sich in den jährlichen Startraten wieder: bis 1989 wurden jährlich ca. 120 Weltraumstarts durchgeführt. Davon entfielen 2/3 bis 3/4 auf die UdSSR, der Rest auf USA, abgesehen von meist weniger als 5%, die auf Europa entfielen. Alle anderen

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4 Raumfahrer beteiligten sich nur mit sporadischen Starts, darunter seit 1989 auch das noch nicht erwähnte Israel. Die kurze Geschichte der RF ist nun schnell mit einer Schilderung des gegenwärtigen Zustands abgeschlossen. Mit dem Ende des Kalten Krieges und ein Jahr darauf der Auflösung der UdSSR veränderte sich neben vielem anderem auch das Paradigma der Konfrontation in der RF, welches jenem der Kooperation Platz machte. Nach SOYUZ und SALYUT haben die Russen mit MIR schon die achte Raumstation in der jetzt dritten Generation in Betrieb. Sie wurde das Reiseziel zahlreicher internationaler Astronautenflüge. Besuche mit dem Space Shuttle stehen im Sommer 1995 unmittelbar bevor. Die Amerikaner gaben das Projekt FREEDOM auf. Statt dessen wird es eine Raumstation ALPHA geben, bei der die Russen wesentliche Anteile haben. Die ESA Beteiligung wird sich auf COF beschränken, die COLUMBUS ORBITING FACILITY. Vom alten Programm ist in Europa nur ARIANE V geblieben, die Ende dieses Jahres ihren Jungfernflug absolvieren soll. Die Amerikaner haben keine eigene Großrakete in Entwicklung. Sie werden hier noch hinund hergerissen zwischen dem Wunsch nach Autarkie einerseits und andrerseits jenem, durch Kooperation Geld zu sparen. Ähnlich steht es bei kleineren Raketen zum Personentransport. Das aufwendige, militärisch orientierte Programm eines National Aerospace Planes NASP wurde in USA aufgegeben und in Deutschland wurde das Konzept des SÄNGER Raumtransporters vorläufig auf Eis gelegt. Damit sind Transportinfrastruktur und orbitale Infrastruktur in ihrem heutigen Zustand beschrieben. Bei den Raumfahrtanwendungen bietet es sich an, den Blick vom Status Quo jeweils gleich ein wenig in die Zukunft gleiten zu lassen. Eine der wichtigsten Raumfahrtanwendungen ist die Telekommunikation und die mit ihr verwandten Gebiete. Hier hat man sich an den weltweiten Nachrichtenverkehr gewöhnt, der die Erde zu einem "Global Village" gemacht hat. Ebenso alltäglich sind die von Wettersatelliten gelieferten Bilder im Fernsehen. Die nächste Entwicklung wird hier weltweite mobile Punktzu-Punkt Kommunikation sein und danach die globale Verkehrskontrolle und -Leitung. Eine zweite sehr wichtige RF-Anwendung sind ihre Beiträge zur Umweltüberwachung. Das umfangreiche NASA Programm "Mission to Planet Earth" ist auf Jahrzehnte ausgelegt und wird auf Vorschlag Japans zu einem internationalen Gemeinschaftsprogramm erweitert werden. Andere Erdbeobachtungsprogramme dienen der Erfassung der Entwicklung des „Global Change“, also aller langfristigen Veränderungen auf der Erde. Bei den wissenschaftlichen Missionen betreibt die NASA noch aus der Zeit der nationalen Großprojekte orbitale astronomische Observatorien. Hier gehört die Zukunft aber den kleineren Geräten, die unter dem neuen Motto "Öfter, besser, billiger" ein flexibleres RFProgramm ermöglichen sollen. Dieses Motto ist eine der Konsequenzen der leidvollen Erfahrungen, die man in der Vergangenheit mit Großprojekten wie etwa der in deutschamerikanischer Kooperation entstandenen Jupitersonde GALILEO machen mußte. GALILEO wird dieses Jahr beim Jupiter System ankommen und hoffentlich erfolgreich mit dessen Erforschung beginnen. Zahlreiche kleine Planetensonden sind in Vorbereitung oder Planung, viele davon als internationale Kooperationsprogramme. Konkrete Pläne für die Entwicklung des Mondes oder den bemenschten Flug zum Mars gibt es aber nicht. Jedoch gibt es zahlreiche Vorschläge, genau dieses im Rahmen eines großen Internationalen RF-Programms zu tun. Die Proponenten eines solchen Programms weisen darauf hin, daß dieses bestens geeignet wäre

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5 • den dringend erforderlichen Technologietransfer in die dritte Welt auf friedliche Weise zu fördern und diese Länder dadurch davon abzuhalten, sich über die Militärtechnik bedienen zu wollen • das nationalstaatliche ethnozentrierte Denken aus der internationalen Völkergemeinschaft vertreiben zu helfen • den Mond zu entwickeln und als riesige natürliche Raumstation zu nutzen. •• Am Mond könnte ein völlig störungsfrei arbeitendes astronomisches Observatorium betrieben werden. •• Der Mond könnte industrialisiert und als völlig umweltunempfindlicher Arbeitsplatz genutzt werden, wo Risikoentwicklungen aller Art ohne jede Gefahr für die Erde durchgeführt werden könnten. •• Der Mond könnte zum Exporteur konventioneller Baumaterialien zur Anwendung im cislunaren Raum werden (z.B. Aluminium für den Bau solarer Großkraftwerke in der geostationären Bahn. Der Transport dorthin ist vom Mond aus unvergleichlich viel billiger als von der Erde aus). •• Der Mond enthält große Mengen von Helium 3, das einer der umweltfreundlichsten thermonuklearen Fusionsbrennstoffe ist. Helium 3 ließe sich bergbaumäßig aus dem Mondstaub gewinnen. Eine Space Shuttle Ladung pro Jahr reicht um den Energiebedarf eines irdischen Kontinents im Umfang der heutigen USA zu befriedigen. •• Schließlich könnte der Mond für den Weltraumtourismus genutzt werden. Mit diesem Ausblick in die Möglichkeiten der Zukunft endet dieser kurze Abriß der Geschichte der RF und ihrer Inhalte. Der Kreis schließt sich und wir sehen, daß die RF nochmals weit mehr ist als nur Mittel zum nützlichen Zweck oder Mittel zur Demonstration nationaler Stärke. Vielmehr ist sie darüber hinaus ein immanenter Bestandteil der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft [1]. Man kann dies auch unmittelbar einsehen. Dazu muß man nur die Entwicklung der Menschheit und ihre Ausbreitung auf der Erde verfolgen. Es wird dann schlagartig evident, daß RF nur die logische Fortsetzung, die natürliche Extrapolation dieses Prozesses darstellt. So, wie die Gestade der Weltmeere früher eine Herausforderung zur Überwindung von Grenzen und zur Erforschung der unbekannten Ferne darstellten, so liegen jetzt Mond und Planeten und das ganze Weltall als Herausforderung und Verlockung vor uns: die technischen Mittel stehen zur Verfügung, es bedarf nur des politischen Willens. Damit aber wird die RF ein Bestandteil der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung! Daß hier ethische Probleme zu erwarten sind, ist also leicht einzusehen. Wenden wir uns nun der Frage zu, was Ethik im Zusammenhang mit der Entwicklung der RF bedeutet. Ethik ist bekanntlich die philosophische Basis des sittlichen Handelns. Man unterscheidet die Gesinnungsethik von der Erfolgsethik. Erstere bewertet die Motive, aus denen eine Handlung hervorgeht, letztere die Wirkungen, welche sie erzeugt. Als Grundlage der Bewertung wurden im Laufe der geschichtlichen Entwicklung der Philosophie zahlreiche Ziele und Maßstäbe entwickelt, doch das eigentliche Ziel war letztendlich immer die menschliche Glückseligkeit. Von Kant wurde die Ethik dann auf eine pragmatische Basis gestellt. Sein kategorischer Imperativ ist das Fundament einer Moral der Vernunft. Wenn wir uns bezüglich der RF fragen, welche Ziele unsere Handlungen haben oder nicht haben sollten, sind wir gehalten, Vernunft walten zu lassen und dürfen dabei nichts Geringeres als das Wohlergehen der

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6 Menschheit als Maßstab nehmen indem wir gesamtgesellschaftliche Motive und gesamtgesellschaftliche Wirkungen erwägen. • Ich werde in diesem Essay die ethische Problematik im Kontext mit der RF aus deren Wirkung auf künftige Zustände ableiten. D.h. ich werde erfolgsethische Argumente gebrauchen, nicht gesinnungsethische. Das bedeutet, daß hier nicht die mehr oder weniger edlen Motive eine Rolle spielen sollen (solche, die vom kühnen Forscherdrang bis zum göttlichen Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, reichen), sondern daß die ethische Problematik aus heutigen und möglichen künftigen Zuständen abgeleitet werden soll. Der heutige Zustand ist durch verschiedene, wohlbekannte, sehr unerfreuliche und bedrohliche Symptome gekennzeichnet. In einer beliebig verlängerbaren Liste möchte ich nur folgende erwähnen: Bevölkerungsexplosion, Umweltverschmutzung, Waldsterben, Vernichtung der Regenwälder, Ozonloch, Klimakatastrophen, globale Erwärmung, Energiekrisen, zunehmende alte und neue Seuchen, Kriege, internationaler Terrorismus und, last but not least, Fundamentalismus. Angesichts der Absolutwerte und der Gradienten dieser Symptome kann man von einer Transitionszeit sprechen [2]. Wir leben in einer weltgeschichtlich einmaligen Epoche, dadurch gekennzeichnet, daß eine Spezies an die Grenzen der natürlichen Evolution gestoßen ist, sozusagen den Wettlauf der Arten gewonnen hat. Paradoxerweise stammen alle unsere Schwierigkeiten von zwei der vier Eigenschaften, die uns zu diesem Sieg verholfen haben. Es sind dies: • Unsere Intelligenz • Unsere Fingerfertigkeit • Unsere Fruchtbarkeit • Unser Hang zur aggressiven Differentiation Ich unterstelle, daß Intelligenz und Fingerfertigkeit weiterhin nützlich sind. Bei den beiden anderen gilt aber: was bisher nützlich war, ist jetzt schädlich. Unser Vermehrungstrieb war Millionen Jahre lang eine erfolgreich Waffe gegen alle möglichen natürlichen Gefahren. Jetzt haben wir unsere natürlichen Feinde weitgehend ausgeschaltet und das Resultat ist eine Übervölkerung, der wir die eine Hälfte der oben aufgezählten Übel verdanken. Die andere stammt von unserer aggressiven Anpassungsfähigkeit, die es uns erlaubte, in einer unglaublichen Vielzahl verschiedener Habitate und Klimazonen heimisch zu werden, dabei andere Spezies zu verdrängen und immer in speziesinterner Konkurrenz den Stärkeren als Sieger am Platz zu lassen. Das Zellensystem bewährte sich von der Familie über die Sippe und Gruppe, das Volk und die Nation bis hin zu den Staatenbünden. Wir sprechen Tausende verschiedener Sprachen und Dialekte und sind in noch mehr ethnische, soziale und religiöse Gruppen gespalten. Dies bescherte uns immer schon Kriege und blutige Auseinandersetzungen, aber es ersetzte sicher auch in gewissem Maß die natürliche Auslese. Homo Homini Lupus. Heute besteht die Gefahr, daß uns dadurch die einzige Möglichkeit genommen wird, etwas Wirkungsvolles gegen die Bevölkerungsexplosion zu tun, nämlich den Lebensstandard weltweit langfristig anzuheben. • Zusammenfassend: wir müssen umlernen, ab sofort brauchen wir nicht m e h r , sondern b e s s e r e Menschen!

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7 Dies ist eine sehr schwierige, aber auch eine zutiefst ethische Forderung, die natürlich alle Bereiche der Gesellschaft zutiefst berührt. Wenn ich hier die RF im Kontext mit der Problematik ethischer Entscheidungen heranziehe, dann nicht um diese über zu bewerten, sondern weil sie in der Tat auf einzigartige Weise geeignet ist ein klares, von anderen Faktoren unverwischtes Bild der Konsequenzen falscher Entscheidungen zu geben. Die der Eroberung der Erde und die Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung ist eine Geschichte grausamer Irrungen und Wirrungen. Spätestens dann, wenn man sich vor Augen führt, wohin diese Geschichte mündet, nämlich in den heutigen Zustand, drängt sich eine schwerwiegende Frage auf, nämlich, ob wir die Fehler, welche wir auf der Erde gemacht haben, im Weltraum wiederholen sollten? Besteht diese Gefahr überhaupt? Wenn ja, woraus besteht sie? Wenn also die Fortsetzung der Eroberung der Erde in den Weltraum hinein ethische Probleme mit sich bringt, welche sind dies? Um diese Frage zu klären, brauchen wir ein konkretes Szenario einer möglichen zukünftigen Entwicklung. Dieses ist schnell ausgebreitet. Nehmen wir an, es kommt zur Entwicklung des Mondes. Man baut eine Mondbasis, zuerst ein Observatorium, dann Mondfabriken, in denen Aluminium mit Sonnenenergie aus den reichlich vorhandenen Erzen gewonnen wird. Das Aluminium wird in die geostationäre Bahn gebracht, wo große Solarkraftwerke aufgebaut werden, die die Erde mit Sonnenstrom versorgen. Es entsteht eine zuerst kleine, dann immer größer werdende Mondkolonie, die sich vom Verkauf mondspezifischer Produkte ernährt. In den Maren wird Helium3 abgebaut und zur eigenen Energieversorgung und jener der Erde verwendet. Neben der Mondentwicklung laufen parallel die Stufen der Marsentwicklung. Man entwickelt am Mond ohne Umweltprobleme nukleare Antriebe, die den Flug zum Mars von seinem riesigen Zeitaufwand befreien. Er dauert dann nicht mehr viele Monate lang, sondern nur noch wenige Wochen. Es entsteht im Lauf der Jahre erst eine Marsbasis, dann eine Marskolonie. Lassen wir das Szenario in diesem Auflösungsgrad stehen und fragen wir nach den ethischen Problemen. Aus dem religiösen Blickwinkel hat man sich z.B. gefragt, wie man sich gegenüber eventuell vorhandenen Extraterrestriern im Rahmen der christlichen Ethik verhalten sollte. Die Problematik läßt sich durch Stichworte wie Erbsünde und Erlösungswerk anreißen. Ich glaube aber nicht, daß wir uns im Zusammenhang mit der RF darüber unterhalten sollten. Und zwar deswegen nicht, weil erstens Extraterrestrier unabhängig von der RF entweder auftauchen oder gefunden werden könnten (z.B. im Rahmen des SETI Projektes der NASA) und weil zweitens die Wahrscheinlichkeit, im Rahmen der RF auf Extraterrestrier zu stoßen, auf längere Zeit sehr klein ist. Im Sonnensystem ist ziemlich sicher nichts vorhanden, und die interstellaren Distanzen sind so gewaltig, daß die dazu erforderliche Art RF jenseits des ohne spekulative Science Fiction Beschreibbaren liegt. • Ethische Probleme, die sich unmittelbar aus Glaubensinhalten ergeben, sind im Kontext des vorstehenden Essays nicht relevant. Es gibt aber andere Aspekte, bei welchen Science Fiction schon im Rahmen des oben umrissenen Szenarios sehr schnell zur Realität wird. Nehmen wir den Betrieb der Mondstation. Aus Kostengründen werden die lunaren Arbeitskräfte keineswegs jedes R.Lo, Ethische Aspekte der Raumfahrt

8 Wochenende zur Erde zurückkehren, sondern möglichst lange dort verweilen. Die Erfahrungen mit den MIR Astronauten zeigen, daß man sie dann vorher wieder auf irdische Verhältnisse wird rekonditionieren müssen. Das kann man sich z.B. durch einen Zwischenaufenthalt in einer rotierenden Raumstation in einer Mondumlaufbahn vorstellen. Soweit so gut. Es gibt aber keinen Zweifel, daß sich dessen ungeachtet im Verlauf weniger Jahre eine eigene Rasse, nennen wir sie die Lunatiker, herausbilden wird. Lange, dünne Menschen, gewöhnt an 1/6 der irdischen Schwerkraft, die am Mond geboren wurden und die den Aufenthalt auf der Erde nur als exotischen und beschwerlichen Urlaub betrachten. Mit anderen Worten, wir stehen vor dem Erscheinen einer neuen Abart der Spezies Mensch, dem Homo Spatium. • Das Erscheinen des Homo Spatium wirft schwerwiegende ethische Probleme auf. Man könnte sich jetzt zurücklehnen und sagen: nun dann gibt es eben die Lunatiker, was soll’s? Das Problem steckt in der Verallgemeinerung bei wirklich l a n g f r i s t i g e r Betrachtung. Egal wohin uns die RF führen wird, überall wird der uns immanente Differenziationsdruck zu physisch unterschiedlichen Rassen führen. Dies wäre eine offensichtliche Konsequenz der Extrapolation des Imperativs „Macht Euch die Erde untertan!“ auf das Planetensystem und - losgelöst von jeder Zeitskala - auf die Milchstraße und den Rest des Universums. Unabhängig von der ganz fundamentalen Problematik dieser Alternative der langfristigen menschlichen Entwicklung resultieren aus der Kolonialisierung des Weltraums aber weitere Probleme, die von der Entstehung neuer Rassen ganz unabhängig sind. Die Geschichte der Besiedlung Amerikas zeigt, daß spätestens in dem Moment, wo eine Kolonie einigermaßen autark, d.h. materiell vom Mutterland unabhängig geworden ist, auch der Wunsch nach Autonomie, d.h. rechtlicher Unabhängigkeit entsteht. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann eine “Declaration of Independence of the Free Republic of Mars (oder Moon)“ zu erwarten ist. Danach darf man annehmen, daß alles seinen geschichtlich gewohnten Gang geht. • Bei der Besiedlung des Weltraums drohen langfristig “Krieg der Sterne“ Szenarien. Ich glaube, daß damit die wichtigsten ethischen Probleme identifiziert sind, die bei dieser Art der Weichenstellung der künftigen Entwicklung der Menschheit auftreten würden. Wie sollten wir es also besser machen? Keine Raumfahrt? Das wäre schlecht. Die Industrialisierung des Mondes wäre vorzüglich dazu geeignet, als internationales Großprojekt dazu beizutragen, daß der allein schon unter der Erdbevölkerung herrschende Differenzierungsdruck die gegenwärtige Transitionsphase mit einer Katastrophe enden läßt. Wir stellen heute bereits fest, daß eine demografische Transition stattfindet. Wenn auch das Bevölkerungswachstum noch weiter an Geschwindigkeit zunimmt, so gibt es doch bereits viele Zeichen, daß die R a t e n abzunehmen begonnen haben. Als Resultat wird eine Stabilisierung irgendwo zwischen 12 und 30 Milliarden Menschen in ca. 50-100 Jahren vorhergesagt. Offensichtlich sollte alles getan werden, diese Stabilisierung ohne Katastrophen zu erreichen und um es gleich zu sagen: darüber hinaus sollte dann daran gearbeitet werden, langfristig ein viel tieferes Bevölkerungsniveau zu erreichen. • Ein kleinere Menschheit könnte in viel größerer Freiheit in materiellem Wohlstand und insbesondere frei von Umweltproblemen auf der Erde leben.

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9 Welche Konsequenzen hat all dies für die RF? Die vollständige wissenschaftliche Erforschung von Mond und Mars und dem ganzen Rest des Planetensystems und des Universums ist unerläßlich. Inzwischen sollte aber klar sein, daß dies nicht impliziert, wir sollten dies zwecks späterer Besiedlung tun. Was den Mond betrifft, sollte er besser als Exklave der Erde betrieben werden. Die Bildung einer Kolonie ist unbedingt zu vermeiden. Der Mars sollte gar nicht bewohnt werden, sondern höchstens als Nationalpark eingerichtet werden. Expeditionen von Künstlern und Sportlern, die Kulturfilme zurück senden, sollten die Regel sein. Die Faszination der Eroberung des Weltalls wird auf diese Weise etwas nüchterner auf die Ebene der Stellvertreter verschoben. Wem dies nicht genügt, der frage sich, wie viele Leute heute selbst auf den Mount Everest steigen und wieviele lieber nur in ihrem Wohnzimmer am Bildschirm zusehen. Zusammenfassend und ergänzend: die Ausbreitung der Menschheit in Bereiche jenseits der Erde sollte n i c h t ihr Entwicklungsziel sein. Falls eine Entwicklungstendenz oder gar ein göttlicher Auftrag aus der bisherigen irdischen Geschichte ablesbar ist, dann eher so, daß Gott alle Naturgesetze offenbar so geschaffen hat, daß sich Systeme zu immer höheren Bewußtseinsgraden hin entwickeln. Sobald es also auf der Erde eine stabile, kleinere und daher zumindest von den heutigen Problemen befreite Menschheit gibt, könnte diese dann durch die Schaffung der Anorganischen Intelligenz ihren Beitrag zu dieser Entwicklung leisten. Wir könnten also die Eltern des Homo Superior werden, entweder durch Schöpfung der künstlichen Intelligenz oder durch Synthese mit dieser. Dem Homo Superior wäre es dann überlassen, RF zur Erforschung des Weltalls in einer jetzt noch gar nicht beschreibbaren Qualität zu betreiben. Wie viele faszinierende Entdeckungen dabei zu erwarten sein werden, können wir heute nicht einmal ahnen. Einen kleinen Begriff mag der abschließende Hinweis auf die jüngsten Erkenntnisse der Kosmologen geben: danach ist es überaus wahrscheinlich, daß das Weltall gigantisch viel größer ist, als bisher angenommen, nämlich anstelle von 1028 cm im Durchmesser nicht weniger als 1010 in verschiedenen Domänen! [3].

12

cm, mit verschiedenen physikalischen Gesetzen

• Fazit also: die Menschheit darf sich in Zukunft nicht mehr quantitativ, sondern muß sich qualitativ weiter entwickeln. Durch Befolgung dieses ethischen Gebots hat sie eine Chance auf eine ganz faszinierende Zukunft. [1] [2] [3]

J.v.Puttkammer, NASA:"Raumfahrt ist Kulturpflicht", Dokumente der Luft- und Raumfahrtindustrie, DASA, 10/1994 Carsten Bresch: "Zwischenstufe Leben - Evolution ohne Ziel?", Fischer, ISBN 3-59626802-8, 1987 Andrej Linde, Stanford Univ.:”The Self-Reproducing Inflationary Universe”, Scientific American, Nov. 1994, S.32

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